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Richard Brautigan

oder

Die Milchstraße vor der Haustür
 

Erinnert von René Steininger




Ein Freund, dem ich von Richard Brautigans unrühmlichem Abgang erzählte, erklärte mir kürzlich trocken: „49 ist kein guter Zeitpunkt, um sich umzubringen.“ Und er fügte hinzu, das richtige Alter dafür wäre unter Dreißig bzw. über Siebzig und alles dazwischen „peinlich“.

So redet der gesunde Menschenverstand, dachte ich, froh darüber, dass Schriftsteller diesem gern zuwiderhandeln. Denn hätte Brautigan sich, wie es sich für einen Künstler angeblich gehört, schon früher umgebracht, bliebe seinen Lesern kaum mehr von ihm als zwei schmale Gedichtbände und der Roman, der ihn in den späten Sechzigern über Nacht berühmt und zu einer Ikone der Hippie-Bewegung machen sollte: Forellenfischen in Amerika. Seinen Platz in der amerikanischen  Literaturgeschichte hätte er damit nach Ansicht der Kritiker freilich sicher. Kein weiteres seiner Werke fand später Gnade in ihren Augen. Seine Leser aber wissen es besser. Niemand unter ihnen, der ausgerechnet diesen Titel – dem Einzigen, dem zu Lebzeiten des Autors Erfolg beschieden war – auf die Liste seiner persönlichen Lieblingsbücher von Brautigan setzen würde. In den Kundenrezensionen auf Amazon landet es stets abgeschlagen hinter späteren Meisterwerken wie Abtreibung, Wassermelone in Zucker und Am Ende einer Kindheit, seinem 1982 erschienenen, letzten vollendeten Roman.

Ob Brautigan jenseits der Fünfzig noch einmal zur Höchstform aufgelaufen wäre, lässt sich im Nachhinein nicht mehr sagen. Aber ein schönerer letzter Titel als So the wind won´t blow it all away (so der englische Originaltitel von Am Ende einer Kindheit) ist ohnehin kaum vorstellbar. In dem nachgelassenen Romanfragment Eine unglückliche Frau treibt Brautigan seine schnoddrige Planlosigkeit dann ins Extrem. Es enthält jedoch kaum noch etwas von den Stärken seiner besten Bücher, die so erstaunlich leichtfüßig zwischen surrealem Witz und Nachdenklichkeit, Situationskomik, Nonsens und philosophischem Tiefsinn schwanken.

Zum Zeitpunkt seines Suizids im Jahre 1984 war Brautigan bereits ein Fossil, gezeichnet von Schlaflosigkeit, Depression und Alkoholismus. In der Gunst der Kritik von den Werken jüngerer Autoren verdrängt, verwelkten seine Bücher im Gedächtnis einer Generation, die von der neuen Zeit anscheinend genauso schnell überholt worden war wie das Outfit ihres langhaarigen Idols. Es schien, als könne die Akte Brautigan endgültig geschlossen und mit dem Vermerk erledigt versehen ins Literaturarchiv versenkt werden. Dass sie nun nach einer Phase des Antichambrierens wieder geöffnet werden kann, ist nicht zuletzt auch das Verdienst zweier Kleinverlage  – des schweizerischen Theodor Boder und des deutschen Kartaus Verlags –, die sich in den letzten Jahren angeschickt haben, die wichtigsten Werke Brautigans in teils neuen Übersetzungen wieder aufzulegen.

Den Auftakt zu diesem unverhofften kleinen Revival bildete 2002 das Buch Den Tod holen seiner Tochter Ianthe, deren Erinnerungen an den „magischen Vater“ dessen einzelgängerische Gestalt in tagebuchähnlichen Skizzen und Anekdoten umkreisen, die immer dort am lesenswertesten sind, wo sie den Portraitierten selbst zu Wort kommen lassen, wie in der folgenden Passage:

Mein Vater erzählte mir, dass er als Kind Angst vor Statuen gehabt und große Umwege gemacht hatte, um nicht an einer vorbeizukommen.
„Warum hattest du Angst vor Statuen?“ fragte ich.
„Ich dachte, das wären echte Menschen, die man lebendig eingegossen hat,“ antwortete er.

Der Zauber, den dieses oder jenes Kunstwerk auf uns übt, lässt sich nie erschöpfend erklären. Sagen wir etwas vereinfacht, es rührt an irgendeiner atavistischen Schicht unseres Bewusstseins. Werke, die zu verzaubern verstehen, durchkreuzen an einer entscheidenden Stelle die routinierten Abläufe eines durchschnittlich ausgebildeten Erwachsenenhirns. Auf diese Weise schaffen sie neue Zugänge zu den Freuden und Leiden der Kindheit. Darin liegt eine Reinheit, die ans Herz greift und die im Falle Brautigans auch sofort erkannt wurde.

Was aber macht nun ein Autor, der gleich von seinem zweiten Roman Millionen verkauft? 

Er erwirbt eine Farm und züchtet Hühner. Wenigstens tut er das in Amerika. Henry Roth und Salinger machten es vor. Und wäre die Geschichte Brautigans, dem Schöpfer fiktionaler Literatur, ebenfalls mit dem Kauf seiner Farm in Bolinas zu Ende gegangen, dann hätte sie möglicherweise auch im wahren Leben ein gutes genommen. Anders als seine berühmten Kollegen aber war Brautigan, der noch nicht einmal einen Führerschein besaß, zum Farmer so wenig geeignet wie zum Verstummen. Er schrieb und veröffentlichte auch weiterhin Bücher, das heißt, dass er immer noch große Umwege in Kauf nahm, nur um der Tatsache aus dem Weg zu gehen, dass eine Rose eine Rose und eine Statue eine Statue ist.

