24 Lesetipps
für Herz & Hirn
Artikel online seit 15.03.13
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Zeitlos guter Stoff
In seinem opulenten Sittenbild beschreibt Upton Sinclair den Kampf der
kalifornischen Ölbarone um das
schwarze Gold ebenso detailgenau wie die Auseinandersetzungen zwischen den
verschiedenen Strömungen der amerikanischen Arbeiterbewegung in ihrem Kampf um so
etwas wie soziale Gerechtigkeit zu Beginn des 20. Jahhrunderts. Darin
eingebettet liest sich die Geschichte des idealistischen Juniorchefs Bunny
erstaunlich zeitgemäß, ohne den periodisch immer wieder auftauchenden Vorwurf,
das sei doch »Sozialkitsch« auch nur ansatzweise zu rechtfertigen. Let's go
boys.
Upton Sinclair - Öl! -
Roman - Mit Nachwort von
Ilija Trojanow
Aus dem Amerikanischen von Andrea Ott
Manesse - 978-3-7175-2254-6 - € 34,95
Leseprobe
Ein
Tauchgang in die bleierne Zeit
Im Mai 1975 stirbt Philip S. bei einem Schusswechsel mit der Polizei auf einem Kölner
Parkplatz. Fast vierzig Jahre später geht Ulrike Edschmid auf die Suche nach den
wenigen Spuren, die er hinterlassen hat. Philip S. war ihr Gefährte:
ein sensibler, eigenwilliger junger Mensch, der 1967 aus Zürich nach Berlin kam,
sich liebevoll um ihr Kind kümmerte und seinen ersten experimentellen Film
drehte, während andere gegen den Vietnamkrieg demonstrierten und Institute
besetzten. Drei Jahre später wird ihre
Fabriketage mehrmals von der Polizei durchsucht. Der sechsjährige Sohn,
unbestechlicher Zeuge einer zunehmenden Radikalisierung, tritt den bewaffneten
Beamten mit seiner Armbrust entgegen. Als die Mutter und Philip S. verhaftet
werden, kann er ihnen nicht mehr beistehen. Ohne es zu wissen, wird er seine
Mutter retten. Philip S. dagegen, der sich für die Revolution entschieden hat,
setzt sich Schritt für Schritt aus dem gemeinsamen Leben ab.
Ulrike Edschmids Bericht aus der bleiernen Zeit geht gerade deshalb so an die
Nieren, weil sie auf jeden sozialromantischen Schnörkel verzichtet. Ein Buch,
das unerwartet kraftvoll nach mir gegriffen hat, und beim Lesen begann sich der
große, alte Zorn wieder in meinem Bauch zu sammeln...
Ulrike
Edschmid -
Das Verschwinden des Philip S.
Suhrkamp, 157 Seiten -
15,95 €
ISBN: 978-3-518-42349-3
Eine
wahre Geschichte?
New York, Weihnachten 1969. Willie Sutton packt seine Bücher ein und räumt die
Zelle. Endlich Freiheit. Nach siebzehn Jahren. Doch die Zeit hat ihre Bedeutung
verloren. Mit einem Fotografen und einem Reporter fährt er durch das verschneite
New York auf den Spuren seiner legendären Vergangenheit: Die Kindheit im
irischen Viertel, der erste Raub, dann 200 Banküberfälle, ohne je einen einzigen Schuss abzufeuern - und immer wieder Bess, die ihm das Herz brach.
Wie ein Puzzle setzt sich Seite für Seite Suttons Leben zusammen. Was dabei
Wirklichkeit und was Erfindung war, werden wir nie erfahren. Aber was macht das
schon.
Leseprobe
J.R.
