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Das
Feuilleton als Affirmationsboutique Schade, dass der Untertitel »Jugendbuch für die Infantilgesellschaft« schon durch Elfriede Jelineks »Michael« besetzt ist - es wäre eine gelungene Beschreibung gewesen für »Axolotl Roadkill«. Aber das Marketing war trotzdem verdammt gut. Helene Hegemanns Buch (wir lassen ihr der Einfachheit halber die Autorschaft) wurde von der Kritik bereitwillig in die Kategorie »dirty young girl« rubriziert und entsprechend gefeiert. Letzteres vermutlich, weil die Lebenswirklichkeiten der Rezensenten vollkommen andere sind. Exotik hilft ja (fast) immer, auch wenn sie die Gefahr der Verklärung birgt. Und vielleicht kann man seine Kindheit in dieser Urenkelin von Pippi Langstrumpf wiederbeleben. Nur das die Villa Kunterbunt »Berghain« heißt und aus Herrn Nilson ein Axolotl in einer Plastiktüte geworden ist. Da plappert die 16jährige lebenszornige Göre Mifti in einer Mischung aus Altklugkeit, Verkommenheit und Hilfeschrei und taucht in die Berliner Technoszene mit Lebensekel und Wut ein. Sie lebt in einer merkwürdigen WG mit ihren Geschwistern. Schule war gestern (die Schuldirektorin wird mit übelsten Beschimpfungen versehen – klar, Schuld sind immer die Lehrer), aber die finanzielle Versorgung ist offensichtlich kein Problem: irgendwo ist ein 500 Euro-Schein und sie weiß, wo der Nachschub in Papas Wohnung liegt. Die Masse sozialer Härtfälle, mit der man in der U-Bahn konfrontiert ist, stören natürlich. Markenklamotten sind nötig. Weitere Ingredienzien sind Sperma, Ketamin, Heroin, Blut, Kotze und Bacardi-Cola (für 12 Euro). Und schon haben die literarischen Alchemisten wieder ihren Stein der Weisen gefunden. Vordergründig schockiert zunächst die Fäkal- und Gossensprache, was natürlich gewünscht ist. Die Kritik verbuchte dies eilig unter ihrer Lieblingskategorie, der Authentizität. Hierzu hat Wolfram Schütte Kluges geschrieben. Als sich herausstellte, dass das Leben mindestens teilweise von einem Blogger gelebt war, wurde überraschenderweise die Vorwärtsverteidigung gewählt. Der Ladendieb wurde zum Sozialrevolutionär umgedeutet. Und jetzt zahlte sich Hegemanns eingestreuter Kulturbetriebsjargon aus. Diese Kuscheltaktik ist scheinbar unschlagbar. Die Exegeten des Meta-Diskurses kneten jede Silbe so lange, bis der Teig für ihre Lobhudeleien aufgegangen ist. Bis dieser zusammengefallen ist, sind sie längst schon auf der nächsten Party. »Glücksfindungsbuch« hört man in einer SWR2-Diskussion mit einem total hingerissenen Georg Diez und einer pragmatisch-lobenden Iris Radisch, die erzählt, dass ihre pubertierende Tochter von der »kaputten Tante« Hegemann nichts wissen wollte. Man fragt sich dann irgendwann, ob diese Literatur von X oder Y geschrieben ähnliche Widmung finden würde. Kracht, Lebert, Zoë Jenny, Kuttner und jetzt Hegemann – allesamt Kinder einer nepotistisch agierenden "Intellektuellen-Bohème" (Simone Meier), in der Kritiker am Ende zu Claqueuren dressiert werden sollen – was oft genug leider klappt. Nur peinlich, wenn die Affirmation ins Schwärmertum abgleitet. Dorothea Dieckmann dagegen hat das Büßergewand angezogen, entdeckt wie zum Selbstschutz ihre Mutterrolle und beklagt sich über ein dreistelliges Honorar für ihre (gar nicht so schlechte) Kritik, während Hegemann über achtstellige Beträge verhandele. Rechnen klappt also auch nicht immer. Aber warum diese Klage eines Schiedsrichters, der sich über die hohen Gehälter der Fußballstars entrüstet? Würde Dieckmann für mehr Geld besser schreiben und wenn ja wie? Und, liebe Frau Dieckmann, ihr Vorschlag eines Forums: Haben Sie es schon einmal gelegentlich mit anderen Medien versucht, zum Beispiel im – igitt - Internet? Es gibt sie ja durchaus, die gelungenen Bilder. Und die ironischen Selbstreflexionen, die einem das Lesen wenigstens