Lieber schoss er betrunken auf seine Kücheneinrichtung, als mit seinen Nachbarn den Einsatz neuer Düngermittel zu diskutieren. Statt sein Geflügel gewinnbringend an den Mann zu bringen, schrieb er Truthahnsonaten. Das Schreiben aber ist ein gefährlich Ding, wenn man nicht gerade für die eigene Schublade oder Krimis von der Stange produziert. Und das vorwiegend schlechte Echo, auf das seine Bücher auf Seiten der professionellen Kritik zunehmend stießen, lieferte ihn schonungslos auch seinen eigenen Dämonen aus. Vor Selbstzweifel und - ekel, Angst und innerer Unsicherheit aber schützen auch keine Feuerwaffen, für die Brautigan eine Schwäche besaß, die so gar nicht ins Klischee des sanften Pazifisten passen will.

Ein Widerspruch, der seiner Persönlichkeit idiosynkratische Züge verleiht, aber seinen Büchern auf der anderen Seite auch ihre Spannung erhält. Nicht zufällig handeln seine nostalgisch getönten, tragikomischen Kindheitserinnerungen in So the wind won´t blow it all away von Kindern, die durch alle möglichen Todesarten – von der gewöhnlichen Lungenentzündung bis zur Tötung durch einen Gewehrschuss des minderjährigen Ich-Erzählers selbst – ums Leben kommen. Dieses irritierende Nebeneinander von Schönheit und Gewalt, Poesie und Grausamkeit, das auch ein Charakteristikum der japanischen Ästhetik ist, erklärt vielleicht auch die anhaltende Popularität, die Brautigan  in seiner geistigen Wahlheimat Japan genießt. Und noch ein Merkmal seiner Literatur, der lakonische Stil fiel dort auf fruchtbaren Boden. Anders als die amerikanische Kritik sahen die Japaner darin kein Manko, im Gegenteil. Und von allen seinen Büchern haben auch tatsächlich die Kurz- und Kürzestgeschichten der beiden Erzählbände Die Rache des Rasens und Der Tokio-Montana-Express bis heute am wenigsten Staub angesetzt. Die irrwitzigen Western-, Horror-, Krimi- und Sience-Fiction-Parodien wirken dagegen manchmal schon fast so historisch wie die Populärkultur selbst.

Derselbe Mut zur Auslassung auch in seinen Gedichten. Die meisten kaum länger als ein Satz. Rehspuren heißt beispielsweise eins aus der Sammlung Die Pille gegen das Grubenunglück von Springhill:

Schön, schluchzend, mit großer Übersetzung bumsen
und dann still daliegen wie Rehspuren
im Neuschnee neben der, die
du liebst
. Das ist alles.

Das ist alles. Mehr ist auch nicht nötig. Ein Satz genügt, wenn es der richtige ist. Auch Brautigan hat ihn nicht immer getroffen. Glücklicherweise. Das rettet seine Texte, schützt sie vor der Virtuosität blutleerer Meisterschaft. Wenn seine Bücher uns heute noch etwas zu sagen haben, dann, weil sie zu lesen einer Atempause gleichkommt. Der jüngeren Generation bieten sie überdies Gelegenheit, einen Schriftstellertypus kennen zu lernen, der in der gegenwärtigen Bestellerkultur so nicht mehr vorkommt. Die Kindeskinder der Beatniks sind patente Konkurrenten im Wettstreit um Absatz und Quote und keine melancholischen Helden der Leere mehr. Geistige Erben Stacharows, nicht Stawrogins.

Sie und uns alle erinnert Brautigan beständig daran, was wir aufs Spiel setzen, wenn wir unsere Augen vor dem Naheliegendsten, das wir am liebsten übersehen, verschließen.

Die Milchstraße liegt vor der Haustür und reicht höher als die längste Karriereleiter. Auch Brautigan erklomm seine viel zu früh. Vielleicht wusste er deswegen, dass die wirklichen Mirakel aus Wassermelonenzucker und Karrieren oft leichter zu machen sind, als der Seele gut tut, die ihren Weg zwischen Dornensträuchern gehen muss.

Zitate aus:
Ianthe Brautigan: Den Tod holen. Kartaus Verlag 2002

Richard Brautigan: Die Pille gegen das Grubenunglück von Springhill & 104 andere Gedichte. Rowohlt, 1987
 

René Steininger, geb. am 30 Mai 1970 in Paris. Dr.phil. Zwischen 2000 und 2005 Lektor für deutsche Sprache und Literatur in Bukarest und Bratislava. Freiberuflicher Lehrer und Autor in Wien. Schreibt Essays, Gedichte, Aphorismen.

2008: rinforzando, Gedichte & Geschichten, Bucher Verlag, Hohenems.

Herbst 2010: tremolando, Gedichte & Geschichten II, ebenda


Die neuaufgelegten Bücher von Richard Brautigan erscheinen im

Karthaus Verlag


»Damit Sie nicht mit Rosamunde Pilcher ins Bett gehen müssen.«

 


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