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Christian Kleins Metzler Handbuch Biographie erforscht das populäre Genre gründlich und bietet Hilfestellung zur Eigenproduktion

 

von Bernd Blaschke

Biographien gehen immer auf dem Buchmarkt. So dachte man zumindest, wenn man die Auslagen vieler Buchhandlungen betrachtete. Doch wird auch dieses Vorurteil bei Lektüre des umfassend informierenden Handbuchs Biographie relativiert.
Biographien gingen lange Zeit gar nicht – als Darstellungsform in den Geistes- und Sozialwissenschaften; zumindest solange strukturalistische, sozialgeschichtliche und anti-humanistische Theorien dominierten. Doch ließ sich in den letzten Jahren beobachten, dass es nicht mehr karriereschädlich ist, als Historiker, Literaturwissenschaftler oder Sozialwissenschaftler eine Biographie wichtiger Gestalten oder Gruppen zu verfassen.
Der Umgang mit Lebensgeschichten, von deren kürzesten Fassungen in wenigen Sätzen (etwa im Lexikonformat oder als Registereintrag) bis zu den monumental ausgreifenden mehrbändigen Werken, spielt nicht nur in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Formen und Erzählweisen des biographischen Genres prägen darüber hinaus auch unser Selbstverständnis als Personen und Subjekte. Freilich wandeln sich diese Biographie-Formate im Laufe historischer Entwicklungen von Gesellschaften, Mentalitäten und Subjektivierungspraktiken.

Die interdisziplinäre Biographieforschung befindet sich seit gut zehn Jahren im Aufwind. Seit 1988 erscheint (aus dem Kontext der Oral History Bewegung) die Zeitschrift Bios. 2001 edierte Margaretta Jolly eine zweibändige Encyclopedia of Life Writing Autobiographical and biographical Forms. Nun hat der im Bereich der geisteswissenschaftlichen Handbücher bewährte Metzler Verlag ein Kompendium zum Genre der Biographie vorgelegt, das an Umfang, Gründlichkeit und Aktualität der Darstellungen kaum Wünsche offen lässt. Herausgeber ist mit Christian Klein ein jüngerer Literaturwissenschaftler, der sich in der Biographiologie (so der von ihm selbst geprägte Begriff für die wissenschaftliche Erforschung der Genres der Lebensbeschreibung) schon mit einer Biographie Ernst Penzoldts und mit zwei Sammelbänden zu Biographien und zum nicht-literarischen Erzählen einen Namen gemacht hat. Für das Handbuch ist es ihm gelungen, eine kompetente Autorenriege zu versammeln, die das weite historische Panorama (von der Antike bis zur Gegenwart) und das breite Spektrum der Biographieforschung (von der Medizin über Geschichts- und Literaturwissenschaften bis zu Gender Studies und Erziehungswissenschaften) gelehrt und doch allgemeinverständlich abhandelt.

Das Handbuch arbeitet mit einem weiten Begriff des (tatsächlich kaum überzeugend eng zu definierenden) Biographischen. Es setzt allerdings seinen Schwerpunkt deutlich auf die Lebensbeschreibungen anderer Personen und bezieht nur gelegentlich das autobiographische Genre mit ein. Gleichwohl gibt es in diesem umfangreich und klug disponierten Handbuch natürlich auch einen Beitrag zu ‚Biographie vs. Autobiographie‘, beigesteuert von der Autobiographie-Spezialistin Michaela Holdenried.

