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Artikel online seit 10.02.13

»Ausnahmezustand«

Navid Kermanis
Reisen in eine beunruhigte Welt
berühren
die »Grenzen des Berichtbaren«

Von Krisha Kops




 

Ein guter Journalist ist mit seinem Fachgebiet vertraut, recherchiert unmittelbar an der Quelle seiner Story, zieht so viele diverse Quellen heran wie irgend möglich, ist Meister seines Stifts und trachtet mit der Gewissheit des sicheren Scheiterns dem Ideal der Objektivität nach. Was allerdings einen Guten von einem sehr guten Journalisten unterscheidet, veranschaulicht Navid Kermani in seinem neuen Buch Ausnahmezustand – Reisen in eine beunruhigte Welt.
 

Zum einen ist Kermani als habilitierter Orientalist wie auch vielgerühmter Autor und Journalist mehr als nur Vertraut mit dieser beunruhigenden Welt, die sich von Nord-Indien, über Pakistan, Afghanistan, Iran, Syrien bis nach Palästina, ja sogar Lampedusa zieht. Ausnahmezustand ist eine Sammlung von Kermanis ungekürzten Reiseberichten, die zwischen 2005 und 2012 entstanden.
 

Man kann fast nicht näher am Geschehen recherchieren als Kermani, der als einziger westlicher Journalist die Zerschlagung der Massenproteste in Teheran miterlebte. Aufgrund seiner Herkunft, Religion, Sprachkenntnisse und Erfahrungen ist er immer mittendrinn, ob bei den Opfern in Krankenhäusern, den Soldaten auf Patrouille oder sogar im Schneidersitz bei den tanzenden Sufis.
 

Doch auch Kermani stößt hier und da an die »Grenzen des Berichtbaren«, wie zum Beispiel in Afghanistan, wo sich die Lage zwischen den Mauern Kabuls verbessert hat, aber viele Teile des Landes unbereisbar geworden sind. Dort, wo sich die Geister anscheinend zwischen Fressen und Moral scheiden, zwischen Sicherheit und Freiheit, Taliban und »Besatzern«.
 

Auf der Suche nach den Gründen für den Ausnahmezustand in diesen Ländern beobachtet Kermai sogar die scheinbar Nebensächlichkeiten, spricht mit Beobachtern und Führern beider Seite, aber vor allem auch mit den Menschen, die in den meisten Medien kaum Gehör finden. Den einfachen Menschen auf der Straße, den Betroffenen.
 

Egal, wo er sich der Autor befindet, immer wieder trifft er auf die gleichen Paradoxien und Konflikte. Am Ende scheint es, als wäre es die Macht Weniger, zumeist Außenstehender,  - ob die des Westens, oder der angeblich zunehmend von »Ausländern« kontrollierten Islamisten - die das Schicksal der Mehrheit kontrolliert.
 

Eine Mehrheit, die »fed up« mit dem ewigen Krieg ist und sich nichts mehr als Frieden wünscht, während sich die entgegenstehenden Mächte im Teufelskreis der Vergeltung, des Auge um Auges gegenseitig verblenden.

Eine Mehrheit, die wie auch manch ein Söldner oder Soldat von Medien und Schulbüchern falsch informiert ist, oft unter psychischen Schäden leidet und welche in der Verzweiflung oft nur noch das Radikale als Ausweg kennt. Und trotz alledem haben alle diese Menschen so etwas wie Hoffnung gleich.
 

Umschrieben wird dies alles mit einer Feder, die für journalistische Verhältnisse ungemein leicht über das Blatt hinwegschwebt. Kermani ist nun einmal einer der Männer des Stifts, der ahl al-qalam, der - während die alltäglichen Zeitungsartikel uns eine mehrfach redigierte Welt vorsetzt - erst dann einen Punkt setzt, wenn auch alles geschrieben wurde, was geschrieben werden muss.
 

So unverhohlen ist er dabei, dass er, wenn er zum Bespiel über die vermeintlichen Missetaten des indischen Staates in Kaschmire und Gujarat schreibt, wahrscheinlich nur aufgrund seiner Staatsangehörigkeit einem indischen Gefängnisaufenthalt à la Arundathi Roy entgeht.
 

Indessen viele Journalisten ihre Parteilichkeit hinter dem quixotischen Begriff Objektivität verstecken, kapituliert Kermani sogar kurzzeitig als unparteilicher Autor. Nachdem er wie ein Tier durch eine Schleuse in Palästina getrieben wird und von einem israelischen Soldaten gefragt wird, ob er ein Tierarzt sei, gibt er zu: »Ich sympathisierte nicht mehr, sondern bin parteiisch geworden.« Zumindest was den Okzident anbelangt hat Peter Scholl-Latour seinen Nachfahren gefunden. Ausnahmezustand – Reisen in eine beunruhigte Welt ist ein Buch, das einen weiter als die unter finanziellen Mittel leidenden Artikel der Nachrichtenagenturen und großen Zeitungen bringt.
 

Es führt einen an das Herz des Geschehens, etwas näher an das Warum, wenn es so etwas denn überhaupt wirklich gibt. Die Geschehnisse in diesen Ländern werden unser Leben beeinflussen, ob wir wollen oder nicht. Und für jeden, der das Gesicht hinter der Zeitung sehen will, ist dieses Buch eine Pflichtlektüre.

 

Navid Kermani
Ausnahmezustand
Reisen in eine beunruhigte Welt
C. H. Beck Verlag
253 Seiten mit 10 Karten. Gebunden
19,95 €
978-3-406-64664-5

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