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Glanz
&Elend
Literatur und Zeitkritik


 

Petits riens (22)

Von Wolfram Schütte


Foto: © Roderich Reifenrath

Deutsche Karrieren (mehrfach) - »Hitler- Eine Karriere«: so lapidar lautete der Titel eines abendfüllenden Dokumentarfilms, den Joachim C. Fest & Christian Herrendoerfer weitestgehend aus nazistisch kontaminiertem Filmmaterial 1977 montiert hatten. Der Film basierte auf der 4 Jahre zuvor erschienenen monumentalen Hitler-Biografie des 1926 in Berlin geborenen Fest. Er stammte aus einer preußisch-katholischen, antifaschistischen großbürgerlichen Familie.

Nichtsdestoweniger verdankte der selbstbewusste Konservative seine publizistisch-berufliche Karriere in der Bundesrepublik dem »Dritten Reich«, mit dem er sich wie kein anderer westdeutscher Publizist (vor dem TV-Journalisten Guido Knoop) vielfach bis zu seinem Lebensende 2006 beschäftigte. So entstand der Hitler-Film »Der Untergang« nach Fests gleichnamigem Buch.

Fests angebliches Lebensmotto »Im Zweifel für den Zweifel« desavouierte er durch die ideologische Energie seiner deutsch-bürgerlichen Utopie, dass es - entgegen Adornos vielzitiertem Diktum - »im falschen Leben« doch ein »richtiges« gäbe. Anders gesagt, dass ausgerechnet in nächster Nähe zum massenmörderischen »Dämon« Hitler der »unpolitische Technokrat« Albrecht Speer ignorant & schuldlos habe bleiben können & nicht zu einer der fratzenhaften »Gesichter des Dritten Reichs« geworden sei, deren Porträtgalerie Fests erstes Buch (1963) entworfen hatte.

Für diese postfaschistische publizistische Propagandalüge tat er – in dessen FAZ-Herausgeber-Zeit ja auch die Entfesselung des »Historikerstreits« fällt – vieles, wenn nicht sogar alles. Zusammen mit seinem konservativen Berliner Verlegerfreund  Wolf Jobst Siedler besorgte Joachim Fest die »zweite Karriere« des ehemaligen Reichsrüstungministers (!) Albrecht Speer in der BRD & wies die weltweite Geschichtswissenschaft in die Irre. Fest stand mit dem Hitlerfreund Speer seit 1967 (!) - ein Jahr, nachdem dieser seine 20jährige Haft im Kriegsverbrechergefängnis Spandau abgesessen hatte - in Kontakt. Zusammen mit seinem Freund Wolf Jobst Siedler, damals Geschäftsführer des Ullstein-Verlags, besorgte Fest als anonymer lektorierender Mitarbeiter die Publikation von Speers 1969 erschienenen »Erinnerungen«.

Fests journalistische Beteiligung an dieser Geschichtsfälschung muss so beträchtlich gewesen sein, dass er eine finanzielle Beteiligung an diesem Bestseller-Erfolg erhielt. Fest-Freund Jobst Siedler, mittlerweile Geschäftsführer des Propyläen-Verlags, partizipierte am Hitler-Business mit der Publikation von Speers aus der Gefangenschaft illegal herausgeschmuggelten »Spandauer Tagebüchern« (1975); und Fest, der Mitverfasser der verfälschenden Speerschen »Erinnerungen«, legte dann im neu gegründeten Verlag seines Sohns fast 20 Jahre nach dem Tod des nazistischen »Rüstungsministers« seine Speer-Biografie vor.

Der Historiker Volker Ullrich, jahrzehntelang Feuilletonredakteur der »Zeit«, hat erst kürzlich aufgedeckt, wie systematisch diese »Drei von der (Führer-) Tankstelle« ihre bundesdeutschen öffentlichen Karrieren koordiniert haben. Wobei Fest auch noch für sein Wirken mit einer beträchtlichen Zahl von Preisen & Ehrungen gesegnet wurde (wie man z.B. Wikipedia entnehmen kann).

Das alles ging mir durch den Kopf, als ich jetzt las, dass Magnus Brechtken, stellvertretender Direktor des »Instituts für Zeitgeschichte«, seine eben erschienene 900 seitige Speer-Biografie mit dem Untertitel »Eine deutsche Karriere« versehen hat & das Buch im Münchner Siedler-Verlag erschienen ist. Diese »lange überfällige Beschäftigung«, in der Brechtken »am schärfsten  mit Joachim C. Fest und Wolf Jobst Siedler ins Gericht geht« (SZ), scheint die vorläufig letzte Volte in der grotesken publizistischen Münchhauseniade zu sein, zu der sich über mehrere Jahrzehnte hinweg die Trias Speer, Fest & Jobst Siedler mit der Wunschgläubigkeit ihrer deutschen Zeitgenossen einvernehmlich & einträglich für jeden von ihnen bis ins Posthume zusammengetan hat. Deutsche Karrieren – dreifach.

