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Friedels seltsame Freundschaft mit Teddie

Der Briefwechsel Adorno-Kracauer als ein doppelter Lebensroman gelesen

Von Wolfram Schütte

»Mit einem Genie bleibt man nicht befreundet. Genies haben den Mut, nackt auf die Straße zu laufen. Dieser Mut paart sich mit einem bestimmten Charakter. Nur ihr Werk geht sie etwas an, nichts und niemand sonst.« Antonin Liehm

»Wer in einer Liebesbeziehung mehr liebt als der andere, ist dessen Opfer.« R.W.Fassbinder

I. Das Mündel will Vormund werden
Als alles vorbei war - »Friedel« tot (1966) und »Teddie« gestorben (1968) -, schrieb Friedels Frau, Lili Kracauer, in New York an Leo Löwenthal, den allen drei seit ihren gemeinsamen Frankfurter Tagen zu Beginn des Jahrhunderts vertrauten Freund, nach San Francisco am 1. 12. 1969: »Seltsam ist es, wie stark die Freundschaft zwischen Friedel und Teddie durch eine so lange Strecke stand hielt. Sie wurde nicht durch die doch großen und tiefen Gegensätze des Denkens und der daraus resultierenden Gedanken gestört, trotz intensivster Diskussionen über diese Gegensätze«.

Das ist ein großes, souveränes und doch auch noch im Erstaunen rätselndes Schlusswort für eine Freundschaft, deren prekäre Innenansicht, sofern sie brieflich erhalten ist, nun erstmals vollständig den Nachlesern auf den 772 Seiten des Briefwechsels von Theodor Wiesengrund-Adorno und Siegfried Kracauer unter dem Titel »Der Riß geht auch durch mich« vorliegt. Zahlreiche Illustrationen & Faksimiles beschwören die Aura der authentischen Zeugnisse.

Der Herausgeber Wolfgang Schopf hat die 269 Briefe und Postkarten, die zwischen beiden gewechselt wurden (& erhalten sind!), akribisch kommentiert und nicht selten sehr gewitzt entschlüsselt (& manchmal auch ironisch kommentiert), so dass für den wissbegierigen Leser keine Wünsche offen bleiben und alle Anspielungen und Verweise, die zwischen den einander vertrauten Briefpartnern ausgetauscht wurden, erkundet und zur Parallellektüre empfohlen sind.

Stefan Müller-Doohm hatte schon in seiner Adorno-Biografie (2003) in großen Zügen das eigenartige Verhältnis der beiden Frankfurter Kultur- & Gesellschaftsphilosophen dargestellt, so dass es bekannt ist. Zitieren durfte Müller-Doohm jedoch die Briefe nur auszugsweise, um nicht der jetzt erschienenen Gesamt-Edition vorzugreifen. Aber es sind ohnehin »zwei Paar Schuh´« (wie man in Frankfurt sagt), ob man einen Briefwechsel referiert bekommt oder ob man sich nun anhand der authentischen Briefzeugnisse seinen eigenen Reim auf das zwischen den beiden Freunden & Kontrahenten 1918 entstandene und bis zu Kracauers Tod 1966 durchgehaltene Verhältnis machen muss (& sollte).

Denn schwankend, bedenklich, bis zum Zerreißen gespannt war die lebenslange, immer wieder brieflich versicherte Freundschaft Friedels mit Teddie et vice versa von Anfang an & bis zuletzt, weil sich nicht nur ihre Lebenswege, sondern auch ihre geistigen Entwicklungen trennten, seit der 14 Jahre ältere Kracauer, aus einer kleinbürgerlichen assimilierten jüdischen Familie stammend, Ende 1918 den fünfzehnjährigen Gymnasiasten Teddie kennen gelernt hatte, der aus einer großbürgerlichen Weinhändler-Familie stammte und als früh erkanntes Wunderkind weniger im Schatten des jüdischen Vaters Oscar Wiesengrund, als unter den beflügelnden Fittichen seiner italienischen Mutter, der Sängerin Maria Adorno, und deren Schwester Agathe aufwuchs, die seine musikalischen und intellektuellen Anlagen förderten. Das tat erst recht der in unsicheren ökonomischen und beruflichen Verhältnissen lebende »Friedel«, der mit dem bewundernswerten, hübschen Teddie Samstags regelmäßig Kant, Hegel, Nietzsche und Kierkegaard las und sich wohl buchstäblich in den Jungen verliebte und mit ihm gemeinsame Ausflüge in die Umgebung Frankfurts unternahm. 

Die Ausgangslage: 14 Jahre Differenz
Das Frankfurter Idyll von Mentor und Schüler - zu deren Bekanntenkreis auch Walter Benjamin, Max Horkheimer, Leo Löwenthal und Ernst Bloch gehörte - ging aber unwiderruflich zuende, als Teddie nach seiner Promotion 1925/26 nach Wien wechselte, um bei Alban Berg Komposition zu studieren. Aber erst nach seinem Scheitern als Komponist erkannte Adorno seine wahre Berufung. Es war die des literarisch anspruchsvollen kultur- und musikkritischen Essayisten und Sozialphilosophen. Seine Habilitation 1931 in Frankfurt wies auf eine akademische Karriere hin, die 1933 zunichte wurde, die er aber, als produktivster Autor im Rahmen des »Instituts für Sozialforschung«, erst so recht öffentlich entfaltete, nachdem er 1949 aus der amerikanischen Emigration auf einen Lehrstuhl der Frankfurter Universität zurückgekehrt war. Binnen weniger Jahre wurde TWA zum bekanntesten und einflussreichsten (& stil-,  resp.denkprägenden) Linksintellektuellen der Bundesrepublik.

