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 Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik



Petits riens (54)
Von Wolfram Schütte

    


© R. Reifenrath

Zahlen-Erweckung – Neulich nachts machte ich schlaftrunken eine seltsame Entdeckung. Zweimal wurde ich wach & drehte mich um zur elektronischen Uhr: einmal war es 2.22, das andere Mal 5.55. Warum genau zu diesen „Schnapszahlen“-Zeiten? Zwei Zufälle? Ich gäbe etwas darum, dieses nachdenkswürdige nächtliche Erweckungsereignis (psycho)logisch erklärt zu bekommen.  

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Unehrenhaftung - „M. P. erzählte mir, dass er ehrenamtlich für die Bahnhofsmission in München arbeiten wollte, aber als die Verantwortlichen hörten, dass er bei der Presse war, haben sie abgesagt“, schrieb mir ein Bekannter über einen Freien Kulturjournalisten, der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kulturhistorische Features gemacht hatte. Es ist ja ganz schön, wenn es noch Behörden gibt, die Hochachtung vor Journalisten haben – selbst wenn diese angsteinflößenden Journalisten schon jenseits der Pensionsgrenze sind, längst ihren Beruf an den Nagel gehängt haben & ehrenamtlich Gutes für Bedürftige tun wollen. Aber dass dieser (wohl begründete?) Respekt dazu führt, dass so ein Pensionär noch nicht mal ehrenamtlich für die Bahnhofsmission tätig sein darf, ist ein starkes Stück der Diskriminierung qua Beruf. Im Grunde ist es eigentlich eine unbewusste Selbstanzeige, also die Aufforderung zu einer journalistischen Recherche über die Bahnhofsmission in München & was sie befürchtet, dass es aufgedeckt werden könnte. 
           
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Hoppla - Ob nicht die mordlüsterne Träumerei der Seeräuber Jenny („Dreigroschenoper)“, die auf  den brandschatzenden Piraten wartet, der sie – nur sie allein -  fragt, wen von seinen Gefangenen er töten soll (& sie sagt „Alle“ & „Hoppla“, wenn die Verhassten alle geköpft werden) -: ob da nicht das Inbild aller Trump-Wähler & -Wählerinnen  vorweg imaginiert wurde?

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Jetzt reichts: mea res agitur – Als jetzt „in Stadt und Land“ Hundertausende Deutsche „auf die Straße gingen“, um „gegen rechts“ zu demonstrieren, waren über dieses späte Zeichen kollektiven Protestes jene erfreut, die eine solche massenhafte öffentliche Demonstration nach dem Hamas-Massaker am 7.Oktober 2023 in Deutschland vermisst hatten.

So erfreulich diese Massendemonstrationen gegen die Bedrohung der Demokratie durch den Zulauf der AfD sind, so kamen sie ganz offensichtlich doch nur zustande, weil die geheimgehaltenen Überlegungen rechtsradikaler AfD- & CDU-Politiker & Unternehmer bekannt geworden waren, die sich in einer Villa (nicht am Wannsee, sondern in Potsdam) getroffen hatten, um über die Vertreibung aller „Nichtdeutschen“ zu beratschlagen, sobald der AfD eine Machtergreifung gelungen sei.

Die Parallele zum aktiven Antisemitismus der Nazis war allen Beteiligten in Potsdam bewusst. Aber auch den (jüngeren) Deutschen, die jetzt (meist zum ersten Mal) auf Straßen & Plätzen demonstrieren gehen! Die deutlichen quantitativen Unterschiede zwischen den Großstädten der ehemaligen BRD & der ehemaligen DDR (wie auch die Seitenverkehrung der Differenz im Hinblick auf den AfD-Zulauf) ist zweifellos den unterschiedlichen historischen Entwicklungen der beiden deutschen Nachkriegsstaaten zuzuschreiben.

Es spielt aber dabei noch etwas eine (wie mir scheint) bislang unbedachte faktische Tatsache eine Rolle: die Zahl der familialen Verbindungen & existenziellen Alltags- & Berufserfahrungen mit „Ausländern“, sprich: „Menschen mit Migrationshintergrund“, sei´s in erster oder dritter/vierter Generation. Sie gehören im Westen Deutschlands gewissermaßen zur gesellschaftlichen „Normalität“, wohingegen sie im Osten, sprich: der Ex-DDR, zu den Ausnahmen gehören.

Deshalb sind die gesellschaftspolitischen Vertreibungs-Träumereien rechter Faschisten an Potsdamer Kaminen auch so radikal zeit-& weltfremd im heutigen Deutschland, weil sie ja nicht allein „Ausländer raus“ werfen, sondern auch den „deutschen Volkskörper“ von allen (historisch) gewachsenen fremdländischen menschlichen Zugängen „reinigen“ wollen.

