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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Artikel online seit 21.04.14

Ein klassenbewusster Bourgeois und moderner Klassiker

Neuerscheinungen zum 150. Geburtstag des Soziologen,
Juristen und  Nationalökonomen Max Weber

Von Dieter Kaltwasser



 

Vor über 100 Jahren, zwischen 1904 und 1905, publizierte Max Weber seine legendäre Schrift »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« als Aufsatz in zwei Folgen. Unmittelbar nach Erscheinen löste sie bereits Kontroversen aus, eine Flut von Sekundärliteratur zeugt bis heute von der nicht abreißenden Auseinandersetzung mit Max Weber. Keine Frage: Max Weber ist en vogue. Seine Schriften »Politik als Beruf«, »Wissenschaft als Beruf« und »Wirtschaft und Gesellschaft« werden als Zitatschätze genutzt, wenn vom »Charisma« der Politiker, ihrem »Bohren harter Bretter« als Tätigkeitsmerkmal, vom »okzidentalen Rationalismus« und der »Entzauberung der Welt« die Rede ist. Der Bonner Philosoph Markus Gabriel hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Satz meist sinnverkehrt verstanden werde. Weber behaupte nicht, die Moderne sei ein Vorgang der Entzauberung. Die Moderne sei vielmehr von der Illusion geprägt, die Welt sei entzaubert.

Es ist nicht unsere Welt, die Weber zu seinen Theorien motivierte. Zum 150. Geburtstag des vielleicht letzten Universalgelehrten sind neue Biographien von Dirk Kaesler und Jürgen Kaube erschienen. Nach der spektakulären und furiosen Weber-Biographie von Joachim Radkau aus dem Jahre 2007 brauchen sich die beiden neuen Biographen wahrlich nicht zu verstecken, stellen sie doch Bekanntes in ein neues Licht und neue Erkenntnisse zu Leben und Werk dar. Kaesler war bis zu seiner Emeritierung Professor für Soziologie in Marburg und ist einer der besten Kenner Max Webers. Von ihm liegen bereits grundlegende Studien vor. Mit seiner neuen Weber-Biographie ist ihm ein großer Wurf gelungen. Seine Hinführung zu Max Weber versteht er auch als eine Historisierung; die Spuren der kollektiven Traumata der deutschen und europäischen Geschichte werden von ihm in den Zäsuren von Leben und Werk sichtbar gemacht. Kaeslers Fazit: »Wir verabschieden uns von der Vorstellung, es gebe eine sichere Wahrheit über ihn und sein Leben«.

Der Wissenschaftsjournalist Jürgen Kaube sieht Weber ebenso als Menschen zwischen den Epochen, im Kontext großer Umwälzungen in Politik und Gesellschaft. Er beschreibt den Juristen, Nationalökonomen, Historiker und Soziologen als einen »Bürger zweier Welten«, einer der »vielversprechendsten Gelehrten« seiner Zeit, Exponent der preußischen und protestantischen Elite, ein Held des nervösen Zeitalters. 

Leben und Werk Weber sind bestimmt durch seine großbürgerliche Herkunft, den Jahren zwischen der Gründung des Deutschen Kaiserreichs und seinem Untergang. Am Ende seines Lebens war von diesen Welten nichts mehr übrig. Weber hinterließ ein riesiges Werk: Fragmente, unzählige wissenschaftliche Aufsätze, nicht veröffentlichte Bücher, Reden und Pläne. Jürgen Kaube hält wohltuend Distanz zu seinem Gegenstand, räumt auf mit der weihevollen Stimmung um Weber, beurteilt sachlich, was an Webers Denken noch zeitgemäß ist. 

Max Weber wurde am 21. April 1864 im preußischen Erfurt geboren. Sein Vater, Verwaltungsjurist und zu dieser Zeit Mitglied des Stadtrats und Landtagsabgeordneter, war ein Kaufmannsohn aus dem Besitzbürgertum, seine Mutter Helene Weber geborene Fallenstein entstammte dem Bildungsbürgertum, das auch in der Politik tätig war. Sie trug erheblich zum Wohlstand der Familie durch ihr beträchtliches Erbe bei. Max Weber wird sich im Laufe seines Lebens stets selbstbewusst auf seine Herkunft berufen. »Bitte sehen Sie meine Ihnen so rätselhafte Rede doch einfach als Speech eines klassenbewussten Bourgeois an die Feiglinge seiner eigenen Klasse an«, entgegnete der 43-jährige einem Kritiker. Seine spätere Ehefrau, die Frauenrechtlerin Marianne Weber, mit der er eine komplizierte Ehe führte, entstammte einem Zweig derselben Familie, Verwandtenheirat respektive Cousinenheirat »war ein Grundelement des bürgerlichen Familienkapitalismus«, wie Kaesler nüchtern konstatiert.  

Max Weber studierte in Berlin, Heidelberg und Straßburg Jura, daneben Nationalökonomie, Geschichte, Philosophie und Theologie; seine Promotion erfolgte 1889 in Berlin. Weber hatte bereits mit seiner Dissertation zur Entwicklung des Handelsrechts sein grundlegendes wissenschaftliches Thema gefunden: Die Entstehungsbedingungen des kapitalistischen Wirtschaftens. Er schlug den Weg des besoldeten Universitätslehrers ein. Seine ersten Stationen waren Professuren in Berlin und Erfurt, dann folgte Heidelberg, wo er sehr schwer erkrankte, und de facto 1899 seine berufliche Karriere, nicht jedoch seine wissenschaftliche Arbeit, beendete. Im Juni 1919, zieht er nach München um, und übernimmt den Lehrstuhl Lujo Brentanos für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie.