Kracauer war 1922 Feuilleton-Redakteur der »Frankfurter Zeitung« geworden, für die er 1930/33 in Berlin arbeitete. In der FZ publizierte er nicht nur die Freunde Benjamin, Bloch und gelegentlich Adorno, sondern erschrieb sich dort auch als Kultur- und Filmkritiker, der sich den Massenmedien widmete, selbst einen bekannten Namen. Der anstrengenden Redaktionsarbeit gewann er zugleich seine Aufsehen erregende soziologische Studie über »Die Angestellten« ab, wie seinen  unter Pseudonym publizierten autobiografischen Roman »Ginster«. Kracauer war Ende der Zwanziger Jahre auf der Höhe seiner Bekanntheit und Reputation, bevor er - nach dem Reichstagsbrand nach Paris geflohen, von der FZ entlassen - zusammen mit seiner Frau in das lange Dunkel des ökonomisch und existenziell hoch gefährdenden Exils eintrat und im allerletzten Augenblick 1941 dem sicheren Tod nach New York entkam, wo er erst ab 1952 einigermaßen sorgenfrei bis zu seinem Tod leben konnte. 1956 konnte er zum erstenmal wieder Europa besuchen und nach Deutschland kommen, wo er Teddie gerührt in Frankfurt besuchte, mit dem er sich dann noch einmal 1960 in der Schweiz traf, wo es zu der oft von Friedel brieflich erwünschten »Großen Aussprache« gekommen ist. Friedels englisch geschriebenes Gedächtnis-Protokoll wurde in dem Briefwechsel nun erstveröffentlicht; es hält den philosophischen Grunddissens zwischen beiden Freunden fest, der alle ihre Konflikte bestimmte.

                                                                                               »Mein lieber Teddie, mein lieber Freund!
Heute Mittag kam ich an, ganz zerrissen, verhüllt. Nun will ich gleich schreiben. Ich fühlte in diesen beiden Tagen wieder eine solche quälende Liebe zu Dir, dass es mir jetzt so vorkommt, als könne ich allein gar nicht bestehen. Das Dasein ist mir schal, so abgetrennt von Dir, ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. Sagen muss ich Dir noch, dass Dein Bericht von Deinem Verhältnis zu Gretel mich doch tief schmerzte. Nicht dass Du es hattest, nur, dass Du so lange neben mir hergingst, ohne dass ich es wusste. Natürlich, dies soll kein Vorwurf sein, da Diskretion ja auch etwas gilt, aber die Tatsache, dass es so war ist doch schwer zu ertragen.

Mein Zustand ist entsetzlich. Ich fürchte so sehr für die Vergänglichkeit dessen, was mir das Teuerste ist, was mir der Sinn oder die Erfüllung meines Daseins ist. Glaubst Du an die ewige Dauer unserer Freundschaft? (...) Ich zittere um den Bestand, Du bist 19, ich 34, Du biegst ab, Du musst quer durch die Welt, mit 19 kann man nicht für sich garantieren, auch Du nicht. Kurzum, es geht entzwei und ich lieg´ da«.

Mit diesen Eingangszeilen eines verzweifelten Liebesbriefs, den der 34jährige Siegfried Kracauer auf Redaktionspapier der »Frankfurter Zeitung« dem 19jährigen Philosophie-Studenten Theodor Wiesengrund-Adorno am 5. April 1923 schrieb und den sogleich zu vernichten er den Geliebten vergeblich bat, beginnt die erhaltene Korrespondenz von Friedel & Teddie, die aufs Intimste zwei Selbstporträts der beiden ungleichen Partner entstehen lässt, wechselseitig in Zuneigung und Abweisung, Annäherung und Entfernung gespiegelt - und ihre Nachleser zu einer Anteil- & Parteinahme provozieren könnte, die einer literarischen Lektüre mehr als einer bloß biografiehistorischen entspricht.  

Die Ouvertüre einer Romankomposition
Denn die Überlieferungslage will es nun, dass Kracauers Liebesbrief vom 5. April 1923 wie eine durchkomponierte Ouvertüre fast schon alle Themen & Motive zitiert, die im Fortschreiten & -schreiben der beiden erzählerisch ausgefaltet werden: in einem psychologischen Lebensroman-in-Briefen, der den Titel »Friedels seltsame Freundschaft mit Teddie« tragen könnte.

Zuerst die Ambivalenz und Gefährdung ihrer emotionalen, »empirischen« und geistigen Beziehung. Dann Kracauers Selbsthass, mit dem er sich als »die Karikatur eines Menschen« und einen »aufgerissenen Schlund« empfindet, und an Teddie bewundert, dass er »vernünftiger«, in »sich beruhend » sei und »mehr Halt« besitze. Auch steckt der leidenschaftliche Brief voller Zitate, Winke und Anspielungen, wie sie unter einander literarisch Vertrauten zur geheimen Kommunikation üblich sind, die der gewitzte Herausgeber Wolfgang Schopf nun Adalbert Stifter, Stefan George, Heinrich Heine und Gustav Mahler zuschreiben kann: - Autoren, die in Adornos späterem musikalischen und schriftstellerischem Oeuvre wiederkehren. Und schließlich taucht hier schon »Gretel« auf - Gretel Karplus, Adornos langjährige Freundin, die er schließlich 1937 in der Emigration heiraten wird.

