Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 



Ein Nomadenleben

Bruce Chatwins Briefe erzählen brillant von der Ruhelosigkeit

Von Georg Patzer




 

Die »Frage aller Fragen ist: das Wesen menschlicher Ruhelosigkeit.« Das sagte er im Jahr 1969, als er an einem Buch darüber schrieb – es ist aber nie erschienen. Dabei war wohl kein Mensch so geeignet, genau über dieses Thema zu schreiben, wie Bruce Chatwin: Er war die Verkörperung der Ruhelosigkeit. Aber, wie einer seiner Lehrer am Marlborough College einmal sagte: »Jeder Mensch, der sich jemals etwas abverlangt, trägt ein Buch in sich … Allerdings mag es ein besseres Buch werden, wenn er damit wartet, es einem Verleger zu übergeben, bis er sechzig geworden ist.«

Sechzig wurde Chatwin nicht, er starb 1989 im Alter von 48 Jahren an Aids. Und Teile aus der wissenschaftlichen Untersuchung waren 1987 in eines der berühmtesten Bücher der englischen Literatur eingegangen, in die »Traumpfade«: eine halbfiktionale Reiseerzählung, ein Bericht über die Mythen und Lieder der australischen Ureinwohner und eine etwas mosaikartige Abhandlung über das Wesen des Nomaden. Jeder Australienreisende trägt es bei sich.

Chatwin hielt es selten lange an einem Ort aus, nach höchstens einem Monat schon spürte er das Bedürfnis, wegzufahren. Und so kündigte der Sotheby's-Angestellte seine Direktorenstelle und bereiste fast die ganze Welt, fuhr nach Patagonien, Wales, Prag, China und Indien, Australien und Afrika. Ging in den USA nacktwandern, traf in Chile Menschen, die noch Butch Cassidy kannten und meinte, Patmos sei »der nervtötendste Ort«, an dem er sich je aufgehalten hat, und, in Anspielung auf die Apokalypse, die hier geschrieben wurde: »Man war wirklich reif für die göttliche Offenbarung.« Immer wieder sehnte er sich auch nach England zurück, mietete Häuser und Wohnungen und flüchtete dann wieder. Es sei denn, er arbeitete an einem Roman, dann, aber nur dann war er sesshafter. Oft wohnte oft bei Freunden, die er in aller Welt kennenlernte. Denn er war begabt darin, Menschen kennenzulernen, zuzuhören, sich mit ihnen zu verbinden.

Und er war auch begabt darin, über sie zu schreiben. In nur wenigen prägnanten Sätzen konnte er Menschen so charakterisieren, dass sie sofort lebendig werden. Mit wenigen Worten konnte er auch Landschaften so beschreiben, dass sie in aller atmosphärischen Dichte vor einem stehen, Wüsten und Wälder, Berge und Meere. Dazu hatte er einen köstlichen Witz. Kurz: In »Der Nomade« wird in langen und kurzen Briefen ein Leben aufgeblättert, wie es umtriebiger kaum sein kann. Das Schöne an dem dicken Buch ist, dass die vielen verbindenden Zwischenkommentare präzise die Zusammenhänge herstellen, auf die sich die Briefe beziehen, die man ja sonst kaum verstehen würde. Und so ist es mehr als ein Briefband geworden, eher eine ausführliche Biografie, unverzichtbar für alle Reisebuchliebhaber. Schön sind auch die oft lapidaren Bemerkungen seiner Witwe, so schreibt sie einmal, als er meinte, seine Ringelflechte hätte er von den Katzen: »Er hatte wirklich keine Ahnung von Tieren.«

Etwas merkwürdig ist, was der deutsche Verlag daraus gemacht hat: ein dickes Buch, das nicht fest gebunden ist und schon zerfleddert aussieht, wenn man nur halb durch ist. Und auch die erläuternden Fußnoten sind etwas konfus, mal mit Lebensdaten, mal ohne, mal sind die Daten falsch, und manches wird gar nicht erklärt, z.B. der Pre-Cana-Unterricht (dem sich ein Nicht-Katholik unterziehen muss, bevor er katholisch heiraten darf).

Artikel online seit 08.10.14 

Bruce Chatwin
Der Nomade. Briefe 1948 – 1988
Übersetzt von Anna und Dietrich Leube
Herausgegeben von Elizabeth Chatwin
und Nicholas Shakespeare
Hanser Verlag,
französische Broschur,
649 Seiten
27,90 Euro

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik   Bilderbuch   Comics   Filme   Preisrätsel   Das Beste