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Der wildeste Dichter Amerikas
Jürgen
Seul zum 93. Todestag von
Es war an einem frühen
Sommermorgen des Jahres 1892 in der Bucht vor San Franzisko. Der Seemannstod
erschien dem 16jährigen Jack London als herrliche Krönung seines kurzen und
abenteuerlichen Lebens. Als er auf dem Rücken liegend, am Salano-Pier vorbei
trieb, sah er die Lichter und Menschen an der Küste. Absichtlich verhielt er
sich still. Dann, als ihn nichts in seinem Todesrausch mehr stören konnte, ging
sein Blick mit einer Mischung aus Wehmut und Fatalismus hinauf zu den Sternen.
So trieb er unter dem gestirnten Himmel dahin und nahm Abschied von jedem der
vertrauten Hafenlichter, die rot, grün, weiß vorüber zogen und verschwanden.
Bereits mit seiner ersten
Schaluppe – der ›Razzle Dazzle‹ – hatte der jugendliche Jack London über ein
eigenes Boot verfügt, mit dem er illegal die Austernbänke vor San Francisco
geplündert hatte. Sein Boot war Teil einer Flotte gewesen, die sich regelmäßig
zu den Sandbänken aufmachte, um sie ihrer natürlichen Ressourcen zu berauben und
sie auf dem Oaklander Frühmarkt zu verkaufen. Jacks Leute waren kräftige und
furchtlose Männer; auch ehemalige Strafgefangene und andere zwielichtige
Zeitgenossen, bei denen Saufereien, Raufereien, Messerstechereien und
Schießereien an der Tagesordnung waren.
Die
Erlebnisse jener Zeit als Austernpirat und Hilfspolizist mündeten später in die
Niederschrift des Romans Die Fahrt der Dazzler (1902) und des Sammelbandes
Erzählungen von der Fischpatrouillie (1905). Diese Stoffe zeigen wie auch die
großen Welterfolge Der Seewolf (1904), Abenteurer des Schienenstranges (1907)
oder Lockruf des Goldes (1910) die faszinierende Mischung aus Naturalismus und
Abenteuerlichkeit, die zu einem großen Teil auf Autobiografischem beruhte. Es
waren die Extreme, die Jack Londons kurzes Leben prägten, die ihn dazu
befähigten, den Stoff, den sein wildes und ungezügeltes Vagabunden- und
Abenteuerleben bot, in prägnante literarische Werke zu verwandeln und ihn 1913
zum bestbezahlten Schriftsteller der Welt werden ließen. Insgesamt verdiente er
in den sechzehn Jahren seines literarischen Schaffens eine Million Dollar.
Die Familie lebte ab 1886
in Oakland. Weil John London zu dieser Zeit weitgehend invalid wurde, mussten
seine Frau und der junge Jack das Familieneinkommen bestreiten. Mit 13 Jahren
verließ Jack deshalb die Schule, um arbeiten zu können. Er tat dies unter
anderem als Zeitungsjunge, Helfer in einem Wirtshaus und als Arbeiter in einer
Konservenfabrik.
Zurückgekehrt in das
heimatliche San Franzisko holte Jack das Abitur in der Hälfte der üblichen Zeit
nach und studierte 1896/97 an der Universität von Berkeley. Finanzielle Gründe
zwangen ihn zum Abbruch. Nachdem er kurzzeitig wegen revolutionärer Reden
verhaftet worden war, erfasste ihn als einen der ersten das Klondike-Goldfieber.
