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Peter A. Bruns,
65,
geb. Hamburger, gelernter Handwerker. Seit den Siebzigern selbständig in der Industrie und auf dem Bau. Schreibt seit 1981 Prosa und Briefe und Kritiken.
Gründete 1989 den August Verlag.
Arbeitet und lebt in Dithmarschen, immer noch selbständig.



»Beim Häuten der Zwiebel«
Eine Kritik an Günter Grass

„Hinäffen“ habe ich mich lassen - wie Schopenhauer es genannt hätte – zur „Häutung der Zwiebel“, von dem ganzen Buhei der Medien um die Waffen-SS-Geschichte von Grass. Hinäffen und mich davon beschwatzen lassen und mir, von Neugier angestachelt, „den letzten Grass“ gekauft. Bis dahin hatte ich nur Katz und Maus und die Blechtrommel gelesen und mir fehlte literarisch nichts an Grass. Grass gehörte und gehört für mich zum Inventar der Bundesrepublik, wie für den Hamburger sein Bismarckdenkmal. Man weiß nicht warum es dort so wuchtig steht. Es ist nicht schön, aber gut sichtbar. Wie oft habe ich suchend in seinen, von mir ungelesenen Büchern geblättert (in denen von Grass, nicht Bismarcks) und gehofft von ihnen eingefangen, in die Geschichte gezogen zu werden. Es geschah nicht. Es muss wohl an mir liegen. Aber ach, das ist ein weites Feld.
Noch ein Ach. Nach der Lektüre, der gehäuteten Zwiebel, beim Häuten einer Zwiebel, in meiner Küche, bei meiner geliebten Küchenarbeit, um meinen Hunger nach der kraftzehrenden Lektüre, zu besänftigen und ich ähnlich wie Grass, für reale Freunde, nicht imaginäre, kochte, aber keine saure Kutteln oder Pansen – meine Freunde würden mir mit dem Kochlöffel den Hintern versohlen - bedauerte ich, für die vierundzwanzig Euro der „gehäuteten Zwiebel“, nicht noch zwei gute Flaschen französischen Roten, zusätzlich gekauft zu haben. Ich habe deshalb, auch ohne Zwiebeln, noch anständig geheult, über das „schöne Geld“.

Beim Häuten realer Zwiebeln lief mir auch, erneut das Wasser unaufhaltsam „lang die Backen“, weil meine Freunde mir was drauf hauten, aus Zorn darüber, das ich 24 Euro für „den letzten Grass mit SS“ verpulverte, statt Rotwein zu kaufen.
Als ich dann den mageren Schweinenacken, meine Freunde mögen es nicht so fett wie Grass, vorsichtig, weil durch Tränen in der Sicht getrübt, mit dem Fleischmesser, mit dem schwarzen Holzgriff, das ich vor vielen Jahren in einem Dorf in den Pyrenäen, gekauft hatte, im Angedenken an das Schwein, (Franco) liebevoll in Würfel von drei Zentimeter Kantenlänge schnitt, und ich die Fleischstücke in den Edelstahltopf, wo das heiße Olivenöl zischte, tat, reckte ich meinen Arm, das Messer mit dem Zeichen der Lilie auf der Klinge, fest umklammernd, drohend empor und während Zarah Leander aus meinem silbernen Küchenradio von Tchibo trällerte: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen...“, fiel ich der Zarah schluchzend ins Wort und jammerte: „Es macht einfach keinen Spaß Grass zu kritisieren, es macht nur depressiv!“ Dann rammte ich das Messer aus der Höhe, in das alte hölzerne Fleischbrett, und sah zu wie es im Holz zitterte, während ich meinen Merlot an die Lippen hob und getreu dem alten Schlager, das volle Glas in einem Zug leerte und es lieblich gluckern hörte, weil ich umgehend nachschenkte.

Grass liebt die Innereien beim Kochen, warum nicht auch in der Literatur? Etwas mehr Galle bitte, ja? „In Paris sind Schnauzbärtige üblich“ schreibt er unvermittelt, zusammenhanglos. Grass hat einen Bart. Sooon Bart. „Jan und Hein und Klaas und Schmidt, die haben Bärte…“ Adolf, äh, Adenauer fuhr nicht mit, der hatte keinen Bart. Darauf zusammenhanglos Grass: „Bald nach der Zwillingsgeburt gewann Konrad Adenauer (ganz ohne Bart) bei Bundestagswahlen die absolute Mehrheit…“ schreibt er. Wie schön, das zu wissen - man wird den Nobelpreisträger, dereinst hoffentlich auch, wie Adenauer, auf einem Zerstörer, mit allen Ehren den Rhein abwärts schippern, und die Schaulustigen am Ufer werden skandieren: „bitte nicht nur bis zur Heimatstadt Bölls, sondern weiter bis zur Mündung, wir wollen ihn als Butt in der Nordsee verklappen“. Mein Gott, was kann ich böse schreiben...

