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Petits riens (neunzehn) |
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Von Wolfram Schütte Foto: © Roderich Reifenrath |
Brecht/Trump
– Wie haben wir gefeixt, damals selbst noch Schüler, als wir von Brechts
früher Dialektik lasen. Als Schüler habe er einem schlecht benoteten Aufsatz
eine ganze Reihe von vermeintlichen Fehler-Markierungen des Lehrers hinzugefügt.
Dann habe er weinerlich den Lehrer mit dessen vermeintlichen Übereifer
konfrontiert. Aus Scham habe der ertappte Lehrer nach der Korrektur seiner ihm
unterschobenen Fehler zur »Wiedergutmachung« den Aufsatz besser benotet. * Self fulfilling prophecy – Walter Benjamins Diktum: »Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren, daß es ‚so weiter' geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende, sondern das jeweils Gegebene.« Daran könnte man erinnert sein, wenn man an den gescheiterten Militär-Putsch in der Türkei & dessen nachhaltige Folgen denkt. Der heute zurecht nicht in Erdogans Machtbereich lebende türkische Journalist Yavuz Baydar hat immer wieder in seinen Kommentaren – die dankenswerterweise im Feuilleton der SZ auf Deutsch erschienen – danach gefragt, was in der Nacht vom 15.Juli 2016 in der Türkei wirklich passiert ist. Zuletzt hat er das unter dem Titel »Der Putsch und der Nebel« aufgrund der bisher offiziell bekannt gewordenen Fakten am 9.12. 2016 getan. Wenn man als Leser seiner Recherchen den Nebel zu lichten versucht, der über dem 15. Juli in Istanbul, Ankara & beim Militär & Geheimdienst bis heute lagert & den auch der türkische Mitbegründer der Medienplattform P 24 in seinem SZ-Beitrag noch walten lässt, ergibt sich ein höchst wahrscheinliches Verschwörungsszenario, das umso evidenter erscheint, je mehr man es von heute aus rückblickend betrachtet. Danach sieht es ganz so aus, als habe um den 15.Juli ein von Erdogan kontrollierter brutaler Endkampf zwischen zwei muslimischen Verschwörerbanden stattgefunden. Beide hatten anfangs das gleiche Ziel: die kemalistische Säkularisierung des türkischen Staats & seine laizistische Bewegung zu stoppen. Langfristig drohte eine repräsentative Demokratie im »westlichen« Sinne. Die Gülen-Bewegung unterwanderte mit ihresgleichen Mitgliedern oder Sympathisanten den Gesellschaftskörper; Erdogan mit seiner AKP ging den Weg der öffentlichen Wahl in der türkischen Demokratie. Gemeinsam haben sie erst einmal die kemalistische Festung »Militär« geschleift. Denn das laizistische Militär hatte immer wieder geputscht, wenn ihm die Politik links oder religiös in die Quere kam. Das türkische Militär hat dann nicht gezögert, drakonisch gesetzlos & mörderisch gegen jene vorzugehen, die es zu Feinden erklärt hatte. Die Nato-Partner & westeuropäischen Demokratien haben diesen mehrfach vom türkischen Militär beschrittenen Sonderweg geduldet. Offenbar brach der interne Machtkampf zwischen Gülen & Erdogan aus, als Gülen mit seinesgleichen publizistischen & gesellschaftlichen Kräften in Presse, Polizei & Justiz die Korruption innerhalb der AKP-Spitze zum Hebel machen wollte, um Erdogan & seine parlamentarische Bande durch die publizistische Denunziation aus dem Sattel zu heben. Bereits damit aber zog Gülen den Kürzeren. Erdogan hatte seine legale Macht im Staatsapparat als der gewählte Regierungschef bereits so gefestigt, dass er gewissermaßen »mit Notverordnungen« die ersten feindlichen Angriffe 2014 seines zeitweisen Mitverschworenen abwehren konnte & tausende Gülen-Anhänger in der Justiz & Polizei auf die Straße setzte. Er wusste aber – wie ein Mafiaboss nach einem abgewehrten Konkurrentenangriff -, dass er über kurz oder lang eine erneute Bedrohung zu gewärtigen hätte, wenn er nicht den Feind zuvor mit Stumpf & Stiel ausrotten würde. Möglicherweise gab es aber innerhalb der von Gülen & Erdogan weitgehend »entkemalisierten« Armee eine dilettantische Gruppe, die Erdogans offener Weg in die Diktatur zu einem verzweifelten Akt des putschistischen Widerstands motivierte. Durch Spitzel erfuhr Erdogans Bande davon jedoch rechtzeitig. Da sie sicher war, dass das »gesäuberte« Militär, dem das kemalistische Rückgrat gebrochen war, nur noch als Papiertiger existierte, ließ sie sich anscheinend auf ein riskantes Vabanquespiel ein. Idealer, täuschender, mobilisierender konnte für Erdogan kein Vorwand sein (als der dilettantische Putschversuch), um mit einem Handstreich jegliche Kritik oder jeden geistigen Widerstand als putschistisch oder von Gülen-Kräften initiiert, zu denunzieren. Erdogans erstes offenes Wort nach dem schon im Keim erstickten Putschversuch – dieser sei wie von Gott gesandt -, sprach diese insgeheime Wunscherfüllung aus. Fortan greift er mit demokratischer Maske & immer erneuten Verlängerungen des »Notstands« so autokratisch wie nur denkbar durch, um Zug um Zug alle nur mögliche Opposition mundtot & einzuschüchtern, zu enteignen oder arbeitslos zu machen. Die pauschalen, teilweise kafkaesk-absurden Beschuldigungen gegen immer neue