Moehringer -
Knapp am Herz vorbei
Roman -
S. Fischer -
€ 19,99 -
978-3-10-049603-4
Moralischer
Kompaß
Jeden Herbst lassen die Männer von Loyalty Island den grünen Nebel der
Olympic-Halbinsel hinter sich und fahren auf die Beringsee hinaus. Der
vierzehnjährige Cal ist noch zu jung, um seinen Vater zu begleiten, aber alt
genug, um zu wissen, dass das Leben aller Familien im Ort vom Schicksal der
Krabbenfischer abhängt. Er ist auch alt genug, um die Spannungen zwischen seinen
Eltern zu spüren. Ob er in die Fußstapfen seines Vaters treten soll, ist ein
steter Streitpunkt -, und das Verhältnis seiner Mutter zu John Gaunt, dem
Besitzer der Flotte, wirft Fragen auf. Dann stirbt John Gaunt: ein Schock für
Cals Mutter, aber auch eine handfeste Bedrohung für die gesamte eingeschworene
Gemeinschaft von Fischerfamilien. Denn nun soll Johns Sohn Richard die Geschäfte
übernehmen, der als zynischer Außenseiter gilt und obendrein noch nie einen Fuß
auf einen Kutter gesetzt hat. Als Cal zufällig ein Gespräch zwischen seinem
Vater und anderen Fischern belauscht, beschleicht ihn ein Verdacht - aber kann
es wirklich sein, dass sie Richard aus dem Weg räumen wollen?
Leseprobe
Nick Dybek - Der Himmel über Greene Harbor -
Roman
Aus dem Amerikanischen von Frank Fingerhuth - mare
320 Seiten -
19,90 € -
978-3-86648-160-2
Orwells
1984
war gestern,
Nordkorea ist heute
Pak Jun Do hat noch nie einen Film gesehen, kaum je ein Werbeplakat,
er findet es merkwürdig, dass woanders Leute Tiere im Haus halten, und wundert
sich über Maschinen, die Geld auswerfen. Er kennt keine Ironie, keine Kunst,
keine Mode und keine Magazine. Aufgewachsen im nordkoreanischen Waisenhaus
Frohe Zukunft, ist er ein winziges Rädchen im Getriebe der
absurd-grausamen Herrschaft des »Geliebten Führers« Kim Jong Il. Nur ein
falsches Wort kann jeden sofort ins Lager bringen.
Doch mit der Zeit beginnt
Jun Do an etwas zu glauben, was stärker ist als Staatstreue: Freundschaft und
Liebe. Als er die Schauspielerin Sun Moon trifft, lernt er das bedingungslose
Vertrauen in einen anderen Menschen kennen. Und nur dafür lohnt es sich zu
überleben.
Leseprobe
Adam
Johnson -
Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
Aus dem
amerikanischen Englisch von Anke Caroline Burger
suhrkamp taschenbuch 4425
- 687 Seiten
-
22,95 €
ISBN: 978-3-518-46425-0
Afrikanisches
Abenteuer
Eigentlich sollte Benjamin von seinem Vater abgeholt werden. Aber stattdessen
steht der Dreizehnjährige mitten in der Nacht allein am Flughafen von Monrovia.
Ohne Pass und Gepäck, aber mit einem fremden Mantel, in dessen Taschen dicke
Geldbündel stecken. Auf dem Weg in die Stadt wird er von zwielichtigen Gestalten
verfolgt und steht plötzlich vor dem gleichaltrigen Bo und der
vom Wohlstand verwöhnten Brilliant. Haben sie ihn schon erwartet? Auf der Suche nach seinem Vater lernt Benjamin, wie man
über sich hinaus wächst, und erlebt ein mitreißendes Abenteuer fürs Leben.
Leseprobe
Rainer
Merkel - Bo -
Roman -
S. Fischer
€ 22,99
-
978-3-10-048444-4
Vom
Glück auf
See
»Ich spüre, wie der Rausch des Alleinseins in mich eindringt, der süße Rausch
der Ruhe, die nichts stören wird, kein weißer Brief, kein blaues Telegramm,
nicht die Klingel meiner Tür, noch das Bellen meines Hundes. Ich bin allein,
wirklich allein, wirklich frei.«
Und tatsächlich wird Maupassant während einer zehntägigen Kreuzfahrt mit der
kleinen Jacht Bel-Ami durch nichts gestört als seine beiden Matrosen,
die sich höchstens ab und zu über die Windrichtung streiten. An Bord unternimmt
er leidenschaftliche Exkurse ins Reich der Gedanken, sinniert über die
Oberflächlichkeit der Welt des Geldes in Cannes und ihr prätentiöses Verhältnis
zur Kunst, über die Selbstreflektiertheit des Künstlers, über Glück und
Einsamkeit.