Peter A. Bruns

Am Freitag den 15. Juni 2007 an Frau Iris Radish,
„immer in der Zeit“ – in Hamburg.

Liebe Iris Radish (und Christof Siemes sei höflich erwähnt), eine kleine Kritik, auf Ihr Zeitgespräch mit G. und W. zu Ihrer Erbauung… quasi ein Feedback. Jeder Autor braucht es. Das Feedback eines gemeinen, geneigten Lesers. Zugleich eine notwendige, selbstsüchtige Fingerübung für mich, den Leser. Chiedere scusa. Nun denn:

Als ich mir die letzte ZEIT kaufte (noch kann ich’s mir leisten) und freudig nach Hause trug, glaubte ich schon die Hammer und Ambossklänge aus Aida zu hören und die „Pfiffe in der Berliner Luft“, denn ich dachte an den wunderbaren Schluss des Abends mit Verdi und Lincke und deren musikalischer Verquickung, arrangiert und dirigiert von Claudio Abbado, damals in der Waldbühne von Berlin, in jener legendären „italienische Nacht“, im Sommer 1996, wo mich dieser Abbado, mit Tausenden von anderen lauschenden Menschen, trotz strömenden Regens, innerlich so freudig aufregte, dass es mir bis heute Herzklopfen macht, wenn ich daran denke. Vor zehn Jahren. Waren Sie dabei Frau Radish?

Das war es, was mir die ZEIT, mit Walser und Grass auf der Titelseite, im Innern versprach: Verdi und Lincke. Walser und Grass, als nettes altes Paar, zierten sie den Titel. Ein ähnliches Paar saß damals, in der Waldbühne neben mir. Sie zierten sich nicht, wie Walser und Grass. Die waren voller Leben.
Welche Gelegenheit, die ihnen die ZEIT Grass und Walser bot und die sie so halbherzig nutzten. Die erstickte Frustration beim Lesen, verursachte bei mir einem Erstickungsanfall. Ich kippte einen Mirabellenschnaps.

Was war denn da - Himmel Arsch und Zwirn - los in Behlendorf? Iris Radish? Ich fand ja den äußersten Nordwesten Holsteins schon immer prickelnder, schon vom Salzgehalt der Luft her. Dieses gefällige, sanfte Ostholstein färbt ab, auf die Künstler. Diese Landschaft - mein Gott – so nahe diesem Binnenmeer Ostsee. Das hat so was einlullendes, morbid, Schönes. Caspar David auf Rügen. Das halte ich nie länger als ein paar Tage aus, wenn überhaupt. Es meuchelt sanft meinen Esprit.
Wiederum… der Bodensee?! Auch so eine Art Binnenmeer. Ob es da anders gelaufen wäre, mit den beiden Wortkünstlern? Ach, was weiß denn ich Iris Radish. Sie haben ihre Zeitseiten mit Siemes ja kreativ gestaltet. Daran keine Kritik. Oder doch?
„Wer ein Jahr jünger ist, hat keine Ahnung“ und ich bin ja erst 65 geworden und außerdem nie so fleißig und damit erfolgreich, wie Grass oder Walser gewesen. Ist es Neid? Aber das spielt, je älter ich werde, immer weniger eine Rolle. Ich mag M.W. Und G.G. beide - als Menschen. Als Familienväter.
Erfolgsschriftsteller müssen ja scheinbar immer Familienväter sein (der Autor dieser Zeilen, kichert, schreit aber nicht) Jede erfolgreiche Persönlichkeit braucht Familienanhang, sonst fehlt was. Kinder, Enkel, Urenkel sollen um sie herumwuseln. Hunde und Katzen auch. Ach du deutsche Geburtenrate! Ach Vater, Mutter, ach eisernes Kreuz der Mutter.
Als mein Vater geboren wurde, um 1900, gab es etwa 1,6 Milliarden Menschen auf Erden, heute etwa 6,5 Milliarden. Wen stört es? Grass jedenfalls, (laut Gespräch) nicht. Obwohl er über Klima und Umwelt spricht. Behlendorf hat ja noch reichlich Platzt.
Trotzdem war dieses Gespräch anfangs irgendwie vielversprechend… Ute Grass schaut abwägend skeptisch, wie man im Süden sagt: es menschelte etwas, verehrte Iris Radish. Dieses „Zeitgespräch“ war in seinen Aussagen allerdings simpel, dafür aber ungekünstelt, menschlich. Da können Sie nichts dafür. Sie ließen ja nur Wortwechsel drucken, was… ja was? Nun, allerdings waren Sie die Moderatorin, Dirigentin, „Frau Abbado“ - na gut. Nichts mit Verdi, nichts mit Lincke, keine Hammer und Ambossklänge aus Aida.
Nun muss ich endlich sagen, dass mich literarisch, von den Autoren, die ich noch lebend erleben durfte, Walser oder Grass nie so sehr fasziniert haben. Na gut, aber sie leben eben noch. Das sie mich nur deshalb interessieren, weil sie noch leben, das ist so, weil mich Menschen grundsätzlich mehr interessieren, wenn sie noch leben. (Autor kichert wieder) Bestimmt liegt das an meiner Erwartungshaltung. So lange Leben da ist, gibt es Hoffnung.

