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Der wildeste Dichter Amerikas

Jürgen Seul zum 93. Todestag von
Jack London am 22. November 2009

Es war an einem frühen Sommermorgen des Jahres 1892 in der Bucht vor San Franzisko. Der Seemannstod erschien dem 16jährigen Jack London als herrliche Krönung seines kurzen und abenteuerlichen Lebens. Als er auf dem Rücken liegend, am Salano-Pier vorbei trieb, sah er die Lichter und Menschen an der Küste. Absichtlich verhielt er sich still. Dann, als ihn nichts in seinem Todesrausch mehr stören konnte, ging sein Blick mit einer Mischung aus Wehmut und Fatalismus hinauf zu den Sternen. So trieb er unter dem gestirnten Himmel dahin und nahm Abschied von jedem der vertrauten Hafenlichter, die rot, grün, weiß vorüber zogen und verschwanden.
Kurze Zeit zuvor war er angetrunken von Bord der Schaluppe ›Reindeer‹ in die See gestürzt. Und nachdem ihn das kalte Wasser bald ernüchtert hatte, entschied er sich doch noch für das Leben. Das Wasser war ruhig und Jack ein ausgezeichneter Schwimmer. Er entledigte sich seiner nass gesogenen Kleidung und griff quer zur Strömung aus. Als der Morgen dämmerte, fand er sich in der Kabbelung von Marc Island, wo die starken Ebbströme von Vallejo an der San-Pablo-Bai und aus der Enge von Carquinez aufeinander treffen. Trotz seiner unbändigen jugendlichen Stärke war er jetzt erschöpft und vor Kälte erstarrt. Die Landprise schlug ihm Wasser entgegen und das Ende stand kurz bevor.
Im letzten Moment tauchte ein griechischer Fischer auf, der sich auf dem Weg nach Vallejo befand und der den dahin treibenden Körper in sein Boot zerrte. Er rettete damit nicht nur den jüngsten Austernpiraten der Westküste, sondern auch einen der künftig einflussreichsten Dichter der amerikanischen Literatur.

Bereits mit seiner ersten Schaluppe – der ›Razzle Dazzle‹ – hatte der jugendliche Jack London über ein eigenes Boot verfügt, mit dem er illegal die Austernbänke vor San Francisco geplündert hatte. Sein Boot war Teil einer Flotte gewesen, die sich regelmäßig zu den Sandbänken aufmachte, um sie ihrer natürlichen Ressourcen zu berauben und sie auf dem Oaklander Frühmarkt zu verkaufen. Jacks Leute waren kräftige und furchtlose Männer; auch ehemalige Strafgefangene und andere zwielichtige Zeitgenossen, bei denen Saufereien, Raufereien, Messerstechereien und Schießereien an der Tagesordnung waren.
Einem feindlichen Haufen Austernpiraten hatte er es auch zu verdanken gehabt, dass die ›Razzle Dazzle‹ angebohrt, angezündet und auf den Grund des Pazifiks versenkt worden war. Nach seiner „griechischen“ Errettung aus höchster Seenot kehrte Jack London auf die ›Reindeer‹ zurück, die er vor allem mit seiner Geliebten Mamie und einem Kompagnon bewohnte.
Eines Tages brachte ein Polizeioffizier den jungen Austernpiraten und seine Crew dazu, sich der ›California Fish Patrol‹ der Polizei anzuschließen. Die Bucht von San Franzisko wurde damals auch von chinesischen Garnelenfängern und griechischen Lachsdieben heimgesucht, die ihre ganz eigene Auffassung über die staatlichen Fischereigesetze vertraten. Gegen Überlassung der Hälfte der Strafgelder brachten Jack und seine Leute nun als Hilfspolizisten Dschunken und andere illegal operierende Boote auf. Fast ein Jahr lang währte die oft lebensgefährliche Zeit als Mitglied der Fischereipatrouillie. Mit siebzehn Jahren beendete Jack diesen Teil seines Lebens und heuerte für sieben Monate auf dem Robbenfänger ›Sophia Sutherland‹ an, der die Gewässer vor Sibirien und Japan anlief.

