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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

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Alles ist grauslich

oder Thomas Bernhard stirbt an Herzversagen und Claus Peymann inszeniert in einem Wiener Krüppelheim einen Nekrolog unter Mitwirkung eines All-Star-Teams aus der Waldheimat

Ein Dramolett von Bernd Weber

Eine lange Tafel, an der prominente Gäste sitzen. Neben jeder dieser »sehr wichtigen Personen« darf ein Vorzeigekrüppel der Anstalt Platz nehmen. Es erklingt die Lucona-Serenade, gesungen vom Ertrunkenenchor unter der Leitung von Udo Proksch ... 

Minetti:
Bernhard – was für ein Mensch. Morgens, schon vor dem Frühstück, seine Prosa gelesen, abends seine Stücke gespielt. Abends die Stücke, morgens die Prosa – die Prosa morgens, welch ein Exerzitium!

(Dabei rutscht ihm die Baskenmütze ins greise Antlitz. Minetti drückt auf den Startknopf eines Tonbandgerätes, man hört die Stimme des Verblichenen.)

Bernhard:
„Ja, man konstruiert eine Prosa, die die Leute langweilt, weil sie sagen: Das ist mir doch zu blöd, drei Seiten ein Satz. Und das ist doch der Reiz, daß die dann sagen: Bäääh."
(Claus Peymann klopft sich auf die Schenkel und beißt lustvoll in eine Topfengolatsche.)

Ranicki: Wie schon sein Professor Stieglitz in der Tetralogie sagt, war er ja in erster Linie Epiker, obwohl er jede Dichtform beherrschte. Lyriker, Epiker, Philosoph, Naturgeschichtsphilosoph. Niemals die dramatische Form, er haßte die Dramatik, er war geradezu ein ausgesprochener Dramatikhasser, nicht wahr?!
(Knabbert an einer Marillenmatze)

Ignorant:
Was wir hören, hören Sie, ist nichts als ein Kunstgezwitscher, was wir sehen – Puppentheater.

Wahnsinniger: Immer der gleiche Dreck. Einen Menschen ekelt noch immer vor dem tagtäglichen Empfindungsreichtum des Feuilletons.

Der große Schweizer: Er war berufen zum Sterben, allein der Tod ist ewig. Das Leben ist eine Schindluderei der Natur sondergleichen, eine obszöne Verwirrung des Kohlenstoffs, eine bösartige Wucherung der Erdoberfläche, ein unheilbarer Schorf.

Heller: Nicht an der Fähigkeit zu sterben, sondern an der Unfähigkeit zu leben, gehen wir zugrunde.
(Benetzt seine Stirn mit einem Tröpfchen Weihwasser.)

(Klaus Maria Brandauer nestelt versonnen an seiner Melange herum, plötzlich holt Botho Strauß eine kleine Panflöte aus seinem Bocksbeutel und beginnt eine melancholische Melodie zu blasen.)

Brandauer: Wer reitet so spät ...

Peymann:
(Zuckt zusammen) Wehrter Herr Burgschauspieler, ich bitte Sie!

Bernhard:
(Vom Band) „Es gibt nichts Fürchterlicheres als Schauspieler, die österreichischen sind die schlimmsten. Schauspieler sind so primitiv und blöd, dass man ihnen eigentlich immer alles sagen muß. Ein weltberühmter Mann, und dem muß der Regisseur noch sagen, wenn dein Partner das sagt, musst du das denken. Die Leut sind nicht einmal wert, dass man ihnen mit dem Kochlöffel auf die Finger gibt."

Brandauer:
(Rauft sich verzweifelt die Haare) Oh schmölze doch dies allzufeste Fleisch ...

Waldheim:
(Zu Brandauer) Er hatte sich überhaupt nicht angekündigt gehabt. Plötzlich war die Tür aufgerissen worden und er stand da, in Begleitung natürlich, und sagte, er wolle mit mir zu Mittag essen ...

Ignorant: Wer, der Bernhard?

