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Simulation
von Soziologie Den Zeitpunkt, von dem an Kriminalromane nur noch am Rande mit der eigentlichen Aufklärung des Verbrechens zu tun haben, kann man ganz gut auf Mitte der 1970er Jahre taxieren. Zwar hatten angelsächsische Autoren zuvor längst den kauzigen Privatdetektiv entdeckt und auch Persönliches des Fall-Lösers in die Geschichten eingewoben. Und auch George Simenons Figur Maigret war mehr als nur ein Kommissar, der Indizien aufspürte, Alibis überprüfte und Zeugenvernehmungen durchführte. Ebenso wurde die Psychologie des Täters immer weiter ausgeleuchtet und als Motiv reichte nicht mehr nur die übliche Testamentsklausel oder der unverzeihbare Seitensprung des Ehepartners. Aber den Anspruch, mit der Erzählung von Kriminalfällen auch, ja: vor allem gesellschaftspolitische und soziale Zustände zu reflektieren, wurde erstmals von den beiden schwedischen Autoren Maj Sjöwall und Per Wahlöö eingelöst. Zehn Romane entstanden vom Autorenpaar zwischen 1965 und 1975. Den Dekalog nannte man später "Roman über ein Verbrechen" - die Betonung liegt auf "ein". Nicht nur, dass die Protagonisten der Stockholmer Mordkommission, hier vor allem Kriminalassistent bzw. Kommissar Martin Beck, sein engster Vertrauter Kollberg oder der gelegentlich cholerisch-unkonventionelle Gunvald Larsson nebst ihrem Privatleben im Mittelpunkt standen. Desweiteren wurden die Arbeitsbedingungen und Ränkespiele innerhalb der Polizeiadministration und die oktroyierten politischen Rücksichtnahmen ebenso thematisiert wie die gesellschaftspolitischen und sozialen Zustände des Landes selber, die sich in der Skurrilität und Brutalität der Verbrechen spiegeln sollten.
Dabei war eine subtile Form politischer Agitation durchaus beabsichtigt.
Schließlich waren die beiden bekennende Marxisten. Aber bei allem
klassenkämpferischem Habitus - auf das Element der Spannung wurde nicht
verzichtet. Sie entstand nur nicht mehr aus der klassischen "Whodunnit"-Frage
oder dem Aufzeigen der Genialität des Ermittlers. Kombinationen à la Sherlock
Holmes oder Hercule Poirot hatten mit der realen Polizeiarbeit nichts zu tun.
Auch die einzelgängerischen, unbestechlichen, nur seiner eigenen Moral
verpflichteten Nachforschungen eines Philip Marlowe entstammten einer
künstlichen, wenn nicht längst vergangenen so doch anderen Welt. Sjöwall/Wahlöös
Romane evozierten in ihrem fast dokumentarischen Duktus einen
Gesellschaftsrealismus, der die pseudodemokratische Attitüde eines
Wohlfahrtsstaates gleich mit entlarven sollte. So waren die ermittelnden
Polizeibeamten keine Technokraten, sondern Menschen, die oft genug in die Fälle
wenn nicht persönlich so doch emotional verstrickt waren bzw. wurden. So wurden
sie zu Involvierte wider Willen, wie sie auch Repräsentanten wider Willen
wurden; Schwächste einer Hierarchie von politischen und ökonomischen
Machtstrukturen.
