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»Mir
nach, Leser!« Von Christiane Pöhlmann
Der Meister und Molière. Er sollte ihm gelingen, der große Wurf, der ihm posthum viel Ruhm eintrug. Doch wie drückt es Levi Matthäus in eben diesem Roman aus: »Er hat nicht Licht verdient, sondern Ruhe.« Mit innerer Ruhe konnte er wahrlich nicht an ihm arbeiten: Er litt häufig Geldnot, schlug sich als Librettist, Übersetzer und Theaterregisseur durch, war unveröffentlicht, literarisch hingerichtet, wie er es treffend nannte, als er 1928 die Arbeit am »Meister und Margarita« aufnahm. Lange hat er an ihm gearbeitet, bis zu seinem Tod, zwölf Jahre; sie stehen jenen zwanzig Minuten gegenüber, die er nach eigenem Bekunden zu Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit für ein Feuilleton brauchte. Zeit hat er gefunden, Ruhe nie. Und dennoch: Wie lässt dieser Roman sein Licht noch heute und völlig zu Recht strahlen! In ihm gelangt Bulgakow zu jener vollendeten Verbindung von Phantasie und Erzählkunst, Zeitkritik und Philosophie, die den Roman weit über alles Gegenwärtige hinaushebt. Er vor allem begründet Bulgakows Status als Klassiker und als Kultautor. Wohl kaum einem Roman im 20. Jahrhundert ist ein derart rasantes Schicksal widerfahren wie diesem, weder Pasternaks »Doktor Schiwago« noch Solschenizyns »Archipel Gulag«. Zunächst verboten, kursierte der Text nach seiner Veröffentlichung 1966 sowohl in der Intelligenzija wie auch in subkulturellen Kreisen. Die einen sorgten dafür, dass er inzwischen Schullektüre ist, die anderen sprühten Graffiti in einem Treppenhaus, einem Schauplatz des Romans, der heute ins Bulgakow-Museum integriert ist. Dabei ist Bulgakow alles andere als museal. Der Großteil seiner Prosa liest sich ungebrochen kraftvoll, witzig und bissig. Oder eben schmerzerfüllt, wie einige Passagen in »Der Meister und Margarita«. Und wie heißt es darin doch? »Mir nach, Leser!« »Mir nach« – das bedeutet örtlich: Auf nach Moskau! Nach einer Typhuserkrankung hatte Bulgakow 1920 beschlossen, den Arztberuf an den Nagel zu hängen und Schriftsteller zu werden. Wir feiern in diesem Jahr also auch sein 90-jähriges Berufsjubiläum. Obwohl er bereits einige Erzählungen und Feuilletons geschrieben hat, ist sein eigentliches Werk untrennbar mit dem Umzug nach Moskau 1921 verbunden. Bulgakows Laufbahn beginnt dann, indem sie nicht beginnt. Sein Debütroman »Die weiße Garde« wurde als literarische Sensation gefeiert, der Vergleich mit Tolstoi und Dostojewski war schnell zur Hand. Der Witz dabei: Damals wurden nur die ersten Kapitel veröffentlicht, in einer Zeitschrift, die bald eingestellt wurde. Das Beispiel sollte wegweisend werden. Der hervorragende und oft unterschätzte Künstler-Roman »Molière« wurde von Gorki angeregt – und von der Zensurbehörde verboten. Weshalb? Weil der im Text auftretende Erzähler »an einer Liebe zu Aphorismen und Esprit« leide. Selbst das wiederholt angeforderte Stalin-Stück (»Batum«), die einzige thematische Konzession, die Bulgakow je machte, gelangte nicht zur Aufführung. Trotzdem war Bulgakow ein Star, nicht umsonst rissen sich die Theater um ihn. Wie konnte es dazu kommen? Das Moskau jener Jahre brodelte. Neben der Zensurbehörde entstand die Avantgarde. Schriftsteller lasen sich im kleinen Kreis ihre Werke vor, manches davon wurde kolportiert, die Gerüchteküche kochte, angeheizt von der Konkurrenz. Obendrein wurden die meisten von Bulgakows Stücken lange geprobt, bevor das endgültige Aus kam. Und dann waren da die »Tage der Turbins« (nach dem Roman »Weiße Garde«). Im Grunde kann Bulgakow zu Lebzeiten als One-play-author gelten, denn nur dieses Stück lief wirklich lange, von 1926 bis 1929, dann erneut von 1932 bis 1941. Stalin selbst hatte es etliche Male gesehen und gelobt – was jedoch die zwischenzeitliche Absetzung nicht verhinderte. Um dieses Lob gab und gibt es viel Gerede. Protegierte Stalin Bulgakow? Buckelte Bulgakow vor Stalin? In beiden Fällen dürfte die Antwort wohl nein heißen. Ein einziges Mal hat Stalin Bulgakow angerufen, im April 1930, und ihm Arbeit als Theaterregisseur verschafft. Ein Gunstbeweis? Oder Kalkül – schließlich hatte Majakowski vier Tage zuvor Selbstmord begangen, auf einen zweiten Skandal war man sicher nicht erpicht. Privilegien genoss Bulgakow jedenfalls keine. Allerdings: Er wurde nie verhaftet, teilte nicht das Schicksal eines Charms, Mandelstam oder Babel. In seinem Brief an den Generalsekretär hält Bulgakow fest: »Auf dem weiten Feld der russischen Literatur in der UdSSR war ich ein einsamer Wolf. Man hat mir geraten, mein Fell zu färben. Ein dummer Rat. Ein Wolf, ob gefärbt oder geschoren, wird nie wie ein Pudel aussehen.