                                               *

Teure Bürde der Verantwortung - Als ich vor mehr als zwei Jahrzehnten  mit einem Studienfreund, der zuletzt im Vorstand einer Bank war, über die von mir so genannten «Wahnsinnsgehälter« der ARD-Intendanten stritt, versuchte er meine emotionale Empörung über diese »Verschwendung öffentlicher Gelder« (so meine damaligen Worte) mit dem Hinweis abzuduschen, immerhin trügen die Intendanten ja die Gesamtverantwortung für ihre Sender, bzw. für die ARD oder das ZDF. Ich nahm an (ohne dass wir darüber gesprochen hätten), dass mein reicher Freund bei seiner Verteidigung nicht nur an die von mir scheel angesehenen Intendanten dachte, sondern zugleich pro domo sprach. Die hohen Einkünfte von Bankern & Managern wie ihm waren damals gewissermaßen noch »Peanuts« im Vergleich zu dem, was sich diese Herrschaften heute so selbstverständlich wie schamlos herausnehmen.

Über diese so viel Geld werte »Verantwortung« der ARD-Intendanten (& was mit dem einschüchternd großen Wort gemeint sein könnte/müsste) konnte ich mich mit meinem streitbaren Freund damals nicht einigen  - u.a. weil ich bis heute nicht erlebt habe, dass auch nur ein Intendant (z.B. wegen Versagen im Amt oder Vernachlässigung seiner Verantwortung) um sein lukratives Amt gekommen wäre – was jedoch immer mal wieder in vergleichbar gut dotierten »Jobs« der Wirtschaft vorkommt. Wenngleich dann solche Abgänge finanziell aus- & abgepolstert sind & die hochvermögend Freigesetzten bald wieder andernorts ein vergleichbar einträgliches Tätigkeitsfeld finden. Wohingegen ich von einem zwar »geschassten«, wenn auch wohl versorgten Ex-Intendaten noch nie etwas gehört hätte – außer dass er arbeitsloser Pensionär ist.

Michael Hanfeld, verantwortlicher Medienredakteur der FAZ,  hat jetzt (30.5.2017) an die große Glocke gehängt, was der Fachdienst »epd medien« über die Gehälter der Intendanten von ARD- & ZDF zusammengetragen hat. Danach erhält der WDR-Intendant mit 399.00 € am meisten, die anderen acht Kollegen liegen als öffentlich-rechtliche Gehaltsempfänger darunter. Der Intendant des »Saarländischen Rundfunks« bekommt unter ihnen das geringste Salär: 237.000 € im Jahr,  der ZDF-Intendant dagegen darf jährlich 322.000 € empfangen. Hanfeld resümiert am Ende spitz, dass alle diese Gehälter um 10% gestiegen seien, seit der Rundfunkbeitrag vor 4 Jahren die Anmutung einer allgemeinen steuerlichen Abgabe bekommen hat.

Als ich mich vor mehr als zwei Jahrzehnten mit meinem Bank-Vorstands-Freund über die Apanagen der pseudo-feudalen ARD-Struktur in die Haare bekam, war das bundesdeutsche Fernsehen noch auf der Höhe & seine Programmvielfalt, bzw. -struktur in der Breite entsprach noch dem »öffentlich-rechtlichen Auftrag«. Obwohl man damals wesentlich weniger Programme (z.B. der Dritten) in der BRD empfangen konnte, war das Programm insgesamt thematisch vielseitiger, innovativer, abwechslungsreicher, auch fordernder & wagemutiger, kurz: noch nicht voll & ganz allerorten dem Diktat der Chimäre der Einschaltquoten unterworfen.

Wenn man heute beim Blick auf das wöchentliche öffentlich-rechtliche TV-Programm im »Mainstream«– selbst an Feiertagen – nur noch auf eine Inflation hausgemachter oder importierter Krimi-Serien & deren laufende Wiederholungen oder auf nationale & internationale Fußballspiele trifft, ist das heutige Programmangebot der »öffentlich-rechtlichen« deutschen TV-Sender evidenterweise meilenweit von seinem Programmauftrag entfernt. Wer wenn nicht diese Kur- & Duodezfürsten des heiligen deutschen Reichs der öffentlich-rechtlichen Medien trüge dafür die Verantwortung? Hoch alimentiert, sind diese Herrschaften jedoch keinen Pfifferling wert.