Er folgte gemeinsam mit einem Schwager dem Lockruf des Goldes nach Alaska, wo er
im Winter 1897/98 am Yukon nach dem Edelmetall schürfte. Das Ende des
Goldrausches – gerade dem Tode durch Auszehrung und Skorbut entronnen – folgte
bereits ein Jahr später. Ohne Gold, aber mit einem reichen Schatz an
abenteuerlichen Geschichten versehen, kehrte er in die Zivilisation zurück. Mit der Kurzgeschichtensammlung Der Sohn des Wolfes (1900) gelang ihm schließlich der Durchbruch zu einer fulminanten literarischen Karriere. Zurecht gilt Jack London heute als einer der Gründerväter der modernen amerikanischen Literatur. Seine Bücher müssen zur Zeit ihres Erscheinens mit ungeheuerer Kraft über das Publikum hereingebrochen sein. Sie beschreiben Träume, Angst, Einsamkeit, Treue, Liebe, Tod, Kraft und Hoffnung in einer bis dato in der Literatur nicht bekannten Eindringlichkeit und Authentizität. Fast nebensächlich wirkt da die private Fehlentscheidung, mit Elisabeth Maddern 1899 eine irrationale Vernunftehe einzugehen, der von Anfang an jene Leidenschaft fehlte, die Jacks Bücher auszeichnet. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Roman Ruf der Wildnis (1903) – ein All-Times-Bestseller über einen Hund, der seinen Weg aus der Zivilisation zurück zur ursprünglichen Tiernatur findet. Gerade dieser Gegensatz von Zivilisation und Natur bildet auch ein zentrales Thema des wohl berühmtesten Jack-London-Romans Der Seewolf (1904). „Meine Idee ist folgende“, schrieb er einem Freund. „Ich nehme einen kultivierten, gebildeten und überzivilisierten Mann und die entsprechende Frau und verfrachte beide in ein primitives Seemannsmilieu, wo es nur Kampf und Reibereien gibt und das Leben darin besteht, sich einen vollen Bauch und ein Dach über dem Kopf zu sichern. Und dann sorge ich dafür, dass dieses Paar über sich hinauswächst und mit fliegenden Fahnen über die widrigen Umstände triumphiert.“ Doch es ist letztlich nicht diese Idee, die den Roman bis heute im Kulturgedächtnis gehalten hat, sondern vielmehr die Präsenz der Titelfigur Wolf Larson, einen mythischen Achilles, der mit einer Mischung aus Allmächtigkeit und Usurpationsverlangen über Leben und Tod entscheidet. Im Mikrokosmos seines Schiffes, der ›Ghost‹, herrscht Wolf Larson uneingeschränkt und unangreifbar. Und als er einmal von den eigenen Leuten über Bord gestoßen wird, nutzt Jack London die darauf folgende Szene zu einem der eigentlichen Romanhöhepunkte, indem er den Seewolf bei tosender See mit einem schier unmenschlichen Kraftakt wieder die Bordwand erklimmen lässt. Dem Leser wird damit die ganz und gar unheimliche, diabolische Wiedergeburt eines Unzerstörbaren vorgeführt, der deutlich die psychologischen Züge Jack Londons aufweist.
Kaum anders ist auch
erklärbar, dass sich der inzwischen etablierte Schriftsteller 1904 als einziger
amerikanischer Kriegsberichterstatter zum japanisch-koreanischen Krieg aufmacht.
Die Angst um das eigene Leben erscheint ihm fremd, der Glaube an die eigene
Unzerstörbarkeit groß. Jacks Geschichten über die Gemetzel füllen alsbald
amerikanische Gazetten. Nach seiner Verhaftung durch japanische Truppen als
vermeintlicher Spion, prügelte er sich mit Japanern und musste die Todesstrafe
befürchten. Der amerikanische Präsident Roosevelt – kein Freund des
sozialistischen Schriftstellers – war zur Intervention gezwungen und musste
seinen Landsmann aus der Haft holen.
