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 Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik



Petits riens (34)
Von Wolfram Schütte

    


© R. Reifenrath

Spätzündung– Auch unter uns Viel-Lesern gibt es selten Lektüren, bei denen man bereits während man noch nicht einmal mit ihr zu Ende gekommen ist, schon den Drang verspürt, anderen – Freunden & Bekannten – mit einem Nachdruck, der nicht weit entfernt ist von einer Nötigung, zu empfehlen, das Buch, das man eben für sich lesend entdeckt hat, unbedingt auch zu lesen. Zum unverhofften eigenen Lektüre-Glück gehört, gewissermaßen ultimativ, dass man einem menschlich nahen Anderen wohltun möchte, indem man ihn beschwört: »Das musst du lesen!« - & enttäuscht ist, wenn er nicht dem »gutgemeinten Rat« folgt. Diese Insistenz ähnelt fatal dem Drängen eines religiösen Konvertiten: spät erst dazugekommen, will er umso fanatischer dabei sein.

                                        *

Schlussverkauf - Zum Thema »Gemeineigentum« stoße ich auf das, was »Perlentaucher« aus dem »London Review« als Resümee eines Artikels an Land gezogen hatte: »Unbemerkt von der Öffentlichkeit haben alle  Regierungen seit Margaret Thatcher in Großbritannien öffentliches Land privatisiert, wobei ein Großteil (…) an reine Finanzinvestoren ging, die auf den steigenden Bodenwert spekulieren«. Seit 1979 habe der Staat schätzungsweise zwei Millionen Hektar Land verkauft, ein Zehntel der britischen Landmasse, was bei heutigen Preisen einem Wert von 400 Milliarden Pfund entspräche, zehnmal mehr als mit der wertvollsten Komponente verdient wurde, dem Verkauf der Sozialwohnungen. Es handele sich um Ländereien wie Wälder, Militärgelände und kommunale Farmen, aber auch Land als Bestandteil anderer Privatisierungen wie etwa Elektrizitätswerke oder Sozialbauten. Als Margaret Thatcher im Mai 1979 Downing Street übernahm, habe der Staat mehr Land als jemals zuvor besessen: 20% des ganzen britischen Gebiets. Heute sei es nur noch ca. 10 ½ %.  Veräußert worden seien Gemeindehäuser, Wälder, Farmen, Moore, Werften, militärische Flugplätze, Eisenbahngleise, Brücken, Museen, Theater, Spielplätze, Parks, Stadthallen, Rasenflächen, Schrebergärten, Kindergärten, Sportcenter, Schulsportplätze. Das sei nicht unabsichtlich geschehen, fügt das »London Review" hinzu.

Ob einmal jemand in Deutschland (Treuhand?) eine solche statistische Erhebung mache, fragt »Perlentaucher«. Der Verkauf des DDR-Volksvermögens, oft zu Schleuderpreisen oder intransparent vergeben, war wenigstens als deutliches Faktum erkennbar, das dem Namen der »Treuhand« Hohn sprach. Aber wie steht es mit dem schleichenden Wandel öffentlichen Besitzes in private Nutzungen in den »alten Bundesländern«? Noch nicht einmal die Linke in den Ländern kam bisher auf die Idee, darüber von den Regierungen darüber Auskunft zu verlangen.  

                                         *

Abgefüllte Zeit – Das allgemein bekannte Gefühl, immer weniger Zeit zu haben, weil einen der Zwang alltäglich notwendiger Tätigkeiten & Verrichtungen daran hindere, mag durch die Rolle, welche das Internet in unser aller Tagesverlauf heute spielt, einen besonderen »Kick« bekommen haben. Umso mehr, als mittlerweile die Aufmerksamkeit, welche Handys, Laptops oder Computer von uns einfordern, als lebensnotwendig angesehen wird. Je »vernetzter« einer ist, desto selbstverständlicher ist ihm sein Dauerzappeln im Netz. Dagegen erscheinen alle anderen (kulturellen, informellen) Tätigkeiten (wie z.B. Zeitunglesen) als Zeit absorbierender Luxus, mithin als quantité négligeable. »Kann man sich einfach nicht mehr leisten«, »kommt man nicht mehr dazu«, »dafür hat man einfach keine Zeit mehr«…

                                         *

Sprachflüchtiger Literat - In Südafrika ist er geboren, in Großbritannien hat er studiert & in den USA unterrichtet & seit  längerem lebt er in Australien, wo er naturalisiert ist: der Dozent & Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzee.  Kürzlich hat er nun in der argentinischen Literaturzeitschrift »Clarin« erklärt, er wünsche künftig, dass seine weiterhin englisch geschriebene Prosa nur in spanischer Übersetzung zur Grundlage aller weiteren Übersetzungen (u.a. auch ins Englische!) gemacht werde.