Matty und Yolonda Matty und Yolonda kämpfen nun an mehreren Fronten: Zum einen müssen sie sich um die Hinterbliebenen und ihre Trauer kümmern. Ikes Vater Billy ist ein Taumelnder und zutiefst Verletzter, der immer zwischen Selbstjustiz und Freitod zu schwanken scheint. Matty verliebt sich auch noch ein bisschen in Minette, der Stiefmutter Ikes; es kommt zu einem Egal-Kuss. Zum anderen wird aufgezeigt, wie kompliziert sich die Ermittlungen gestalten, weil es "von oben" stets andere Prioritäten zu geben scheint - und das, obwohl das Opfer ein "Weißer" ist (solcher Art Rassismus ist gängig präsent in den Dialogen). Gleich zu Anfang gibt es die beeindruckende Szene, wie Matty immer wieder einen Schmauchspurentest für Eric beantragt, um festzustellen, ob er geschossen hat, dies jedoch in einem fürchterlichen Verwaltungsakt ausartet und trotz diverser Telefonate nicht zustande kommt bis dann irgendwann das Zeitfenster überschritten ist, weil der Test keine beweislastigen Resultate mehr liefern würde. In der Nachbetrachtung wird Matty dann vorgeworfen, er habe sich nicht durchsetzen können. Und schließlich versuchen sie, Eric doch noch zur Kooperation zu überreden. Dies alles erfolglos; wertvolle Zeit verstreicht. Auch der zweite Angriff, eine Art "Neuaufnahme" der Recherchen zu dem Verbrechen nach einer Woche, kann nicht stattfinden, weil Personal wegen anderer Dinge abgezogen wird. Mattys Vorgesetzte scheinen eher anderen Interessen zuzuneigen. Matty versucht nun, über Billy mit Hilfe der Presse neuen Druck ausüben. Dieser steuert sogar noch öffentlichkeitswirksam 20.000 Dollar zusätzlich zur Belohnung bei. Nebenbei werden noch Mattys Söhne straffällig, was um so schwerer wiegt, als einer von ihnen selber Polizist ist und Mattys Ex-Frau ständig zynische Bemerkungen am Telefon ablässt. Am Ende wird der Fall des getöteten Ike durch Kommissar Zufall dann aufgeklärt. "Cash" erntet in Deutschland unisono Lob. Da wird von einem Roman des New York nach dem 11. September gesprochen, obwohl dieses Ereignis überhaupt keine Rolle spielt; im Buch vielleicht dreimal erwähnt wird. Auch die "urbane Soziologie", die der Kritiker der "Zeit" hier ausgebreitet sieht, erschließt sich mir in diesem kakophonen Wimmelbild nicht. Tatsächlich werden die sozialen Schichten und deren Interaktionen geschildert und immer ist es irgendwie wichtig, welche Hautfarbe und Herkunft jemand hat - aber mehr als Simulation von "Soziologie" kann man, ohne besonders anspruchslos zu sein, wohl kaum herauslesen. Vielleicht täuscht der Eindruck, aber soll da nicht ein eher spannungsloser Kriminalroman mit zusätzlichen Lesarten ein wenig aufgebrezelt werden? Denn wer dieses Buch, wie Felicitas von Lovenberg in der "F.A.Z.", für das "Porträt eines entwurzelten Viertels" hält, kommt womöglich noch auf die Idee, das "Großstadtrevier" sei repräsentativ für den Hamburger Kiez. Price' Stärke ist das Dialogische und das Verhör zu Beginn von Matty und Yolonda mit Eric Cash ist gelungen und erzeugt eine Spannung, obwohl er Leser weiß, dass Cash unschuldig ist und sich dies auch schnell herausstellt. Von da an plätschert der Roman dann nur noch. Matty darf gelegentlich ein bisschen "Bad Lieutenant" sein und begegnet bei seinen Ermittlungen dem ein oder anderen One-Night-Stand. Price' sprechende Namen sind eher unfreiwillig komisch. Da wird mit Mattys Nachname "Clark" auf Clark Kent (vulgo: Superman) angespielt und Yolonda "Bello" assoziiert pflichtgemäß dem Bildungsbürger das lateinische Wort für Krieg. Und Eric Cash macht "Cash", indem er die Trinkgeldkasse der Bar zu seinen Gunsten manipuliert.
