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 Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik



Petits riens (56)
Von Wolfram Schütte

    


© R. Reifenrath

Totes Synchron-Kapital –Als es in den Sechziger bis Neunziger Jahren noch die „Filmredaktionen“ in den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern der BRD gab, waren deren Zuschauer gewissermaßen cinéastisch fast so „gebildet“ wie die filmaffinen Besucher von Henri Langlois weltberühmter Pariser Cinémathèque francaise. Dort hatten sich die Regisseure der Nouvelle Vague filmhistorisch aufgefüttert.

Die Filmredaktionen der ARD, deren 3.Programme & des ZDF sorgten zumeist mit Hilfe Leo Kirchs & seiner Imprints dafür, dass deutschsprachige Fernsehzuschauer nicht nur regelmäßig mit den jüngsten Produktionen des aktuellen Qualitätskinos der Welt bekannt gemacht wurden, sondern auch verborgen-vergessenen Schätze Hollywoods von den Dreißiger Jahren bis zur Gegenwart New Hollywoods im TV präsentiert wurden. Da die meisten dieser zigtausend Filme der Kinematographie der Welt im allgemeinen Abendprogramm liefen, wurden sie (wie z.B. die Marx Brothers) synchronisiert - & sofern es jüngste Produktionen waren, konnten diese synchronisierten Filme auch vor der Ausstrahlung in den bundesdeutschen Kinos laufen. Wie der Ankauf, der Jahrzehntelang Leo Kirch reich machte, so subventionierte das bundesdeutsche TV-System indirekt nebenbei auch die Film-& Kinobranche - wenn sie nicht durch Coproduktionen & Vorabkäufe direkt das Entstehen von Filmen in Europa oder Lateinamerika ermöglichte.

Da die TV-Anstalten die Filme nur für eine bestimmte Anzahl von Ausstrahlungen erwarben & danach die Kopien (vermutlich samt Synchronfassungen) an die Rechteinhaber zurückgaben, müssten sie sich heute bei diesen befinden, sofern sie noch existieren, bzw. das Filmkapital (irgendwo?) gelagert wurde. Soweit ich weiß, gibt es nirgendwo einen Zentralkatalog, der den Verbleib dieser einmal präsenten repräsentativen Filmsammlung des Weltkinos quasi bibliothekarisch erfasst. Wo sind die Synchronisationen der ARD-Filmredaktionen (samt Filmen) geblieben?
Verschleudertes, verschlamptes nationales & internationales Kulturerbe.

                                   *

Vornamen-Roulette – Durch die Einbürgerung vieler Menschen aus den rand- & nichteuropäischen Sprachen entstehen natürlicherweise mannigfach Probleme. Wobei ich keineswegs Verständnis- oder Artikulationsschwierigkeiten mit der deutschen Sprache meine. Sondern mit Vor-& Nachnamen der Neubürger, die zumeist stolz sind auf das, was sie ererbt haben von ihren Eltern, Voreltern oder ihrer ethnischen Gemeinschaft - & wären es auch nur noch die Namen, die ihnen aus einer Sprache & Kultur von ihren Eltern gegeben wurden – obwohl sie sich manchmal von beiden lebensweltlich entfernt hatten. Andere pflegen weiterhin, obwohl formell als deutsche Staatsbürger integriert, die mentale oder kulturelle Beziehung zur Herkunft ihrer Vorväter.
Wie & warum auch immer, man stößt im heutigen Deutschland längst regelmäßig im Beruf & Geschäftsleben auf Menschen, deren Nachnamen für einen schwerer aussprech- & merkbar sind als die in unserer (Sprach-)Kultur geläufig- & bekannten. Vor allem aber auf Vornamen, bei denen man deren geschlechtliche Zuordnung weder kennt noch instinktiv erahnen kann.
Das ist heute (gewiss) hauptsächlich ein Übergangsphänomen, das zwei, drei Generationen später wahrscheinlich (ver-)schwinden wird. Es sei denn, dass bei diesen nominellen deutschen Staatsbürgern die identitäre Bindung an die genealogische Herkunft so stark (geblieben) ist, dass sie von den Betroffenen bewusst sprachlich dokumentiert werden soll.

Andererseits könnten sich die erwähnten Probleme in der multikulturellen Gesellschaft der ferneren Zukunft dadurch lösen, dass schon die Schulkinder von früh auf sowohl mit den heute noch „zungenbrecherischen“ Eigennamen als auch mit der geschlechtlichen Zuordnung der Vornamen ihrer Mitschüler & Mitschülerinnen vertraut sein werden.
Erst dann aber dürften die diskriminellen Folgen „fremder“ Namen, die heute oft noch in der deutschen Gesellschaft (mancherorts) an der Tagesordnung sind, weitgehend passé sein.