Kracauers erste Ahnung eines unausweichlichen Verlustes präludiert aber zugleich das Ende einer homoerotischen Nähe, die von seiner Seite wesentlich enger gemeint und erwünscht war, als von dem experimentierfreudigen Adorno, der sich fern der Heimat »ins richtige Leben« an der Seite eines »richtigen Menschen« begibt: seines Kompositionslehrers Alban Berg. Von ihm berichtet er: »Immerhin hatte ich die Freude, dass Berg meine Sachen sofort verstand, die Begabung und das Können anerkannte und (...) eine ungemein ernste und intensive Entwicklung konstatierte. (...) Ich habe also endlich für meine Musik Resonanz und Kritik«.

Das konnte dem jungen Frankfurter Komponisten in spe der unmusikalische Kracauer nicht bieten; erst recht nicht die Bekanntschaft mit den Großen der Wiener Schule, mit denen der bezaubernde junge Mann bald ganz selbstverständlich verkehrt - vor allem aber, sich in einen Reigen von amourösen Abenteuern im Schnitzlerschen Wien stürzt, von deren Auf- & Abs er dem frustrierten »Friedel« in verklausulierten Briefen berichtet. Wenn Teddie überhaupt schreibt und nicht öfters länger schweigt. Die Trennung mit ihren hochgestochenen Heimlichkeiten & Verschwiegenheiten, unausbleiblichen Missverständnissen, verfehlten Briefen und gegenseitigen verbalen Verletzungen treibt einer Krise zu, die Teddie, um die ihm teure Freundschaft zu retten, zu gewagten Behauptungen verführt, die jedoch bis in sein Alter gelten werden, z.B.: »dass meine Art zu lieben Frauen in Realität nicht trifft. (...) Ich glaube auch von mir selbst nun, dass die Spiritualität mich derart durchdringt, dass ich (...) in Relationen, wie sie zu Frauen bestehen, nicht aufgehe. (...) Ja heute scheint es mir fast, als sei die erotische Bewegtheit meiner letzten Jahre mehr aus der Angst gekommen, alle Natur zu verlieren, als aus Natur selbst«.

Er ist sogar bereit, sich von Gretel zu trennen; aber Kracauer, der mit seiner »Natur« mehr zu kämpfen hat, als der in Wien erotisch mit sich experimentierende Teddie ahnt, wehrt dessen Drängen zu einer »Versöhnungsreise« ab: »Bei uns empfinde ich eine kürzere Trennung als Gelegenheit zur Selbstbesinnung (...). Jedenfalls erfahre ich jetzt immer, wenn ich an Dich denke (...), die Unzerstörbarkeit unserer Beziehung; ich erfahre sie sehr rein und bin darum gewillter als je, die Widerstände der Empirie zu überwinden, die für mich größer sind, als Du vielleicht auch nur ahnst. Ob es gelingt, ca dépend; los werden wir uns vermutlich leider nicht«.

Das sind sie dann auch nicht. Das »leider« meint & präludiert das Leiden, das die schmerzvolle Freundschaft Friedel schaffen wird. Auf Adornos inständiges Drängen machen sie noch einmal eine Italienreise, deren gemeinsame Erinnerung Teddie, als er im Oktober 1966 zum erstenmal wieder in Neapel ist, mit einer Ansichtskarte an den bereits todkranken Friedel in New York beschwört: So wird  aus einer biographischen Koinzidenz eine epische Verknüpfung im Korrespondenzsystem des Brief-Romans.

Aber der »empirische« Teil ihrer Liebes-Beziehung ist 1926 beendet. Im gleichen Jahr lernt Kracauer seine künftige Frau Lili Ehrenreich kennen und hat sich, wie Thomas Mann das nannte, von nun an »eine Verfassung« gegeben, die 1930 ehelich besiegelt wird. Teddie aber wird bald darauf mit Gretel im Urlaub, wie einst mit Friedel am Samstag, Kant lesen - und ihm von seiner gelehrigen Schülerin berichten.

Dem jungen Genie wird (vergeblich) der Kopf gewaschen
Während Kracauer durch seine vielfältigen Arbeiten in der FZ eine unübersehbare kulturkritische Präsenz und Prominenz in der literarischen Öffentlichkeit zuwuchs, musste er dem als Komponist in Wien gescheiterten Teddie, der nun die Kunst in Bausch und Bogen verwirft,  brieflich den radikalisierten Kopf waschen und zurechtrücken: «Du schreibst (...), Du seist traurig und leer aus Wien fortgegangen; es komme auf das richtige Leben an. (...) Dabei  ist Dir de facto doch weder die Kunst noch der Künstler verächtlich und dass das >richtige Leben< die künstlerische Leistung ausschließe, glaubst Du selber nicht. (...) Aus Gründen der Revolution würde ich also an Deiner Stelle der Kunst als solcher keine Absage erteilen, und der Zerfall der Werke ist nur die eine Seite ihres Geschicks. Es hat (...) noch eine gute Weile, bis der Kehrichtmann kommt. (...) Fast meine ich, Du nähmest hier (wie ja auch auf erotischem Gebiet) einen doppelseitigen Standpunkt ein, um nur ja überall zu stehen«.

