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Ein Jahrhundertgespräch

Eine große Sehnsucht nach vergleichbarer Kompetenz heutiger politischer Akteure überkommt (fast) jeden, der dieses Gespräch hört oder liest


175 Jahre bringen die beiden Herren zusammen. Der Bundeskanzler a.D. und der Historiker. Und dieser Zeithorizont ist das mindeste, was die beiden in ihrem Gespräch über Gott und die Welt, Geschichte und Politik überblicken. Es ist ein interessanter Dialog, der zwischen dem 22. und 24. Juni 2009 im Hause Schmidts in Hamburg geführt wurde. Und so ist er wiedergegeben. Mit allen Stärken, was ein lebendiges Gespräch ausmacht: Kursorisch, mäandernd, persönlich. Dies birgt natürlich Gefahren, viele Themen sind nur angerissen, oftmals fehlt ihnen die Tiefe. Vielleicht auch, weil Helmut Schmidt und Fritz Stern sich zu viele Themen vorgenommen haben. Eines fehlt dafür nicht: Meinungsstärke und Entschiedenheit. Gerade deswegen ist dieses Buch so interessant.

Gleich zu Beginn ein Geständnis. Es fällt mir schwer, schließlich verehre ich Fritz Stern. Sein Buch „Fünf Deutschland und ein Leben“ ist eine wundervolle, erkenntnisreiche, faszinierende Autobiographie. Ein Pflichtlektüre für Schüler und Studierende in Deutschland. Gleichzeitig gibt es für mich zu viele Kritikpunkte an Helmut Schmidt und seinem politischen Schaffen. Und dennoch ist dieser Politiker der interessantere Gesprächspartner. Der interessantere, nicht der sympathischere. Während Stern als Historiker seine Urteile in einen abgesicherten geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext setzt, feuert Schmidt des öfteren aus der Hüfte. Ein Beispiel dafür? Es geht um den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg und das Wunder der Europäischen Union. Schmidt referiert über die ökonomische Stärke Europas, aber auch über seine außenpolitische Schwäche. Als Stern seine Hoffnung ausdrückt, „dass die Achse Paris-Berlin weiter eine dominante Rolle spielen wird und die beiden eine mehr oder weniger gemeinsame Politik durchzusetzen versuchen, diese Möglichkeit wird doch hoffentlich bestehen“, antwortet Schmidt: „Ich teile Ihre Hoffnung.“ Die Hoffnung teilt er, nicht die Ansicht. Dass Schmidts Schüsse aus der Hüfte nicht immer sitzen, sei hier nur am Rand erwähnt. Aber es macht dennoch Spaß zuzuschauen, wie locker Schmidts Pistole des öfteren sitzt.

Überhaupt spielt das Thema Europa eine zentrale Rolle des Gesprächs. Es ist von den drei essentiellen Elementen des Gesprächs, das Dritte Reich inklusive Shoa, die Rolle der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert und der Einigungsprozess Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, das am stärksten positiv besetzte Feld. Selbst der zynische Realismus Schmidts wird hier zuweilen sentimental.

Ein paar Einblicke in diese drei Stränge der Unterhaltung. Das erste von mir genannte Element ist die Frage, die Stern am stärksten umtreibt und die er mehrmals anspricht: Wie konnte sich in Deutschland, einem der zivilisiertesten Länder der Welt, die Hitlersche Diktatur etablieren? Wie konnten die Nazis dieses Land so schnell und ohne jeglichen Widerstand umkrempeln? Und wie konnte es mitten in Europa zum Holocaust kommen? Weder Schmidt noch Stern finden eine Antwort, sie vermessen die politisch-gesellschaftliche Landschaften Deutschlands seit dem 19. Jahrhundert und durchschreiten Preußen, den Ersten Weltkrieg und Weimar. Noch immer tragen die beiden fremde Details zu Tage, Details, die selbst einen Historiker wie Stern, den Vielbelesenen, den Experten, irritieren und bestürzen. So verweist Stern auf die politische (Un-)Kultur der Nationalsozialisten, denen er selbst ausgesetzt war wie etwa den „Stürmer“, und auch auf die offensichtlichen und öffentlichen Einschüchterungen Andersdenkender, indem die Nazis z.B. Konzentrationslager wie Dachau eingerichtet haben. Subtext der Argumentation Sterns: Es war doch alles erkennbar. Schmidt bestreitet dies, man habe nicht alles sehen können, selbst wenn man hätte sehen wollen. „Man hat es einfach nicht mitgekriegt.“ Und Schmidt, immerhin als Wehrmachtsoffizier unter anderem 1941/42 an der Ostfront im Einsatz und der ohne jegliche Naivität die eine oder andere Anekdote aus dem Krieg parat hat, ergänzt: „Das Wort Dachau habe ich zum ersten Mal nach dem Krieg gehört. Auch das Wort Auschwitz habe ich erst nach dem Krieg gehört.“ Die Erschütterung Sterns lässt sich nur noch erahnen, sie ist aber lesbar da: „Das Letztere kann ich verstehen. Das erste nimmt mich einfach wunder!“.

