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 Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik



Petits riens (38)
Von Wolfram Schütte

    


© R. Reifenrath

Trauer-Fall – Wie oft sah man als Kind in der Nachkriegszeit Frauen ganz in schwarz gekleidet, Männer mit einer schwarzen Binde über dem (rechten?) Mantelärmel, mit einer schwarzen Krawatte &/oder einem kleinen schwarzen Faden im Knopfloch am Revers der Anzugsjacke. Alle diese demonstrativen Insignien einer »Trauerkultur«, die noch aus dem 19.Jahrhundert stammte, sind  längst aus der Öffentlichkeit verschwunden.

Ich weiß nicht, wann die familiären Traueranzeigen in den Zeitungen erweitert wurden nicht nur um jene des Arbeitgebers, der einen »geschätzten Mitarbeiter«, sondern auch von Freunden & Kollegen am Arbeitsplatz & in Vereinen, die einen »guten Freund« verloren haben. Selbstverständlich wird damit in den meisten Fällen eine wirklich vorhandene Trauer ausgesprochen – wenn auch die ritualisierte Form & etwa die verwendeten Trost-Zitate von z.B. Goethe & Eichendorff  bis Rilke & Hesse wenig Varianten aufweist.

Wem sind diese Trauer-Anzeigen zugedacht? Ursprünglich gewiss der engeren Lebensgemeinschaft & der lokalen Gesellschaft: als schlichte Information des Faktums; des Weiteren als Zeichen, dass sich die Familie in allen ihren älteren & jüngeren Ausprägungen um das verblichene Subjekt versöhnlich schart, was alles zu seinen Lebzeiten auch (bekanntermaßen) problematisch & prekär an ihm gewesen sein mochte.

Gelegentlich stößt man auf zwei trauernde Hinterbliebenen-Grüppchen, was meist auf Ehefrau & Geliebte hindeutet. Aber noch nie bin ich auf Traueranzeigen von zwei Männern gestoßen, die wenigsten im ultimo momento öffentlich ihrer beider gemeinsamen Geliebten gedacht hätten.

Sehr beliebt sind Kollektiv-Anzeigen, in denen Kollegen & Freunde/Bekannte, die der altersbedingt wachsenden »Gemeinde der Todesanzeigenleser« sei's die Vorzüge, Leistungen & menschlichen Qualitäten des Gestorbenen verbal vor Augen stellen, sei's sich selbst als von ihm durch seine Freundschaft Ausgezeichnete empfehlen, aber allermeist sich als verschworenes »Fähnlein der sieben (& mehr) Aufrechten« um den Namen des Toten alphabetisch gruppieren. Aus der Namensliste der Versprengten haben dessen unmittelbar Hinterbliebene die Genugtuung, dass alle Welt erfährt, wie geliebt & verehrt ihr Betrauerter doch war & nebenbei: damit alle zumeist etwa gleichaltrige Freunde (& meist politische Genossen) jetzt noch am Leben sind.

Wem aber sind solche Traueranzeigen zugedacht, die nur noch von einer Reihe von Vornamen geziert sind, also eine nicht-familiäre intime Duz-Freundschafts-Vertrautheit zu annoncieren scheinen? Versichern sich die Unterzeichnenden (zumeist Paare) gegenseitig des Verlustes ihres Freundes? Wem meinen sie, außer sich selbst, das öffentlich mitteilen zu müssen? Denn dass auch nur einer oder eine unter ihnen glaubt, der Verstorbene würde die hier versammelten Vornamen-Paare von jenseits des Grabes wahrnehmen, darf wohl unter alle den Trauernden nicht angenommen werden.

Spontan fiel mir eine fiktive Todesanzeige ein, die wohl als eine ironische Volte in der jüngsten Duz-»Trauer-Kultur« angesehen würde, deren Adressat genauso bloß ein Vorname wäre wie die Vornamen-Versammlung der um ihn Trauernden. Etwa: »Gernot / Du warst ein unvergleichlicher Mensch/ Liza und Manfred, Ingrid und Willi, Wolfgang, Jürgen…« etc.  Ob sie überhaupt angenommen würde? Wäre doch ihre selbstbezügliche Anonymität verdächtig als Geheimbotschaft an ein Agentennetz. Zumindest hätte man noch in den Achtziger Jahren in der Anzeigenabteilung der FR so argumentiert.                                                                                                                                                                                                  *

Vom Gärtner zum Bock - Das Goethe-Wort von Frankfurt, das »voller Merkwürdigkeiten steckt«, trifft auch noch fast 300 Jahre nach der Geburt des Frankfurt-flüchtigen Patriziersohns noch aufs nahezu Unglaubliche in der Mainmetropole zu.

Der Sprecher der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft, ein 54 jähriger Oberstaatsanwalt (monatl. Mindestgehalt: 5881 €), sitzt derzeit in Frankfurter Untersuchungshaft. Ihm wird Bestechlichkeit im Amt vorgeworfen, bestochen haben soll ihn ein gleichfalls einsitzender Schulfreund. Allein die Vorstellung, dass eines Tages die dem Oberstaatsanwalt vertrauten Polizisten seine Amtsräume aufsuchten, nur um ihn festzunehmen & abzuführen, ist allein schon in der Vorstellung von hoher Komik.

Nicht nur dieses relativ banale, um nicht zu sagen: gewöhnliche & weit verbreitete Verbrechen für illegale Vorteile, die der Bestochene dem ihn Bestechenden verschafft hatte, macht den Fall so bemerkenswert; sondern, dass man bislang noch nicht so recht weiß, was das Besondere an der Frankfurter Merkwürdigkeit eigentlich bedeutet & wer hier der Bestochene oder Bestechende gewesen sein sollte.

