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Artikel online seit 19.08.13

Schlachtplatte light

Warum sich Andreas Platthaus mit seiner Arbeit über
»Die Völkerschlacht und das Ende der Alten Welt - 1813«
verhoben hat.


Von Klaus-Jürgen Bremm

 
 

Trotz des erstaunlichen Wandels der Militärhistoriographie zu einer „Kulturgeschichte der Gewalt“ haben operationsgeschichtliche Studien weiterhin ihren unbestreitbaren Wert. Man denke nur an die bahnbrechenden Untersuchungen von Karl-Heinz Frieser vom Potsdamer Militärgeschichtlichen Forschungsamt über die „Blitzkrieglegende“ oder die brillante Arbeit des Schweden Peter Englund über die Schlacht von Poltawa (1709), ganz zu schweigen von Gordon Craigs Klassiker über die Schlacht von Königgrätz (1866).

Von diesen Gipfeln der Operationsgeschichte bleibt der Feuilletonist Andreas Platthaus mit seinem Versuch über die so genannte Völkerschlacht von Leipzig (1813) allerdings weit entfernt. Aus welchem Grund er sich überhaupt mit diesem Thema befasst hat, verschweigt der Verfasser abgesehen von einigen gelegentlich eingestreuten Andeutungen. Anstelle einer Skizzierung des aktuellen Forschungsstandes (vielleicht auch vom Verlag nicht gewollt) oder wenigstens der Nennung seiner leitenden Fragestellungen startet Platthaus sogleich als „Appetizer“ mit einem reißerischen Porträt Napoleons,  dessen magere Quintessenz schließlich darin besteht, dass der kriegerische Korse angeblich lieber in einem Zeltlager seine Nächte unter seinen Soldaten verbrachte als im komfortablen Malmaison. Denn schon ist der Verfasser mit einer anderen Sache beschäftigt, arbeitet hierbei mit mehr oder weniger ausführlichen Rückblenden und folgt nur mühsam dem eigentlichen Handlungsstrang. Ein erratischer Erzählstil mit häufigen Themenwechseln prägt leider das ganze Buch und verursacht alles andere als Lesefreude. Vor allem kann sich Platthaus nicht wirklich entscheiden, ob er eine konventionelle Geschichte der Schlacht aus der Perspektive der Feldherren und Monarchen schreiben oder doch lieber die Sicht der einfachen Soldaten oder der Leipziger Bürger einnehmen wollte, für die immerhin die Invasion zweier gigantischer Armeen mit mehreren Hunderttausend Kämpfern tatsächlich eine existenzielle Katastrophe bedeutete.

Als zentrale Aussage seiner Schilderung gelangt Platthaus zu der erstaunlichen These, dass Leipzig in der Geschichte der europäischen Kriegsführung eine Wendemarke darstellt. Während zwar noch die Monarchen – angeblich letztmalig - auf dem sächsischen Schlachtfeld anwesend waren, übernahmen doch schon mehr und mehr professionelle Militärs mit ihren rasch wachsenden Stäben die Leitung der Operationen. Abgesehen davon, dass der Verfasser erstaunlicherweise zu diesem Urteil gelangt, ohne die komplexe operative Vorgeschichte der Schlacht von Leipzig überhaupt zu würdigen, hatten auch bis zu diesen denkwürdigen Tagen nur wenige gekrönte Häupter in Europa ihre Armeen auf die Schlachtfelder geführt. Karl XII. von Schweden und Friedrich II. von Preußen bildeten hier als so genannte rois connetables die großen Ausnahmen unter ihren Standesgenossen, während die feldherrlichen Ambitionen des habsburgischen Erzhauses tatsächlich erst in der Gestalt seines vorletzten Herrschers Franz Josef gut ein halbes Jahrhundert später bei Solferino (1859) kläglich Schiffbruch erleiden sollten. Um hier ein zutreffendes Bild zu gewinnen, hätte sich Platthaus schon etwas mehr in die europäische Militärgeschichte mit ihren Protagonisten und wechselnden Strukturen vertiefen müssen. Der leidenschaftliche Streit im Lager der Alliierten, ob der Hauptstoß auf die sächsische Handelsmetropole von Süden her geführt oder ein konzentrischer Angriff von allen Seiten gewagt werden sollte, taucht in Platthaus‘ Schilderung überhaupt nicht auf. Ebenso wenig erwähnt er die damals in Militärkreisen engagiert geführte Debatte über die Vor- und Nachteile eines Kampfes auf der „Inneren Linie“, worauf sich ja Napoleons Operationsführung bei Leipzig hauptsächlich stützte, mit keinem Wort.

Dass aber ein General wie August Neidhart v. Gneisenau, als Chef des Stabes in Blüchers Schlesischer Armee wohl der wichtigste Protagonist des Geschehens, in seinem Text kaum auftaucht, kann nur noch als Peinlichkeit gewertet werden. Allein die konsequente Weigerung des späteren preußischen Generalfeldmarschalls, sich mit seinen vier Armeekorps den Österreichern in Böhmen anzuschließen und stattdessen im Norden die Elbe zu überqueren, ermöglichte schließlich die Beinahe-Einkreisung Napoleons in der 40.000 Einwohnerstadt. Statt diesen operativen Kontext der Schlacht wenigstens zu skizzieren, verstrickt sich Platthaus im Fortgang seiner Schilderung zunehmend in endlose taktische Details, die auf den Leser letztlich nur ermüdend wirken, zumal sich die Einzelheiten auf den beiden dürftigen Karten am Ende des Buches nur schwer nachvollziehen lassen.

Ein Lichtblick bleibt immerhin die Schilderung der komplexen Beziehung des deutschen Dichterfürsten Goethe mit Napoleon, damals fraglos zwei Ausnahmepersönlichkeiten auf ihren so unterschiedlichen Gebieten. Deutlich ist zu spüren, dass sich der Autor hier auf ihm vertrautem Gelände bewegt. Insgesamt aber ist sein Versuch einer Gesamtdarstellung der entscheidenden Schlacht des Herbstfeldzuges von 1813 fehlgeschlagen. Der Autor hat sich hier eindeutig verhoben und dem Verlag wäre in Zukunft (vielleicht schon im Hinblick auf Waterloo-Belle Alliance 1815) angeraten, sich vielleicht doch demnächst einen ausgewiesenen Militärhistoriker als Autoren zu verpflichten.  
 

Andreas Platthaus
1813
Die Völkerschlacht und das Ende der Alten Welt
Rowohlt Berlin 2013
476 Seiten
24,90 €
978 3 87134 749 8

 


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