Dirk Kaesler weist darauf hin, dass Max Weber in dieser Phase seines Lebens, Denkens und Schreibens ein »rücksichtsloser Nationalist« mit auch beunruhigenden rassistischen Äußerungen gewesen ist. Unter dem Stichwort »Herrenvolk« wird man in seinen Schriften und Reden fündig. Weber war, so Kaesler, ein unkritisches »Kind seiner Zeit«, »ein Protagonist des weitverbreiteten Sozialdarwinismus.« Der Gelehrte, der »Objektivität« und »Werturteilsfreiheit« wider die Vermengung von Wissenschaft und Werturteilen fordern sollte, erwies sich in den Jahren zwischen 1890 bis zur deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg als Befürworter einer deutschen Großmachtpolitik.

Die Schriften »Wirtschaft und Gesellschaft« und »Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus«, die ein Juwel der Sozialanalyse darstellt, sowie die Schriften zur Politik und Wissenschaft als Beruf, sind die meist rezipierten und einflussreichsten Werke Webers. In den Vorlesungen »Über den Staat« des großen französischen Soziologen Pierre Bourdieus, die er am Collège de France von 1989 bis 1992 hielt, finden wir vielfältige Bezüge und Diskursanschlüsse zu Weber, seinem Zeitgenossen Émile Durkheim, dem französischen Klassiker der Soziologie. Bourdieu geht in diesen Vorlesungen, die vielleicht sein Hauptwerk in der politischen Soziologie darstellen, auf Webers berühmte Definition des Staates als Monopol der legitimen physischen Gewalt ein, erweitert sie jedoch auf alles symbolische Handeln, »um das Monopol der symbolischen Gewalt überhaupt«, das zur Grundlage des Funktionierens staatlicher Institutionen wird. Bourdieu betont, dass Weber gegenüber Marx das Verdienst habe, die »Humesche Frage« gestellt zu haben: »Wie kommt es, das die Herrschenden herrschen?« Hierbei berief er sich auf die »Anerkennung der Legitimität«, ein Begriff, den Weber soziologisch begründet hat. Doch aus Bourdieus Perspektive ist diese »Anerkennung der Legitimität ein Erkenntnisakt, der keiner ist: Es ist ein Akt der doxischen Unterwerfung unter die soziale Ordnung.« Es sind Akte »körperlicher, unbewusster, infrasprachlicher Erkenntnis.« Will man die Anerkennung der staatlichen und sozialen Ordnung verstehen, muss man von diesen inkorporierten, unbewusst gewordenen kognitiven Strukturen ausgehen; ihre Übereinstimmung mit den »objektiven Strukturen« ist die Grundlegung für die »Einigkeit über den Sinn der Welt, des Glaubens, der Meinung, der doxa, von der Hume sprach.«

Bourdieu deutet in seinen Schriften die Politik stets als »Feld« innerhalb der Gesellschaft, das genau wie die Sphären der Kunstwelt oder der Wissenschaftler seinen eigenen, zuweilen informellen Regeln gehorcht. Die Bürger delegieren durch Wahlen ihre Macht an eine professionelle Schicht, und diese entscheidet fortan in deren Namen. Diese Delegation der Macht an die Politprofis stellt für den französischen Soziologen eine Enteignung dar. Speziell den Unterklassen bleibe nur, »zu schweigen oder andere für sich sprechen zu lassen«. Schweigen sie, gelten sie schnell als apathisch oder inkompetent. Zu Unrecht, so Bourdieu. Für ihn ist auch die Nichtwahl ein »Protest gegen das Monopol der Politiker«. Der Soziologe verneint, dass hinter der Herausbildung einer politischen Klasse primär Korruption stecke oder die Politiker ohnehin bloße Erfüllungsgehilfen der Unternehmer seien. Die Abschottung und Abgrenzung der Parlamentarier, die immer wieder beklagt werde, ergebe sich aus der »Logik des Feldes«. Wer von der Politik leben will, muss die gängigen Redeweisen oder die entsprechende Repräsentationen der Politiker annehmen und so Zugehörigkeit bekunden. Auch in diesen Analysen Bourdieus finden wir Anknüpfungen an Max Weber ebenso wie an Norbert Elias. Welche langen Schatten Max Webers Werk noch in das 21. Jahrhundert zu werfen vermag, davon geben die gelehrten Vorlesungen Bourdieus, die nun in deutscher Übersetzung vorliegen, ein beredtes Zeugnis.

 

Bibliographische Angaben:

Dirk Kaesler
Max Weber -
Preuße, Denker, Muttersohn

C.H. Beck, München 2014
1007 Seiten
38,00 €
978-3-406-66075-7
Leseprobe

Dirk Kaesler
Max Weber

C.H. Beck, München 2011
128 Seiten
8,95 €
978-3-406-62249-6
Leseprobe

Jürgen Kaube
Max Weber –
Ein Leben zwischen den Epochen

Rowohlt, Reinbek 2014
496 Seiten
26,95 €
978-3-871-34575-3
Leseprobe

Joachim Radkau
Max Weber –
Die Leidenschaft des Denkens

Aktualisierte Taschenbuchausgabe
dtv, München 2014
928 Seiten
19,90 €
978-3-423-34790-7

Pierre Bourdieu
Über den Staat

Vorlesungen am Collège de France 1989–1992

Suhrkamp, Berlin 2014
722 Seiten
49,95 €
978-3-518-58593-1

 


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