Die Figuren haben keine Narben, sie sind die Narben Die Figuren bleiben erschreckend eindimensional. Sie machen nicht neugierig jenseits dessen, was sich im Buch abspielt. Tristan, der 17jährige Siedlungs-Puerto-Ricaner, schreibt Rap-Texte, die schlicht zu nennen euphemistisch wäre. Natürlich ist er immer derjenige, dem man nicht zuhört und natürlich schmiegt sich am Anfang die Waffe wohlig und schwer in seine Hand. Er wird von seinem Ex-Stiefvater geprügelt und will ihn ermorden, was nur daran scheitert, dass dann keine Patrone mehr in der Waffe ist. Überhaupt bleiben die Klein- und Gelegenheitskriminellen (es gibt außer den Polizisten nur solche - und allenfalls noch ein paar Journalisten) immer in ihren Rollenklischees. Man hat sofort ein Bild aus "Taxi-Driver" im Kopf und es wird niemals widerlegt oder revidiert. Die Figuren bei Price haben keine Narben, sie sind die Narben. Auch die Hauptfiguren sind davon nicht ausgenommen. Eric Cash, der mit dem hinterzogenen Geld irgendwann die Stadt verlassen möchte, scheitert mit seiner zweiten "Karriere" als Drogendealer und wird erneut ausgeraubt. Seine Motivationen bleiben vollständig im Unklaren; er hat angeblich ein Drehbuch geschrieben, aber man vermag diesem Mann so etwas nicht zuzutrauen, weil er von seinem Erfinder kein Leben eingehaucht bekam. Das überrascht, weil Price betonte, dass sein Leben ähnlich hätte verlaufen können wie das von Cash. Dieser findet sich am Ende des Romans in einem neuen Club seines Chefs in Atlantic City wieder. So aufregend ist das nicht. Und die von vielen Lesern attestierte gute Beobachtungsgabe des Autors erschöpft sich zumeist in Ausdünstungen einer Pseudo-Coolness, die man in ihrer Derangiertheit fast schon wieder bewundert. Eine besondere Form einer Trauerbewältigung ist ein Zuckerschloss aus Irrsinn. Oder jemand hat Lippen, die sich noch bewegten wie die letzten Zuckungen eines abgeschlagenen Kopfes. Matty ist einmal nach fast 24 Stunden Dienst derart müde, dass er sein Doppelkinn wachsen fühlte und Ikes Vater sitzt sabbernd vor Konzentration vor ihm. Und Eric Cash konstatiert: Alle Menschen in dieser Stadt sind Gaffer…und ich bin der Autounfall. Da helfen auch die ein bisschen auf Provokation gebürsteten Anti-PC-Äußerungen der Cops nicht weiter, etwa wenn sie einen jüdischen New Yorker fragen, warum er, wenn es ihm in der Stadt nicht gefällt, nicht besser nach Israel zurückgehe oder wenn Zeugen gefragt werden, ob jemand schwarz- oder latino-englisch gesprochen habe. Das kommt alles ein bisschen schlüssellochhaft daher, als sollte uns die raue Wirklichkeit der Tabuverletzungen auf dem Silbertablett serviert werden. Daneben gibt es auch kleine Ungereimtheiten. Warum kann sich beispielsweise der beim Überfall sturzbetrunkene und unkontrolliert vomitierende Steve an die einzelnen Abläufe so gut erinnern? Und warum wird zu Beginn als unmittelbarer Vorgesetzter von Matty ein Lieutenant Carmody eingeführt, der im Verlauf des ganzen Buches dann keine Rolle mehr spielt und auch in der Vorgesetztenhierarchie nicht mehr auftaucht? Es bleibt ein Rätsel, wie Kritiker hier eine Verwandtschaft zu Scott Fitzgerald feststellen oder auf die großen Großstadtromane der Moderne à la "Manhattan Transfer" rekurrieren. Am ehesten kam mir Hubert Selbys "Letzte Ausfahrt Brooklyn" in den Sinn. Aber Selbys Buch - natürlich kein Krimi - erzählt das Milieu nicht nur sehr viel treffender, er schafft es auch, die Brüche innerhalb der Protagonisten herauszustellen, ohne diese damit zu denunzieren. Selbys Buch ist große Literatur. "Cash" dagegen höchstens mittelmäßiges Lesefutter. Gregor Keuschnig
Die
kursiv gesetzten Stellen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. |
Richard Price |
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