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© R. Reifenrath |
Korrektur –In Petits riens (51) hatte ich die Erinnerung an die Funkstille am Karfreitagmittag – symbolisch gedacht als Erinnerung an Jesu' Kreuztod – für alle Sender der BRD behauptet. Aufgrund der Recherchen im Rundfunkarchiv gab es das aber nur einmal 1949 im Hessischen Rundfunk. Ob es daran lag, dass ich zu dieser Zeit noch herzinnig gläubiges Mitglied der Evangelischen Kirche war? Warum einzig die Hessen (also der spätere linksliberale »Rotfunk«) diese symbolische Funkstille einführten & nicht der tief CSU-dominierte Bayrische Rundfunk, erkläre ich mir damit, dass Karfreitag eher ein hoher evangelischer als ein katholischer Feiertag war. Vielleicht war auch zufällig der »beratende« US-Offizier ein evangelikaler »Billy-Graham«-Anhänger? – ich aber, wie ich durch die Nachfrage bei gleichaltrigen Schulfreunden zu meiner Verwunderung feststellte, bin einer der letzten, der diese Einmaligkeit erinnert. *
Klein, aber fein - Es gibt in der
Gegenwartsliteratur eine Gruppe von deutschen & französischen Autoren, die ein,
zwei Auffälligkeiten verbindet, obgleich sie sonst je eigen sind. Ich meine
damit den verstorben Deutschen Wilhelm Genazino, den Österreicher Robert
Seethaler & die beiden Franzosen Jean Echenoz & Patrick Modiano, dem 2014 der
Literaturnobelpreis zugesprochen wurde.
Außer diesen Spezialitäten verbindet alle Autoren
die nahezu immer gleiche Kürze (Länge) ihrer Erzählungen. Handreichungen - Zugegeben: seit wir uns nicht mehr, wie unsere engsten biologischen Verwandten (die Menschenaffen), auf vier sondern nur noch auf zwei Beinen bewegen, haben die zwei anderen einen prekären Status. Sie sind für ihre alte Funktion überflüssig geworden. Wir haben aber für sie wichtige andere Funktionen entwickelt: z.B. Hände schütteln, Umarmen oder Gestikulieren. Aber nicht immer sind sie in dieser Tätigkeit aktiv. Meist hängen sie bloß an unseren Schultern. In unserem Alltag kommen wir aufrecht stehende & gehende Zweibeiner ohne Nachdenken mit dem Faktum der »überflüssigen« Arme gut zurecht. Allerdings werden sie zum Problem, wenn wir z.B. gezwungen sind, zuzuhören oder uns im Raum zu bewegen (ohne gleich auffällig mit den Armen zu rudern). Besonders »Personen der Öffentlichkeit« müssen sehen, wie sie damit zurande kommen, wenn sie erwünscht oder unerwünscht im Fokus der Allgemeinheit stehen. Die ursprünglich nur männliche Hose hatte ihre Taschen u.a., damit man darin die Hände versenken konnte. In der deutschen Benimmkultur jedoch galt es (von jeher?) als grob unhöflich, die Hände in die Hosentasche zu stecken oder dort zu lassen, wenn man mit einer anderen Person im Gespräch ist oder auch nur ihr gegenüber steht. Ich erinnere noch, mit welcher Empörung die westdeutsche Boulevard-Presse Bilder kommentierte, die den ersten deutschen Bundespräsidenten auf seinem Großbritannien-Besuch in Eton oder »Oxbridge« zeigten, den Studenten in ihren hochseriösen Anzügen aus der Distanz beäugten & dabei ihre Hände in den Hosentaschen vergraben ließen (statt ihm zu applaudieren?). Niemand bei uns wusste offenbar, dass jenseits des Kanals es gang & gäbe war (& keineswegs als unhöflich galt), dass Männer selbst im Gespräch miteinander ihre Hände in den Hosentaschen lassen. Es ist ein Ausdruck von lässiger Zivilität. Gleichwohl war es wohl damals auch ein Ausdruck von snobistischer- politischer britischer Arroganz gegenüber dem älteren Deutschen (einem »Hunnen«). Mir fiel dieser ikonografische Moment vor mehr als 70 Jahren wieder ein, als ich