Leseprobe
Guy de Maupassant - Auf See
Aus dem Französischen von Cornelia Hasting - Mit einem Nachwort von Julian
Barnes - mare - 192 Seiten - Leineneinband mit Lesebändchen im Schuber -
24,00 € -
978-3-86648-166-4
Prall
»Schreiben Sie, daß ich unbequem war und es auch nach meinem Tod zu bleiben
gedenke. Es gibt auch dann noch gewisse Möglichkeiten.«
B. Brecht
Das Leben des Bertolt Brecht, erzählt als die Geschichte eines kritischen
Intellektuellen, der sich und sein Werk gegen politische Hindernisse und zwei
Weltkriege durchsetzte und der zwischen die ideologischen Stühle geriet. Als
erster nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung nimmt Jan Knopf den
charismatischen und schwierigen Menschen, den genialen und zerrissenen Künstler
in den Blick, der nach sensationellen Erfolgen in den Zwanzigerjahren ins Exil
gehen musste und nach dem Scheitern in Hollywood mit dem (Ost-)Berliner Ensemble
erneut Triumphe feierte.
Jan
Knopf - Bertolt
Brecht - Lebenskunst in finsteren Zeiten
Biografie
-
Hanser -
560 Seiten -
Mit Lesebändchen und Register
27,90 €
- 978-3-446-24001-8
Eine
literarische Delikatesse
Daß
Honoré de Balzac Asket und Gourmet in einer Person war, Hungerleider wie
Vielfraß, ist gern erzählte Legende. Phasen strengster Arbeitsdisziplin und
Abstinenz wechselten sich ab mit orgiastischen Fresszügen durch die Pariser
Feinkostläden, Märkte und Bäckereien. Dabei entdeckte er auch eine Einrichtung
für sich, die damals als öffentlicher Ort des kulinarischen Genusses gerade in
Mode kam, das Restaurant. Und fortan diente es ihm nicht nur als eine ideale
Bühne zur Inszenierung seiner Sittenbilder, sondern auch als perfekter Lokation
für seine Lust am exzessiven Essen. Mit Die Austern des Monsieur Balzac
hat Anka Muhlstein eine wunderbare Liebeserklärung an das Paris des 19.
Jahrhunderts geschrieben, die gespickt ist mit biographischen Anekdoten und
süffisanten Details aus dem Leben Balzacs und seiner Romane. Ein
kulinarisch-literarisches Geschenkbuch erster Güte. HD
Anka
Muhlstein -
Die
Austern des Monsieur Balzac -
Eine delikate
Biografie -
Aus dem Französischen von Grete Osterwald
insel taschenbuch 4103 -
Broschur, 164 Seiten -
8,99 €
»So
wurde ihnen die Flucht zur Heimat«
Unter
diesem Motto zeigt die Ausstellung
des Deutschen Exilarchivs
der Deutschen Nationalbibliothek 1933-1945 in Frankfurt/Main, kuratiert von
Victoria Lunzer-Talos und Heinz Lunzer, Materialien, welche die Freundschaft von
Soma Morgenstern und Joseph Roth eindrucksvoll dokumentieren. Dazu ist im Weidle
Verlag ein großformatiger Band erschienen,
der neben
bisher unbekannten Briefe
und Notizen zu Morgensterns Texten und zu den jeweiligen Biographien der
Schriftsteller auch zahlreiche Fotos und Faksimiles birgt, die den Leser in die
düsterste Epoche deutscher Kulturgeschichte eintauchen lassen, in der einzig die
Freundschaften der Verlorenen Lichter im Dunkel der Barbarei waren.
»Eigentlich sollte
das, was ich seit Jahren schreibe, den Titel haben: Ein Leben mit Freunden. Aber
leider kann ich diesen Titel nicht verwenden, weil ich zu der unglücklichen
Generation gehöre, die in einer Flut von Weltgeschichte verunglückte, aus der
nur einige ihr Leben gerettet haben, aber keinesfalls ohne Schaden davongekommen
sind.« Soma Morgenstern
Die Ausstellung geht vom 7. November 2012 – 19. Januar 2013
Soma Morgenstern und Joseph Roth. Eine Freundschaft.
