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René Becher, geboren 1977 in Bayreuth. Studium Germanistik, Geschichte und Buchwissenschaften in Mainz und Düsseldorf. Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2004 Preisträger beim Berliner Open-Mike-Literaturwettbewerb. Im Frühjahr 2008 erscheint im Leipziger Plöttner Verlag seine Erzählung Etzadla. Er lebt und arbeitet als freier Autor in Bayreuth.

K wie Klaustrophilie

Essay über Kafkas Schreiben

Irgendwann musste dieser Schreiber lebenslänglich bekommen haben. Und dann machte dieser Schreiber sich dieses Schicksal einfach zu Nutze. Dieser Schreiber schrieb. Er zwang
sich. Er musste sich zwingen. „Gott will nicht, daß ich schreibe, ich aber, ich muß“1, eröffnet er bereits 1903 Oskar Pollak, und lässt nicht mehr davon ab, trotzdem er zeitlebens der Zweifler bleibt. Er spricht von seiner „Unfähigkeit zu schreiben“.2 Er sagt,
dass er „keine Zeile gemacht“3 habe, die er anerkenne.
Stattdessen streicht er immer wieder durch und setzt neu an. Fehler sind alles andere als schrecklich. Sie sind unverzeihlich. Er setzt also neu an, kämpft erneut an gegen eine nicht sichtbare Macht, die ihn an seinen Schreibtisch fesselt. Diesen unwissend verurteilten Schreiber.

Dieser Schreiber ist nie zufrieden. Das schon frühe Zuwidersein, die eigenen Texte betreffend, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Wirken. „Der größte Teil ist mir widerlich, das sage ich offen (...)“, so der Schreiber kaum zwanzigjährig an Pollak, „es ist mir unmöglich, das ganz zu lesen (...).“4 Wenig ändert sich bis zu seinem Tod am 3. Juni 1924. Er hat Phasen, in denen er sich als Schriftsteller sieht. Und er hat Phasen, in denen ihm alles aus dem Ruder läuft. Sein Wirken ist
eine einzige Selbstbestimmung, eine einzige Selbstbehauptung immer und immer wieder. In den Briefen und nicht zuletzt in den Tagebüchern findet er Zuflucht. Hier spricht er vom Nichtschreibenkönnen, vom stundenlangen Sitzen am Schreibtisch, von seinen Zweifeln und Ängsten.
Aber es gibt auch Momente, in denen er an seine Fähigkeiten glaubt. Es sind die Momente der völligen Hingabe, der völligen ungestörten Selbstaufgabe tatsächlich. Diesen Moment hat er wohl zum ersten Mal in der Nacht auf den 23. September 1912, als er Das Urteil „in einem Zug“ schreibt. „(...) Die fürchterliche Anstrengung und Freude, wie sich die Geschichte vor mir entwickelte, wie ich in einem Gewässer vorwärtskam (...).“5 Dann der letzte geschriebene Satz, der Gang zu den gerade aufgewachten Schwestern, der erste Vortrag. „Nur so kann geschrieben werden“, erklärt er, „nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele.“6 Er stellt seine Ausdauer unter Beweis, sagt gegenüber Max Brod: „Weiß du, was der Schlußsatz bedeutet? – Ich habe dabei an eine starke Ejakulation gedacht.“7 Sein Urteil – ein hinausgezögerter Orgasmus.
Im selben Jahr schreibt, oder besser: ejakuliert er auch Die
Verwandlung. Aber er bleibt unbeständig, trotz der Urteilserfahrung: Entweder kommt er zu früh oder gar nicht. Wie bei seinem Romanvorhaben Amerika zu Beginn des Jahres 1912. „Der Roman ist so groß, wie über den ganzen Himmel hin entworfen (...) und ich verfitze mich beim ersten Satz, den ich schreiben will.“8 Amerika bleibt Fragment, wie auch Das Schloss, wie auch Der Proceß. Und wieder die Ungewissheit, der Zweifel.
Er lässt die Freunde daran teilhaben. Schreibt ihnen den Literaturprozess begleitende Briefe. An Felice: „(...) Eine solche Geschichte müßte man höchstens mit einer Unterbrechung in zweimal 10 Stunden niederschreiben, dann hätte sie ihren natürlichen Zug und Sturm, den sie vorigen Sonntag in meinem Kopfe hatte.“9