Die Erlebnisse jener Zeit als Austernpirat und Hilfspolizist mündeten später in die Niederschrift des Romans Die Fahrt der Dazzler (1902) und des Sammelbandes Erzählungen von der Fischpatrouillie (1905). Diese Stoffe zeigen wie auch die großen Welterfolge Der Seewolf (1904), Abenteurer des Schienenstranges (1907) oder Lockruf des Goldes (1910) die faszinierende Mischung aus Naturalismus und Abenteuerlichkeit, die zu einem großen Teil auf Autobiografischem beruhte. Es waren die Extreme, die Jack Londons kurzes Leben prägten, die ihn dazu befähigten, den Stoff, den sein wildes und ungezügeltes Vagabunden- und Abenteuerleben bot, in prägnante literarische Werke zu verwandeln und ihn 1913 zum bestbezahlten Schriftsteller der Welt werden ließen. Insgesamt verdiente er in den sechzehn Jahren seines literarischen Schaffens eine Million Dollar.
Am 12. Januar 1876 war er in San Francisco als nichteheliches Kind der Spiritistin Flora Wellman und des Astrologen und Wanderprediger William Henry Chaney geboren worden. Der Vater verschwand vor der Geburt des Jungen. Noch im selben Jahr heiratete die Mutter den Tischler John London, der Jack adoptierte.

Die Familie lebte ab 1886 in Oakland. Weil John London zu dieser Zeit weitgehend invalid wurde, mussten seine Frau und der junge Jack das Familieneinkommen bestreiten. Mit 13 Jahren verließ Jack deshalb die Schule, um arbeiten zu können. Er tat dies unter anderem als Zeitungsjunge, Helfer in einem Wirtshaus und als Arbeiter in einer Konservenfabrik.
Bereits als Kind las er Romane, vor allem aus öffentlichen Bibliotheken. Er saugte Literatur förmlich auf, konsumierte die moderne Ideenwelt von Darwin, Nietzsche und Marx. Jack erkannte die Bildung als Königsweg zu sozialem Aufstieg und betrachtete den Sozialismus als flankierende gesellschaftliche Maßnahme.
Nach seiner Zeit auf dem Robbenfänger trampte der 17jährige als ›hobo‹ illegal auf den Güterzügen durch Amerika, bis er bei den Niagarafällen wegen Landstreicherei verhaftet und zu einem einmonatigen Gefängnisaufenthalt im ›Erie County Penitentuary‹ verurteilt wurde.

Zurückgekehrt in das heimatliche San Franzisko holte Jack das Abitur in der Hälfte der üblichen Zeit nach und studierte 1896/97 an der Universität von Berkeley. Finanzielle Gründe zwangen ihn zum Abbruch. Nachdem er kurzzeitig wegen revolutionärer Reden verhaftet worden war, erfasste ihn als einen der ersten das Klondike-Goldfieber. Er folgte gemeinsam mit einem Schwager dem Lockruf des Goldes nach Alaska, wo er im Winter 1897/98 am Yukon nach dem Edelmetall schürfte. Das Ende des Goldrausches – gerade dem Tode durch Auszehrung und Skorbut entronnen – folgte bereits ein Jahr später. Ohne Gold, aber mit einem reichen Schatz an abenteuerlichen Geschichten versehen, kehrte er in die Zivilisation zurück.
Er hatte beschlossen, Schriftsteller zu werden und er ging diesen Masterplan der Lebensgestaltung mit der selben Energie und Entschlossenheit an, wie er alles in Angriff nahm. Dabei wollte er gleich in zwei Himmel aufsteigen; zum einen in das Pantheon der Literatur und zum anderen in das des Geldes. Aus diesem Grunde schrieb er wie ein Besessener, mindestens tausend Wörter täglich, die folgenden siebzehn Jahre lang. Hunderten von abgelehnten Manuskriptangeboten standen am Anfang nur wenige Veröffentlichungen in einzelnen Magazinen gegenüber. Doch Jack gab nicht auf, sondern schrieb unverdrossen weiter.

Mit der Kurzgeschichtensammlung Der Sohn des Wolfes (1900) gelang ihm schließlich der Durchbruch zu einer fulminanten literarischen Karriere. Zurecht gilt Jack London heute als einer der Gründerväter der modernen amerikanischen Literatur. Seine Bücher müssen zur Zeit ihres Erscheinens mit ungeheuerer Kraft über das Publikum hereingebrochen sein. Sie beschreiben Träume, Angst, Einsamkeit, Treue, Liebe, Tod, Kraft und Hoffnung in einer bis dato in der Literatur nicht bekannten Eindringlichkeit und Authentizität. Fast nebensächlich wirkt da die private Fehlentscheidung, mit Elisabeth Maddern 1899 eine irrationale Vernunftehe einzugehen, der von Anfang an jene Leidenschaft fehlte, die Jacks Bücher auszeichnet. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Roman Ruf der Wildnis (1903) – ein All-Times-Bestseller über einen Hund, der seinen Weg aus der Zivilisation zurück zur ursprünglichen Tiernatur findet. Gerade dieser Gegensatz von Zivilisation und Natur bildet auch ein zentrales Thema des wohl berühmtesten Jack-London-Romans Der Seewolf (1904).