Blitzhaft wird in dieser spitzen Kracauerschen Bemerkung aus dem Jahre 1927 das ganze spätere Konfliktfeld erleuchtet, auf dem sie sich von da an offen oder verdeckt brieflich bekämpfen werden. Dabei ist es höchst erstaunlich, dass der scheue, enttäuschte Liebhaber das »erotische Gebiet« noch einmal erwähnt und es sogar mit Adornos geistiger Haltung parallelisiert und diese unmissverständlich als egozentrisch kritisiert. Zugleich weist Kracauer aber schon zwei Jahrzehnte vor dem vielzitierten Merksatz aus den »Minima Moralia«, wonach es »kein richtiges Leben im falschen« gebe, die »adornitische« Entgegensetzung von Kunst & Leben als falsch zurück. Aber dass sowohl der »Zerfall der Werke« - ein Topos des Hegelianers Adorno - nicht alles an ihnen sei, als auch die Revolution auf sich warten lasse, wird Kracauer seither den Vorwurf  Teddies eintragen, nicht radikal genug zu sein und zu denken. Vor allem nachdem Adorno sich als orthodoxer Marxist eng mit Max Horkheimer und dem Frankfurter »Institut für Sozialforschung« liiert hat und sein »Ecrasez l´infame« der Bourgeoisie gilt, wird er mit seinem Zauberfetisch,  der Allzweckwaffe »Dialektik«, gegen Kracauers angeblich versöhnlerischen Opportunismus auftrumpfen.

Kracauer nicht nur, sondern auch Benjamin und Bloch - seine zwei anderen Freunde & engen Bekannten - sind schon weithin »bunte Hunde« im intellektuellen Leben der Weimarer Republik, während Teddie noch als Musikkritiker nur am Rande einen Namen hat. Das soll sich ändern: mit seinem Start in eine akademische Karriere, die er mit seiner Frankfurter Habilitation über »Kierkegaards Konstruktion des Ästhetischen« betreibt und deren Programm eines philosophischen Essayismus - der vor allem »im Medium der Sprache etwas zustande bringt«, das literarischen Ansprüchen »standhält« - der brillante »Privatdozent«  mit seiner vielbeachteten Antrittsvorlesung 1931 skizziert.

Während Teddie noch, in feudaler Hotel-Klausur im Frankfurt nahen Kronberg (wo auch Horkheimer wohnte), an dem philosophisch-literarischen Paukenschlag schreibt, dessen Druckfassung er Kracauer widmen wird, unterzeichnet das 27jährige Junggenie erstmals einen Brief an den 41jährigen Kracauer mit »Dein alter Teddie«; und das Resümee, in dem er seine Lektüre-Eindrücke von Kracauers »Angestellten« zusammenfasst, ist denn auch von einer altklugen, verletzenden, schulmeisterlichen Gönnerhaftigkeit: »Die Angestellten habe ich mittlerweile gelesen mit großer Freude, es ist sehr substanziell und dabei von einer sehr guten realen Haltung, auch schriftstellerisch durchwegs sehr respektabel und in der Gruppierung zumal der Zitate erstaunlich. (...) Zu fragen wäre (...), ob zwischen der Form der prima vista Improvisation, der apriorischen Erfahrung von den Dingen, und dem dokumentarisch fundierten Verfahren immer die rechte Beziehung gefunden (sei)«.

In seiner Antwort zeigt sich Kracauer »sehr gespannt auf die Kierkegaard-Arbeit«, und fügt einen Stoßseufzer hinzu, den viele spätere Adorno-Leser wiederholt haben: »Wenn das alles nur nicht wieder so schwer geschrieben ist«. Aber dann geht er auf das ceterum censeo seines ehemaligen Mündels ein, das von nun an sein Vormund sein will und ihm mangelnde philosophische Systematik und fehlende Durcharbeit der gesellschaftlichen Dialektik vorhalten wird.

Mit Marx & Lenin und einem Maschinengewehr kleinster Intuitionen
Deshalb fährt Kracauer in seiner brieflichen Antwort - um seiner geistigen Selbstbehauptung willen - schweres Geschütz mit Adornos damaligen »Hausheiligen« auf. Er »halte die Arbeit methodologisch insofern für sehr wichtig, als sie eine neue Art der Aussage konstituiert (..), die nicht etwa zwischen allgemeiner Theorie und spezieller Praxis jongliert, sondern eine eigen strukturierte Betrachtung darstellt. Wenn Du willst, ist sie ein Beispiel für materiale Dialektik. Analoge Fälle sind die Situationsanalysen von Marx und Lenin, die sich aber noch mehr auf den Marxismus verlassen, als wir es heute können, und (...) nur daher den Anschein größerer Strenge erwecken. Dort ist die Dialektik noch der letzte Ausläufer der Totalitätsphilosophie, während ich sie von dieser Rückversicherung ablösen möchte und sie für ein Maschinengewehr von kleinsten Intuitionen halte. Dass ich dabei das Abstrakte, Verbindende bis zu einem gewissen theoretisch nicht ausmachbaren Grade gelten lasse, weißt Du ja«.

Um wie viel früher & weitsichtiger Kracauer mit seinem »Maschinengewehr von kleinsten Intuitionen« die politische Situation in Deutschland zu treffen vermochte, als der ahnungslose, vermeintlich politisch radikalere, aber taktisch opportunistische Adorno, der noch nach der Nazi-Machtergreifung auf eine Redakteursstelle in einer Berliner Zeitung spekulierte, offenbart nicht nur dessen Aufforderung am 15. April 1933, der nach dem Reichstagsbrand nach Paris geflüchtete Friedel solle »nach Deutschland zurückkommen. Es herrscht völlige Ruhe und Ordnung; ich glaube die Verhältnisse werden sich konsolidieren«.