zeitweise erträglich machen. Da wird Mifti im Taxi vom Fahrer vergewaltigt (sie bekommt dabei allerdings – obwohl es sie anwidert - drei Runden lang…starke multiple Orgasmen; Nahrung für gewisse Klischees). Im postkoitalen Zigarettengespräch offenbart sich dieser als gescheitert-depressiver Radiomoderator, der kurzfristig im Wettbewerb mit Mifti um die abscheulichste Gewaltphantasie tritt. Im Unterschied zu ihr jedoch will er nur noch seine Ruhe haben. Das mögliche Ziel ist ein Gefängnisaufenthalt, der ihn endlich von einer realen Existenznot befreien würde und paradiesisch erscheint: »Fernsehen, genug zu essen und am Wochenende Basketball'. Schließlich das pfiffige Gedankenspiel eines Deals: 'Ich könnte zur Polizei gehen und sagen, du hättest mich vergewaltigt.' - 'Vielleicht komme ich darauf mal zurück.' - 'Das ist doch ein grossartiger Plan. Ich kann für den Rest meines Lebens alle Fehlleistungen mit irgendeiner Vergewaltigung legitimieren, du bist vier Jahre eingekerkert.« Damit ist auch die Methode dieses Buches ziemlich genau beschrieben. Einerseits erfolgt insbesondere auf den letzten dreißig, vierzig Seiten (die nicht die besten sind) die autobiografische Legitimation für den diagnostizierten Lebensekel. Diese versnobte Kaputtheit, mit der da kokettiert wird. Am Ende muss sogar der Hass der toten Mutter auf Mifti, mit der diese ihren Zorn begründet, abgeschrieben werden. Nicht nur die Drogen sind synthetisch, auch die Sprache. Zu mehr reicht es dann doch nicht. Andererseits kann natürlich jetzt mit dem Fiktionalen »argumentiert« werden. Dass sich hiermit die Chefdeuter selber widersprechen, geht im Getümmel schnell unter. Das Buch dann letztlich als intertextuelles Kunstwerk über seine Strecke zu retten, zeigt eine erschreckende Ahnungslosigkeit literaturwissenschaftlicher Grundbegriffe – oder ist einfach nur freche Volksverdummung. Natürlich handelt es sich um ein kühl komponiertes und perfekt konstruiertes Buch. Dahingehend ungemein berechnend konzipiert, dass sich die Berufsempörer an den entscheidenden Stellen abarbeiten und lächerlich machen und Berufszustimmer in Jubel ausbrechen können. Aber intertextuell bedeutet mehr, als nur Wörter, Motive oder Handlungsweisen kopieren und dann dem Leser zum Fraß vorzuwerfen. Was dem einen sein Arztroman ist dem Intellektuellen seine Meta-Verweis-Maschine. Beide sind Antipoden ihres je eigenen Kitsches. Zur Entlastung kann die Sehnsucht noch angeführt werden. Aber die Hochnäsigkeit der Kritiker wird immer unbegründeter, was an ihnen selber liegt. So führen sie ihre eigenen Ansprüche ad absurdum und bekleben das notdürftig mit dem Avantgarde-Etikett - in der Hoffnung, der Konsument bemerke den Etikettenschwindel nicht. Das Feuilleton wird so mehr und mehr zur Affirmationsboutique für posierende Wohlstandsverwahrloser. Wie entlarvend liest man bei Hegemann: Das Problem von denen, von diesen Kritikern…ist ja nicht einmal die Arroganz, Arrogantsein ist ja auch was Aristokratisches und so, das Schlimmste ist eher diese Dummheit, oder nicht mal die Dummheit ist das Schlimmste, das Schlimmste ist die Faulheit... Touché. Und noch einmal Dorothea Dieckmann, die zu Recht beklagt, die Kritik betreibe eine »inhaltliche Öffnung […] hin zur fernsehkompatiblen Trivialliteratur.« Und »[s]tatt dergleichen Phänomene konsequent als Symptome einer entfesselten Aufmerksamkeits- und Profitmaschinerie zu betrachten, werden weiterhin literarische Kriterien auf sie angewandt, sprich geopfert.« Wohl wahr. Aber können wir anderes von einer Gesellschaft erwarten, in der jemand wie Horst Lichter zunächst als Gourmetkoch hochgelobt wird, nur damit dieser dann Werbung für Maggi machen kann? Lothar Struck
Die kursiv gesetzten
Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. |
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