„Meine Idee ist folgende“, schrieb er einem Freund. „Ich nehme einen kultivierten, gebildeten und überzivilisierten Mann und die entsprechende Frau und verfrachte beide in ein primitives Seemannsmilieu, wo es nur Kampf und Reibereien gibt und das Leben darin besteht, sich einen vollen Bauch und ein Dach über dem Kopf zu sichern. Und dann sorge ich dafür, dass dieses Paar über sich hinauswächst und mit fliegenden Fahnen über die widrigen Umstände triumphiert.“

Doch es ist letztlich nicht diese Idee, die den Roman bis heute im Kulturgedächtnis gehalten hat, sondern vielmehr die Präsenz der Titelfigur Wolf Larson, einen mythischen Achilles, der mit einer Mischung aus Allmächtigkeit und Usurpationsverlangen über Leben und Tod entscheidet. Im Mikrokosmos seines Schiffes, der ›Ghost‹, herrscht Wolf Larson uneingeschränkt und unangreifbar. Und als er einmal von den eigenen Leuten über Bord gestoßen wird, nutzt Jack London die darauf folgende Szene zu einem der eigentlichen Romanhöhepunkte, indem er den Seewolf bei tosender See mit einem schier unmenschlichen Kraftakt wieder die Bordwand erklimmen lässt. Dem Leser wird damit die ganz und gar unheimliche, diabolische Wiedergeburt eines Unzerstörbaren vorgeführt, der deutlich die psychologischen Züge Jack Londons aufweist.

Kaum anders ist auch erklärbar, dass sich der inzwischen etablierte Schriftsteller 1904 als einziger amerikanischer Kriegsberichterstatter zum japanisch-koreanischen Krieg aufmacht. Die Angst um das eigene Leben erscheint ihm fremd, der Glaube an die eigene Unzerstörbarkeit groß. Jacks Geschichten über die Gemetzel füllen alsbald amerikanische Gazetten. Nach seiner Verhaftung durch japanische Truppen als vermeintlicher Spion, prügelte er sich mit Japanern und musste die Todesstrafe befürchten. Der amerikanische Präsident Roosevelt – kein Freund des sozialistischen Schriftstellers – war zur Intervention gezwungen und musste seinen Landsmann aus der Haft holen.
1905 revidierte Jack seine private Fehlentscheidung mit Elisabeth. Er ließ sich scheiden und heiratete wenig später die lebenslustige Charmian Kittredge, eine 5 Jahre ältere Frau, die reiten, trinken und fechten konnte wie ein Mann und vor der sich die Damen der feinen Gesellschaft abwandten. Im Jahr darauf ließ sich Jack die Superyacht ›Snark‹ für eine Weltumsegelung bauen. Das Projekt eskalierte zu einem finanziellen Debakel. Es hielt den Schriftsteller jedoch nicht davon ab, im August 1907 zu einer Weltumsegelung aufzubrechen. Jack und Charmian kamen mit der ›Snark‹ u. a. über Hawaii und die Südsee bis nach Australien, wo sich der Schriftsteller heftig erkrankt mehrere Monate im Hospital kurieren lassen musste. Schon an Bord ›Snark‹ hatte Jack seinen autobiografischen Roman Martin Eden in Angriff genommen, der den Existenzkampf seines Schöpfers zeigt und mit dem Selbstmord der Titelfigur endet. Schon zu jenem Zeitpunkt war der erfolgreiche Bestsellerautor ein alkohol- und drogenabhängiger Meisterillusionist.
Fatalerweise ähnelte das sich entwickelnde Lebensunglück damit jenem vieler Schriftstellerkollegen, die auch von den Schattenseiten eingeholt wurden. Doch diese Entwicklung bei Jack London blieb der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Während sich im Deutschland nach der Jahrhundertwende 1900 Karl May den Vorwurf gefallen lassen musste, nie wirkliche Abenteuer in Amerika und Orient erlebt zu haben, würdigte die literarische Kritik Jack London wegen seiner ungeschminkten Sprache und wegen der Echtheit der geschilderten Erlebnisse. Und als in Deutschland die Kritik an der Abenteuerromantik Karl Mays und seiner Epigonen aufbrandete, entdeckte man hierzulande gleichzeitig die „neue Sachlichkeit“ und mit ihr auch Jack London, der zu einem der berühmtesten Literaturexporte Amerikas seit Mark Twain avancierte. Pikanterweise war es ausgerechnet Karl Mays Hausverleger Friedrich Ernst Fehsenfeld, in dessen Buchreihe Die Welt der Fahrten und Abenteuer als Band IX der Jack-London-Roman Wolfsblut erschien und der den Ruhm des amerikanischen Schriftstellers maßgeblich mit begründete. Der ›Dresdner Anzeiger‹ vom 16. Dezember 1911 rezensierte über dieses Buch: Das [...] Buch weckt Liebe zur Tierwelt und gibt auch reiferen Lesern, nicht bloß dem nach Abenteuern und seltsamen Erlebnissen verlangenden Sinn der Jugend eine gesunde und frische Nahrung.“