120 Seiten, zahlreiche Abbildungen - Weidle Verlag - fadengeheftete Broschur - €
25 - 978-3-938803-47-9
Géza
von Cziffra:
Erinnerungen an Joseph Roth
Der
1900 im ungarischen Arad geborene Géza
von Cziffra wurde als Regisseur
erfolgreicher Unterhaltungsfilme bekannt. Er war aber auch Reporter, Dramaturg,
Bühnen- und Drehbuchautor und veröffentlichte eine Reihe Bücher, darunter
mehrere Memoirenbände. Als Flaneur durch die literarischen Cafés von Wien und
Berlin lernte er dort neben Else Lasker-Schüler, Egon Erwin Kisch, Kurt
Tucholsky und Bertolt Brecht auch Joseph Roth kennen.
Daß, wer sich kurz faßt, häufig mehr mitzuteilen hat als weitschweifige
Memoirenverfasser, beweisen diese in bestem Sinne herzzerreißenden
Erinnerungen eines Maitre der leichten Muse an einen der ganz großen Dichter des
Zwanzigsten Jahrhunderts. Sie sind kurz und doch endlos unterhaltsam. Dabei läßt
ihr federleichter Ton nie vergessen, daß hier ein tragisches Leben in sich rasch
verfinsternden Zeiten im Mittelpunkt steht:
Joseph Roth, der Dichter des
»Radetzkymarschs« und scharfzüngige Journalist, ein von, oft selbst
fabrizierten, Geheimnissen umgebener Spötter und Abkömmling des verschwundenen
ostjüdischen Kosmos, berühmter Trinker, Hotel- und Caféhausbewohner,
Zeitgenosse, Freund und Feind von Egon Erwin Kisch, Alfred Polgar, Bertold
Brecht, Heinrich Mann, Irmgard Keun, Ödön von Horváth, expressionistischen
Malern – ihnen allen setzt dieser wundervoll gestaltete Halbleinenband von Berenberg ein stilvolles Denkmal.
HD
Géza von Cziffra -
Der heilige Trinker - Berenberg Verlag -
140 Seiten · Halbleinen, fadengeheftet - EUR 19,00
»Auf Ozeanen und im Wartesaal«
Einer
dieser Verlorenen war auch der 1902 geborene Schriftsteller und Publizist Hans Sahl, der als jüdischer Autor 1933 von Berlin aus über Prag und Zürich nach
Frankreich flüchten mußte. Von Marseille aus organisierte er mit dem Amerikaner
Varian Fry die Flucht von 2400 Intellektuellen vor den Nazis, ehe er selbst über
Portugal in die USA entkam. Dort arbeitete er als Schriftsteller, Übersetzer und
Journalist.
»Die hellen Nächte« war sein erster Gedichtband, er
erschien 1942 im Verlag von Barthold Fles, nachdem es gelungen war, 250
Subskribenten zu werben. Die hier vorliegende Ausgabe bringt die Gedichte
erstmals wieder in der von ihm bestimmten Ordnung.
Ebenfalls
in diesem Herbst erschien der vierte Band der Werkausgabe, der unter dem Titel
»Der Mann, der sich selbst besuchte«, die Erzählungen und Glossen Sahls wieder
zugänglich macht. HD
Hans Sahl - Die hellen Nächte
-
Gedichte aus Frankreich - Mit Beiträgen von Burkhard Baltzer, Momme Brodersen,
Stéphane Hessel und Ralph Schock. Weidle Verlag - 100 Seiten - € 16,90 -
978-3-938803-54-7
Hans Sahl -
Der Mann,
der sich selbst besuchte - Erzählungen - Luchterhand Literaturverlag -
416 Seiten -
€ 22,99 978-3-630-87293-3
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Jahrhundertgespräch
»Dieses Buch ist Geschichte, Biographie und moralphilosophische Abhandlung. Es
ist eine politische Ideengeschichte des 20.Jahrhunderts, in der es um die Themen
Macht und Gerechtigkeit geht,...« Mit diesen Worten leitet Timothy Snyder sein
Vorwort ein zu einem Buch, das keinen Leser, der noch guten Willens ist, kalt
lassen kann. Guten Willens, Verstehen zu lernen und geduldiger Lesezeuge eines
langen Gespräches zwischen Snyder und Tony Judt zu werden, das nicht weniger
ist, als die kritische Bilanz der großen politischen Ideen der Moderne.
Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter der politischen Visionen. Die
unversöhnlichen Konflikte zwischen Kommunismus, Liberalismus und Faschismus
hinterließen auch in Tony Judts Familie tiefe Spuren: seine Cousine starb in
Auschwitz, sein Vater war Marxist, er selbst begeisterte sich für die
Kibbuz-Bewegung in Israel, erlebte 1968 in Paris, das neoliberale Großbritannien
unter Thatcher und schließlich, 1989, das Ende des Kommunismus in Europa. Leseprobe
Tony
Judt -
Nachdenken über das 20. Jahrhundert -
Aus
dem Englischen von Matthias Fienbork
- Hanser Verlag
416 Seiten -
Mit Lesebändchen -
24,90 € -
978-3-446-24139-8
»Wahr
ist auch das Gegenteil...«
Hinter der Protestbewegung haben Atomkraft und Raketentriebwerke gesteckt, nicht
die Liebe zum Sozialismus. Marx war Darwinist und das Kommunistische Manifest
übler Kitsch. Der Kommunismus ist abgelaufen wie altes Badewasser, als der
Stöpsel gezogen wurde. Der Mensch als Einzelner ist ein bösartiges Tier und die
Menschheit als Ganzes eine wild wuchernde Amöbe. Im Kapitalismus haben die
Menschen einen Doppelgänger: Er ist wie sie, sie haben ihn ja auch gemacht.
Linksradikale schöpfen aus dem Kapitalismus Lebenssinn und Seelentrost. Die
Geschichte ist keine Schatzkammer, sondern eine Leichenhalle, und aus der
Vergangenheit kann man nur lernen, dass man sie vergessen soll. Das ist die
Wahrheit, aber nicht die ganze, sondern wahr ist auch das Gegenteil. Wie er es
damit hält, muss jeder selbst für sich entscheiden. Vorbeter gehören in die
Kirche oder ins Politbüro.
Leseprobe
Wolfgang Pohrt - Das allerletzte
Gefecht
Über den universellen Kapitalismus, den
Kommunismus als Episode und die Menschheit als Amöbe
edition tiamat - Critica Diabolis 205
- Broschur, 160 Seiten
13.- € -
978-3-89320-174-7
Ignorante
Zuversicht
Der
Kapitalismus steuert auf eine Weltwirtschaftskrise zu. Damit gewinnen die
bereits in den achtziger Jahren entwickelten krisentheoretischen Thesen und
Analysen von Robert Kurz, die von der vereinigten Restlinken wie vom
bürgerlichen Wissenschaftsverständnis stets grundsätzlich zurückgewiesen wurden,
weit mehr als bisher an Realitätsgehalt. Das angeblich Unmögliche beginnt wahr
zu werden, auch wenn sich das herrschende Bewusstsein gegen die Einsicht
sträubt, dass es um etwas anderes geht als um eine bloß zyklische
Abwärtsbewegung, die nach ein paar Monaten oder höchstens einem Jahr glücklich
überstanden sein wird. Diese auf Ignoranz basierende Zuversichtlichkeit eines
irre gewordenen positiven Denkens steht in eigenartigem Kontrast zu den Aussagen
der meisten Konjunkturforscher, die an ihrer eigenen Prognosefähigkeit zweifeln.
Und auch der offizielle akademische und politische Diskurs sieht die
systemischen Grundlagen in Gefahr.
