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Artikel online seit 08.05.13

Die Macht der Institutionen

Daron Acemoglus und James A. Robinsons provokante
Thesen über die
Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut.

Von Edward Kanterian



 

Armut und Reichtum liegen manchmal sehr nahe beieinander. So führt die US-mexikanische Grenze mitten durch die geteilte Kleinstadt Nogales. Auf amerikanischer Seite ist das Jahreseinkommen drei Mal höher als auf der mexikanischen. Eine moderne Infrastruktur und demokratische Wahlen kommen Nord-Nogales zugute, während der Südteil leider nur mit hoher Kriminalität und Korruption aufwartet, von der wuchernden Bürokratie ganz zu schweigen. Wohlstand und relativer Friede auf der einen, Depression auf der anderen Seite des Zauns.

Was erklärt diese dramatischen Unterschiede? Auf geographisch-klimatische Bedingungen sind sie offensichtlich nicht zurückzuführen. Kulturelle Unterschiede gibt es kaum. Die Teilung der Stadt fand erst 1853 statt und die Bevölkerung ist hier wie dort fast ausschließlich hispanisch. Liegt die Misere im mexikanischen Nogales daran, dass seine Politiker nicht genau wissen, was zu tun ist? In ihrem neuen Buch Why Nations Fail lehnen die US-Ökonomen Daren Acemoglu (MIT) und James A. Robinson (Harvard) auch diese Ignoranz-These ab. Der wahre Unterschied liege in der Anbindung der Stadthälften an verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Institutionen. Nach der Terminologie der Autoren sind die Institutionen auf amerikanischer Seite “inklusiver”, auf mexikanischer “repressiver” Natur.

Staaten mit inklusiven Institutionen sind pluralistisch-liberal angelegt: Sie verhelfen den Bürgern zu politischer Selbstbestimmung, der Gleichheit vor dem Gesetz, der Nutzung sozialer und wirtschaftlicher Ressourcen. Es herrschen Recht und Ordnung, was die Menschen motiviert, im unternehmerischen und technologischen Bereich Initiative zu ergreifen. Die führt wiederum zu Innovation und schließlich Wohlstand. Politiker sind in so einem Rahmen bloß repräsentierende Funktionäre, die man auch abwählen kann. Wo repressive Institutionen walten, sind die Politiker dagegen Herrscher und, zusammen mit ihren Seilschaften, Nutznießer auf Kosten der entmutigten und bevormundeten Bevölkerung. Die entsprechenden oligarchischen Staatsgebilde sind äußerst instabil und konfliktgeladen, und führen auf lange Sicht zum politisch-wirtschaftlichen Zusammenbruch.

Dass die Bildung inklusiver Institutionen, und keine anderen Faktoren, den langfristigen Erfolg einer Nation erklärt, versuchen die Autoren anhand zahlreicher historischer Beispiele zu beweisen. Tatsächlich liest sich ihr über 520 Seiten langes und in den USA vieldiskutiertes Buch wie eine virtuose Führung durch die Weltgeschichte am Leitfaden der zwei Institutionstypen. Why Nations Fail verallgemeinert umfangreiche statistische Untersuchungen, die Acemoglu, Robinson und Simon Johnson (MIT) vor zehn Jahren in Fachzeitschriften publizierten. Zum Fall des Römischen Reichs, der Stadtstaaten der Maya, der südafrikanischen Apartheid, der Sowjetunion kam es demnach, weil die jeweilige Gesellschaft den Übergang von repressiven zu inklusiven Institutionen nicht schaffte. Sie blieben im fast ubiquitären Teufelskreis der Repression stecken: “Die Profiteure des Status Quo sind reich und wohlhabend, und können so alle Umwälzungen bekämpfen, die ihre wirtschaftlichen und politischen Privilegien unterminieren”. Und doch kann es solche Umwälzungen geben, wie die Autoren an ihrem Paradebeispiel, Englands “Glorious Revolution” von 1688 aufzeigen, für sie ein welthistorischer Wendepunkt. Der damals hart erkämpfte politische Sieg über den Absolutismus brachte verbesserte Eigentumsrechte und Finanzmärkte, somit mehr unternehmerische Freiheit, wodurch Erfinder wie James Watt und Richard Arkwright die industrielle Revolution in Gang setzten.