Dabei hatte ihm Friedel bereits 1930, während eines Ferienaufenthalts in Frankreich, seine prophetische Einschätzung der deutschen Zukunft übermittelt, die 1933 unübersehbar begonnen hatte: »Die Lage in Deutschland ist mehr als ernst (...) Es waltet ein Verhängnis über diesem Land und ich weiß genau, dass es nicht nur der Kapitalismus ist. Dass dieser so bestialisch werden kann, hat keineswegs ökonomische Gründe allein. (Wie sollte ich sie formulieren können? Ich bemerke nur immer wieder in Frankreich, an dem es doch gewiss viel zu kritisieren gibt, was alles bei uns zerstört ist: der primitive Anstand, die ganze gute Natur und mit ihr jedes Vertrauen der Menschen ineinander). Da aber bei uns eine Revolution nicht, wie in Russland vielleicht, ein unverbrauchtes >Volk< ankurbeln würde, glaube ich auch nicht an die Heilkräfte des Umsturzes. Ich erkenne nur ein allgemeines Schlamassel und beinahe wäre mir am liebsten, es könnte noch so weitergewurstelt werden.«

II. Der »Warenschriftsteller« & der »wahre Schriftsteller«
»Durchwursteln« in jeder Hinsicht mussten sich aber Friedel und Lili Kracauer, nachdem die »Frankfurter Zeitung« ihrem kurzzeitigen Frankreich-Korrespondenten schon 1933 gekündigt und er fortan keine feste Anstellung mehr hatte. Zwar bot ihm, auf Teddies Betreiben, das von Horkheimer erst nach Genf und später in die USA transferierte Frankfurter »Institut für Sozialforschung«, dessen Mitglied Adorno 1938 wurde, als er mit Gretel in die USA emigrierte, einen dotierten Forschungsauftrag zur »Faschistischen Propaganda« an. Aber das reichte nicht zum Lebensunterhalt. Zugleich arbeitete Kracauer deshalb fieberhaft  für einen französischen Verlag an seiner »Gesellschaftsbiographie» über »Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit«.

Adorno pendelt währenddessen zwischen Oxford, Paris, Frankfurt a.M. und Berlin, bis Gretel ihre ererbte Handschuhfabrik verkaufen konnte.
Als Kracauer ihm 1937 nach Oxford, wo Adorno zeitweilig eine Dozentur hatte, den »Offenbach« schickt, beginnt der Beschenkte seinen Dankesbrief mit der Versicherung, dass das Buch ihm »eine große Freude gewesen« sei. Was dem formellen Dank aber über viele Seiten dann folgt, entspricht eher der »Freude« eines »Kannibalen, der sich liebevoll einen Säugling zurüstet«, wie Walter Benjamin einmal das polemische Handwerk in ein Sprachbild fasste. Es ist ein triumphalistischer Verriss von A bis Z, in dem Kracauer mangelnde Dialektik, musikalische Ignoranz, Kritiklosigkeit, politischer Konformismus, Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut, Altherrenhumor und eine »furchtbare Menschenverachtung« vorgeworfen wird. Adorno unterzeichnet seine verletzende Abrechnung der Galeerenarbeit des mittellosen Freundes mit einer Schlussformel, die einer Drohung gleicht: »Immer Dein Teddie«.

Kracauer bleibt kühl, aber unmissverständlich souverän gegenüber seinem gnadenlosen Freund: »Lieber Teddie, aus der Kenntnis Deiner Haltung heraus habe ich genau diese Kritik von Dir erwartet. Sie mag Dir vernichtend erscheinen; bestimmt ist sie töricht. (...) Ich nenne Deine Kritik töricht, weil sie auf Grund einer fixen, mir gewiss vertrauten Einstellung die materiellen Gehalte meines Buches teils verfälscht, teils übersieht. (...) Hast Du gründlich gelesen, so hat Dich offenbar eine noch gründlichere Befangenheit daran gehindert, das Gelesene zu erfassen. Ich kann mir eine solche Verblendung nur als Wirkung unkontrollierter Reaktionen erklären, die ihrerseits durch den Umstand hervorgerufen sein mögen, dass meine Darstellung (...) nicht von den Dir geläufigen Kategorien her erfolgt. (...) Dass Du aus meinem bewusst in der Immanenz der bürgerlichen Gesellschaft bleibenden Verfahren schließen zu können glaubst, ich sei mit der betreffenden Gesellschaft einverstanden, macht Deine Torheit nur völlig manifest und diskreditiert nachträglich noch einmal Deine Kritik. (...) In alter Herzlichkeit, quand meme, Dein Friedel«

Teddie schreitet zur Totaloperation an Friedels Text
Der am längeren Hebel des »Instituts« sitzende »liebe Teddie« macht in dessen Zeitschrift - ohne dass es dafür eine zwingende Notwendigkeit gegeben hätte - seine Kritik an Kracauers »Offenbach« publik, anstatt es bei der brieflichen Kontroverse zu belassen. Und als Kracauers umfangreiche Studie zur »Faschistischen Propaganda« 1938 aus »zeitschriftentaktischen Erwägungen«, wie Adorno dem in Paris immer noch festsitzenden Freund schreibt, radikal gekürzt werden soll, um in der »Zeitschrift für Sozialforschung« erschienen zu können, macht sich Adorno an die von ihm zurecht so genannte »Operation«.