Zu diesem einzigartigen Wunsch eines englischsprachigen Autors hat er erklärt:  "Ich habe nichts gegen die Idee einer >Lingua franca<, aber Tatsache ist, dass jede Sprache eine bestimmte Sicht der Welt in sich hat, die ihre Sprecher als Selbstverständlichkeit betrachten - die Welt ist so, wie 'die Welt' ihnen durch das Prisma ihrer Muttersprache erscheint. Aus philosophischen und politischen Gründen gleichermaßen bin ich für einen Pluralismus der Sprachen und Meinungen über die Welt, um die wir streiten. Die philosophische und politische Sicht der Welt, die die englische Sprache vorschlägt, wird mir immer fremder. Zugleich habe ich den Eindruck, dass ich in der englischsprachigen Welt als ausländischer Schriftsteller betrachtet werde, mit einem Nachnamen, der ausländisch klingt - als Vertreter dessen, was man dort als 'Weltliteratur' bezeichnet."

Eine merkwürdige Begründung, gewiss. Verständlicher wäre es z.B., wenn der südafrikanische Weiße & Apartheitsgegner erklärte, dass er mit seinem Geburtsland »Identitätsprobleme« habe. Warum ihm die philosophische & politische Sicht der Welt, welche die englische Sprache vorschlägt, »immer fremder« geworden ist, bleibt so lange unklar, bis er diese Sprachselbstentfremdung genauer definierte. Allerdings klingt die zweite Begründung (?) verstehbarer  - wonach sein nicht nur im Englischen schwer auszusprechender Nachname »ausländisch« klinge & er deshalb in der »englisch sprachigen Welt« ohnehin als »Ausländer« wahrgenommen werde.

Will er nun aber seine angestammte englisch sprachige Welt für deren Schwierigkeit mit der Aussprache seines Namens »strafen«, indem er sein künftiges Werk gewissermaßen nur vermittelt über das (argentinische) Spanisch der »Weltliteratur« anheim gibt? Warum aber Spanisch & nicht z.B. Italienisch, Russisch, Japanisch oder Chinesisch?

Ein spektakulärer Schritt – jedoch nebulös  (nicht) begründet. Interessant dürfte jedenfalls der Sprach-Vergleich zwischen Coetzees englisch verfasster & der aus dem Spanischen rückübersetzten englischen Ur-Prosa ausfallen. Aber dieses Geheimnis wird er für sich behalten.

                                        *

Ordnung & Amt – In unsere Straße, einem Parkplatz umkämpften Stadtteil Frankfurt-Sachsenhausens, stehen seit Anfang des Jahres zwei Autos, die in den vergangenen Monaten nicht bewegt worden sind. Irgendjemand muss es bemerkt & der Polizei gemeldet haben. Denn seit März klebten an beiden Fahrzeugen – einem mit polnischem, einem mit Frankfurter Kennzeichen – auf der Türscheibe der Fahrerseite dunkelrote Benachrichtigungen. Ihre Lektüre klärte uns Neugierige zum einen darüber auf, dass beide ordnungswidrig abgestellt seien & forderte ihre Halter auf, »sofort« wegzufahren, widrigenfalls würden die Wagen abgeschleppt, was ihre Halter jeweils über 1000€ kostete.

Auf telefonische Anfrage im Mai teilte das sogenannte »Ordnungsamt« mit, es müssten seine Ordnungsbescheide erst die inkriminierten Autohalter erreichen, bevor es, juristisch abgesichert, tätig werden könne & dürfe.

Nun sind schon wieder 2 Monate ins Land gegangen, unzählige Strafbußbescheide an anderen, sowohl von kurzzeitig zu lange-Parkern aufgesuchten, als auch von Ordnungspolizisten penibel überwachten Straßen ausgefertigt worden – und die beiden verlassenen, abgestellten Wagen stehen immer noch an derselben Stelle, das Unkraut schießt geil um sie ins Kraut, Wind & Regen haben die roten Kainsmale ihrer dauerhaften Ordnungswidrigkeit getilgt – wahrscheinlich auch auf den Computern des Papiertigers Namens Ordnungsamt.

Spurlos bleiben damit die gemeinsamen Ordnungswidrigkeiten zweier Fahrzeughalter in Tateinheit mit dem sie nicht verfolgenden Ordnungsamt.      

Artikel online seit 27.06.19
 

»Petits riens«,
nach dem Titel eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen, verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays« könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»
Kleine Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann. 

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.

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