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»Blutmühle«
statt »Durchbruch
über die Bande«
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„Durchbruch über die Bande“ lautete im Winter 1915/16 das neue strategische Konzept des deutschen Generalstabes, um die gegnerische Entente nach Jahren der Stagnation im Westen doch noch entscheidend zu schlagen. Eine deutsche Offensive gegen Belfort oder Verdun sollte Frankreichs wichtigsten Verbündeten, die noch im Aufbau stehende britische Armee, zu einer verfrühten Entlastungsoffensive im Artois veranlassen. Erst deren voraussichtliches Scheitern würde dann dem deutschen Westheer im Gegenzug die Möglichkeit zum erhofften Durchbruch eröffnen. Ersonnen hatte sich diesen komplexen Plan der General d. Infanterie Erich v. Falkenhayn, der brillante und eloquente Nachfolger des jüngeren Moltke im prestigeträchtigen Amt des Generalstabschefs. Dass im Krieg immer nur das „Einfache“ Erfolg haben kann, hätte der schneidig wirkende Karriereoffizier durch die Lektüre von Clausewitz allerdings wissen können. Doch wie schon zuvor der sogenannte Schlieffenplan, das weitaus bekanntere Produkt aus der Gedankenwerkstatt der militärischen Halbgötter an der Berliner Moltkebrücke, scheiterte auch diese auf dem Papier bestechende Idee an der Entschlossenheit der Dritten Republik und seiner von den Deutschen notorisch unterschätzten Armee.
Dabei waren es durchaus
nicht die so oft und zurecht gescholtenen Militärs beider Seiten, die es zu
verantworten hatten, dass die am 21. Februar 1916 mit mehr als 1200 Geschützen
begonnene Offensive der Deutschen zu dem für den gesamten Krieg an der Westfont
archetypischen Gemetzel eskalierte. Es war immerhin Frankreichs
Ministerpräsident Aristide Briant, der nach dem raschen Fall von Fort Douaumont
persönlich an die Front reiste und sich gegenüber seinem noch zögerlichen
Oberbefehlshaber Joseph Joffre für ein Halten von Verdun um jeden Preis
einsetzte. Tatsächlich gab der „Generalissimus“ gegenüber dem selbstbewussten
Politiker nach und danach verstummten auch die Stimmen in der französischen
Generalität, die mit guten Gründen auf eine Räumung der exponierten und
militärisch offenbar bedeutungslosen Festung gedrängt hatten.
Der Freiburger Historiker
Olaf Jessen, bekannt geworden durch seine eindrucksvolle Familienbiografie der
Moltkes, hat nun gewagt, im großen Gedenkjahr des Ersten Weltkrieges die
gewaltige Schlacht von Verdun noch einmal in ihrer Vorbereitung und in ihrem
Verlauf nachzuzeichnen. Warum „Verdun“ nun, wie es der Untertitel vollmundig
behauptet, gleich als „Urschlacht des Jahrhunderts“ gesehen werden soll,
erläutert Jessens Text allerdings nicht. Über die Schlachten an der Somme“, in
Stalingrad oder in der Normandie könnte man jedenfalls mit nicht weniger Recht
dasselbe behaupten.
Der besondere Nutzen in
seinem gleichwohl kenntnisreichen Buch liegt jedoch darin, dass er die Genese
der grausigen Metapher von der „Blutmühle an der Maas“ überzeugend
rekonstruieren kann. Wie seine Untergebenen hatte Falkenhayn, noch während die
Schlacht tobte und jeden Tag Hunderte von Toten forderte, versucht, sich die
ausweglose Situation dadurch schön zu reden, dass man von erheblich höheren
französischen Verlusten fantasierte ohne dafür wirklich Belege zu haben. Noch
nach dem Krieg glaubte der 1922 im Alter von 60 Jahren verstorbene
Generalstabschef, dass Frankreich bei Verdun mit mehr als 500.000 Toten fast
doppelt so hohe Verluste hatte erleiden müssen wie die deutschen Angreifer. In
seinen verlogenen Memoiren erhielt dann das Gemetzel an der Maas somit noch
nachträglich einen scheinbaren Sinn, da ja bei Verdun das numerisch ohnehin
stark unterlegene französische Volk angeblich einen irreversiblen Aderlass
hinnehmen musste. Falckenhayn scheute nicht einmal davor zurück, zur Festigung
seiner abstrusen Argumentation eigens eine Denkschrift zu erfinden, in der er
schon im Winter 1915/16 dem Kaiser seine Überlegungen zum Ausbluten der
französischen Armee bei Verdun dargelegt haben will. Gefunden wurde diese so
genannte Winterdenkschrift jedoch bis heute nicht. Tatsächlich geriet Verdun in
doppelter Hinsicht zu einem deutschen Desaster. Die eigenen mörderischen
Verluste von fast 300.000 Soldaten brachen dem deutschen Westheer seelisch wie
auch materiell für den Rest des Krieges das Rückgrat, während Frankreich trotz
seiner marginal höheren Ausfälle einen neuen Mythos schuf, der die Nation auch
im Krisenjahr 1917 zum Durchhalten befähigte. |
Olaf Jessen |
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