So wie das Leben durfte auch das Schreiben keine Pause erfahren, befindet er. Schon wieder dieses Durchschreiben. Alles andere wäre Schwäche. „Schade, dass in manchen Stellen der Geschichte deutlich meine Ermüdungszustände und sonstigen Unterbrechungen und nicht dazugehörige Sorgen eingezeichnet sind (...).“10 Dieser Schreiber ist oft müde. Tagsüber arbeitet er in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt. Nachts dann sitzt er am heimischen Schreibtisch, „die ungeheuere Welt“11 im Kopf.
Das ist sein Schicksal. „Vielleicht gibt es auch ein anderes Schreiben“, räumt er ein, weiß aber: „Ich kenne nur dieses; in der Nacht, wenn mich die Angst nicht schlafen lässt, kenne ich nur dieses.“12

Seine Prosa ist Stillstandsprosa. Ich denke an den Landvermesser K., der versucht, ins Schloss zu gelangen, aber - wie auch anders - es gelingt ihm nicht. Ein Sich-im-Kreise-Drehen, ein Auf-der-Stelle-Treten, das ist Kafka. Ein Traum, der sich in die Länge zieht, scheinbar endlos dahinzieht, irgendwann ist Schluss, ohne Auflösung, manchmal mitten im Satz. Seine (angefangenen) Geschichten sind wie aufgerichtete „Pferde vor dem Zirkusdirektor“13, sie starren „bis morgen nacht zum Himmel“14. Der Text, das ist Kafka. Er kann sich gar nicht von dem lösen, was er da schreibt. „Ich habe kein literarisches Interesse“, versichert er, „sondern bestehe aus Literatur (...).“15

In seiner Erzählung Das Urteil heißt der Protagonist Bendemann. An Felice schreibt er: „(...) Sieh nur die Namen! (...) Georg hat so viel Buchstaben wie Franz, ‚Bendemann’ besteht aus Bende und Mann, Bende hat so viel Buchstaben wie Kafka und auch die zwei Vokale stehn an gleicher Stelle (...).“16 Im selben Brief beteuert er sein Nichtwissen um diese Merkwürdigkeit während des Verfassens. Einen Monat später – die Verwandlung entsteht – ähnlich Merkwürdiges. Der
Protagonist trägt den Namen Gregor Samsa. Samsa: So viele Buchstaben wie Kafka und die Vokale stehen an selber Stelle. Fand dieser Schreiber etwa Gefallen an der Selbststilisierung in den eigenen Texten? Oder geschah hier tatsächlich etwas unbewusst? Man muss ersteres vermuten, zumal er immer wieder Figuren in Erscheinung treten lässt, die sich, lakonisch wie sein Stil, einfach nur K. nennen (Der Prozess, Das Schloss). Im Gespräch mit Gustav Janouch erklärt (und gesteht) er: „Samsa ist nicht restlos Kafka. Die Verwandlung ist kein Bekenntnis, obwohl es – im gewissen Sinne – eine Indiskretion ist.“17 Nein, diese Literatur ist keine Bekenntnisliteratur. Bei diesem Schreiber handelt es sich um eine Literatur der absoluten Notwendigkeit. Indiskretion ist hier unvermeidlich. Er schont weder sich selbst, noch sein Umfeld. Wie sehr es sich bei diesem Schreiben um ein authentisches Schreiben handelt, mag uns vielleicht das Prosastück, oder vielmehr die Veröffentlichungsgeschichte des Prosastücks Großer Lärm zeigen.
Zunächst gedacht als Tagebucheintrag. Im Oktober des folgenden Jahres dann wurde dieser Eintrag in den Prager Herder
Blättern veröffentlicht. Wenig später schickt er Felice diesen Text und schreibt hinzu: „Nein, ganz zurückgezogen von meiner Familie lebe ich nicht. Das beweist die beiliegende Darstellung der akustischen Verhältnisse unserer Wohnung, die zur wenig schmerzlichen öffentlichen Züchtigung meiner Familie gerade in einer kleinen Prager Zeitschrift erschienen ist.“18