Leseprobe
Robert Kurz -
Weltkrise und Ignoranz. Kapitalismus im
Niedergang - Ausgewählte Schriften 1992
– 2012 - Hrg. Roswitha Scholz & Claus Peter
Ortlieb - edition tiamat -
Critica Diabolis 204 -
Broschur, 240 Seiten -
16.- € 978-3-89320-173-0
Bedingungsgeflecht
der Genialität
Büchnerjahre hin oder her, Georg Büchner ist bis heute ein Ungeliebter, weil
unbequemer Kopf, (1813–1837) ist bisher vorwiegend als politischer Agitator,
Frühsozialist und Vorläufer der 1848er Revolution betrachtet worden. Das
Menschliche kam dabei zu kurz, ebenso das Künstlerische, das Romantische, das
Psychologische, das Metaphysische und die wildwüchsige Religiosität. Aufsässig
und melancholisch, satirisch aggressiv und romantisch verträumt, politisch
gescheitert und steckbrieflich gesucht, in mindestens zwei Frauen verliebt,
Naturliebhaber und eiserner Arbeiter, im französischen und schweizerischen Exil
steile Karriere als Anatom, dann der schreckliche Typhustod mit 23 Jahren,
gerade als das erste Berufsziel erreicht war – dieses Leben verschlägt einem den
Atem. Die politische Flugschrift, deren Verfasser er war, löst eine Verfolgungs-
und Verhaftungswelle aus. Er kann fliehen, fühlt sich aber schuldig, meidet
fortan politische Aktionen und steckt seine Kraft in Wissenschaft und Dichtung.
Er schreibt seine Dramen (Dantons Tod, Leonce und Lena,
Woyzeck) und seine Erzählung (Lenz) autobiographisch und
quellengestützt, das erklärt sein Tempo. Die autobiographischen Elemente wurden
bisher unterschätzt. Sie bilden die wichtigste Quelle dieses Buchs. Es sucht
nach dem Bedingungsgeflecht der Genialität. Die Kräfte, für die das Leben keinen
Raum bietet, drängen ins Werk. Hermann Kurzke deutet Büchners Leben und Werk von
den geistigen Wurzeln her, die Büchner selbst wichtig waren – wissenschaftlich
fundiert und erzählerisch auf höchstem Niveau.
Leseprobe
Hermann Kurzke -
Georg Büchner -
Geschichte eines Genies
C.H. Beck - 591 S.: mit 48 Abbildungen. In Leinen - 29,95 €
978-3-406-64493-1
Leben
& Werk in seiner Zeit
Seit vier Jahrzehnten ist dies die erste große Marx-Biographie – geschrieben von
einem exzellenten Kenner auf der Grundlage intensiver Forschungen. Jonathan
Sperber zeigt uns Karl Marx genauer als je zuvor im Kontext seines Jahrhunderts
und interpretiert ihn nicht, wie die meisten seiner Vorgänger, als eine Art
posthumen Zeitgenossen. Dieses Buch macht uns vielmehr bewusst, wie stark Marx
sich im Koordinatensystem der eigenen Epoche bewegte – zwischen den Ereignissen
der Französischen Revolution und einer kapitalistischen Zukunft.
Kein anderer Denker ist so gründlich in eine permanente Deutungshaftung für die
Gegenwart genommen worden wie Karl Marx. Die Biographie folgt den Spuren eines
genialen Mannes, der ein Leben lang nach einer neuen und radikaleren Version der
Französischen Revolution suchte und schließlich – neben Darwin – zum
meistzitierten Denker des 19. Jahrhunderts werden sollte.
Leseprobe
Jonathan Sperber
-
Karl Marx -
Sein Leben und sein
Jahrhundert - Aus dem Englischen von Thomas Atzert, Friedrich Griese†, und Karl
Heinz Siber - C.H. Beck - 634 S.: mit 33 Abbildungen. Gebunden - 29,95 € -
978-3-406-64096-4
Klassenkampf
& Revolution
Das Kommunistische Manifest ist einer der einflussreichsten politischen Texte,
die je geschrieben wurden. Entstanden im Vorfeld der europäischen Revolutionen
von 1848 enthält es die Grundzüge des historischen Materialismus und beschreibt
Idee und Ziele des Kommunismus. Es bildete den Grundtext der kommunistischen
Weltbewegung und prägte das Leben von Millionen Menschen. Noch heute vermag sein
Inhalt zu provozieren und Debatten auszulösen über Vergangenheit und Zukunft des
Kapitalismus. Das Buch bietet den Originaltext des kommunistischen Manifests
zusammen mit den Kommentaren und der berühmten Einleitung von Gareth Stedman
Jones. Sie macht seinen Inhalt verständlich, verortet ihn in der politischen
Ideengeschichte, seziert die unterschiedlichen Einflüsse, denen Marx und Engels
bei der Abfassung unterlagen und fragt nach der gegenwärtigen Relevanz seiner
Thesen.