Es wird eine »Totaloperation«, in deren Ergebnis und Publikation der empörte Kracauer nicht einwilligen kann:»Mit dem größten Erstaunen habe ich festgestellt, dass Du nicht etwa skrupulös darauf bedacht bist, in Deiner Fassung meinen Originaltext zu erhalten, sondern im Gegenteil, meinen Text durch eine Menge eigener Zutaten verdrängst. Innerhalb der schon um Vierfünftel gekürzten Fassung sprichst immer wieder Du selber (...) Kaum ein Satz von mir, der genau reproduziert wäre; die meisten sind bis zur Unkenntlichkeit zerrupft, ausgeweidet, verändert. Ich muss Dir gestehen, das mir eine Bearbeitung, die so jedem legitimen Usus zuwiderläuft, in meiner ganzen literarischen Laufbahn nicht zu Gesicht gekommen ist; geschweige denn, dass ich persönlich in meiner Praxis einem fremden Text je derart mitgespielt hätte«.

Adorno fühlt sich von Kracauer nicht gerecht beurteilt: »Ich habe nicht willkürlich mit Deinem Text geschaltet, sondern versucht, ihn im Sinne der dezidierten theoretischen Haltung, die hinter der Zeitschrift steht, umzuformulieren«. Das trifft insofern zu, als Adorno gegenüber Horkheimer in einem »Gutachten« über Kracauers Arbeit dekretiert hatte (und der natürlich davon nichts wusste), »dass Kracauer weder seine theoretischen Haltung nach verbindlich zu uns gehört, noch seiner Arbeitsmethode nach als wissenschaftlicher Schriftsteller überhaupt rangiert. (...) Kracauer hat offenbar in dieser Arbeit mit einer großen und gewaltsamen Anstrengung, die ich ihm hoch anrechne, versucht, sich aus der Sphäre der Warenschriftstellerei herauszuarbeiten, der das Offenbachbuch angehört«.

Zwar gelingt es im allerletzten Augenblick, Friedel und Lili 1941 die Flucht vor dem sicheren Tod nach New York zu ermöglichen; aber es waren Leo Löwenthal und seine Frau, die den Kracauers die dafür notwendigen Hilfen gaben - nicht Teddie, der noch im gleichen Jahr zu Horkheimer nach Los Angeles zieht. Kracauer hält sich fortan durch immer wieder zu erneuernde Stipendien und Aufträge von Fall zu Fall  mühsam über Wasser, verfasst seine große Untersuchung »Von Caligari zu Hitler« auf Englisch, während Teddie mit Hanns Eisler ein Buch über »Filmmusik« & mit Horkheimer die »Dialektik der Aufklärung« schreibt, die Horkheimer gewidmeten »Minima Moralia« aber allein verfasst.

Nach der transkontinentalen Trennung, die Teddie mit Haus & Wagen in Los Angeles und im Kreis der prominenten deutschen Emigranten rund um Thomas Mann auf der »Sunny side of the street« verbringt und die beiden Kracauers in bescheidenen Verhältnissen in New York leben, bleiben die ehemaligen Frankfurter Freunde nur in spärlichem Brief-Kontakt. 

Das Graubündner »Gipfelgespräch«  
Erst mit Adornos Rückkehr nach Frankfurt am Main 1949 kommt der Briefwechsel wieder in Gang; und auf Kracauers erster Europareise 1956 sehen sie sich in Frankfurt gerührt wieder. Während aber der gesundheitlich angeschlagene Friedel skrupulös und langsam an seiner »Filmtheorie« und seinem Fragment gebliebenen »Geschichtsbuch« laboriert, wird er buchstäblich überschwemmt von den kontinuierlich mit herzlichen Widmungen versehenen Zeugnissen der immensen schriftstellerischen Produktion, die Teddie, wie er immer wieder schreibt, in den Fünfziger und Sechziger Jahren »unter Dach und Fach gebracht« hat. Der »liebe Friedel», dem sein »alter Teddie« Bücher & Aufsätze en masse über den Atlantik schickt, kommt gar nicht nach mit der erwünschten Lektüre, während Teddie, das wenige, das ihm von Friedel unter die Augen kommt, gar nicht erst liest, geschweige denn kommentiert.

Einmal aber treffen sie sich 1960 in einem Hotel in Graubünden zu der vielfach von Kracauer ersehnten »großen Aussprache« über ihre grundsätzlichen geistigen Differenzen. Kracauer hat dieses intime geistige Gipfelgespräch in einem mehrseitigen englisch geschriebenen Gedächtnis-Protokoll aus seiner Sicht dokumentiert. Es enthält in nuce den Kern aller ihrer brieflich ausgetragenen Konflikte. Kracauer, der u.a. wiederholt Adornos Tabuisierung der Ontologie, als einem realen Ausgangs- oder Endpunkt der Immanenzdialektik, kritisiert und ihm sogar das verstörende Geständnis entlockt, schon Aristoteles sei von der »bürgerlichen Tauschgesellschaft« kontaminiert gewesen, die Adornos rotes Tuch ist, beschließt seinen »Talk with Teddie« (in meiner  Übersetzung) mit folgenden Zeilen: »Alles, was existiert, existiert nur, um in dem dialektischen Prozess verschlungen zu werden, den Teddie weiter & weitertreibt wegen seines Mangels an Substanz, an Weitblick. Für ihn ist die Dialektik ein Mittel, um seine Überlegenheit über alle vorstellbare Meinungen, Gesichtspunkte, Entwicklungen, Ereignisse aufrechtzuerhalten, in dem er sie auflöst, verurteilt oder wieder errettet - wie es ihm passt. So etabliert er sich als Meister und Kontrolleur einer Welt, die er niemals in sich aufgenommen hat. Denn hätte er auch nur Ausschnitte von ihr absorbiert, würde seine Dialektik irgendwo zu einem Stillstand kommen. So wie es nun mal (bei ihm) ist, reflektiert (sein Denken), soziologisch gesprochen, eine Welt ohne Glaubensätze oder Bindungen«