Dieses Kompendium beginnt, wie es sich für ein historisch und philologisch informiertes Handbuch gehört, gelehrt begriffsgeschichtlich. Es hebt an mit einem Kapitel, das die bisher wenig erforschten Zusammenhänge und Entwicklungen der Begriffsfamilie um ‚Vita‘, ‚Lebensbeschreibung‘, ‚Portrait‘, ‚Charakteristik‘ nachzeichnet. Das eröffnende Hauptkapitel ‚Bestimmungen und Merkmale‘ fährt fort mit elementaren Fragen des Wirklichkeitsbezugs und der Narrations- sowie Darstellungsweisen. Denn die – fürs biographische Genre grundlegende – Referentialität wird in der neueren Literaturtheorie ebenso zum vertrackten Problem, wie die Faktizität von Lebensereignissen oder psychischen Innenwelten. Biographik rückt damit in ein Spannungsfeld von Fiktion und Faktizität. Und reflektierte Autoren reagieren darauf mit metafiktionalen Biographien, die genau diese Problematik der Konstruktion und Perspektivierung eines Lebens durch oft zufällig überlieferte Dokumente und ihre schriftliche Narrativierung zum Gegenstand ihres Erzählens machen. Trotz dieses Verwischens der Grenzen zwischen wirklichkeitsverbürgender Historiographie und imaginativ-fiktionaler Geschichtenerfindung plädiert Ansgar Nünning hier für eine Beibehaltung der Grenze zwischen ‚klassischen‘ und ‚fiktiven‘ Biographien und er nennt vier Unterscheidungskriterien auf der Sach- wie Erzählebene, anhand derer man fiktive von faktischen Biographien unterscheiden könne.

Nach einem Unterkapitel zum Sach- und Selektionsproblem der Biographiewürdigkeit (Wessen Leben wird erzählt – und welche Wirkung hat diese Auswahl?) schließt das erste Kapitel mit den erwähnten Überlegungen zu Zusammenhang und Unterschieden von Biographie vs. Autobiographie. Das zweite Hauptkapitel zu ‚zentralen Fragen und Funktionen‘ der Lebensbeschreibungen widmet sich anthropologischen Implikationen der Biographik, ihrem Zusammenhang mit der Gedächtnis- und Erinnerungskultur sowie ihrer sozialen Funktion in der Wissensgesellschaft. Doris Kolesch sieht die Biographik und ihre Identitäts- und Subjektkonstruktionen auf zwei Ebenen herausgefordert durch das zeitgenössische Paradigma der Performativität: der Biograph müsse den Aufführungs- und Inszenierungscharakter des beschriebenen Lebens mit in Betracht ziehen und zudem die Inszenierungsweise seiner eigenen schriftlichen Präsentation reflektieren. Hier wird mithin auf der Sach- wie der Darstellungsebene ein verschärftes, nicht-naives Medienbewusstsein eingefordert.
Biographien sind zwar meist Individuen gewidmet, doch betten sie diese genealogisch in ihre Herkunftsfamilien ein. Zudem gibt es Familienbiographien über berühmte Clans (beispielsweise die Musiker der Bachfamilie, die Banker der Warburgs oder Rothschilds, die vielfach begabten Weizäckers, die amerikanischen Bushs oder die Lübecker Brüder Mann und ihre schreibenden Nachkommen). Stefan Willers Kapitel zu ‚Biographie-Genealogie-Generation‘ informiert über diese familiären Lebenstexturen ebenso wie der Abschnitt über Kollektivbiographien, in denen gelegentlich auch ganze Generationen (etwa: die 68er) charakterisiert werden.