Was mir fehlt, ist Zucht (...).19

Irgendwann muss dieser Schreiber zu der Erkenntnis gelangt sein, dass sein Schreiben ein isoliertes zu sein hat. Und so beschloss dieser Schreiber fortan aus einer Isolation heraus zu schreiben. „Ich muss viel allein sein“, führt er an, „was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.“20 Wenn wir an Schriftsteller denken, denken wir dann nicht auch sofort an die Einsamkeit? Dieser Schreiber geht darüber hinaus: „Ich brauche zu meinem Schreiben Abgeschiedenheit, nicht wie ein Einsiedler, das wäre nicht genug, sondern wie ein Toter. Schreiben in diesem Sinne ist ein tieferer Schlaf, also Tod, und so wie man einen Toten nicht aus seinem Grabe ziehen wird und kann, so auch mich nicht vom Schreibtisch in der Nacht.“21 So bitter diese Aussage, wer möchte bei ihm an ihr zweifeln? Dieser Schreiber geht mit dem Schreiben und das Schreiben geht mit ihm. Das Schreiben sei seine „einzige innere Daseinsmöglichkeit“22, so Kafka einmal an Felice.
Es gibt diese Autoren des Rückzugs. Proust beispielsweise, der 1905 nach dem Tod der Mutter in sein mit Kork isoliertes Zimmer flüchtete, dort seine verlorene Zeit fand und abschloss. Oder Flaubert (den Kafka auch las), der 1864 den Rückzug suchte.

Kafka ist ein Stubenschreiber. Nennen wir es Klaustrophilie. Der Rückzug nach der Arbeit in die Enge, in den geschlossenen Raum wirkt sich auf sein Schreiben aus. „Oft dachte ich schon daran, dass es die beste Lebensweise für mich wäre, mit Schreibzeug und einer Lampe im innersten Raume eines ausgedehnten, abgesperrten Kellers zu sein.“23 Ein verlagerter armer Poet, denkt man vielleicht. Aber das wäre ja Verklärung.
Heute pilgern wir in die Prager Alchimistengasse, schauen, wie dieser Schreiber so tickte, oder vielmehr: Warum er so tickte? Ja, das ist Enge, Isolation, da lässt es sich gut ausbrechen, denkt man dann in Haus Zweiundzwanzig, leicht gebückt stehend. Ein Prager Freund erzählte mir einmal, wir liefen zum Hradschin, dass dieser Schreiber tatsächlich nie in dieser Wohnung gelebt habe. Es sei schlichtweg eine Erfindung für Touristen, so er allen Ernstes. Ich glaubte ihm und war sehr enttäuscht. Später bei einem Glas Bier fragte ich ihn, welcher Schriftsteller für das Prager Selbstverständnis am Bedeutendsten sei, und glaubte, die Antwort schon zu wissen. Als der Freund dann aber von einem Jaroslav Hasek murmelte, traute ich mich nicht mehr einzulenken und schwieg.