Gruppen der Gesellschaft (vor allem Intellektuelle, Schriftsteller & Journalisten) sind nicht einer paranoiden Angst geschuldet, sondern die logistisch perfekt exekutierte Eliminierung von Kritikern & die Neutralisierung demokratischer Institutionen oder Grundsätze, um ein permanentes öffentliches Klima der Angst, Willkür & totalitären Macht zu produzieren. Die Parallele zur demokratisch camouflierten «Machtübernahme« der Nazis am Ende der Weimarer Republik 1933 sind auf eine nachgerade peinliche, komisch-grausige Art & Weise so evident, dass die türkische »Wiederholung« wie ein sklavisch ausgeführtes Imititat erscheint. Indem Erdogan Pässe einzieht, die Emigration verbietet, bzw. Emigranten mit der totalen Kassierung ihres Privateigentums bestrafen will, ist er endgültig auf Augenhöhe mit nazistischen oder stalinistischen Sanktionen gegen »Volks«- oder »Staatsfeinde«. Eben diese ins Auge springende Evidenz schützt paradoxerweise Erdogans »Machtübernahme« auf offener Bühne & vor aller Welt. Entweder traut ihm keiner diese politische Chuzpe zu, oder man will lieber als Erdogans Zeitgenosse seinen eigenen Augen nicht trauen, weil doch nicht »sein kann, was nicht sein darf« (Christian Morgenstern). Deshalb zerbrechen sich z.B. deutsche politische Journalisten den Kopf darüber, ob Erdogans »Präsidialsystem« eher an dem französischen oder usamerikanischen Vorbild sich orientiere (obwohl doch einmal vor den jüngsten Ereignissen einer seiner Vertrauten verraten hatte, dass man von Hitler zu lernen versuche). Offenbar muss man türkischer Journalist wie Bülent Mumay sein, der am 11. 1. 2016 in seiner FAZ-Kolumne das Kind beim Namen genannt hatte, als er den »Präsidenten alla turca« als den unumschränkten Gewaltherrscher an der Spitze des Staates uns vor Augen stellte. So wird die europäische gesellschaftspolitische Erfahrung, aufgrund deren (zumindest bei uns) aus der eigenen Geschichte hätte gelernt werden können, fortlaufend zum Schweigen gebracht - & wir alle erleben, bzw. nehmen teil an einer »filmreifen« politischen Sequel, dessen Drehbuch uns bekannt ist, weil der Film schon einmal 1933 in Deutschland gedreht worden war. * Schadenfreude – Bei einer Wiederlektüre von Arno Schmidts frühem Roman »Brand´s Haide« fällt plötzlich eine Passage auf, in der man den in seinen frühen Büchern besonders unsympathischen, weil arroganten Besserwisser Schmidt bei einem »Fehler« erwischt hat. Die Rede ist an dieser Stelle von Fouqué, an dessen Biographie AS damals gerade geschrieben hat, nachdem er & seine Frau Alice auf einem Tandem zu allerlei norddeutschen Orten geradelt waren, wo sie dort lagernde Akten, Briefe etc. des Dichters handschriftlich kopiert hatten. Der sich selbst erzählende Held, dem Arno Schmidt so viel wie möglich von seiner eigenen literarischen Existenz mitgibt, kommt ins Gespräch mit einem natürlich herzlich verachteten, ignoranten evangelischen Pfarrer, der ihn beim Kopieren eines alten Autographen beobachtet. >»Fouqué«, sagte ich kurz um des lieben Friedens willen (obwohls ihn nischt anging!) »Ah« leuchtete er gönnerhaft auf: »Undine: Ozean, Du Ungeheuer…« und nickte beruhigt; ich sah ihn von der Seite an, sagte aber höflich: »Lortzings Text und Musik hat mit Fouqué persönlich allerdings nichts mehr zu tun.« » Ist es denn öfter komponiert worden?!« wunderte er sich majestätisch: »davon weiß ich ja gar nichts…!« Nun langte es mir; er schien sich für allwissend nicht nur gehalten zu haben: nein: zu halten! »Doch!« erwiderte ich sparsam und arbeitete weiter.< Wenn ich diesen Dialog richtig interpretiere, meint der »sich für allwissend haltende« Pfarrer, ihm falle zum Fouquéschen Undine-Märchen »gönnerhaft« sofort Lortzings gleichnamige Oper ein. »Höflich« – wie es seine angeberische Art ist – erklärt ihm der besserwisserische Ich-Erzähler, dass Lortzings Oper mit Fouqués Erzählung »nichts mehr zu tun hat«, vulgo der vermeintliche Kenner im Vergleich zu dem Icherzähler selbstverständlich nichts weiß. Freilich weiß in diesem Fall einmal der Leser, dass auch Schmidts gleichnamiger Besserwisser nicht weiß, dass »Ozean, du Ungeheuer…« eine Sopran-Arie aus Carl Maria Webers Oper »Oberon« ist (& nicht aus einer »Undine« stammt). »Ozean, du Ungeheuer« war in den musikalischen Wunsch-Sendungen der ARD genauso beliebt wie «Vater, Mutter, Schwestern, Brüder« oder »O kehr zurück« aus Lortzings »Undine«. Die Verwechslung könnte Schmidt deshalb unterlaufen sein, weil er natürlich das Versepos »Oberon« des Fouqué-Zeitgenossen Wieland kannte.
Es ist
natürlich völlig unerheblich, den Vielwisser Schmidt einmal als sein Leser bei
einem seiner Irrtümer ertappt zu haben. Die Beiträger des »Bargfelder Boten«,
der sich der lustvollen oder fanatischen Schmidtologie widmet, haben ihren Heros
schon mannigfach beim falschen Besserwissen oder Flunkern oder Plagiieren
»erwischt«. Dergleichen Irrtümer sind ja kein Beinbruch, passieren jedem. Artikel online seit 17.01.17 |
»Petits
riens«, |
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