                                            *

Trumpeln Das »Phänomen Trump« bietet viele Ansichten & vermutbare Einsichten in den derzeitigen Zustand der usamerikanischen oder gar der Welt-Gesellschaft. Ein Aspekt, den die »Ungewöhnlichkeit«, »Exotik«, »Frechheit« etc. des auffälligen Mannes mit der blonden Tolle an der politischen Spitze der USA sowie seinem Reden, Handeln & Wirken, ist seine augenfällige Kontabilität mit einer Vielzahl von Sinnbildern oder mythisch-literarischen Figuren. Wie keine Person der Weltöffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten ruft das öffentliche Auftreten Donald Trump tradierte Bilder der Fiktion hervor, um sich die Merkwürdigkeit des realen Phänomens Trump & dessen verhaltensauffällige »unerklärbare Andersheit« verstehbar zu machen.

So liegt das Sinn-Bild des Elefanten im Porzellanladen fast peinigend nahe, wenn man Trumps außenpolitisches Wirken betrachtet. Oder wenn man an seine innenpolitischen Dekretierungen & den fortlaufenden Widerstand von Justiz & Presse der USA denkt, könnte man meinen, es mit Gulliver im Lande der Liliputaner zu tun zu haben. Noch gelingt es den Liliputanern mit ihren Netzen den Riesen in Banden zu schlagen & am Boden zu halten. Aber der Zorn des bislang »durch Recht & Gesetz« niedergehaltenen Gulliver wächst, während die selbstbewussten Liliputaner auf der Nase des Gefesselten lachend herumtanzen. Sie erwarten, dass in absehbarer Zeit der Kongress der USA  gegen die sich summierende Übergriffe Trumps & das von ihm produzierte gesellschaftspolitische Chaos, ein Impeachment-Verfahren einleitet, um den Trampel auf dem Präsidentenstuhl aus dem Amt zu entfernen. Vorauseilend übt er die Rolle der verfolgten Unschuld ein, die von einer »Hexenjagd« bedrängt werde wie niemand vor ihm.  Allerdings bleibt bis zum Beweis des Gegenteils fraglich, ob es noch genug persönlichen Mut, Ehrenhaftigkeit & Intelligenz unter den amerikanischen Republikanern gibt, die Institution des liberal-bürgerlichen Staates entschieden & unnachsichtig gegen die skrupellos-großmäulige, brutal-unzivilisierte Machtergreifung des egomanischen Milliardärs zu verteidigen.

Nachdem Trump das »Fremdschämen« über sich bereits bis zum Erbrechen getrieben hat – zumindest bei seinen politischen Gegnern (die er lieber als seine »Feinde« tituliert), fragt man sich langsam, wieviel Porzellan er noch zerdeppern muß, damit auch seine amerikanischen Wähler & Dulder begreifen, mit wem man es hier zu tun hat. Noch nicht einmal der öffentliche Anblick des entwürdigenden Schauspiels, das die »Selbstvorstellung« & die satrapenhafte Unterwürfigkeit  seines Kabinetts von Milliardären jetzt der Welt geboten hat, hat jetzt »the land of the free and the home of the brave«  aus dem Albtraum Namens Donald Trump erwachen lassen. Man fragt sich als Außenstehender, ob ein solcher Usurpator der Macht, der täglich seine Verachtung von Wahrheit, Wirklichkeit & Vernunft aggressiv aller Welt triumphal grinsend offenbart, noch mit der Waffe des Impeachments von der Macht verdrängt werden kann. Auch für seinen Typus gibt es literarische Assoziationen – nicht nur bei Shakespeare, dessen »King Lear« schon bemüht wurde, sondern naheliegender bei Camus in der Titelgestalt seines ersten Dramas »Caligula«.

US-Kommentatoren haben sich bei dieser Selbstvorstellung des Trumpschen Kabinetts an die die politische Welt Ceausescus erinnert gefühlt. Allerdings hätte der rumänische Diktator nicht gewagt, der Öffentlichkeit vorzuführen, wie er seinesgleichen Kumpane demütigt, bzw. wie sich sein engster Machtkreis vor ihm rhetorisch auf den Boden wirft. Auch die Mafia käme nicht auf die Idee, der Öffentlichkeit zu offenbaren, wie es zugeht, wenn der »Boss der Bosse« mit seinesgleichen verkehrt.

Die Öffentlichkeit, vor deren Augen & Ohren Trumps erste »Kabinettssitzung« aufgeführt wurde, wird damit als Augen- & Ohren-Zeugin in Haftung genommen: für eine Wahrheit über ihn, die doch als bloße Behauptung für die »üble Nachrede« eines Polemikers gehalten worden wäre. Ich frage mich, was diese Schulstunde am Kabinettstisch, auf der sich erwachsene Milliardäre wie eingeschüchterte Pennäler beim Appell im Zimmer des Direktors aufführten, vom Verlangen eines verrückt gewordenen römischen Kaiser unterscheidet, der von seinem Hofstaat verlangt, sein Pferd als neue Gottheit anzuerkennen.    

Artikel online seit 20.06.17
 

»Petits riens«,
nach dem Titel eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen, verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays« könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»
Kleine Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann. 

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