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Artikel online seit 23.05.14

»Blutmühle« statt »Durchbruch über die Bande«

Olaf Jessen analysiert die »Urschlacht des Jahrhunderts« - Verdun 1916

Von Klaus-Jürgen Bremm




 

„Durchbruch über die Bande“ lautete im Winter 1915/16 das neue strategische Konzept des deutschen Generalstabes, um die gegnerische Entente nach Jahren der Stagnation im Westen doch noch entscheidend zu schlagen. Eine deutsche Offensive gegen Belfort oder Verdun sollte Frankreichs wichtigsten Verbündeten, die noch im Aufbau stehende britische Armee, zu einer verfrühten Entlastungsoffensive im Artois veranlassen. Erst deren voraussichtliches Scheitern würde dann dem deutschen Westheer im Gegenzug die Möglichkeit zum erhofften Durchbruch eröffnen.

Ersonnen hatte sich diesen komplexen Plan der General d. Infanterie Erich v. Falkenhayn, der brillante und eloquente Nachfolger des jüngeren Moltke im prestigeträchtigen Amt des Generalstabschefs. Dass im Krieg immer nur das „Einfache“ Erfolg haben kann, hätte der schneidig wirkende Karriereoffizier durch die Lektüre von Clausewitz allerdings wissen können. Doch wie schon zuvor der sogenannte Schlieffenplan, das weitaus bekanntere Produkt aus der Gedankenwerkstatt der militärischen Halbgötter an der Berliner Moltkebrücke, scheiterte auch diese auf dem Papier bestechende Idee an der Entschlossenheit der Dritten Republik und seiner von den Deutschen notorisch unterschätzten Armee.

Dabei waren es durchaus nicht die so oft und zurecht gescholtenen Militärs beider Seiten, die es zu verantworten hatten, dass die am 21. Februar 1916 mit mehr als 1200 Geschützen begonnene Offensive der Deutschen zu dem für den gesamten Krieg an der Westfont archetypischen Gemetzel eskalierte. Es war immerhin Frankreichs Ministerpräsident Aristide Briant, der nach dem raschen Fall von Fort Douaumont persönlich an die Front reiste und sich gegenüber seinem noch zögerlichen Oberbefehlshaber Joseph Joffre für ein Halten von Verdun um jeden Preis einsetzte. Tatsächlich gab der „Generalissimus“ gegenüber dem selbstbewussten Politiker nach und danach verstummten auch die Stimmen in der französischen Generalität, die mit guten Gründen auf eine Räumung der exponierten und militärisch offenbar bedeutungslosen Festung gedrängt hatten.
Damit aber war die lothringische Kleinstadt am östlichen Ende Frankreichs, wo 843 auch die Geburtsstunde der beiden seither verfeindeten Nationen geschlagen hatte, dazu bestimmt, für Franzosen und Deutsche zu einem Symbol von Sieg oder Niederlage zu werden. Auch Falkenhayn sah sich außerstande, nachdem er schon Anfang März das Scheitern seiner Strategie erkannt hatte, die immer größere Opfer fordernde Schlacht abzubrechen. Es hätte die Kriegsmoral an der Heimatfront nach der ersten Euphorie über die Einnahme von Fort Douaumont zutiefst erschüttert und kam somit in einem technisierten Abnutzungskrieg, der zur Mobilisierung der gesamten Nation zwang, definitiv nicht infrage.