Das dritte von acht Hauptkapiteln gibt einen Überblick über die Formen und Erzählweisen der Lebensbeschreibungen. Die ausgewiesenen Untergattungen umfassen literarische, wissenschaftliche oder populäre Biographien, desweiteren biographische Kleinformen (wie Lexikoneinträge, Nachrufe oder der Minimalform eines Registereintrags) und fiktionale Metabiographien, die das heikle Quellensuch-, Auswahl- und Synthesegeschäft des Biographie-Schreibens selbst zu ihrem Thema machen. Intermediale Formen biographischer Darstellungsweisen werden in innovativen Unterkapiteln über bisher kaum systematisch erforschte biographische Präsentationsweisen auf dem Theater (von Franziska Schössler), auf dem Musiktheater (von Melanie Unseld), im Film (vom Herausgeber, Diana Weilepp und Lukas Werner) und schließlich in Hörfunk und Fernsehen (von Knut Hickethier) in formaler und historischer Hinsicht skizziert und analysiert. Neueste Entwicklungen und Umformatierungen biographischer Darstellungsweisen finden sich im Internet und in anderen digitalen Medien. Hypertextstrukturen offerieren durch geschickte Verlinkung weit verzweigte Kontexte für die Spielart der paradigmatischen Biographik, die ein Individuum als Produkt vielfältiger Prägekräfte und Vernetzungen (in Familien, Gruppen, Generationen, Mentalitäten und Epochen) zeigt.
Das kurze vierte Hauptkapitel widmet sich der Analyse biographischer Erzählungen. Mit den Mitteln moderner Narrationsanalyse werden elementare Bausteine und Verknüpfungsoptionen der Handlung (also: des Lebens) und der Sinngebung als ‚Histoire‘ unterschieden von der Ebene des ‚Discours‘, mithin dem ‚Wie der Erzählung‘ in Hinsicht auf die Wahl der Erzählperspektive, des Erzähltempus’ oder der sprachlichen Stilmittel. Man kann sich fragen, ob dieses vierte Kapitel nicht besser platziert wäre als Einleitung zum dritten Kapitel, das die vielen Untergattungen der Biographik in ihren Formen und Erzählweisen ausbreitet. Doch nimmt diese etwas überraschende Anordnung den beiden argumentationsstarken Kapiteln nichts von ihrem Informationsreichtum.
Die Kapitel 5 und 6 bieten sodann den großen historischen Abriss zur Entwicklung biographischen Schreibens. Auf gut 40 Seiten wird von ausgewiesenen Spezialisten erst ein allgemeiner Gang durch die Formen- und Funktionsgeschichte der Lebensbeschreibungen von der Antike, via Mittelalter, frühe Neuzeit bis zum 18., 19. und 20. Jahrhundert unternommen. Es ist naheliegend (und markiert den guten Sinn des Herausgebers für Proportionen), dass mit der zunehmenden Individualisierung im Prozess der Modernisierung die Biographik umfassender und vielgestaltiger wurde. So werden der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit jeweils nur etwa 4 Seiten gewidmet, während die buchenswerten Biographie-Ereignisse vom 18. bis 20. Jahrhundert pro Jahrhundert 8-14 Seiten beanspruchen. Allerdings kommt es im folgenden 6. Kapitel, das die Ausprägungen der Biographik nun noch einmal regional ausdifferenziert - mithin nationalphilologisch - durchläuft, naturgemäß zu einigen Wiederholungen. Denn zumindest die deutschsprachigen, die französischen sowie die britischen und amerikanischen Entwicklungslinien waren ja schon Referenzrahmen für den komparatistischen Abriss des 5. Kapitels. Da jedoch diese Regional-Artikel wiederum von anderen Autoren verfasst wurden und meist so umsichtige wie kompakte Übersichten der nationalen Biographietraditionen bieten, liest man sie gerne. Zudem kommen mit den Artikeln zur spanischen, italienischen, skandinavischen und zur russischen Biographik auch Sprach- und Kulturräume in den Blick, die im geschichtlichen Überblick des 5. Kapitels verständlicherweise kaum gewürdigt werden.

