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Ein
zeitlos
gültiges Zeugnis
Eckermanns »Gespräche mit Goethe«
in den
letzten Jahren seines Lebens.
Jetzt endlich als kommentierte & erschwingliche Taschenbuchausgabe.
Von Herbert Debes
Die
Niederschrift seiner »Gespräche mit Goethe in den
letzten Jahren seines Lebens« haben Johann Peter Eckermann, den Sohn
eines umherziehenden Händlers, aus Winsen an der Luhe literarisch unsterblich
gemacht.
Obwohl sie bis heute nur zu gerne als eigenes Werk »unseres größten Dichters«
angesehen werden, sind Eckermanns Gespräche mit Goethe ein
eigenständiges Werk mit großer Wirkung und unerlässliche Quelle für das
Verständnis von Goethes Schaffen und Persönlichkeit, ein Monument seines
Nachruhms.
Für Nietzsche waren Goethes Unterhaltungen mit Eckermann gar, »das beste
deutsche Buch, das es gibt.« (Friedrich Nietzsche, 1878)
Gerecht ist ihm die Literaturgeschichte jedoch kaum geworden. Kein
geringerer als Heinrich Heine hat ihn als Viehtreiber und Goethes Papagei
verspottet.
Als einen
der ihren wollten die deutschen Dichter den Hausierersohn nicht anerkennen.
Als
»Goethes Sekretär« fühlt sich Eckermann bereits zu Lebzeiten verkannt: »Allein daran ist kein wahres Wort!«, wehrt er sich, zählt die Sekretäre
auf, die Goethe beschäftigte, und weist eine solche Klassifizierung für
sich persönlich zurück. Er sieht sich als Gefährte und Freund des Dichterfürsten,
in dessen Dienst er neun Jahre seines Lebens und seiner Schaffenskraft stellt.
Goethe nennt ihn denn auch seinen »getreuen Eckart«, und
läßt ihm einen Doktorgrad der Universität
Jena verleihen, was Eckermann peinlich ist: »Ich musste es geschehen
lassen, aber ich war nur glücklich, als ich
noch ein ganz einfacher Herr Eckermann war.« Seinen Unterhalt muß sich
Eckermann in dieser Zeit allerdings mit Privatunterricht verdienen; der alte
Geheimrat scheint sich bereits in Spären zu befinden, in denen solch prosaische
Worte wie Lebenshaltungskosten nicht mehr existieren. Qb aus Gedankenlosigkeit
des genialen Künstlers oder mit dem Kalkül des Machtmenschen Goethe, bleiben
selbst versprochene Honorare aus, und Eckermann hungert sich mit seinem Hannchen
(Johanna Bertram) durch, die er trotz Goethes
Kopfschütteln schließlich nach 13-jähriger Verlobungszeit heiratet.
Ohne Eckermann hätten wir heute wahrscheinlich keinen Faust II, und spätere
Generationen hätten sich Goethes lyrisches Werk mühsam zusammensuchen müssen.
Doch obwohl Eckermann 1832 das Bürgerrecht der Stadt Weimar erhält, 1836 seine
»Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens« erscheinen, und
er 1843 zum Hofrat ernannt wird, steht sein Leben nach Goethes Tod 1832 unter
keinem guten Stern mehr. 1834 stirbt seine Frau bei der Geburt des Sohnes Johann
Friedrich Wolfgang. Im Juli 1844 flüchtet Eckermann wegen seiner hohen Schulden
aus Weimar nach Hannover-Linden, und kann erst 1846, nachdem ihm der Hof gnädig
seine Schulden erlassen hat, nach Weimar zurückkehren. Am 3.12.1854 stirbt
Johann Peter Eckermann in der Stadt, wo er seine glücklichsten Jahre, aber auch
seine bittersten Stunden erlebte.
Nun sind Eckermanns »Gespräche mit Goethe« endlich auch als erschwinglicher Band
50 der Taschenbuchausgabe des Deutschen Klassiker Verlags erschienen.
Diese Ausgabe bietet den vollständigen Text nach den Erstausgaben und wertet
Eckermanns Vorarbeiten, Fassungen, Fragmente und Pläne, Tagebücher und
Korrespondenzen aus. Alle Texte werden durch einen umfangreichen Kommentar
erschlossen.