Der Freiburger Historiker Olaf Jessen, bekannt geworden durch seine eindrucksvolle Familienbiografie der Moltkes, hat nun gewagt, im großen Gedenkjahr des Ersten Weltkrieges die gewaltige Schlacht von Verdun noch einmal in ihrer Vorbereitung und in ihrem Verlauf nachzuzeichnen. Warum „Verdun“ nun, wie es der Untertitel vollmundig behauptet, gleich als „Urschlacht des Jahrhunderts“ gesehen werden soll, erläutert Jessens Text allerdings nicht. Über die Schlachten an der Somme“, in Stalingrad oder in der  Normandie könnte man jedenfalls mit nicht weniger Recht dasselbe behaupten.
Jessens Schlachtenpanorama ist aus verschiedenen Perspektiven zusammengesetzt. Besonderes Augenmerk richtet er dabei jedoch auf die Abläufe in den beteiligten deutschen Stäben. Die Generäle sind sein zentrales Thema, auch wenn die Landserperspektive keineswegs zu kurz kommt. Während Falkenhayn und seine Entourage im „Gelben Salon“ der Präfektur von Mézières Kaffee und Kognak tranken und von einem operativen Durchbruch träumten, kämpften und starben die ihnen unterstellten Soldaten in einem apokalyptischen Szenario aus zur Unkenntlichkeit zerstörten Landschaften und Dörfern, in dem kaum noch Platz für die massenhaft anfallenden Leichen zu finden war. Als Falkenhayns scheinbar so genialer Plan schließlich an seinem taktischen Unvermögen, seiner sträflichen Unterschätzung der französischen Widerstandskraft und an der schlichten Tatsache scheiterte, dass sein Gegenspieler Joffre ihn erstaunlich rasch durchschaute und den Briten dringend von einem überstürzten Gegenangriff im Artois abriet, verlor der so kühle General mehr und mehr seine Nerven. Bis zu seiner Ablösung im August 1916 war Falckenhayns Verhalten zunehmend von Ratlosigkeit und extremen Stimmungsschwankungen geprägt. Fast schon könnte man Mitleid mit dem „Schlächter von Verdun“ bekommen, der geradezu körperlich, wie Jessen schreibt, unter den emporschnellenden Verlusten litt und die Schlacht am liebsten abgebrochen hätte. Doch im Zeitalter des Volkskrieges konnte ein Heerführer eben nicht mehr wie noch ein „Roi connétable“ anderthalb Jahrhunderte zuvor eine der Lage angepasste Entscheidung treffen. Damit nahm das Verhängnis für beide Armeen vor Verdun seinen Lauf. Alles dies wie auch die handstreichartige Einnahme von Fort Douaumont oder der Kampf um Fort Vaux mit dem deutschen Ehrenspalier für die kapitulierenden letzten Franzosen ist seither schon oft und sogar besser beschrieben worden. Jessens Text dagegen verliert schon bald den Spannungsbogen, da er wie bei einer Reportage unter jeweiliger Nennung von Ort, Zeit und Personen die 300 Tage dauernde Schlacht in eine kaum noch zusammenhängende Folge von Episoden zerhackt, die gegen Ende des Buches immer weiter auseinander liegen und den Eindruck erwecken, der Autor wolle nun endlich in weiten Sprüngen zum Ende kommen.

Der besondere Nutzen in seinem gleichwohl kenntnisreichen Buch liegt jedoch darin, dass er die Genese der grausigen Metapher von der „Blutmühle an der Maas“ überzeugend rekonstruieren kann. Wie seine Untergebenen hatte Falkenhayn, noch während die Schlacht tobte und jeden Tag Hunderte von Toten forderte, versucht, sich die ausweglose Situation dadurch schön zu reden, dass man von erheblich höheren französischen Verlusten fantasierte ohne dafür wirklich Belege zu haben. Noch nach dem Krieg glaubte der 1922 im Alter von 60 Jahren verstorbene Generalstabschef, dass Frankreich bei Verdun mit mehr als 500.000 Toten fast doppelt so hohe Verluste hatte erleiden müssen wie die deutschen Angreifer. In seinen verlogenen Memoiren erhielt dann das Gemetzel an der Maas somit noch nachträglich einen scheinbaren Sinn, da ja bei Verdun das numerisch ohnehin stark unterlegene französische Volk angeblich einen irreversiblen Aderlass hinnehmen musste. Falckenhayn scheute nicht einmal davor zurück, zur Festigung seiner abstrusen Argumentation eigens eine Denkschrift zu erfinden, in der er schon im Winter 1915/16 dem Kaiser seine Überlegungen zum Ausbluten der französischen Armee bei Verdun dargelegt haben will. Gefunden wurde diese so genannte Winterdenkschrift jedoch bis heute nicht. Tatsächlich geriet Verdun in doppelter Hinsicht zu einem deutschen Desaster. Die eigenen mörderischen Verluste von fast 300.000 Soldaten brachen dem deutschen Westheer seelisch wie auch materiell für den Rest des Krieges das Rückgrat, während Frankreich trotz seiner marginal höheren Ausfälle einen neuen Mythos schuf, der die Nation auch im Krisenjahr 1917 zum Durchhalten befähigte.
Die bis heute wirkende Damnatio memoriae des Generals v. Falckenhayn als unfähiger Schlächter von Verdun ist somit selbstverschuldet und zudem wohlverdient. Auch Jessen kann trotz mancher zaghafter Versuche nichts zu seiner Ehrenrettung tun.

 

Olaf Jessen
Verdun 1916
Urschlacht des Jahrhunderts
C.H. Beck,München
496 Seiten
24,95 €
978 3 406 65826 6

Leseprobe

 


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