Es ist eine nachvollziehbare Entscheidung des Herausgebers, dieses so schon überaus materialreiche Wissensfüllhorn zur Biographik auf den westlichen, europäisch-amerikanischen Raum zu fokussieren. Folglich finden sich hier keine Beobachtungen etwa zu asiatischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Typen und Entwicklungslinien lebensgeschichtlichen Schreibens – die freilich gerade in ihrer (vermuteten) Abweichung von westlichen Ausprägungen der Individualitätsformatierung von einigem Interesse sein könnten; auch weil gerade sie die Spezifik der westlichen Modelle von Person und Lebenslauf profilieren und verdeutlichen könnten. Doch findet sich auch in den vorliegenden historischen und regionalen Überblicksartikeln hinreichend viel Alterität zu unserer modernen Auffassung vom individuellen Leben, seinen Eckpunkten und seiner üblichen Darstellung. Besonders das Mittelalter mit seinen Heiligen-Viten und Mönchsbiographien setzte deutlich andere Akzente der Biographiewürdigkeit als die Heutigen oder als die Antike, in deren Darstellung hier freilich auch schon die christlichen Evangelien als ‚gehobene Ideal-Biographien‘ inmitten weltlicherer Lebensläufe gewürdigt werden.
Mit dem 19. Jahrhundert beginnt das (artikulierte) Unbehagen an der Biographik als Kritik der durch die stilisierten Lebensbeschreibungen transportierten Ideologien. Siegfried Kracauer und Leo Löwenthal werden die Kritik an der biographischen Mode in der Mitte des 20. Jahrhunderts nachdrücklich formulieren. Freilich führten diese Angriffe gegen die psychologisierenden Lebensbilder keineswegs zu einem Nachlassen der Biographie-Produktion und Konsumtion. Ihre Wirkung lag eher in einer seither verstärkt sozialgeschichtlich kontextualisierenden Biographik. Siegfried Kracauer selbst verfasste als Kritiker des in den 1920er Jahren mit Stefan Zweig und Emil Ludwig sehr erfolgreichen Genres sieben Jahre nach Erscheinen seines Aufsatzes ‚Die Biographie als neubürgerliche Kunstform‘ (von 1930) ein als Gesellschaftsbiographie angelegtes Buch zum sozialkritischen Operetten-Komponisten und seinen Kontexten: ‚Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit‘.
Die fundamentalen Zweifel an der Seriosität des biographischen Genres und an den unbedachten Form- und Ideologieproblemen erlebten einen zweiten Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Psychoanalyse und Strukturalismus die Grundannahmen zu Person, Leben, Sinn aber auch zu elementaren Schreib- und Erzählformen in Frage stellten. Da diese anti-humanistischen Theorien vor allem in Frankreich entstanden, werden sie ausführlich in Joseph Jurts Kapitel zur französischen Biographik vorgestellt. Freilich wirkten sie auch im Rest der Welt, nicht zuletzt auch auf literarische Schriftsteller, die diese Einsichten in die Gemachtheit von Lebensbeschreibungen gerne aufnahmen und durchspielten in experimentellen Romanbiographien (von Wolfgang Hildesheimers ‚Marbot‘ über Julian Barnes ‚Flauberts Papagei‘ bis zu den Philologen-Romanen von Antonia S. Byatt und vielen anderen postmodernen Metabiographien).