Eckermanns »unmittelbaren
Skizzen«
haben ihre Originalität und Gültigkeit auch
für heutige Leser behalten. Viele
Textstellen können als Leitsätze und Lebensweisheiten auch ohne den
weiteren Textzusammenhang, für sich genommen, stehen, und nicht wenige dürfen
als treffende Kommentare oder kritische Anmerkungen zu Phänomenen unserer
Gegenwart gelesen werden und stehenbleiben. Nachfolgende Zitate
sollen einen kleinen Eindruck von Themenvielfalt, Orginalität und Witz
der Aufzeichnungen Eckermanns vermitteln.
Herbert Debes
Aus dem Vorwort Eckermanns:
»Ich halte dafür, daß diese
Gespräche für Leben, Kunst und Wissenschaft nicht allein manche Aufklärung
und manche unschätzbare Lehre enthalten, sondern daß diese unmittelbaren
Skizzen nach dem Leben auch ganz besonders dazu beitragen werden, das Bild zu
vollenden, was man von Goethe aus seinem mannigfaltigen Werk bereits in sich
tragen mag.
Weit entfernt aber bin ich auch wiederum, zu glauben, daß hiermit nun der ganze
innere Goethe gezeichnet sei. Man kann diesen außerordentlichen Geist und
Menschen mit Recht einem vielseitigen Diamanten vergleichen, der nach jeder
Richtung hin eine andere Farbe spiegelt. Und wie er nun in verschiedenen
Verhältnissen und zu verschiedenen Personen ein anderer war, so kann ich auch
in meinem Falle nur in ganz bescheidenem Sinne sagen: dies ist mein
Goethe.
Und dieses Wort dürfte nicht bloß davon gelten, wie er sich mir darbot,
sondern besonders auch davon, wie ich ihn aufzufassen und wiederzugeben fähig
war. Es geht in solchen Fällen eine Spiegelung vor, und es ist sehr selten,
daß bei dem Durchgange durch ein anderes Individuum nichts Eigentümliches
verloren gehe und nichts Fremdartiges sich beimische. Die körperlichen
Bildnisse Goethes von Rauch, Dawe, Stieler und David sind alle in hohem Grade
wahr, und doch tragen sie alle mehr oder weniger das Gepräge der
Individualität, die sie hervorbrachte. Und wie nun ein solches schon von
körperlichen Dingen zu sagen ist, um wieviel mehr wird es von flüchtigen,
untastbaren Dingen des Geistes gelten! Wie dem nun aber in meinem Fall auch sei,
so werden alle diejenigen, denen aus geistiger Macht oder aus persönlichem
Umgange mit Goethe ein Urteil dieses Gegenstandes zusteht, mein Streben nach
möglichster Treue hoffentlich nicht verkennen.«
Gespräche mit Goethe
in den letzten Jahren
seines Lebens
(Zitiert nach Tempel Klassiker, Tempel Verlag, 1958)
Jeder Zustand, ja jeder Augenblick ist von unendlichem Wert, denn er ist der
Repräsentant einer ganzen Ewigkeit. S. 68
Und dann, das Leben eines deutschen Gelehrten, was ist es? Was in meinem Fall
daran etwa Gutes sein möchte, ist nicht mitzuteilen, und das Mitteilbare ist
nicht der Mühe wert. Und wo sind denn die Zuhörer, denen man mit einigem
Behagen erzählen möchte? S. 84
Es ist der Welt nicht gegeben, sich zu bescheiden: den Großen nicht, daß kein
Mißbrauch der Gewalt stattfinde, und der Masse nicht, daß sie in Erwartung
allmählicher Verbesserungen mit einem mäßigen Zustande sich begnüge. S. 93
Die Manier will immer fertig sein und hat keinen Genuß an der Arbeit. Das
echte, wahrhaft große Talent aber findet sein höchstes Glück in der Ausführung.