Und er lebte doch in Haus Zweiundzwanzig. Ich habe mich nach meinem Prag-Besuch schlau gemacht. Es ist seine vierte (und nicht einmal letzte) Wohnung in Prag, wo er schlussendlich Ruhe zu finden glaubt, Ruhe vor den zugeschlagenen Türen und dem großen Lärm der Hausbewohner: „Schon früher dachte ich daran (...), ob ich nicht die Türe bis zu einer kleinen Spalte öffnen, schlangengleich ins Nebenzimmer kriechen und so auf dem Boden meine Schwester und ihr Fräulein um Ruhe bitten sollte.“24 Überempfindlichkeit, auch dafür steht Kafka.
Die wichtigsten Texte dieses Schreibers spielen oder beginnen in einem Zimmer. „(...) Georg Bendemann, ein junger Kaufmann, saß in seinem Privatzimmer (...)“25, so startet Das Urteil. Aus der
Verwandlung: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt (...).“26 Und Josef K.’s Verhaftung im Proceß findet ja in dessen Wohnung statt.
Die Türen sind nie verschlossen. Diese Isolation bedarf gar keiner verschlossenen Türen. Diese Isolation begleitet dich durch das Treppenhaus, hinaus auf die Straße, durch die Gassen. Neben dem (isolierten) Raum in Kafkas Werk gibt es die Figur des Vaters, die unnahbare Autorität, Symbol für Macht und Unterdrückung. Diese Figur findet sich in den wichtigsten Texten Kafkas – von der Verwandlung bis zum Schloss. Hier haben wir dieses Anschreiben gegen diese Autorität in der Literatur, diese Bewältigung im Text. Es wäre nicht Kafka, würde das Individuum über den Machtapparat siegen. Wir haben es mit verzweifelten Helden zu tun. Ein verzweifelter Held – so muss auch Kafka sich gesehen haben. Und das macht seine Literatur zur modernen.

Ich habe immerfort eine Anrufung im Ohr:
‚Kämest du, unsichtbares Gericht!’
27

Irgendwann muss dieser Schreiber bemerkt haben, dass Schmerz Freude bereitet. Und dann konnte dieser Schreiber wohl nicht mehr davon ablassen, wollte immer mehr und mehr und trieb sich durch seine Literatur. „Ja“, gesteht er, „das Foltern ist mir äußerst wichtig, ich beschäftige mich mit nichts anderem als mit Gefoltert-Werden und Foltern.“28 Das ist schon rigoros. Er lässt sich im seinem Proceß, auf dem Boden liegend, durchprügeln. In der Strafkolonie guckt er zu, wie der Verurteilte auf diesen „eigentümlichen Apparat“29 gelegt wird. Der
Handelsvertreter Samsa wacht als ungeheueres Ungeziefer auf.
Im Schloss stirbt K. vor Entkräftung.30 Ein gnadenloser Schreiber
ist er. Gnadenlos gegen sich selbst tatsächlich. „Ich werde mich nicht müde werden lassen. Ich werde in meine Novelle hineinspringen und wenn es mir das Gesicht zerschneiden sollte.“31 Und der Gnadenlosschreiber springt. Immer und immer wieder.
Das Thema Schreiben in dieser Literatur: „Weißt Du wenn ich so etwas hinschreiben will wie das folgende, nähern sich schon die Schwerter, deren Spitzen im Kran mich umgeben, langsam dem Körper, es ist die vollkommenste Folter; wenn sie mich zu ritzen anfangen, ich rede nicht vom einschneiden, wenn sie mich also nur zu ritzen anfangen ist es schon so schrecklich dass ich sofort, im ersten Schrei, alles verrate, Dich, mich, alles.“32 Und in der Strafkolonie: „Zitternd sticht sie (Anm.: die Egge) ihre Spitzen in den Körper ein (...).“33 Die „vollkommenste Folter“ also. Dieser Schreiber liebt den Schmerz. Wo noch? Wo noch lässt er Schwerter, Nadeln, Messer sausen? Im Proceß sind wir Zeugen von K.’s endgültiger Verurteilung. Und er schreibt: „(...) an K.’s Gurgel legten sich die Hände des einen Herren, während der andere das Messer ihm ins Herz stieß und zweimal dort drehte.“34 Und immer wieder in den Tagebuchnotizen: „Jedes Wort, gewendet in der Hand der Geister (...), wird zum Spieß,
gekehrt gegen den Sprecher.“35 Auch in den Briefen. An Brod: „(...) wenn ich den Zwang zum Schreiben in mir fühlen würde, (...) wie für einen Augenblick in Stresa, wo ich mich ganz als eine Faust fühlte, in deren Innern die Nägel in das Fleisch gehen (...).“36 Schreiben für ihn – eine Tortur. Eine lustvolle Tortur, die unabdingbar ist. Das Schreiben als stete schmerzhafte Erfahrung, die gemacht werden muss (Im Übrigen schrieb Kafka mit der Feder).
Dieser Schreiber erscheint uns heute als ein Schreiber, der sich selbst geißelte, der sich selbst Isolationshaft auferlegte, der sich zwang, in der Nacht nachzusitzen. Er schrieb aus sich heraus, beinahe völlig distanzlos. „Mir immer unbegreiflich, daß es jedem fast, der schreiben kann, möglich ist, im Schmerz den Schmerz zu objektivieren (...).“37 Dies bleibt ihm zeitlebens ein Rätsel. Kafka schreibt - und leidet.