Dass Schmidt und Stern viel und kenntnisreich über die Geschichte und die aktuelle Politik der USA sprechen, ist nachvollziehbar. Stern ist US-Amerikaner, seine wissenschaftliche und politische Karriere machte er dort, nach wie vor engagiert er sich gesellschaftlich in seinem Heimatland. Sympathischerweise sogar im Wahlkampf Obamas 2008 als Volunteer, der etliche Haushalte anrief und die Menschen dort zu einer Stimmabgabe für den Demokraten überzeugen wollte. Auch für Schmidt waren und sind die USA Dreh- und Angelpunkt seines politischen Handelns und Denkens. Man ist als Leser überrascht, wie genau der Bundeskanzler a.D. Strukturen und Personen der Vereinigten Staaten kennt. Ostküste und Ostküstenelite sind häufig wiederkehrende Begriffe, um die sich vieles kristallisiert: Intellektuelle Kraft, politische Macht, finanzieller Einfluss. Indem diese Begriffe häufig fallen, fällt dem Leser umso stärker auf, wie sehr Schmidt und Stern das 20. Jahrhundert repräsentieren. Der Verlust des Einflusses der Ostküstenelite hat auch mit dem Verlust ihrer eigenen Bedeutung zu tun und damit, dass das 21. Jahrhundert eben kein nordamerikanisches mehr sein wird. Aber eben auch kein europäisches. Schmidt und Stern erkennen genau, dass mit der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, den verheerenden Schuldenstand Amerikas und Europas, der politisch-militärischen Überdehnung der USA durch die Kriege in Afghanistan und Irak sowie mit dem Aufstieg Chinas die Weltkarte neu gezeichnet werden wird.

Das Thema Europa wurde hier bereits gestreift. Das Staunen und der Stolz über das Gelingen Europas ist vielen Kommentaren der beiden anzumerken. Europa stellt für sie eine politische Hoffnung für das 21. Jahrhundert dar, trotz aller Gefahren, Herausforderungen und der auch von ihnen konstatierten politischen Stagnation. Und dennoch ist gerade diesem Buch anzumerken, wie schnelllebig die Zeiten geworden sind. Wie bereits erwähnt, fand das Gespräch im Frühsommer 2009 statt. Die materialisierte Hoffnung für Europa war zu dieser Zeit für Schmidt wie Stern der Euro. Schmidt: „Zwei Dinge werden Bestand haben: Erstens der gemeinsame Markt … Zweitens, die gemeinsame Währung …“ Wer die aktuellen Debatten um die Finanzkrise des Euros, das Haushaltsdefizit Griechenlands und die Gefährdung von Portugal, Italien, Irland und Spaniens kennt, weiß, dass nicht einmal mehr die Gewissheiten zweier älterer und erfahrener Herren von Dauer sind.

Es wäre noch viel zu schreiben. Über die Diskussionen von Schmidt und Stern zu Israel und Palästina, zur Türkei, zu Polen, zu Papst Johannes Paul II. und seinem Nachfolger, zu amerikanischen Präsidenten und Vizepräsidenten, zu Neocons etc. etc. Doch am besten Lesen Sie das Buch selber. Es lohnt sich! Michael Knoll
 

Helmut Schmidt und Fritz Stern
Unser Jahrhundert
Ein Gespräch
C.H. Beck 2010
287 Seiten, Gebunden
ISBN 978-3-406-60132-3

21,95 €

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