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Petits riens (26) |
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Von Wolfram Schütte Foto: © Roderich Reifenrath |
Zukunft
einer Illusion
- Während der Lektüre einer Rezension, die im Wesentlichen aus einem
Inhaltsreferat bestand, fragte ich mich: was, wenn die Leser von Rezensionen
heute generell sich in den allermeisten Fällen die eigene Lektüre »ersparen« &
mit dergl. vorlieb nehmen? Denn »informiert« werden sie ja durch solche
Rezensionen; »informiert sein« scheint heute das Wichtigste für die meisten. Das
so rezensierte Buch selbst zu lesen, meinte ja eine individuelle Erfahrung
mit ihm zu machen. Das wäre mehr & anderes als bloß zu wissen, wovon
das betreffende Buch handelt. »Lektüre« hieße, sich vor allem auch zeitlich
auf das Abenteuer der Lektüre einzulassen. Es bedeutete, dem
Lesegegenstand einen Teil vom eigenen Zeitbudget abzugeben. Lektüre wäre dadurch
mehr & anderes als bloß zu wissen, wovon das betreffende Buch handelt.
Literatur lesen führt in ein Jenseits des Wissens. »Aber gerne«- In diesem Jahr ist mir aufgefallen, dass sich im (verbalen) Umgang von Käufer & Verkäufer, Gast & Kellner, kurz von Kunde & Dienstleister etwas verändert hat. Überall begegnet einem ein neuer Umgangston, als seien alle Dienstleister unserer Arbeitsgesellschaft in einer Gehirnwäsche, bzw. einem verbalen Umerziehungskurs dazu verpflichtet worden. Eine unheimliche Konformität. Wenn man sich zuvor im Restaurant, Hotel oder beim Einkauf bedankte, antwortete der Bedankte mit »Bitte!«. Er nahm damit die Bitte im »Danke« an. Das »Danke/Bitte« war ein ähnlicher kommunikativer Automatismus wie im Französischen der Austausch der gleichlautenden Begrüßungformeln. Dem aufmunternd (?) mit fragender Stimmhebung ausgesprochenen »Ca va?« antwortet man mit der Wiederholung des allerdings auf gleichbleibender Tonhöhe intonierten »Ca va!« (bestätigend oder resignierend). Beide Sprachformen annoncierten, dass sich die Partner »auf Augenhöhe« begegneten. Vermutlich kommt die Formelbeziehung von »Danke« & »Bitte« ursprünglich aus der Zeit des Feudalismus. Die soziale Gleichwertigkeit beider Kommunikationsteilnehmer wurde in die bürgerliche Demokratie übernommen. Sie transzendierte den Klassencharakter, indem sowohl der Dankende als auch der Bittende im verbalen Kommunikationsakt sich ihrer sozialen Gleichwertigkeit versicherten. Damit ist es in der neuen, bestürzend totalitär verbreiteten Formalisierung »Danke« – »Aber gerne!« nun vorbei. Während der eine dankt, versichert ihm der andere, dass er ihm gerne zu Diensten gewesen sei. Das »aber« betont jedoch seine Unterwürfigkeit, indem es seinen Aufforderungscharakter nicht als Einschränkung, sondern als Bekräftigung seiner Willfährigkeit verdeutlicht. Gewissermaßen widerspricht das »Aber gerne« dem »Danke« (als Bitte, die zuvor ausgesprochene oder erfolgte Zumutung zu verzeihen). Wer »aber gerne« getan hat, wofür ihm gedankt wurde, macht ein »Danke« eigentlich überflüssig. * Waffen & Bauen - In einem Interview mit der SZ (20.11.17) behauptet der österreichische Architekt Wolf.D.Prix von dem weltweit operierenden Büro »Coop Himmelb(l)au«: »Die Bauwirtschaft ist neben dem Waffenhandel die kriminellste Wirtschaft, die man sich vorstellen kann«. Danach fällt es mir wesentlich leichter zu begeifen, warum die Elbphilharmonie so teuer, der geplante neue Berliner Flughafen weder fertig noch bezahlbar wird & warum die Autobahnarbeiten sich endlos in die Länge ziehen. * Kollateralgewinn - Nie hätte ich gedacht, einmal politisch entschieden an der Seite ihres Wirtschaftsressortleiters Marc Beise zu stehen - gegen die Optionen, die seine beiden SZ-Kollegen Kurt Kister & Heribert Prantl aus dem Scheitern der allseits von den bundesdeutschen Medien also auch der SZ) herbeigewünschten Jamaika-Koalition gezogen haben. Denn während der SZ-Chefredakteur den FDP-Chef Lindner für politisch inkompetent & Neuwahlen für wahrscheinlich hält, fordert der Innenpolitikressort-Leiter Prantl die SPD wieder einmal aus Staatsräson vorauseilend zur Großen Koalition auf. Nur der Neoliberale Beise fragt in einem dritten SZ-Leitartikel zum selben Thema innerhalb von 2 Tagen: »Warum nicht?« - & vertritt die demokratisch grundsolide Meinung einer Minderheitenregierung aus CDU/CSU/Grünen. Man sei ja nach Aussagen beider Parteien in den Gesprächen vertrauensvoll sich so nahegekommen, dass einzig das »Njet« Lindners den Jamaika-Erfolg der Sondierungen verhindert habe. Also: so what? denkt sich Beise. Außerdem weist er auf den Gewinn hin, den der Parlamentarismus dadurch erwirtschaftete, dass eine solche Minderheit für ihre Regierungsarbeit sich im Parlament wechselnde Mehrheiten beschaffen müsste. Das würde, finde ich, das bisherige großkoalitionäre »Durchregieren« beenden, das dem deutschen Parlamentarismus empfindlich geschadet hat. Eine auffrischende Idee, die bereits als einziges Positivum der künftigen parlamentarischen Anwesenheit der AfD mehrfach in früheren SZ-Kommentaren schon Karriere gemacht hat. Es gibt aber noch einen von Beise nicht erwähnten Kollateralgewinn einer solchen Minderheitsregierung: die Opposition würde nicht von der AfD sondern der SPD angeführt. Konkurrenz bestünde dann nicht nur zwischen Regierung & Opposition; sondern noch besser: Konkurrenz herrschte unter den parlamentarischen Oppositionellen!
Was für eine
demokratische Hochzeit läutete doch dieser erste Versuch einer
Minderheitsregierung in der Berliner Republik ein! Kaum etwas Besseres wäre
denkbar – zumindest für alle, denen an der Lebendigkeit, Intelligenz & auch der
Kontrollfähigkeit durch die Opposition in der parlamentarischen Demokratie
liegt. Und sollte diese Regierung im Parlament scheitern, hätten die Bürger
durch ihre erneute Wahlentscheidung nicht bloß eine Alternative für
Deutschland, sondern zwei: indem sie diese kleine Koalition bestätigt oder
abstraft; wenn die Deutschen lieber eine Verbindung aus CDU/CSU/SPD
favorisierten (ohne Merkel & Schulz, versteht sich), dann könnten sie das so
deutlich erwählen wie sie die GroKo jetzt abgewählt hatten – ohne sich für
diese Wahl- Entscheidung in die Geiselhaftung der AfD begeben zu müssen. |
»Petits
riens«, |
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