über die Seltsamkeiten nachdachte, die deutsche Politiker mit ihren Händen veranstalte(tete)n. Hitler – wenn er nicht brüllte & mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand herumfuchtelte, sondern auf der Bühne abwartend stand – faltete seine in einander gefügten Hände wie ein Schutzschild auf der Höhe seines Geschlechtsteils. Angela Merkel wurde weltberühmt durch »die Raute«, die sie an gleicher Stelle mit den Spitzen ihrer Hände bildete. Die Kanzlerin wollte mit dieser Demonstration der Berührungen der Fingerspitzen offenbar ihre »innere« Ruhe äußerlich demonstrieren. Am allermerkwürdigsten ist jedoch, was der Kanzler Olaf Scholz im Raum der Öffentlichkeit mit seinen Händen treibt. Er benutzt sie zum Nesteln. Sie sind in Tätigkeit auf der Bauchnabelhöhe, öffnen oder schließen sein Jackett. Das ist offensichtlich nötig, weil es eng auf Taille geschnitten ist & geschlossen allenfalls getragen werden kann, wenn Scholz aufrecht steht. Aber da derzeit die Mode für (junge) Männer vorschreibt, dass Jacketts so getragen werden, hat der »jugendlich« sich kleidende Kanzler ein Problem, weil er zugleich ohne das obligatorische »geschlossene« Jackett im Stehen nicht auszukommen gewillt ist. Sobald er aber sitzt, kann er quasi »gefahrlos« seine Zurüsting als junger Mann ablegen, d.h. das Jackett offen tragen. Da er aber sich immer, von registrierenden Kameras beobachtet, im Raum der Öffentlichkeit aufhält, bzw. sich bewegen muss, sehen wir ihn als Nestler des Übergangs. Er hat darin eine Professionalität entwickelt, die bislang verhindert hat, dass er zum & beim Sitzen das eng geschnittene Jackett je geschlossen getragen hätte - & dadurch, hässliche Falten werfend, aller Welt offenbart hätte, dass sein eng geschnittenes Jackett auch für seinen »Waschbrettbauch« im Sitzen zu eng wäre. Der phänomenologestische Preis, den Scholz für seine kleidliche Inszenierung entrichtet, ist der irritierende Eindruck, dass der (wie verlegen & ertappt) lächelnde Bundeskanzler permanent so aussieht, als habe man ihn dabei erwischt, wie er gerade aufgestanden ist oder im Begriff ist, sich hinzusetzen: jedenfalls aber eine lächerliche Figur abgibt.
Vielleicht sollte er sich wirklich mal etwas
weiter geschnittene Jacketts zulegen. Pechvogel als Dieb - Der Frankfurter Lokalpresse entnehme ich folgende Pechvogelgeschichte: Ein 27jähriger Mann versuchte in Sachsenhausen an mehreren Orten als Dieb erfolgreich zu sein. Der Frühaufsteher durchwühlte gegen 6.15 einen Gartenschuppen in dem ihm nur ein Schlüsselbund in die Hände fiel. Anschließend versuchte er erfolglos, über eine Terrassentür in ein Wohnhaus zu gelangen. Zwei Häuser weiter warf er einen Stein gegen die Glasscheibe eines Wintergartens, ohne zu einem Erfolg zu gelangen. Zirka eine Stunde später drang er in ein (so früh noch geschlossenes) Apfelweinlokal ein. Dort gelang es ihm aber nicht, Geld aus einer Kasse zu entwenden; jedoch eine dort deponierte Tasche nahm er an sich. Die 42jährige Eigentümerin des Lokals & eine Mitarbeiterin bemerkten den Dieb & nahmen seine Verfolgung auf. Dabei schubste der Flüchtige die Lokalbesitzerin & raubte ihr Bargeld. Passanten hielten den Täter aber fest, bis die alarmierte Polizei ihn ergriff & ihn auf ihre Dienststelle brachte. Die Beute seines glücklosen Diebeszugs – ein Schlüsselbund, die Tasche & das Bargeld - erhielten ihre Besitzer zurück. Vermutlich wurde der Pechvogel nach »Feststellung seiner Personalien« (& seinem Geständnis) wieder auf freien Fuß gesetzt. * Voyeuristische Abstumpfung - Am 14.8 1942 notiert der