Das siebte Hauptkapitel bietet auf knapp 80 Seiten Einblick in die Methoden biographischen Arbeitens in einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen. Der Bogen spannt sich hier von der Geschichtswissenschaft, der Literaturwissenschaft sowie der Kunstgeschichte über die Musikwissenschaft, die Religionswissenschaft und die Sozialwissenschaften bis hin zur Erziehungswissenschaft.  Auch die Rolle von Fallgeschichten und Lebensgeschichten in der Medizin werden in einem Unterkapitel bedacht. Am Ende stehen die Jewish Studies und die jungen Disziplinen Gender Studies und Postcolonial Studies, die trotz ihrer starken theoretischen Orientierung an den biographie-kritischen Schulen der Psychoanalyse und der Dekonstruktion ein ausgeprägtes Interesse aufweisen für die Lebensläufe minoritärer Personen und deren Handlungsspielräume im Widerstreit mit der Mehrheitsgesellschaft und ihren hegemonialen Diskursen.
Den Abschluss dieses rundum gelungenen, gehaltvollen und nützlichen Kompendiums bilden 40 Seiten mit praktischen Handreichungen für jeden, der sich am Verfassen einer Biographie versuchen möchte. Die konzeptionellen Grundfragen, die man bei der Planung einer Lebensbeschreibung bedenken sollte, werden systematisch im Hinblick auf die Spezifik der zu biographierenden Person, auf die vorliegende Quellenlage, aber auch die situative Schreibmotivation des Verfassers dargelegt. Diese konzeptionellen Grundentscheidungen einer Arbeit werden von Thomas Karlauf, dem Autor einer hoch gelobten Stefan-George-Biographie, noch einmal konkret an seinem Beispiel veranschaulicht. Kenntnisreiche Ausführungen über den Status von Biographien (und ihren mehr oder weniger marktgängigen Unterformen) auf dem Buchmarkt werden von Stephan Porombka beigesteuert. Sein Verdienst besteht nicht zuletzt darin, die – im Rahmen dieses Handbuchs naheliegende – Überschätzung des Markterfolgs von Biographien zu relativieren. Nur unter den mittelalten Männern, welche seines Erachtens zugleich das Gros der wichtigen Feuilleton-Autoren darstellen (die zur überproportionalen Aufmerksamkeit für das Genre beitragen), seien die Biographien ein Bestseller trächtiges Literatursegment. Während die Frauen, die mehr Bücher lesen und kaufen, eher zu Belletristik und Ratgebern neigten. Schließlich werden in diesem Handbuch noch die Rechtsfragen des Genres bezüglich der Quellen in Archiven oder Privatbesitz, bezüglich der Persönlichkeitsrechte der Biographierten bis hin zu Rechtsfragen bei Abbildungen auf 10 Seiten anschaulich dargestellt.
Christian Kleins Metzler Handbuch Biographie bietet mithin mehrere Bücher in einem und stellt somit ein wahres Vademecum für nahezu alle Fragen des Biographiewesens dar. Es enthält neben seinem praxisorientierten How-to-do-Abschnitt eine komparatistisch weit ausgreifende Geschichte der Lebensbeschreibungen von der Antike bis zur jüngsten Gegenwart, ferner interdisziplinäre Darstellungen zur Verwendung biographischer Texte und Konzepte in verschiedenen Wissenschaften und schließlich die grundlegenden epistemologischen und poetologisch-narratologischen Kapitel zu den Bauweisen und Macharten verschiedener Typen von Lebensbeschreibungen. Alle diese Bücher im Buch sind mit konzisen und aktuellen bibliographischen Hinweisen versehen, die jedem, der es noch genauer wissen will, weitere Werkzeuge zur Biographieforschung an die Hand geben.

Doch fürs erste systematische und gründliche Reflektieren über mögliche Modi und Verwendungsweisen der Lebensbeschreibung sind diese 485 zweispaltig gesetzten Handbuchseiten mehr als hinreichend. Ihre Lektüre ist intellektuell so anregend und oft auch so spannend, wie das Eintauchen in die Beschreibung eines fremden Lebens. Die Begeisterung, die dort das Mitfiebern mit den Lebenskurven der anderen hervorruft, wird im Fall dieses Handbuchs ersetzt durch die Lust am kühlen, vergleichenden und analytischen Zerlegen der Biographien in ihre formalen und historischen Bausteine. Das – nicht selten identifikatorische oder kompensatorische – Verschlingen von Biographien wird mit diesem kaum weniger verführerischen Handbuch wissenschaftlich gekontert. Die Faszinationskraft der Biographik befeuert auch noch dieses Handbuch: beide Male geht es um nichts weniger als ‚das Leben‘. Das fesselt nun einmal; sei es im Modus empathischer Anteilnahme, sei es im Modus methodischer Reflexion auf seine Formierungs- und  Darstellungsweisen.
 

Christian Klein (Hg.)
Handbuch Biographie
Methoden, Traditionen, Theorien
Metzler Verlag 2009
485 S., Gebunden
Preis: EUR 64,95
ISBN: 978-3-476-02263-9


 


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