Mag in Kracauers negativem Resümee von Adornos totalisierter Dialektik auch die leidvolle persönliche Erfahrung von deren Opfer eingegangen sein, so kritisiert doch Friedels realitätsgesättigte, konkrete Lebenserfahrung und seine gesellschaftspolitische Intention, qua Utopie oder Vision in den Lauf der Welt einzugreifen, die reale gesellschaftliche Erfahrungsarmut Teddies und dessen selbstläuferischen dialektischen Furor. In einem Brief aus dem gleichen Jahr an Löwenthal bringt Kracauer seine Kritik politisch auf den Punkt, wenn er schreibt: »Ich kenne kein anderes Beispiel von scheinbar eingreifender Kritik, die so wenig Greifkraft hat. Es bleibt am Ende alles beim Alten, und im Grunde fühlt er sich recht wohl dabei. (Verschließe dies in Deinem Herzen: es wäre auch zu spät jetzt, Teddie ändern zu wollen)«. Aber auch schon Benjamin, erinnert er sich während der Niederschrift seines Resümees, habe von Teddie behauptet: Er greift nach allem, was er hört und gesagt bekommt, verdaut es mit allen seinen Konsequenzen - und übernimmt es dann.

Aber Friedels Erfahrungen mit der unersättlichen Verschlingungsfähigkeit Teddies waren mit dieser (folgenlosen) Aussprache nicht zuende. Adorno hatte schon 1955 durch eine zweibändige Werkausgabe bei Suhrkamp für die  triumphale geistige Rückkehr des von beiden bewunderten Walter Benjamin nach Deutschland gesorgt - Benjamin, den »der liebe Teddie« ähnlich rigide wie Friedel brieflich diszipliniert und auf die geistespolitische Linie des »Instituts für Sozialforschung«, als dessen bissiger Rottweiler er in den späten Dreißiger Jahren fungierte, gebracht hatte.

Adorno, der in Benjamin den Stilisten und Schriftsteller bewunderte, dem er selbst nacheiferte, hatte aber auch zugleich versucht, durch seine begleitende Interpretation die Benjamin-Rezeption zu steuern: im Lichte seiner eigenen philosophischen Illumination. Er wird bei dem von ihm vermittelten Wiedereintritt Kracauers in das Nachkriegsdeutschland ebenfalls als dialektischer Türsteher zur Stelle sein, der dem Frankfurter Freund den Platz anweist, den er nach Teddies kritischer Prüfung im Pantheon Adornos einnehmen darf.

Friedel hatte dem gerade nach Frankfurt in Amt und Ehren zurückgekehrten Teddie in einem Brief von 1950 vom glücklichen »Wühlen in der Vergangenheit« berichtet, als er in zwei Kisten sowohl viele Manuskripte Teddies fand, als auch eine Kopie seines zweiten Romans (»Georg»), »dessen Manuskript Thomas Mann seinerzeit in Holland untergebracht hatte« und viele »meiner besten Straßenaufsätze, die ihre alte Frische bewahrt haben und ein Titel wie >Straßen im alten Europa< wäre vielleicht eine Lockung«. Der Brief wirkt wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. 

Endspiel oder Die letzte Briefschlacht
Aber erst 12 Jahre später hat sich Adorno für die Neupublikation von Kracauers FZ-Essays bei dem Suhrkamp-Verleger Unseld eingesetzt und Friedel gegenüber darauf bestanden, dass dieser seine englische »Theorie des Films» selbst ins Deutsche übersetzt, »weil ich nicht von dem Glauben ablassen kann, dass man im Ernst und mit ganzer Verantwortlichkeit nur in der Sprache sich auszudrücken vermag, in der, wie sehr auch immer verschüttet, alle Assoziationen der Kindheit bereit liegen«.

Kracauer, der diese Arbeit auch scheut, weil sie ihm dringend erforderliche Zeit für seine anderen Tätigkeiten wegnimmt (& ihm das Englische mittlerweile so geläufig ist wie das Deutsche), sträubt sich (vergeblich) mit dem Argument, Adornos Glaube gelte gewiss für bestimmte Genres der Literatur, »aber bestimmt nicht für Werke (...) der eigensten Gedanken, der Theorie.(...) Mein Stilideal ist, dass Sprache in der Sache verschwindet wie der chinesische Maler im Bild«. Und dem Freund Leo Löwenthal vertraut er, »unter uns gesagt« an, er wolle damit nicht sagen, »dass Teddies >eigenste< Prosa übersetzbar ist oder sich gut macht, wenn sie übersetzt wird. In fact, why shouldn´t it have been possible to Freud to express himself in English?«

Der Streit zwischen dem »Warenschriftsteller« und dem »wahren Schriftsteller« war aber nur ein Vorspiel zu dem zweiteiligen Endspiel, das drei Jahre später folgen sollte. Als der überglückliche Kracauer, der mit dem von Adorno vorgeschlagenen Titel »Ornament der Masse« erstmals wieder eine repräsentative Auswahl seiner ihm liebsten und wichtigsten Essays versammelt sieht, das broschierte Buch »Theodor W. Adorno« widmet, dankt ihm Teddie »von ganzem Herzen« für die »einfach(e) und menschenwürdig(e) Widmung« - was auch immer damit gesagt sein sollte.