« Freilich neigte er auch dem Märtyrertum nicht zu, schon gar nicht klagte er es bei anderen ein. Auch dazu noch einmal er selbst: »Mein Leser, was halten Sie von solchen Widmungen? Ich denke so: Molière tat recht daran, die Widmung an den König und seinen Bruder zu adressieren. Wenn er anders gehandelt hätte, wer weiß, wäre seine Biographie dann etwas kürzer, als sie jetzt ist?« Es gab nun einmal keine Patentrezepte, am ehesten war seine Devise: »Mag das Leben kommen!« Sicher, manches Mal schoss Bulgakow übers Ziel hinaus, lehnte selbst fundierte Kritik ab, weil er fürchtete, sie sei politisch, nicht künstlerisch motiviert. Ganz bestimmt war er ein einsamer Wolf. Moden rannte er nicht hinterher. Als in Moskau Lederjacken und Schiebermützen »schick, modern« waren, legte er sich ein Monokel und eine karierte Fliege zu – selbst wenn ihn Freunde und Schriftstellerkollegen deswegen als Provinzpinsel verspotteten. Bulgakow hatte vielleicht die spitzeste Feder in seinem Umfeld, gleichzeitig aber auch die größte literarische Bandbreite. Er allein ist im Westen angekommen. In Russland haben sich noch andere Autoren dieser Zeit gehalten, vor allem Ilf und Petrow, deren »Zwölf Stühle« zu einer Fundgrube für Zitate wurden. Doch auch dort ragt Bulgakow unter den Schriftstellern der 1920er und 30er heraus, jenen Dissidenten avant la lettre (die weit satirischer waren als ihre Nachfahren in den 1970er Jahren). Ihnen ist jener Brückenschlag von der Romantik mit Gogol und Saltykow-Schtschedrin zur Gegenwart mit Sorokin und Pelewin zu verdanken, der das Phantastische in der russischen Literatur lebendig hielt, auch wenn es heute meist auf Kosten des Satirischen geht. Mit der Satire wären wir wieder beim Wunsch nach Ruhe. Bulgakow hatte eine behütete Kindheit. Es war im besten Sinne des Wortes ein liberales Elternhaus, das ihn zum Individualisten und unabhängigen Geist erzog und an die Kunst heranführte. Noch in Kiew hat er Gounods Oper »Marguerite« 41 Mal gehört, sie machte ihn wie viele Russen mit der Faust-Problematik bekannt. Dieses überschaubare, musisch geprägte Leben raubte ihm die Oktoberrevolution. Als »Vertreter einer glücklosen Generation« hat er sich gesehen. Literarisch symbolisiert er die untergegangene Welt immer wieder durch einen grünen Lampenschirm; in dem gediegenen Kiewer Bulgakow-Museum ist sie gleichsam auferstanden. Nichtsdestoweniger lag ihm das Satirische. Aber eben nicht nur das. Im »Molière« verzichtet er ganz auf satirische und phantastische Elemente, um das Dilemma eines Künstlers zu gestalten, der sich der Intriganten und Zensoren erwehrt. Im »Meister und Margarita« stellt er dem Spott auf Literaturbetrieb, Spießertum und Konsumverhalten sowie dem phantasmagorischen Ball beim Satan die komplexe Binnenerzählung um Pontius Pilatus gegenüber. Der »Meister« und »Molière«, diese beiden Werke dürften die Eckpunkte von Bulgakows Œuvre markieren. Seit Februar diesen Jahres kann man ihre Original-Typoskripte im Moskauer Museum einsehen. Zu Bulgakows Prosatexten entstanden in den letzten Jahren Filme und Theaterstücke, sogar hier, man denke nur an Castorfs »Meister und Margarita« (seine eigentlichen Dramen werden in Russland und im Westen dagegen kaum noch gespielt). Man kann sein Grab in Moskau besuchen, mit dem umgearbeiteten Grabstein Gogols, der dort auf Betreiben von Bulgakows Witwe Jelena Bulgakowa liegt. Oder man kann jenem Zuruf folgen, der nach wie vor zu uns herüberhallt: »Mir nach, Leser!«
Michail
Afanasjewitsch Bulgakow (03. [15.] 05.1891 – 10.03.1940), geboren in
Kiew, lebte seit 1921 in Moskau. Zunächst Arzt, seit 1920 Schriftsteller. Er
schrieb zahlreiche Feuilletons und Erzählungen, 14 Dramen, Libretti,
Filmszenarien und vier Romane. Zu Lebzeiten wurde in Russland nur ein Roman
unvollständig veröffentlicht, von den Dramen gelangten fünf zur Aufführung, vier
wurden – z. T. nach sehr kurzer Spielzeit – ganz, eins zwischenzeitlich
abgesetzt; keines der Stücke wurde gedruckt. Seiner dritten Frau und
literarischen Nachlassverwalterin ist die posthume Erstveröffentlichung der
meisten Texte zu danken. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Hundeherz", "Teufeliade",
"Die weiße Garde" und "Meister und Margarita". Seit 1989 gibt es ein
Bulgakow-Museum in Kiew, seit 2007 eins in Moskau.
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MICHAIL
BULGAKOW |
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