Jack London und sein Werdegang bis hin zur literarische Entdeckung waren kein Zufall. Wenn ein Stück Nüchternheit groß wird und sich mit Phantasie vermengt und wenn ein Feld der Betätigung da ist wie Amerika, so groß, weit und trotz technischem Fortschritts- und Zivilisationsglauben noch so wild, dann gibt es Schriftsteller wie ihn, die ihre Laufbahn als Austernpiraten im Golf von San Franzisko beginnen. Dann geschieht das Wunder, dass jemand wie er auftaucht, der nicht nur die Desperados, die Gestrandeten und Hartgesottenen in den Slums einer Weltstadt wie San Franzisko unter den Tisch saufen kann, sondern auch eine Feder führt und einen Stil kreiert, vor dem der arrivierte Ästet fassungslos einknickt. Das Besondere an Jack London liegt in der restlosen Unmittelbarkeit und Ehrlichkeit seiner Sprache. Man muss Amerika kennen, um Jack London zu kennen, und man muss das Amerika jener Zeit kennen, um zu wissen, wer Jack London war. Wenn man in New York seiner Zeit die Pier an der 47. Straße betrat, wusste man, dass man sich in einem Lande befand, wo trotz Woolworth und Bell-Building das Blockhaus des amerikanischen Kolonisten noch eine Rolle spielte. Das Land war unfertig, wohin man trat. In Texas, in South Carolina, in Oregon gab es noch Urwälder, die kein europäischer Fuß je betreten hatte.
Zu der Zeit, als Jack jung war, hatte diese Unfertigkeit den Charakter einer halben Wildnis; eine Cooper-Lederstrumpf-Welt lag vor dem ehemaligen Austernpiraten, der Bücher verschlang und das Leben auskostete. Die abenteuerliche Weite der amerikanischen Welt ließ Jacks individuellen Freiheitsdrang ins Riesengroße wachsen – aber es waren weniger die äußeren Umstände, sondern die zähe innere Kraft, die ihn groß werden ließ.

Jack Londons Sprache ist eher wortkarg, knapp, präzise. Große Worte werden hier nicht gemacht, wenn es um das Ganze geht. Ernest Hemingway würde es ihm eines Tages nachmachen. Jacks Romane und Erzählungen beschreiben vor allem das eigene Leben, denn er schöpfte seine Plots daraus. Unsagbar typisch für Amerika war, dass man auf Schienensträngen als Abenteurer leben und gute Bücher darüber schreiben konnte. Gleiches galt für die Teilnahme am Goldrausch in Alaska, lange Seefahrten auf Robbenfängern, gefährliche Recherchen als Korrespondent auf diversen Kriegsschauplätzen. Jack lebte die Abenteuer vor, die er später literarisch so authentisch zu beschreiben vermochte. Die Mays, Stevensons und Vernes der alten Welt waren da anders. Jack London war nur in Amerika möglich. So merkwürdig es klingt: Die eher mangelhafte Geistigkeit des Amerikas jener Tage hat Jack London groß gemacht. Er blieb von ästhetisch-witzelnden Kreisen verschont und musste sich seine Dollar zunächst hart erarbeiten wie jeder andere Arbeiter auch. So kam er auf das Schreiben, wie andere auf das Tischlern kommen. Er fand, dass man mit der Literatur, wenn man es richtig anfing, eine Familie ernähren konnte. Er hatte kein Problem damit, Verlegern ganz unterschiedlicher Couleur zu dienen und in seinen Werken gelegentlich auch recht widersprüchlich zu erscheinen.