Ende des Schreibens. Wann wird es mich
wieder aufnehmen?
38

Wieder zu schreiben versucht, fast nutzlos.
39
Vollständige Stockung. Endlose Quälerei.40

Und schließlich hat dieser Schreiber für sich erkannt, dass seine Literatur eine Scheiterhaufenliteratur ist. Und dann hat dieser Schreiber seinen Freund Max Brod darum gebeten, alles „restlos und ungelesen zu verbrennen“41.

1
Kafka, Franz: Briefe 1902-1924, S.21
2 Kafka, Franz: Tagebücher 1910-1923, S.11
3 Briefe, S.85
4 Brod, Max: Über Franz Kafka, S.58
5 Tagebücher, 214
6 ebd.
7 Über Franz Kafka, S.114
8 Briefe, S.96
9 Kafka, Franz: Über das Schreiben, S.53
10 ebd., S.55f.
11 Tagebücher S.224
12 Briefe, S.384
13 Tagebücher, S.332
14 Über das Schreiben, S.55
15 ebd., S.137
16 ebd., S.24
17 Über das Schreiben, S.60
18 ebd., S.13
19 Über Franz Kafka, S.58
20 Tagebücher, S.228
21 Über das Schreiben, S.135
22 ebd., S.133
23 ebd., S.131
24 Tagebücher, S.104
25 Kafka, Franz: Die Erzählungen und andere ausgewählte Prosa, S.47
26 ebd., S.96
27 Tagebücher, S.25
28 Kafka, Franz: Briefe an Milena, S.244
29 Die Erzählungen, S.164
30 vgl. Über das Schreiben, S.102
31 Tagebücher, S.21
32 Briefe an Milena, S.197
33 Die Erzählungen, S.173
34 Kafka, Franz: Der Proceß, S.241
35 Tagebücher, S.429
36 Briefe, S.90
37 Tagebücher, S.387
38 ebd., S.334
39 ebd., S.336
40 ebd., S.336
41 Über das Schreiben, S.153

Literaturverzeichnis
Kafka, Franz: Die Erzählungen und andere ausgewählte Prosa,
Roger Hermes (Hrsg.), Frankfurt/Main 2000
Kafka, Franz: Der Proceß, Frankfurt 2002
Kafka, Franz: Über das Schreiben, Erich Heller/Joachim Beug
(Hrsg.), Frankfurt 1983
Kafka, Franz: Tagebücher 1910–1923, Max Brod (Hrsg.),
Frankfurt 1976
Kafka, Franz: Briefe an Milena, Max Brod (Hrsg.), Frankfurt 1975
Kafka, Franz: Briefe 1902-1924, Frankfurt 1975
Brod, Max: Über Franz Kafka, Frankfurt 1977
 



René Becher
Etzadla
Erzählung
Plöttner Verlag, Leipzig
128 Seiten
ISBN 978-3-938442-42-5

 

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