Sogleich aber verhindert der Geehrte, indem er Unseld vorschiebt, der´s Friedel mitteilt, dass nun aufgrund der Widmung für TWA Kracauers 1932 für die FZ zwar geschriebene und Adorno bekannte, aber bislang ungedruckte Rezension von dessen "Kierkegaard"-Buch endlich erscheinen kann: »Welch ein Triumph über die Zeit und die Zeitung!« hatte Friedel gejubelt, der nun kaltblütig von Teddie um das früheste öffentliche Zeugnis & Zeichen ihrer (kritischen) Freundschaft gebracht wird. (Denn der »Kierkegaard« war ihm ja gewidmet!).

Als »der liebe Teddie« dann 1964 - zu Kracauers 75. Geburtstag, den Friedel mit panischer Angst zu verschweigen bat -, dem fast Vergessenen ein einstündiges Porträt im Hessischen Rundfunk widmete, war der alte Freund gerührt und begeistert. Er wollte sogar versuchen, den UKW-Beitrag des HR in New York zu hören. Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, ihm eine Abschrift des Textes zu schicken, was Teddie aber wohlweislich unterließ.

Naphta & Settembrini ohne Zauberberg
Nachdem Friedel, erst ein dreiviertel Jahr später, dann den schon von Adorno zum Druck gegebenen Text vor Augen bekommen hatte, erkannte er darin nicht nur zahlreiche »faktische Unrichtigkeiten«, sondern auch Adornos eigenwillige Porträtierung. Sofort schreibt er an den fernen Freund: »Du wirst nicht erwartet haben, dass ich Deiner Interpretation in allen Stücken zustimme. Im Großen und Ganzen, je mehr sie die lange Periode betrifft, in der wir uns ferner gerückt waren - die Periode also, die schon vor der Emigration begann -, umso mehr affiziert mich Deine Auffassung meiner Haltung und, teilweise, meiner Produkte als eine Konstruktion, die tatsächlich aus der Ferne kommt und eher von Deinen eigenen Denkprämissen herrührt als dass sie der gegebenen Materie gerecht würde. Auch hieraus glaube ich schließen zu sollen, dass zumindest ein Teil Deines Kommentars auf die alten ursprünglichen Bejahungen und Ablehnungen zurückzuführen ist.«

Womit er recht hatte. Aber obwohl Adornos spätes Danaergeschenk zum ultimativen der zahlreichen Streitfälle in der Korrespondenz der beiden und zu einem heftigen brieflichen Schlagabtausch führte, der auf beiden Seiten bis ins Kleinlichste sich erstreckte, hat auch diese gegenseitige Verletzung nicht zum Ende einer persönlichen Freundschaft und geistigen Kontroverse geführt, über deren Bestand trotzalledem sich noch Lili Kracauer in ihrem eingangs zitierten Brief an Leo Löwenthal wundert.

Denn ihre geistigen Wege hatten sich früh getrennt - als Adorno, dem »das Ganze das Unwahre« war, in Kracauer einen Gegenpart erkannte, dem Adornos Totalisierung seiner »Negativen Dialektik« im Grunde zu »undialektisch« schien, weil sie - gegen ihren eigenen Anspruch & esprit de corps - im »Unwahren« der Moderne & ihrer Massenmedien (wie dem Film & der Unterhaltungsindustrie) nicht fähig und willens war, die Spuren des »Wahren« wahrzunehmen, um deren Scheidekunst sich Kracauer bemühte - wie auch Ernst Bloch, den Teddie zu dessen 80. Geburtstag 1965 etwas milder behandelte.

Das vor allem von Adorno gnadenlos scharf, aber auch unfair geführte geistige Duell der beiden Frankfurter Intellektuellen, dessen Paukboden ihr Briefwechsel war, liest sich jedoch für einen Nachgeborenen wie ein existenzialistischer Briefroman, in dem sich Naphta und Settembrini bekriegen und dessen ironische Parodie Thomas Mann in seinem »Zauberberg« vorweg geschrieben hat.

Was dieser brieflichen Kriegsführung des »Begrenzten Konflikts« an humanisierender Ironie fehlte, wurde durch eine lebenslange Freundschaft, die höher als alle Vernunft war, wettgemacht. Es war aber Friedel, der bis zuletzt seinen Teddie liebte, bewunderte und stolz auf ihn war - wenn er auch immer häufiger über ihn den Kopf schütteln musste. Und Teddie, der geistig vaterlos aufgewachsen und zu sich selbst gekommen war, hat in dem 14 Jahre älteren Friedel, der ihn philosophisch »erweckt« hatte, bis zuletzt seinen geistigen Vater erkannt, dem er mit jeder seiner Arbeiten beweisen wollte, wie sehr er sich seiner Förderung würdig erwiesen habe, aber auch: dass man - nach einem Aphorismus von Nietzsche - es seinem Lehrer schlecht vergälte, wenn man immer nur sein Schüler bleiben würde.

Wahrscheinlich war es solche väterliche Liebe zum genialen Sohn, die Kracauer die unversiegliche Kraft gab, die Freundschaft, trotz ihrer zahllosen Demütigungen für ihn, bis zum Ende durchzuhalten.

Ob Adorno das je begriffen hat, darf man bezweifeln.
 

Theodor W. Adorno, Siegfried Kracauer
Briefwechsel 1923/1966:
»Der Riß der Welt geht auch durch mich«

Herausgegeben von Wolfgang Schopf
Suhrkamp Verlag Frankfurt a. M.
772 Seiten, zahl. Abb.
32,- €

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