Jack London ging seiner literarischen Arbeit mit der manuellen Ehrlichkeit eines Tagelöhners nach, ohne dabei zu wissen, was Genie ist und was gut schreiben heißt. Ganz aus der Mystik der Alltagsrealität wuchs er zu einem großen Schriftsteller – an keiner Stelle eingeengt durch Hemmungen der Richtung oder Sorgen um den Stil. Erst schrieb er seitenweise Rudyard Kipling ab, um sich einen marktgängigen Stil zu erarbeiten, anschließend lieferte er, was gewünscht war. Emotionslos akzeptierte er die Streichungen von Redakteuren. Wichtig war ihm alleine der Erfolg seiner Bücher. „Wäre ich eine Frau, ich würde mich bedenkenlos prostituieren, nur um Erfolg zu haben – und erfolgreich werde ich sein,“ schrieb er einst einer Jugendliebe. Und seine Rechnung ging auf. Der simple Magazinleser, die Hunderttausende, die sich wöchentlich über Century Magazine und Ladys Home Journal stürzten, machten ihn groß. In Amerika bildeten jene Magazine ein notwendiges Rädchen in der geistigen Struktur der Gesellschaft. Jack London nahm die Welt so wie sie war, sie war ganz in ihm, ohne Konflikt, mit einer fast zu simplen Nüchternheit. Alle diejenigen, die diese Welt von innen her zur Auflösung bringen wollten, waren auch Gegner seiner Prosa. Alles Dämonische war dem Jack London verhasst, was Dichterkollegen wie Edgar Allan Poe in einen gravierenden Kontrast zu ihm stellt.
Der Nüchternheit der Realität ging er kompromisslos auf den Grund, was ihn schon früh auch zu einem investigativen Journalisten werden ließ, der beispielsweise einige Zeit inkognito in den Slums lebte, um daraus Bücher wie Menschen des Abgrunds (1903) und Die eiserne Ferse (1906) zu schöpfen. 1910 zog sich Jack London auf eine von ihm gekaufte Farm in Sonoma County zurück, wo er, ähnlich seinem Zeitgenossen Knut Hamsun eine quasi ursozialistische, dem modernen, industrialisierten, entfremdeten Leben möglichst ferne, „natürliche“ Existenz führen wollte. In seinem 1913 veröffentlichten autobiographischen Roman König Alkohol thematisierte der Schriftsteller seine eigene Alkoholkrankheit.

Im gleichen Jahr brannte sein kostspielig erbautes Anwesen, das Wolfshaus ab – ein immenser Schaden für die Seele und den Geldbeutel. Was noch folgte in den letzten Jahren waren heftige Erkrankungen – vor allem seine Nieren versagten allmählich –, dazu die Entfremdung mit den eigenen Kindern, zu denen er im Grunde nie ein richtiges Verhältnis fand. Auch äußerlich veränderte er sich; er nahm deutlich an Gewicht zu und geriet ziemlich außer Form. Das blendende Aussehen der früheren Jahre, das ihn an J.F. Kennedy erinnern lässt, verschwand. Einher gingen Pessimismus und Depressionen. „Ich hasse meinen Job“, bekannte er gegenüber einem Journalisten. „Ich hasse ihn. Ich finde keine Worte, um meinen Ekel auszudrücken.“
Am 22. November 1916 starb Jack London im Alter von erst vierzig Jahren auf seiner Farm in Glen Ellen. Die früher weithin vertretene Auffassung, er habe Selbstmord begangen, ist bis heute umstritten. Einiges spricht für eine Harnvergiftung als Todesursache, da er in den letzten Lebensjahren an einer Niereninsuffizienz gelitten hatte. Möglicherweise trug auch sein Alkoholismus und sein Morphinkonsum zum Tode bei. Jack London ist eine romantische Figur und zugleich ein durch und durch moderner Schriftsteller, der viel über das Leben wusste, aber eben nicht alles; der zwar wusste, wie man glücklich wird, aber nicht, wie man glücklich bleibt.

 

Jack London
Meistererzählungen
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Sechzehn Geschichten von Seefahrern und Goldgräbern
Erzählung, detebe 22647 Broschur, 384 Seiten
ISBN 978-3-257-22647-8
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Jack London
Der Seewolf
Aus dem Englischen von Christine Hoeppener
Roman, detebe 21509 Broschur, 384 Seiten
ISBN 978-3-257-21509-0
€ (D) 9.90





Jack London
W
olfsblut
Roman, detebe 22517 Broschur, 240 Seiten
ISBN 978-3-257-22517-4
Erschienen im Nov. 1991
€ (D) 8.90






Jack London
Der Ruf der Wildnis
Roman
Übersetzt von Franz Mairhofer
112 Seiten
7,90 [D]






Jack London
Lockruf des Goldes
Roman
Aus dem Englischen von Erwin Magnus
256 Seiten
9,00


 


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