Waldheim:
Nein, der Reichsführer SS. Er kam gerade aus dem Führerhauptquartier. Es gibt immer wieder Leute, die Narrenfreiheit haben. Sie können tun, was sie wollen. Wenn man sie ernstnehmen würde, müsste man sie ja umbringen – aber wir bringen dich nicht um. Du bist nun einmal da.

Bernhard: (Vom Band) „Das Österreichische, frage ich mich immer, was ist es? Die Absurdität zur Potenz, es zieht uns an und stößt uns ab."
(Claus Peymann lacht hysterisch und verschluckt sich dabei an seinem Käsekrainer. Reich-Ranicki und Botho Strauß legen einen flotten Tango aufs Parkett.)

Ranicki:
Ein Künstler, der eine Kunst ausübt, braucht eine andere, zweite Kunst. Die eine Kunst aus der anderen, die einen Kunststücke aus den anderen, nicht wahr.

Bernhard:
(Vom Band) „Der Ranicki hat vielleicht hundertzehntausend Schilling Monatsgehalt. Das ist doch lächerlich. Und was sind das auch für Leute. Der geht dann die Festspiele besuchen, mit seiner Frau im langen Abendkleid, und redet dort über Literatur und hört sich cosi fan tutte an. Ist begeistert beim Achterl Wein in der Moser-Weinstube und findet das großartig. Ist ja alles ein Blödsinn."

Minetti:
Ja – Bernhard, was für ein Mensch, was für Menschen, was für Geschöpfe, was für Unsinnigkeiten. Jeder einzelne eine unglückliche Natur.

Heller:
(Schaut von seiner Fischmahlzeit auf und noch mit dem Fischmesser in der Hand) Die Forelle hatte etwas Schönes. Ich wünschte nur, ich hätte eine Totenmaske von ihr machen können. Aber nicht von ihrem Körper, sondern von ihrer Energie. Ich weiß nicht, ob irgendwer ihren Körper verstanden hätte.

Bernhard:
(Vom Band) „Das ist ja alles ein Unsinn. Es ist wurscht, ob diese Leute sich in Moskau ansaufen und anfressen oder in New York oder auf den Philippinen oder in Nicaragua. Das sind alles grauenhafte Leut’, die mit sich selbst nicht zu Rande kommen. Der eine arbeitet mit seiner Krankheit und mit dem Tod und kriegt Preise, und der andere rennt für den Frieden herum und ist im Grunde ein gemeiner, blöder Kerl. Also, was soll das?"

Peymann:
So, wir wollen jetzt den Monolog hören, Herr Waldheim, bitte.

(Frau Waldheim kämmt ihren Mann und gibt ihm einen Kuß auf die Stirn, dann tritt der Bundespräsident ans Rednerpult. Holzbeine knarren nervös, die Hände in den Ledermanschetten erheben sich sachte zu einem angedeuteten Gruß)

Waldheim: Freunde – Thomas Bernhard ist tot. Mit uns trauert die Nation, ja die Welt, ist sie doch um einen Mann ärmer, der sie reicher machte.

(Andre Heller entzündet zwei Sonnenräder, und Udo Proksch beginnt zu singen: „Bei mir sans alle im Oasch daham und ich bin dem Oasch sein Abszeß.")

Bernhard: (Vom Band) „Mitten in der Vorstellung, mitten in der Rachearie aufhören zu singen, die Arme fallen zu lassen, das Orchester zu ignorieren, die Mitspieler igrnorieren, das Publikum ignorieren, alles ignorieren. Dastehen und nichts tun und alle anstarren, anstarren, verstehen Sie, und plötzlich die Zunge herausstrecken."
(Drei Männer betreten den Festsaal. Es sind der Inspektor Kottan und seine Assistenten Schramml und der einbeinige Schremser.)

Kottan:
Meine Damen und Herren, Sie sind vorläufig festgenommen, weil Sie in konspirativer Weise gegen das Testament des verstorbenen Autors Thomas Bernhard verstoßen haben, das eine Aufführung seiner Stücke in Österreich für die Dauer von siebzig Jahren verbietet.

(Irres Gelächter vom Band)

Peymann: Das ist ja großartig.
 


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