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 Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik



Petits riens (44)
Von Wolfram Schütte

    


© R. Reifenrath

Superlativitis – Den folgenden Text fand man an Goethes Geburtstag in dem Qualitätsmedium »Süddeutsche Zeitung«:
»In einem Berliner Hotelfoyer stellen Fernsehteams Stative auf. Pressetag für den Kinofilm 'Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull'. Hauptdarsteller Jannis Niewöhner, 29, ist irrsinnig höflich. Er trägt einen kurzärmeligen Kaschmirpullover, der die trainierten Arme betont, so wirkt er hart und weich zugleich. Niewöhner fächert ein paar Fotos über den Tisch und erzählt« dem Protokollanten Jan Stremmel »mit einer Stimme, die super zum Pulli passt«.

                                    *

Sturm abgeblasen - Was waren das für Zeiten, als wir uns, arrogant wie wir waren, über Walter Ulbrichts  Aufforderung amüsierten, es müssten von den Genossen »die Höhen der bürgerlichen Kultur erstürmt werden«! Dadurch sollte das Proletariat die künstlerischen Erzeugnisse der bürgerlichen Klasse sich aneignen, nicht bloß »beerben«, wie Ernst Bloch das vom künftigen Kommunismus generell forderte.

Das arrogante Lachen über den hochherzigen alpinistischen Wunsch des sächsischen Betonkopfs müsste uns mittlerweile gründlich vergangen sein. Nicht aber wegen des folgenreichen Untergangs der DDR (& ihrer kulturellen Wohltätigkeiten im Bereich Literatur & Bühne), sondern wegen des »Siegs« des Kapitalismus. Er hat »die Höhen« der bürgerlichen Kultur verwaisen lassen oder gar geschliffen, bis auch sie erst aus dem Blick & darauf so gut wie ganz aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden sind (wie die DDR).

Was uns in bipolaren politischen Zeiten als Schreckensaussicht des realen »Kommunismus« drohend vor Augen gerufen wurde: »die Gleichmacherei der Kommunisten«, das hat der reale (Konsum)Kapitalismus radikal digital durchgesetzt – wobei an den gesellschaftlichen Machtverhältnissen sich nichts geändert hat, weil darin, mit Orwells Worten, einige Reiche noch gleicher als gleich sind. Die Diktatur der Bourgeoisie hat dessen kulturellen Heiligenschein als Bildungsbürger liquidiert                          

                                   
*

Neueste Pathfinder - Samstagabendeinladung in ein unbekanntes, verwinkeltes Stadtviertel mitten in Frankfurt am  Main. Auf dem Stadtplan müsste es fußläufig von der nahe gelegenen U-Bahnstation ohne Schwierigkeit in ein paar Minuten erreichbar sein.

Aus der U-Bahn aufsteigend, stehen wir an einer von Lärm erfüllten, vielbefahrenen Ausfall- & Ring-Straßen-Kreuzung. In Erinnerung des zuhause konsultierten Stadtplans, oberirdisch die richtige Richtung zu unserem Ziel zu wissen, überqueren wir an einer Ampel eine der dreispurigen Straßen. Am anderen Ufer des Verkehrsflusses angekommen, mutmaßen wir jedoch, dass wir in die Irre gegangen waren. Im Dunkel des Fußgängerwegs sehen wir eine Person uns entgegenkommen. Sie wird angesprochen & zu unserer Verwunderung ist es ein Polizist – was allerdings nicht so ungewöhnlich hier ist, weil, wie wir aus unserem Landkarten-Studium wissen, das Polizeipräsidium in der Nähe liegt (allerdings für unser Ziel in der falschen  Richtung!).

Der angesprochene Polizist, der wohl seinen Dienst beendet hatte & womöglich auf dem Heimweg zu unserer U-Bahnstation ist, kennt unsere Straße nicht. Hilfreich greift er aber zu seinem Smartphone, gibt unsere Adresse ein & weist uns den richtigen Weg, den wir dann weitgehend im Dunkel über klitschige Laubblätterfluten gehen. Dabei bemerken wir, dass die spärliche Straßenbeleuchtung offenbar nur noch für die Autofahrer (& längst nicht mehr auch für Fußgänger) gedacht ist.

Nachdem wir eine andere der (sechsspurigen) Straßen an einer Ampel überquert hatten, standen wir in der vierspurigen Seitenstraße orientierungslos auf dem Trottoir. Es kam uns ein junges Pärchen entgegen, offensichtlich auf dem Weg zu einer Abendveranstaltung. Wieder sprachen wir diese Bewohner des Viertels an, fragten mit unserem Straßennamen, den sie jedoch auch nicht kannten, aber sofort als Navigationsziel ihrem Smartphone eingaben & uns daraufhin die entsprechende Abzweigung in Richtung unseres Ziels zeigen konnten.
In die gesuchte Straße endlich eingebogen, waren jedoch im Dunkel keine Haus-Nummern zu erkennen. Glücklicherweise kam uns diesmal ein Pulk junger Leute in Ausgangslaune entgegen, die wir ansprachen. Sie kannten zwar die Straße, nicht aber die Lage der gesuchten Hausnummern. Erneut mithilfe ihres Smartphones konnte schließlich die Hausnummer unserer Gastgeber lokalisiert werden – wo wir dann ein halbe Stunde zu spät glücklicherweise doch noch eintrafen.

Nicht auszudenken: es hätte geregnet/wir wären auf den nassen Blättern ausgerutscht/ keiner der um Hilfe Gebetenen hätte (wie wir) ein Smartphone gehabt oder es wäre ein Wochentag gewesen & nicht der Tag, an dem die Jungen zum Vergnügen ausgehen. Wir wären buchstäblich im Straßenlabyrinth & dem Dunkel verzweifelt.