Nazigegner Hermann Stresau in seinem Tagebuch über einen Kinobesuch in Göttingen: »In der Wochenschau (…) sah man Rostow: das Grauen der Zerstörung. Die Stadt fast vollkommen vernichtet. Die Truppen machten einen guten Eindruck, aber der Anblick der Zerstörung… Man sitzt einigermaßen bequem in seinem Kinosessel und läßt sich das vorführen: und schämt sich des Zuschauens. Leben die Menschen denn nur noch mit der äußersten Oberfläche ihrer Organe? Können sie nur noch sehen, hören – ohne im mindesten zu verstehen? Es scheint, die Dinge können ihnen nur noch >nahegebracht< werden, durch ein Aufnahme-Objektiv, und die Wirklichkeit dringt nicht weiter als bis an die Netzhaut, bis ans Trommelfell – aber weiter drinnen bleibt´s stumm und taub und blind.« (1942!) * Doppelbelichtung – Die (zufällige) Lektüre von Hermann Stresaus »Tagebücher aus den Kriegsjahren 1939-1945«, die unter dem Titel »Als lebe man nur unter Vorbehalt« 2021 bei Klett-Cotta erschienen, führt einen in diesen Tagen in eine wahrhaft denkwürdige Situation. Im ersten Band der Stresauschen Aufzeichnungen, die von 1933-1939 reichen & die ich am 25.07.2021 in »Glanz und Elend« rezensiert habe, erfuhr man detailliert, wie der Nationalsozialismus sich im deutschen Alltag etablierte, im zweiten nun, wie er mit Lug & Trug in den 2. Weltkrieg marschiert & ihm die überwältigende Mehrzahl der Deutschen bis zum katastrophalen Ende aufs Wort gefolgt ist. Stresaus Dokumentation ist umso wertvoller, als er ganz aus der Enge seines privaten & beruflichen Alltags berichtet, die täglichen Meldungen des OKW zitiert (& deren Veränderungen im Lauf der Zeit registriert) oder aus Hitler- oder Goebbels-Reden & aus Zeitungsmeldungen täglich den Horizont seines Wissensfelds beschreibt. Daraus entsteht für uns nachgeborene Leser, die selbstverständlich immer mehr wissen als der Göttinger Diarist & seine gleichgesinnten Kinder, Bekannten & Freunde das authentische Bild einer bürgerlichen Gesellschaft unter der Diktatur, deren unaufhaltsamer Gang in die apokalyptische Zerstörung (durch den systematischen Bombenkrieg) von Stresau nur ohnmächtig registriert werden kann. Indem er zugleich die wechselnden Stimmungen im Alltag der Deutschen notiert, wird auch die unheimliche Mischung aus Angst, Ahnung & Wunschdenken offen gelegt, die den Alltag des Krieges (an der »Heimatfront«) atmosphärisch verdichteten. Erstaunlicherweise spekuliert Stresau am 6. 12.43 (!) aber z.B. über einen »bemerkenswerten Artikel« im »Reich«, der sich mit der immer wieder angekündigten »Vergeltung« für den britischen Bombenkrieg beschäftigt. Darüber hätte man in den Kommentaren des Buches gerne mehr gewusst – umso mehr, als der Tagebuchschreiber sich deshalb fragt: »Sollte das mit der technischen Auswertung der Atomzertrümmerung zusammenhängen? Ankündigung der Technik, d.h. der freiwerdenden Energie? Das freilich könnte uns helfen«. So zweifelsfrei Stresau & seine Freunde den Nationalsozialismus hassten, so brachte er es dennoch nicht über sich, selbst in der Intimität seines Tagebuchs das identifikatorische »uns« zugunsten einer kühleren Abstraktion aufzugeben. Einmal schreibt er, er wünschte nicht, dass Hitler gewinnt, aber auch nicht, dass Deutschland verliert: ein Paradox, das spätestens nach Kriegsende geschwunden sein dürfte, als er von dem Zivilisationsbruch der Shoa erfahren hatte. (Was er davon gehört, gewusst oder geahnt hatte – davon ist nichts in den Tagebüchern vermerkt.) Aber das Besondere dieses Tagebuch im Kriege einer deutschen Diktatur gegen die ganze Welt, besteht in