Jack London und sein
Werdegang bis hin zur literarische Entdeckung waren kein Zufall. Wenn ein Stück
Nüchternheit groß wird und sich mit Phantasie vermengt und wenn ein Feld der
Betätigung da ist wie Amerika, so groß, weit und trotz technischem Fortschritts-
und Zivilisationsglauben noch so wild, dann gibt es Schriftsteller wie ihn, die
ihre Laufbahn als Austernpiraten im Golf von San Franzisko beginnen. Dann
geschieht das Wunder, dass jemand wie er auftaucht, der nicht nur die
Desperados, die Gestrandeten und Hartgesottenen in den Slums einer Weltstadt wie
San Franzisko unter den Tisch saufen kann, sondern auch eine Feder führt und
einen Stil kreiert, vor dem der arrivierte Ästet fassungslos einknickt. Das
Besondere an Jack London liegt in der restlosen Unmittelbarkeit und Ehrlichkeit
seiner Sprache. Man muss Amerika kennen, um Jack London zu kennen, und man muss
das Amerika jener Zeit kennen, um zu wissen, wer Jack London war. Wenn man in
New York seiner Zeit die Pier an der 47. Straße betrat, wusste man, dass man
sich in einem Lande befand, wo trotz Woolworth und Bell-Building das Blockhaus
des amerikanischen Kolonisten noch eine Rolle spielte. Das Land war unfertig,
wohin man trat. In Texas, in South Carolina, in Oregon gab es noch Urwälder, die
kein europäischer Fuß je betreten hatte. Jack Londons Sprache ist eher wortkarg, knapp, präzise. Große Worte werden hier nicht gemacht, wenn es um das Ganze geht. Ernest Hemingway würde es ihm eines Tages nachmachen. Jacks Romane und Erzählungen beschreiben vor allem das eigene Leben, denn er schöpfte seine Plots daraus. Unsagbar typisch für Amerika war, dass man auf Schienensträngen als Abenteurer leben und gute Bücher darüber schreiben konnte. Gleiches galt für die Teilnahme am Goldrausch in Alaska, lange Seefahrten auf Robbenfängern, gefährliche Recherchen als Korrespondent auf diversen Kriegsschauplätzen. Jack lebte die Abenteuer vor, die er später literarisch so authentisch zu beschreiben vermochte. Die Mays, Stevensons und Vernes der alten Welt waren da anders. Jack London war nur in Amerika möglich. So merkwürdig es klingt: Die eher mangelhafte Geistigkeit des Amerikas jener Tage hat Jack London groß gemacht. Er blieb von ästhetisch-witzelnden Kreisen verschont und musste sich seine Dollar zunächst hart erarbeiten wie jeder andere Arbeiter auch. So kam er auf das Schreiben, wie andere auf das Tischlern kommen. Er fand, dass man mit der Literatur, wenn man es richtig anfing, eine Familie ernähren konnte. Er hatte kein Problem damit, Verlegern ganz unterschiedlicher Couleur zu dienen und in seinen Werken gelegentlich auch recht widersprüchlich zu erscheinen.
Jack London ging seiner
literarischen Arbeit mit der manuellen Ehrlichkeit eines Tagelöhners nach, ohne
dabei zu wissen, was Genie ist und was gut schreiben heißt. Ganz aus der Mystik
der Alltagsrealität wuchs er zu einem großen Schriftsteller – an keiner Stelle
eingeengt durch Hemmungen der Richtung oder Sorgen um den Stil. Erst schrieb er
seitenweise Rudyard Kipling ab, um sich einen marktgängigen Stil zu erarbeiten,
anschließend lieferte er, was gewünscht war. Emotionslos akzeptierte er die
Streichungen von Redakteuren. Wichtig war ihm alleine der Erfolg seiner Bücher.
„Wäre ich eine Frau, ich würde mich bedenkenlos prostituieren, nur um Erfolg zu
haben – und erfolgreich werde ich sein,“ schrieb er einst einer Jugendliebe. Und
seine Rechnung ging auf. Der simple Magazinleser, die Hunderttausende, die sich
wöchentlich über Century Magazine und Ladys Home Journal stürzten, machten ihn
groß. In Amerika bildeten jene Magazine ein notwendiges Rädchen in der geistigen
Struktur der Gesellschaft. Jack London nahm die Welt so wie sie war, sie war
ganz in ihm, ohne Konflikt, mit einer fast zu simplen Nüchternheit. Alle
diejenigen, die diese Welt von innen her zur Auflösung bringen wollten, waren
auch Gegner seiner Prosa. Alles Dämonische war dem Jack London verhasst, was
Dichterkollegen wie Edgar Allan Poe in einen gravierenden Kontrast zu ihm
stellt.
Im gleichen Jahr brannte
sein kostspielig erbautes Anwesen, das Wolfshaus ab – ein immenser Schaden für
die Seele und den Geldbeutel. Was noch folgte in den letzten Jahren waren
heftige Erkrankungen – vor allem seine Nieren versagten allmählich –, dazu die
Entfremdung mit den eigenen Kindern, zu denen er im Grunde nie ein richtiges
Verhältnis fand. Auch äußerlich veränderte er sich; er nahm deutlich an Gewicht
zu und geriet ziemlich außer Form. Das blendende Aussehen der früheren Jahre,
das ihn an J.F. Kennedy erinnern lässt, verschwand. Einher gingen Pessimismus
und Depressionen. „Ich hasse meinen Job“, bekannte er gegenüber einem
Journalisten. „Ich hasse ihn. Ich finde keine Worte, um meinen Ekel
auszudrücken.“ |
Jack
London
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