Erfahrungszuwachs: als unwissender Fußgänger abendlich/nächtlich in einem unbekannten Stadtviertel auf der Suche nach einer Adresse irrt man weitestgehend im Dunkel herum, weil die Hausnummern nur bei Tageslicht erkennbar sind. Ohne Praxis mit einem Smartphone, das die Funktion der Fluglotsen in die Orientierungsfähigkeit eines elektronischen Pfadfinders im Dschungel der Großstadt übersetzt, darf man sich heute nicht mehr abends in ein fremdes Revier der Großstadt getrauen. Es sei denn, man vertraue auf Geduld, Hilfsbereitschaft & Großzügigkeit der jungen Smartphone-Priviligierten. Der infernalische Dauer-Lärm, die schnelle Massenbewegung der Automobile, die jeweils dreifach neben einander mit laufendem Motor an der Ampel stehend (»wie auf dem Sprung«) warten, erzeugt für einen Fußgänger im Dunkel die angstvolle Situation einer lauernden Lebens-Bedrohung, zu der selbst die hellen Scheinwerfer der Auto-Masse noch beitragen, weil sie einen zu fixieren scheinen.

                                     *

Rätsel-Lösung?- Gehört & gelesen habe ich jetzt öfters, dass ARD-Rundfunksender, die ihre Klassik-Programme neu ausrichten wollen & deshalb Umfragen nach Hörer-Wünschen erheben ließen, von jüngeren »Klassik-Fans« deren Wunsch nach mehr Filmmusik erfahren haben wollten.
Merkwürdig, der Wunsch! In den Filmen, die ich gewöhnlich sehe & sah, spielte Musik – von Ausnahmen - wie etwa »Jules und Jim«, »My Darling Clementine« & »Der Leopard« abgesehen – nur punktuell (Hitchcocks »Psycho«!) oder als atmosphärischer Hintergrund eine Rolle. Vielleicht ist es aber im Mainstream-Kino anders, prägt sie dort gar den epischen Fluss der gesamten Erzählung – sodass die Musik in der Erinnerung die Bilderwelt des Kinos heraufruft? Wäre das der Grund für die Affinität der jungen Klassikhörer für Filmmusik, die ja nicht sich auf Komponisten bezieht?

Ich glaube, es gibt noch einen anderen Grund, warum bei der Frage, was die Konsumenten der Klassischen Musik (außer der Musik von Bach bis Bernstein) noch gerne zusätzlich hören möchten, geantwortet haben; »mit Filmmusik, Musik aus Filmen«.
Instinktiv haben jungen Klassik-Musik-Konsumenten verstanden, dass die tonale Musik der Gegenwart als Fortsetzung der Klassischen Instrumental- & Orchestermusik jenseits von deren abgesteckten historischen & personalen Rahmen  in größerem Umfang einzig noch in der spätromantischen Gebrauchsmusik für epischen Filme Hollywoods komponiert & aufgeführt wird.  

                                     *

Kollateral-Bonus – Beim Kauf von Olivenöl bei dem italienischen Feinkosthändler unseres Vertrauens in der Kleinmarkthalle, sah ich jetzt eine Postkarten große Mitteilung an die Kundschaft. Darauf wurde dem potentiellen Käufer gedankt, wenn er nicht mit Karte, sondern mit Bargeld bezahlen würde. Der Kunde werde damit, argumentierte unser Öl-Verkäufer Sympathie heischend für die Tradition, einen Beitrag zur Fortdauer des alten Geldverkehrs leisten.

Der freundschaftliche Appell erinnerte einen an den Handel auf italienischen Straßenmärkten. Die dabei entstandene Intimität zwischen Verkäufer & Käufer, die der Bargeldtausch von Hand zu Hand besiegelte, hatte einem ja immer besonders gefallen.

Die Verteidigung des freien Geldverkehrs ist aber gewiss nicht bloß eine vertrauensbildende Empfehlung für konservative Lebensweisen, schon gar nicht auf der Empore der Kleinmarkthalle, wo sie mir erstmals vor Augen kam. Selbstverständlich habe ich für meinen Olivenölkauf auch keine Rechnung bekommen, die über eine Kasse gelaufen wäre. Von diesem Geschäft unter uns beiden hat der Fiskus nichts erfahren. Hätte ich mit der Karte bezahlt, wäre der elektronische Fingerabdruck unserer Geschäftsbeziehung registriert. Ich ahnte vollends, woher der Wind wehte, nachdem mir mein italienischer Olivenöl-Verkäufer & Verteidiger des Papiergeldes erzählte, woher er stammte: Kalabrien.- Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Artikel online seit 08.11.21
 

»Petits riens«,
nach dem Titel eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen, verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays« könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»
Kleine Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann. 

Petits riens (IX)
Horrorfamilien &-feste - Fürsorgliche Belagerung - Wert, Schätzung
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Petits riens (x)
Die Konkurrenz schläft nicht - Kinospekulation - Reisebekanntschaften - Café de France, trocken
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Petits riens (elf)
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Erhellung - Appell -
Calvinisten-Lehre - Fundamentales hier & dort

Petits riens (zwölf)
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Privatissime öffentlich / Was tun?
Ahnungslose Nachfolge
.

Petits riens (dreizehn)
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Die kleine Differenz - Literarische Bodenlosigkeit - Sprich, Erinnerung, sprich - Mit Mozart zu Boeing


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