unserer unmittelbaren Gegenwart darin, dass es einem bei der Lektüre seiner »Doppelbelichtung« durch den Krieg in der Ukraine mehrfach kalt der Rücken herunterläuft. Zum einen, weil es uns schonungslos entmutigende Innenansichten einer politischen Unkultur der grinsenden Lüge & brutalen Verdrehung von Wahrheit & Wirklichkeit vor Augen stellt, die von Hitler & Goebbels so selbstverständlich in die Welt gesetzt werden wie heute von Putin & Medwedjew. Wie die Deutschen ihren Führern in den rücksichtslosen Untergang folgten, so tun es heute die Russen, koste es sie, was es wolle. Zum anderen: die Namen der Orte & Gegenden, die im Heeresbericht des OKW erst triumphierend als erobert & dann kleinlaut als aufgegeben von Stresau zitiert werden (z.B. Saporischschja, Cherson, Odessa oder die Krim) sind die gleichen, die uns seit 2 Jahren aus den Ukrainekriegs-Nachrichten vertraut geworden sind. Vertraut auch die Bilder ihrer erneuten Zerstörung & Verwüstung. Die Infamie Putins, die Ukrainer als »Faschisten« zu deklarieren, um sich zu legitimieren, diese »Untermenschen« auf »faschistische« Weise ausrotten zu können, wiederholt Nazi-Deutschlands eliminatorische Ideologie beim militärischen Überfall auf die UdSSR – übrigens genau dort, wo die Sowjetarme die deutschen Faschisten entscheidend geschlagen hatte. Kurzum: Bei der Lektüre von Hermann Stresaus Tagebücher aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs scheint einem zugleich aufleuchtend eine Blaupause aus dem Beginn des möglichen dritten entgegenzukommen.
* Jeder auf dem Erdball, der Nawalnys Namen schon einmal gehört hat, kennt das System Putin & dessen rachsüchtige Verfolgung seiner politischen Gegner & Feinde – über die eigenen geografischen & politischen Grenzen hinaus. Es bedient sich dabei in erkennbarer Offenheit der Giftmischerei, die während deren klassischer Zeiten in Europa – in der Antike, dem Mittelalter & der Renaissance – eher verschwiegen praktiziert wurde, während ihre moderne (russische) Wiederkehr mit gesuchter Offensichtlichkeit zusätzlichen Schrecken verbreiten möchte. Deshalb könnte man verschwörungstheoretisch mutmaßen, es sei nicht dem logistischen Dilettantismus des russischen Geheimdienstes zuzuschreiben, dass Nawalny durch seine geduldete Flucht in die Charité nach Berlin den Anschlag auf sein Leben überleben konnte; sondern operatives Ziel seiner dadurch erst recht demonstrativ gewordenen Vergiftung gewesen. Sollten damit er persönlich abgeschreckt & seine klandestinen Unterstützer im Westen gewarnt werden, die sichtbare persönliche Opposition Nawalnys im Machtbereich Putins künftig zu unterlassen? Hätte Nawalny mit seiner Rückkehr nach Moskau sich eigenmächtig über eine möglicherweise ins Auge gefassten Resignation als Exilant (wie andere erkennbare russische Dissidenten) hinweggesetzt? Wie müsste/sollte man dann sein Verhalten verstehen, bzw. sich erklären? Abrufbar da zu sein, wenn Putins Zeit abgelaufen ist? Das wäre logistisch-politisch gedacht: Zum einen, weil er sich nicht in die existenzielle Gefahrlosigkeit des »westlichen« Exils abgesetzt hätte; zum anderen, weil er mit seine ganzen physischen Existenz für die Integrität sowohl seiner individuellen Person, als auch für die absolute ethisch-moralischen Differenz zu Putin & seinem System der Korruption aufstand & unter Lebensgefahr Auge in Auge mit dem Killer im Kreml: in Rußland, im Gulag standhielt & durchhält. (Gewissermaßen in der Hölle des Löwen)
Wie soll man das Verhalten Alexej Nawalnys nennen? |
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