                                       *

Tontrübung - Bereits vor einigen Jahren habe ich an dieser Stelle die schlechte Qualität des Sprachtons in deutschen Filmen moniert, die ARD & ZDF senden. Für synchronisierte ausländische Filme trifft dieses Manko nicht zu. Vermutlich tritt bei deutschen Filmen (gleichgültig ob fürs TV produziert oder im TV nachgespielt) dieses Phänomen auf, wenn diese Filme mit Originalton gedreht wurden. Darauf war die Nouvelle Vague besonders stolz, weil derart die authentische Einheit von Person & Sprache im Augenblick ihrer filmischen Präsenz reproduziert wurde.
Das setzt aber eine präzise, kreativ-variable Arbeit bei der Tonaufnahme & deren Nachbearbeitung voraus. Beides scheint mir jedoch im neueren deutschen Film gewissermaßen unterbelichtet - & zwar auch bei meisterlichen Regisseuren wie Dominik Graf.
Jetzt konnte ich es nahezu experimentell erleben, als ich mir Grafs jüngsten „Polizeiruf“ ansehen wollte. Nach 10 Minuten brach ich die Sichtung ab, weil ich die meisten der Dialoge akustisch nicht verstanden hatte & zippte zu dem gleichzeitig andernorts ausgestrahlten satirischen Monolog des Kabarettisten Urban Priol, bei dem ich jedes Wort akustisch verstand.
Lag es am Headphone, das Priol benutzte? Oder artikulierte er deshalb besser, weil er wg. seiner sprachlichen Pointen immer von jedem akustisch verstanden werden sollte? Bekannt ist jedenfalls, dass weder auf der Bühne noch im Kino von vielen Schauspielern artikuliert & akzentuiert gesprochen wird - im Gegensatz zu den Synchronsprechern. So kann es passieren, dass man im Fernsehen einen synchronisierten fremdländischen Film ohne akustische Trübnisse versteht, bei lippensynchronen deutschen Filmen aber seine akustischen Verstehensschwierigkeiten hat.
 
                                    *

Zitatfund – Aus der Mail eines Freundes nach Trumps Vereidigung: Jedenfalls sehe ich in der Erkenntnis, dass nirgends auf der Welt eine einigermaßen ordentliche Regierung zum Wohl der Gesellschaft waltet, eine aufregende Herausforderung, der wohl nur Stoiker gewachsen sind“.

                                    *

Gender übergriffick - Bertrand Blier ist gestorben. 85 jährig (mein Jahrgang), ich hielt ihn immer für jünger, besser alterslos. Die wenigen Filme, die ich von ihm kenne, habe ich meist auf Filmfestivals gesehen, nicht alle seines Oeuvres sind in deutsche Kinos, geschweige denn ins Fernsehen gelangt. Aber immer, wenn ich sah, dass „ein Blier“ z.B. in Cannes angekündigt war, freute ich mich darauf (wie auf das Treffen mit einem sehr lieben alten Freund).

Der Sohn des einst berühmten französischen Schauspielers Bernard Blier war so etwas wie Bunuel auf protestantisch. Während der spanische Katholik die Erotik seiner Spielfilme ästhetisch sublimierte & raffiniert kultivierte, ging der Franzose, der mit Religion nichts am Hut hatte, in seinen toll-dreisten Komödien immer direkt vor: „vulgär“, proletarisch, kriminell, anarchistisch. „Ein böser Bube“, für den Eros=Sexus ist, Gender übergriffick.

In seinen „Ausgepufften“ (mit dem jungen Depardieu, dessen wunderbaren Freund Patrick Dewaere & der quirligen Miou-Miou) begeht Jeanne Moreau 1974 den bizarrsten Selbstmord der Filmgeschichte: durch den Schuß einer großkalibrigen Pistole in die eigene Vagina. Das war Bertrand Bliers Werk (sofern ich es kannte). Noch ein rätselhaftes Bild hat sich mir in diesem Augenblick des Abschieds aus einem seiner späten Filme („Eins, zwei, drei, Sonne“,1991) nun zugesellt: Marcello Mastroianni als ein alter Hafenarbeiter steht vor dem dunklen Hintergrund einer großen Schuppenhalle am Meer.

Artikel online seit 23.01.25
 

»Petits riens«,
nach dem Titel eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen, verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays« könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»
Kleine Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann. 

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Unverhoffter Doppelgänger Brentano & Heine

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Oma-Wünsche, Spekulation

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perplex,
Contes de fées,
fraglos, Iranischer Frauen-Mut
, Wespen-Täuschung

 


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