Es gibt ja durchaus genügend Berühmtheiten, die mich tot oder lebend langweilen, doch mit Grass und Walser, versuche ich es, ums verrecken, gnadenlos immer wieder. Ich muss verrückt sein, mich diesen hervorragenden Zweien so nähern zu wollen und mein schönes Geld für sie auszugeben. Wie letztlich für diese ominöse Zwiebelhäutung von Grass.
Mein Gott und diese Umständlichkeit, mit der sich Grass, mit Schützenhilfe Walsers, im Gespräch, aus dieser SS-Farce herausgewunden hat. Das war ja nicht zum aushalten. Mir tanzten die Buchstaben vor den Augen. Wie haben Sie beide das (ich meine Sie Frau Radish und Herr Siemes) zusammen mit den Mückenschwärmen in Behlendorf nur ertragen?

Oh Gott, wie böse ich schreibe und dabei lechze ich danach, einmal nur was von dem Grass zu lesen, was mich wach hält bis zum nächsten Morgen. Einmal nur!
Gut, muss ich eben selbst für mich was schreiben. Walsers Angstblüte hat mich auch nur angepiekst, nicht angestachelt, aber es entwickelte sich dann wenigstens bald bei mir auch etwas zur Blüte. Zur Rose, zur Gürtelrose, gemein und platt gesagt. Aber mein Gott, ich finde die Zwei doch so menschlich, so sympathisch - irgendwie. Ich könnt mich literarisch in den Arsch beißen, was ist nur mit mir los? Was suche ich? Das Unmögliche?
Was heißt hier irgendwie? Es meint: warum schreiben sie? Oder liegt es an mir? Warum schreibe ich? Schreiben sie meinetwegen - oder ich? Oder sie wegen der Drucker, der ZEIT, die sonst arbeitslos werden? Oder bin ich zu doof? Ja, sie sind so ungeheuer fleißig und ich so unproduktiv, so faul, aber ist das alles was ein Erzähler, ein Dichter sein soll: fleißig?
Ja, wenn der Walser dem Grass unterm Nussbaum übers Haar streicht, oh Gott, welch schönes Bild, zum neidisch werden, es fällt regelgerecht aus der Zeit, als schäle Walser, Grassens Zwiebel, während die sich an die Zwiebel-Gruppe 47 erinnert – die Zwiebel. Hätte sie da nicht mal etwas frecher aus sich herauskommen können? Kann eine Zwiebel das? Aus sich heraus kommen? Gibt es des Zwiebels Kern?

Oh Gott, ich kaufte mir doch die ZEIT, wegen dieses Titels, mit Walser und Grass, liebe Iris Radish, war da denn für mich Leser nichts zu machen? Außer mir hier die Gelegenheit, diese Steilvorlage zu bieten, mich nun hier aufzuspielen. Na, das ist doch auch was…
Ja, wenn der Walser mal ausrief: Heilandsack, dann dachte ich immer: nun geht’s aber los, nun ziehen sie gleich beide vom Leder. Ja, Frau Radish, Sie sind beide sympathisch. (Sie sowieso) Ich meine Walser und Grass. Grass der stolze Kleinbürgersohn. Walser der „schwarze“ Sohn eines Kohlenhändlers. Ich liebe Kohlenhändler, ich schreibe grad einen Roman über einen pariser Kohlenhändler. Und ich verspreche, der kommt nie an den Bodensee und auch nie nach Behlendorf: der Kohlenhändler. Er bleibt an der Nordsee und fährt sporadisch an die Seine. Vielleicht kommen W. Und G. ihn mal besuchen – mit Ihnen! Oh Gott, das fehlte noch. Kommen Sie, wenn schon, bitte allein.

Ihr
Peter A. Bruns

 

 

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