S. 96
Den Deutschen ist im ganzen die philosophische Spekulation hinderlich, die in
ihrem Stil oft ein unsinnliches, unfaßbares, breites und aufdröselndes Wesen
hineinbringt. Je näher sie sich gewissen philosophischen Schulen hingeben,
desto schlechter schreiben sie. S. 112
Die Überzeugung unserer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Tätigkeit;
denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir
einen andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinem Geist nicht
ferner auszuhalten vermag. S. 318
Man hat zu allen Zeiten gesagt und wiederholt, man solle trachten, sich selber
zu kennen. Dies ist eine seltsame Forderung, der bis jetzt niemand genügt hat
und der eigentlich auch niemand genügen soll. Der Mensch ist mit allem seinem
Sinnen und Trachten aufs Äußere angewiesen, auf die Welt um ihn her, und er
hat zu tun, diese insoweit zu kennen und sich insoweit dienstbar zu machen, als
er es zu seinen Zwecken bedarf. Von sich selber weiß er bloß, wenn er genießt
oder leidet, und so wird er auch bloß durch leiden und Freuden über sich
belehrt, was er zu suchen oder zu meiden hat. Übrigens ist aber der Mensch ein
dunkeles Wesen, er weiß nicht, woher er kommt, noch wohin er geht, er weiß
wenig von der Welt, und am wenigsten von sich selber. Ich kenne mich auch nicht,
und Gott soll mich auch davor behüten. S. 371
Der Mensch ist ein einfaches Wesen. Und wie reich, mannigfaltig und unergründlich
er auch sein mag, so ist doch der Kreis seiner Zustände bald durchlaufen. S.
612
Das Gleiche läßt uns in Ruhe; aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv
macht. S. 619
Man sollte überhaupt nie eine Handlungsweise eine Staatstugend nennen, die
gegen die Tugend im allgemeinen geht. S. 623
Das Schöne ist ein Urphänomen, das zwar nie selber zur Erscheinung kommt,
dessen Abglanz aber in tausend verschiedenen Äußerungen des schaffenden
geistes sichtbar wird, und so mannigfaltig und so verschiedenartig ist als die
Natur selber. S. 636
Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! – Sie machen sich durch ihre
tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das
Leben schwerer als billig. – Ei! So habt doch endlich einmal die Courage, Euch
den Eindrücken hinzugeben, Euch ergötzen zu lassen, Euch rühren zu lassen,
Euch erheben zu lassen, ja Euch belehren zu lassen und zu etwas Großem
entflammen und ermutigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre alles
eitel, wenn es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre! S. 655
Wir wandeln alle in Geheimnissen. S. 674
Der Tod ist doch etwas so Seltsames, daß man ihn, unerachtet aller Erfahrung,
bei einem uns teuren Gegenstande nicht für möglich hält und er immer als
etwas Unglaubliches und Unerwartetes eintritt. Er ist gewissermaße eine Unmöglichkeit,
die plötzlich zur Wirklichkeit wird. Und dieser Übergang aus einer uns
bekannten Existenz in eine andere, von der wir auch gar nichts wissen, ist etwas
so Gewaltsames, daß es für die Zurückbleibenden nicht ohne die tiefste Erschütterung
abgeht. S. 743
Die Welt ist so voller Schwachköpfe und Narren, daß man nicht nötig hat, sie
im Tollhause zu suchen. S. 763
Die Natur ergibt sich nicht einem jeden. Sie erweist sich vielmehr gegen viele
wie ein neckisches junges Mädchen, das uns durch tausend Reize anlockt, aber in
dem Augenblick, wo wir es zu fassen und zu besitzen glauben, unsern Armen
entschlüpft. S. 788
Es ist gar viel Dummes in den Satzungen der Kirche. Aber sie will herrschen, und
da muß sie eine bornierte Masse haben, die sich duckt und die geneigt ist, sich
beherrschen zu lassen. Die hohe, reich dotierte Geistlichkeit fürchtet nichts
mehr als die Aufklärung der unteren Massen. Sie hat ihnen auch die Bibel lange
genug vorenthalten, solange als irgend möglich. S. 797
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Johann
Peter Eckermann
Gespräche mit Goethe
Herausgegeben von Christoph Michel
unter Mitwirkung von Hans Grüters
Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch 50, Broschur,
1390 Seiten
978-3-618-68050-5
20,00 €
Leseprobe
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