Die Autoren sind Gegner des kulturellen oder geographischen Determinismus eines Jared Diamond. Sie betonen die Kontingenz geschichtlicher Entwicklungen, verteidigen aber auch die Möglichkeiten menschlicher Freiheit und Erfindungskraft. Kommunistische Planwirtschaften kommen besonders schlecht weg. Der theoretische Ziehvater ist hier letztlich Adam Smith, wenngleich er nur einmal erwähnt wird: Man gäbe wirtschaftlichen Akteuren liberale Rahmenbedingungen, hier Institutionen, und durch Selbstinteresse und Konkurrenz entstehe schließlich Wohlstand. Why Nations Fail verteidigt also die liberale Demokratie von ihren wirtschaftlichen Erfolgen her. Doch ist der Mensch wirklich so rational? Die Autoren werten die Proteste ägyptischer Demonstranten gegen korrupte und repressive Institutionen auf dem Tahrir-Platz in 2011 als Beleg für ihre Theorie. Die antiwestliche Gewaltwelle, die der Film „Innocence of Muslims“ in September 2012 auslöste, auch auf dem Tahrir-Platz, ist eher ein Gegenbeleg.

Die wirtschaftliche Bedeutung von Institutionen wurde schon in den Siebzigern von Douglass North betont, wenn man nicht gleich auf Veblen oder gar Hegel rekurrieren möchte. Sicherlich aber gehen Acemoglu und Robinson in ihrer Analyse viel weiter als viele heutige Ökonomen, die Wohlstand weniger durch politische Partizipation und Güterverteilung, als durch Faktoren wie Freihandelsbestimmungen, Kapital- und Technologieinvestitionen erklären wollen. Doch entstehen, wie das Beispiel Chinas zeigt, durch bloßes Wirtschaftswachstum keine inklusiven Institutionen, und nur diese seien Garanten für langfristigen Wohlstand. Daher kritisieren die Autoren Modernisierungstheorien wie die eines Seymour Martin Lipset. Allerdings ist China auch für Acemoglu und Robinson ein Problem, wie Francis Fukuyama jüngst einwandte. Denn das oligarchisch regierte Land stellt die größte Erfolgsgeschichte jüngeren Datums dar. Der Hinweis der Autoren auf Chinas künftigen Zusammenbruch greift nicht, denn eine Theorie lässt sich nicht durch Spekulationen über die Zukunft rechtfertigen.

Daran knüpfen sich weitere kritische Fragen an. Welchen Erklärungsbegriff verwenden die Autoren? Einen kausalen oder hermeneutischen? Ist es ein kausaler, haben wir es doch mit einer Form von Determinismus zu tun. Ist es ein hermeneutischer, so erklärt die Institutionentheorie letztlich nicht die kausalen Ursachen von Wachstum, sondern beschreibt historische Prozesse bloß von einer abstraktereren Perspektive, vermittels der Begriffe „inklusiv“ und „repressiv“. Das kann nützlich sein. Dann sind aber kulturelle Voraussetzungen ökonomischen Wachstums vom Begriff inklusiver Institutionen nicht zu trennen. Wir haben keine Institutionen als Ursachen auf der einen Seite, und wachstumsfördernde Verhaltens- und Denkweisen als Ursachen auf der anderen, schon gar nicht wenn man, wie North, Institutionen als „die Spielregeln einer Gesellschaft“ definiert. Dem Buch würden genauere theoretische Reflexionen im Stile eines Max Weber gut tun. Diesen tun die Autoren vorschnell ab, sei doch seine These von den protestantischen Wurzeln des modernen Kapitalismus durch die wirtschaftlichen Erfolge Ostasiens angeblich widerlegt worden. Doch Weber wollte wissen, warum der moderne, historisch tatsächlich präzedenzlose Kapitalismus ausgerechnet im Westen entstand, was auch die Autoren interessiert. Dass China ebenso fähig sei, „sich den technisch und ökonomisch im neuzeitlichen Kulturgebiet zur Vollentwicklung gelangten Kapitalismus anzueignen“, schrieb Weber schon 1915.

Trotz dieser Desiderata ist Why Nations Fail ein wertvolles Buch. Es weist auf die historisch enge Verflechtung von Freiheit und Wohlstand hin. Es ermutigt den Westen, den Aufbau liberaler Institutionen voranzutreiben, so wie das die EU momentan in Osteuropa versucht, durchaus nicht ganz ohne Erfolg. Und es zeigt, gleichgültig was uns antikapitalistische Erlösungsphantasien in Krisenzeiten wie diesen versprechen, wie fragil und kostbar die Errungenschaften des Liberalismus sind.

 

Daron Acemoglu + James A. Robinson Warum Nationen scheitern
Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut
Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter
S. Fischer
24,99 €
978-3-10-000546-5

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