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Nooteboom? Wer is denn ditte?

Ein Kommentar von Thomas Hummitzsch

Gestern war Revolution! Vom Süden bis in den Norden der Republik, von Ost nach West – in Deutschlands Großstädten wurde gestreikt. Und man höre und staune, es wurde für mehr Bildung gestreikt. Es ging einmal nicht um Tariflöhne und Urlaubstage, um Weihnachtszulagen und Wochenendausgleich, nein, es ging um mehr Bildung. Die Streikenden waren diejenigen, auf deren Aufschrei jeder gewartet und den doch niemand erwartet hat. Es waren die Schüler selbst, diese verwahrloste Generation adoleszierender Computerfreaks, die mit Bushido und Sido im Ohr pöbelnd durch die Straßen ziehen und Rentner verprügeln.

Man mag es misslich empfinden oder man mag es begrüßen, aber sie haben eines in ihrem Leben bisher gelernt: Ohne drastische Botschaften kommt nichts an! »Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut« skandierten in Berlin die Schüler, als sie die Bildungsinstitution Humboldt-Universität stürmen. Nun, man mag denken, es ist doch gewiss nicht die Universität, die hier den Diebstahl begeht und man kann die Verwüstungen im Gebäude durchaus kritisieren. Doch wie das Leben manchmal so spielt, die Schüler sollten irgendwie mit ihrem Sturm auf die Bildungsbastille Recht behalten. Im Hauptgebäude polterten sie just in eine Managertagung im Senatssaal, wo sich die selbst erklärte Wirtschaftselite zum Patentschutz an Hochschulen austauschte. Und auch wenn es keine Bankmanager und Spekulanten waren, traf es beim Sturm des Senatssaals genau diejenigen, von denen sich die Schüler »Verraten und Verkauft« (Der Titel einer Ausstellung im Foyer des universitären Hauptgebäudes, die bei den Schülerprotesten zu Schaden kam) fühlten. Nämlich diejenigen, für die sich immer alles rechnen muss. Insbesondere im Bildungsbereich beißt sich da die Katze in den Schwanz, denn zunächst kostet Bildung nur.

Es ist das Diktat der Rentabilität, das Diktat des Kapitals, dem sich die Schüler untergeordnet sehen. Sie haben damit keineswegs Unrecht. Ob in München, Hannover, Dresden oder Berlin, überall wird gespart und den Bildungssektor trifft es wie kaum einen anderen. Während in anderen Bundesländern die Bildungsetats schlicht nicht aufgestockt werden, hat Berlins Finanzsenator Thilo Sarazin – der auch gern mal Rezepte an Hartz-IV-Empfänger austeilt, um deren luxuriöse Situation deutlich zu machen – in den vergangenen Jahren den Rotstift angesetzt und alle Bildungseinrichtungen zum effektiven Sparen aufgefordert. Dabei ist es eine Binsenweisheit – die am Tag der Proteste übrigens auch der Rat der Wirtschaftsweisen wiederholte – dass in diesem Staate mehr Geld in Bildung gesteckt werden muss. Doch statt dies als Chance, als Investition in die Zukunft zu begreifen, beginnt sogleich die postmoderne Leier der Haushaltsbelastungen und Neuverschuldung. Darauf kommt das neoliberale I-Tüpfelchen: Wer gut ist, wird sich schon durchsetzen. Der Rest ist gesellschaftliche Ausschussware. Oder wie es der Soziologe Zygmunt Baumann nennt: »menschlicher Abfall«.

Da es ja nicht ganz ohne die Wirtschaft geht – und das wird jeder aus dem Metier bestätigen – sei hier Folgendes festgehalten: Was jetzt gespart wird, kostet später doppelt und dreifach in den nachholenden Maßnahmen, egal ob die Integrationsinitiativen in den Arbeitsmarkt oder steigende Kosten im polizeilichen und justiziellen Bereich sind. Aber das will in diesem Land offenbar keiner begreifen.

Welche Folgen es haben kann, wenn Bildung zu kurz kommt, wurde jüngst in der Staatsbibliothek in Berlin deutlich. Dort erhielt der niederländische Schriftsteller und Essayist Cees Nooteboom keinen Zutritt zum Lesesaal, weil er keinen Personalausweis dabei hatte. Nun muss nicht jeder Stadtbibliotheksmitarbeiter das Gesicht von Herrn Nooteboom kennen, doch spätestens nach der Vorlage seines Führerscheins – den hatte er nämlich dabei – hätte den Bediensteten doch ein Licht aufgehen müssen. Selbst der dezente Hinweis des Niederländers, seine Werke stünden mit Sicherheit auch in ihrem Haus, veranlasste die Angestellten nicht, ihm den Zugang zu den Büchern zu verschaffen. Die Berliner Staatsbibliothek hat sich tatsächlich die einzigartige Blöße gegeben, den weltberühmten niederländischen Autor unverrichteter Dinge vor die Tür zu komplimentieren – ein bildungspolitischer Skandal in jeder Hinsicht. Denn entweder fehlte es den Angestellten der staatlichen Literaturleasingagentur – als solche scheint man sich zunehmend zu begreifen – an literarischer Bildung, so dass Ihnen die Torheit ihrer »Dienstausübung nach Vorschrift« nicht bewusst wurde oder aber es fehlte schlicht an sozialer Kompetenz, um in einem solchen Fall Vorschrift Vorschrift sein zu lassen und der Situation gemäß vernünftig zu handeln. Doch wo Bildung fehlt, ist es mit der Vernunft nicht weit her.

Es ist daher nur zu begrüßen, wenn Deutschlands Schüler auf die Straße gehen und kundtun, dass sie die »Schnauze voll« haben von einem System, dass nach dem neoliberalen Motto »The winner takes it all« funktioniert. Sie haben es satt, in einem Bildungssystem groß zu werden, welches das Prinzip der Aufklärung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, ad absurdum führt, da es den Verstand erst gar nicht zur Entfaltung bringt.

Absurd waren dann auch die abschließenden Szenen der Proteste in Berlin. Denn während einige tausend Schüler und Studenten ihren berechtigten Forderungen lautstark Gehör verschaffen und durch die Straßen der Berliner Innenstadt zogen, trottete des Volkes Freund und Helfer in Reih und Glied hinterher, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was einige Meter vor ihm geschieht. Ohne sich der Tatsache bewusst zu sein, dass sie ihrer eigenen Zukunft hinterherlaufen. Paradies verloren!
 

 

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