Leseprobe
Gareth
Stedman Jones -
Das
Kommunistische Manifest
von Karl Marx und Friedrich Engels - Einführung, Text, Kommentar Aus dem
Englischen von Catherine Davies und Friedrich Engels
Beck`sche Reihe: bsr;6068, 2012 -
319 S.:
Paperback - 14,95 €
978-3-406-63883-1
Eine
starke
Frau in der Stunde Null
»Ein Bett war nichts gegen eine Tür. Übermäßig hatte sich das Bett in der
Wertschätzung des Menschen gespreizt, es hatte eine ganz unangemessene
Ausdehnung in seinem Wunschdenken eingenommen. Dabei war wesentlicher Besitz des
Menschen die Tür.«
April 1945: Die 27-jährige Elsa Lewinsky ist alleine in der großbürgerlichen
Wohnung ihrer Eltern zurückgeblieben und wartet auf das Kriegsende. Der
Einmarsch der Russen steht kurz bevor, doch die Zukunft ist ungewiss. Elsa ist
eine mutige Einzelkämpferin, die trotz der Schrecken um sie herum mit Hoffnung
nach vorne schaut. Lakonisch beschreibt Anemarie Weber die alltäglich gewordenen
Erfahrungen von Hunger, Angst, Vergewaltigung und der Auseinandersetzung mit den
Alliierten. Ihr präzises Psychogramm der Typen und Charaktere bricht mit den
stereotypen Bildern der knoppschen Betrachtung von Geschichte.
Annemarie Weber - Westend - Roman - aviva Verlag - 318 Seiten - 19,90 EUR
- 978-3-932338-52-6
»Nicht
verflogen ist der Zauber...«
In
einem sowjetischen Lazarettzug auf dem Weg von einer Front zur anderen befindet
sich auch ein Petersburger Intellektueller, der von Herzanfällen und Todesangst
gequält, den Werther liest - und zwar auf deutsch.
Es ist eine jener seltsamen zufälligen Gemeinschaften, wie
sie nur Kriege und Naturkatastrophen hervorbringen.
Bei einem längeren Aufenthalt trifft er auf Vera, ein
Mädchen, ruhelos und romantisch, grazil und ungestüm – und sie ist jederzeit zur
Liebe bereit.
Petrows
Erzählung, hat ihre besondere Geschichte: Jedes Jahr an seinem Geburtstag, zu
dem die ganze kulturelle Elite Leningrads kam, begann die Feier damit, daß der
Gastgeber Auszüge aus seiner Manon vorlas. Er verheimlichte seinen Text nicht,
er reichte ihn nur nicht zur Publikation in sowjetischen Zeitschriften und
Verlagen ein. So blieb einer der schönsten Prosatexte der russischen Literatur
des 20. Jahrhunderts im klandestinen Raum der Poesie geborgen.« HD
Wsewolod Petrow -
Die Manon Lescaut
von Turdej - Aus dem Russischen von Daniel Jurjew - Mit einem Kommentar von
Olga Martynova & einem Nachwort von Oleg Jurjew - Weidle Verlag - 128 Seiten -
Broschur - € 16,90 - 978-3-938803-48-6
Krauts & Tommies in Afrika
Wer
Boyds letzten Klopper, seine im Januar dieses Jahres als TB erschienen »Neuen
Bekenntnisse« gelesen hat, dem ist nicht nur aufgefallen, daß bloomsbury auf der
Welle seines momentanen Erfolges gnadenlos seine frühen Werke raushaut, sondern
auch, daß Boyd mit den Jahrzehnten einen markanten Reifeprozess durchlaufen hat.