Denn der Oberstaatsanwalt & sein Bestecher waren, nach den bisherigen Ermittlungen, ein kriminelles Duo. Der Beamte bestellte Gutachten, sein Kumpel lieferte sie. (U.a. mit Hilfe & Gewinn einer ehemaligen Lebensabschnittsbegleiterin des Oberstaatsanwalts, die ihn nun »verpfiffen« hat). Weil der hochgestellte hessische Justizbeamte in 15 Jahren nur vergleichsweise geringe 240.000 € von dem Deal hatte - bei einer von der Gutachterfirma erwirtschafteten Einnahme von 12,5 Mio. € (!) -, legte das zuerst den Verdacht nahe, dass diese Summe seiner nicht versteuerten (?) Nebentätigkeit nur so etwas wie ein Schweigegeld gewesen sein könnte.

Wäre es aber so, wie die Ermittlungsbehörden mutmaßen, dass nämlich die Gründung der Gesellschaft, deren Geschäft der Oberstaatsanwalt durch seine Aufträge besorgte, von diesem höchst selbst inauguriert worden war, hätte der Mr. 10% von Frankfurt am Main nicht nur in bescheidenem Umfang bei der systematischen Erleichterung der Hessischen Justizkasse mitgewirkt. Mittlerweile ist aber bekannt geworden, dass der kriminelle Oberstaatsanwalt noch andere, ähnliche Pferdchen am Laufen hatte, die ihm illegales Zubrot lieferten.

Die besondere Pointe der Frankfurter Oberstaatsanwaltlichen Posse ist jedoch darin zu sehen, dass der einsitzende Jurist mit raffinierter krimineller Energie dafür öffentlich berühmt, wenn nicht sogar bei den Betroffenen dafür berüchtigt gewesen war, dass er mit demonstrativer Gnadenlosigkeit eine Massenbetrügerei von Ärzten & Kliniken zu Ungunsten der Krankenkassen verfolgt haben soll.

Heute erst weiß man nun, dass der gefeierte juristische Saubermann zur gleichen Zeit hinterrücks seine korruptiv erwirtschafteten Schäfchen ins Trockene gebracht hat. Molieres religiöser Heuchler Tartüffe muss gegenüber diesem Sprecher der Frankfurter Oberstaatsanwaltschaft bloß die lächerlich-naive literarische Erfindung eines französischen Waisenknaben sein, der von den Merkwürdigkeiten, die in der »Goethestadt« Frankfurt am Main stecken, keine Ahnung haben konnte.

Diese Gleichzeitigkeit von öffentlicher Korruptionsverfolgung & insgeheimer Selbstbedienung lässt die entlastende Spekulation sofort verblassen, der einstige Jäger der fast ausnahmslos promovierten Versicherungsbetrüger – also sozial-klassenmäßig Seinesgleichen – habe sich womöglich bei seiner aufopfernden Arbeit im Staatsdienst bei den von ihm erlegten Betrügern kontaminiert - im Sinne des Nietzsche-Aphorismus: «Wenn Du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich hinein«.

Welchem substantiellen Wert die Gutachten wirklich besaßen & für die Urteilsbegründungen in den bisherigen Strafverfahren hatten, wird wohl noch Gegenstand der kommenden Untersuchungen sein.

Was aber, wenn zuträfe, was dem »gnadenlosen« Oberstaatsanwalt nun nachgesagt wird?– Dass er nämlich außerordentlich viele Vergleiche zwischen den kriminellen Medizinern & den Hessischen Finanzbehörden herbeigeführt, geradezu »gestiftet« habe ? Hätte er mit seinen »Gutachten« den überführten Tätern gewissermaßen (wie bei einem mittelalterlichen Verhör)  bloß »die Instrumente gezeigt«, um sie geständig zu machen? Habe er damit die peinlichen Fälle im Höheren Bürger- & Betrügertum  durch stillschweigende Begleichung der Schulden aus dem Fokus der Öffentlichkeit gerückt? Hätte er damit den Tätern nicht auch dazu verholfen, ihr Gesicht zu wahren – woran ihnen mehr gelegen haben könnte als den zu zahlenden »Peanuts«.

Dass die Justizministerin nun jene spezifisch für diese Betrugsserie eingerichtete & von dem einsitzenden Oberstaatsanwalt eins souverän geführte Behörde, bei der noch eine ganze Reihe von Verfahren anhängig ist, aufgelöst hat, könnte womöglich für die bislang noch nicht »behandelten« Tätern  ein höchst willkommener Nebeneffekt des Skandals in der Frankfurter Justiz sein!

Als die ihm faktisch untergeordnete Behörde gegen ihn, also ihren Chef, langfristig ermittelte, ohne dass er Wind davon bekam, kann man einerseits, wie die Hessische Justizministerin, das schlicht »großartig finden«; andererseits aber darin sowohl den Beweis erblicken, dass der kriminelle Oberstaatsanwalt nicht wusste, was in seiner Behörde faktisch geschieht  - als auch sehen, wozu subalternen Frankfurter Beamte klandestin doch in der Lage sein können.

Vielleicht sollte man diese erfolgreiche Truppe in der Frankfurter Justizbehörde nun mit der Aufgabe betreuen, den bereits jahrelang schwärenden Frankfurter Justizskandal aufzuklären: endlich Täter & Helfer zu ermitteln & namhaft zu machen, die zuerst eine Frankfurter Rechts-Anwältin, mittlerweile aber eine ganze Reihe von politisch engagierten linksliberalen Frauen mit Hassmails & Mord bedrohen – obwohl doch bekannt ist, dass von den Anonymi Informationen aus Hessischen Polizeicomputern stammen...

Artikel online seit 11.08.20
 

»Petits riens«,
nach dem Titel eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen, verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays« könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»
Kleine Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann. 

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