Fast ist man versucht, das Potsdamer Treffen der tollwütigen Reaktionäre für einen „Glücksfall“ zu halten, weil es den Deutschen offenbart hat, was der harte Kern der Rechten gegen alle ihr Mitmenschen insgeheim im Schilde führt. So motivierten sie das Mea res agitur, das die Leute, die sich davon betroffen fühlen, auf die Straßen treibt, um für den Status quo einer demokratischen Gesellschaft diversester Ethnien öffentlich sichtbar unter Gleichgesinnten einzutreten.

Die zahlenmäßig kleineren Proteste „Gegen Rechts“ in den Kleinstädten der Ex-DDR sind deshalb umso bemerkenswerter, als sie dort von den Protestierenden zusätzlich persönlichen Mut verlangen, sich gegen die unmittelbare Nachbarschaft der sichtbaren Rechten, bzw. der AfD ebenfalls sichtbar zu artikulieren & zu positionieren.

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Oma-Wünsche – Wenn sie im Erzählen über jemanden, den sie mehr als bloß nicht mochte, weil er ihr Leids angetan hatte, - ja, ihn eigentlich hasste (obwohl ich das Wort Hass von ihr nie gehört habe) - , griff meine Frankfurter Oma zur Verwünschung, indem sie im Dialekt sagte: „Dem wünsch´ ich die Kränk an de Hals“. Es war der hilflose Wunsch einer Ohnmächtigen, die im Übrigen „herzensgut“ war.

Derartige ohnmächtige Verfluchungen mit Todeswünschen für mächtige politische Plagegeister des Alltags suchen gewiß auch manchen heute heim, der sich jedoch diesen klammheimlichen mörderischen Tabubruch  oft nicht einmal einzugestehen wagt. Obwohl es ja derzeit mindestens 3 politische Figuren gibt, die als verwünschte Kandidaten dafür in Frage kämen: Putin, Netanjahu & Trump.

Aber Opfer von Attentätern werden diese politischen Übeltäter wahrscheinlich nie. Dafür immer eher jene, die die Welt zum Besseren verändern wollten, z.B. Henri Quatre, Abraham Lincoln & Jitzchak Rabin. („Es ist wie es ist. Und es ist fürchterlich“, H.H. Jahnn).

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Spekulation – Das nicht gerade für seine Erotik berühmte sozialkritische Kino des britischen Filmmachers Ken Loach enthält jedoch die exzessivste Darstellung des Cunnilingus in der gesamten Geschichte des Kinos. Ich rede von dem 2004 entstandenen „Just a kiss“, den gerade wieder „arte“ zeigte. Darin erzählt Loach eine moderne „Romeo-& Julia- Geschichte“ im heutigen Glasgow: eine katholische Musiklehrerin & ein DJ aus der pakistanischen Community gehen eine Liebesbeziehung ein. Sie soll von den jeweiligen, unterschiedlichen kulturell-sozialen Milieus unterbunden werden, deren Tabus die Liebenden verletzt hatten. Anders als im Shakespeare-Drama lässt Loach die romantische Liebe der beiden Bedrohten am Ende triumphieren, die sich allen Trennungsversuchen ihrer Milieus, koste es was es wolle, entschieden widersetzten.

Als die alleinstehende Lehrerin den gerade auf der Disco wieder getroffenen Bruder einer ihrer Schülerinnen mit sich nachhause nimmt, zeigt der Film nicht einen leidenschaftlich ausagierten Liebesakt der Beiden, sondern nur den Cunnilingus des Liebhabers & den erotischen Genuss der sexuell Befriedigten.

Abgesehen davon, dass Loach damit die stereotypische Erwartung einer stereotypischen Darstellung im Film unterläuft, setzt er dadurch einen bestimmenden Akzent zur Charakteristik des jungen Mannes. Der verhält sich (als DJ, der eine Frau aus fremdem Milieu für ein One-night-Stand „abgeschleppt“ zu haben scheint) nicht wie ein dominanter Macho, der seinen sexuellen Gewinn kassiert. Er sorgt („liebevoll“) dafür, dass die Geliebte zum sexuellen Höhepunkt kommt – durch eine erotische Praxis, die am weitesten von der penetrierenden, gewaltaffinen Sex-Darstellung im Film (z.B. „Tango in Paris“, „Basic Instinct“ oder „Spiel mir das Lied vom Tod“) entfernt ist.

Es ist die ebenso eindrückliche wie diskrete Darstellung der sexuellen Zärtlichkeit im intimen Umgang von pakistanisch-muslimischem Romeo & katholischer Julia, welche die emotionale Kraft ahnen lassen soll, mit der die beiden Liebenden sich über die niederdrückende Schwerkraft der kollektiven Traditionen ihrer Herkünfte erfolgreich hinwegsetzen lässt. („When I get older losing my hair / Many years from now (…) Will you still need me, will you still feed me/ When I´m sixty-four?)

Artikel online seit 15.02.24
 

»Petits riens«,
nach dem Titel eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen, verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays« könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»
Kleine Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann. 

Petits riens (IX)
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Petits riens (23)
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Petits riens (25)
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Petits riens (26)
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Korrektur, Klein aber fein,
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Private Rasterfahndung
Unverhoffter Doppelgänger Brentano & Heine

 


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