In den Bekenntnissen und jetzt auch wieder im soeben erschienenen Band »Der
Eiskrem-Krieg«, dessen Originalausgabe bereits 1982 erschienen ist, erkennt man
noch deutlich Einflüsse seiner großen Vorbilder, Greene und Somerset-Maugham.
Damit einher gehen gelegentlich durchaus Längen, den Plot verkomplizierende
Nebenlinien und eine ausgeprägtes Bedürfnis zur Erklärung
historischer Zusammenhänge. Aber, und das ist das Bemerkenswerte bei Boyd, es
stört das dadurch lehrreicher gewordene Lesevergnügen nicht, und man wartet auf
weitere naturbelassene Perlen aus dem Frühwerk des Meisters. HD
William Boyd - Der Eiskrem-Krieg - Roman - Übersetzt von Hermann Stiehl -
Berlin Verlag - 590 Seiten - 9,99 € - 9783833308192
Ein
zeitlos gültiges Zeugnis
»Die Welt ist so voller Schwachköpfe und Narren, daß
man nicht nötig hat, sie im Tollhause zu suchen.«
Die
Niederschrift seiner »Gespräche mit Goethe in den
letzten Jahren seines Lebens« haben Johann Peter Eckermann, den Sohn
eines umherziehenden Händlers, aus Winsen an der Luhe literarisch unsterblich
gemacht. Obwohl sie bis heute nur zu gerne als eigenes Werk »unseres größten
Dichters« angesehen werden, sind Eckermanns Gespräche mit Goethe ein
eigenständiges Werk mit großer Wirkung und unerlässliche Quelle für das
Verständnis von Goethes Schaffen und Persönlichkeit, ein Monument seines
Nachruhms. Nun sind Eckermanns »Gespräche mit Goethe«
endlich auch als erschwinglicher Band 50 der Taschenbuchausgabe des Deutschen
Klassiker Verlags erschienen. Diese Ausgabe bietet den vollständigen Text
nach den Erstausgaben und wertet Eckermanns Vorarbeiten, Fassungen, Fragmente
und Pläne, Tagebücher und Korrespondenzen aus. Alle Texte werden durch einen
umfangreichen Kommentar erschlossen.
Eckermanns »unmittelbaren Skizzen« haben ihre
Originalität und Gültigkeit auch für heutige Leser behalten. Viele
Textstellen können als Leitsätze und Lebensweisheiten auch ohne den weiteren
Textzusammenhang, für sich genommen, stehen, und nicht wenige dürfen als
treffende Kommentare oder kritische Anmerkungen zu Phänomenen unserer Gegenwart
gelesen werden und stehenbleiben. Nachfolgende Zitate sollen einen kleinen
Eindruck von Themenvielfalt, Orginalität und Witz der Aufzeichnungen Eckermanns
vermitteln. HD
Johann
Peter Eckermann - Gespräche mit Goethe
Herausgegeben von Christoph Michel
unter Mitwirkung von Hans Grüters - Deutscher Klassiker Verlag im
Taschenbuch 50, Broschur -
1390 Seiten -
20,00 € -
978-3-618-68050-5
Transformation
der Verhältnisse
Die Krise hält uns in Atem und erzeugt ein diffuses Gefühl der Ratlosigkeit. So ernst die Lage ist, so wenig scheinen wir zu verstehen,
was genau vor sich geht. Und wie es dazu kommen konnte. Wolfgang Streeck legt in
seiner Frankfurter Adorno-Vorlesung die Wurzeln der gegenwärtigen Finanz-,
Fiskal- und Wirtschaftskrise frei, indem er sie als Moment der langen
neoliberalen Transformation des Nachkriegskapitalismus beschreibt, die bereits
in den 1970er Jahren begann. Im Anschluss an die Krisentheorien der damaligen
Zeit analysiert er, wie sich die Spannung zwischen Demokratie und Kapitalismus
über vier Jahrzehnte entfaltet hat und welche Konflikte daraus zwischen Staaten,
Regierungen, Wählern und Kapitalinteressen resultierten.
Wolfgang
Streeck - Gekaufte Zeit
Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus -
Suhrkamp -
271 Seiten -
24,95 € -
978-3-518-58592-4
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