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P.S. zu PPP

Neue Übersetzungen von Gedichten und Gesprächen Pier Paolo Pasolinis
sind bei Suhrkamp & Wagenbach erschienen.

Von Wolfram Schütte

Sein hundertster Geburtstag in diesem Jahr hat einige deutsche Verlage ermutigt, erneut  den 1975 ermordeten Pier Paolo Pasolini auf ihre Agenda zu setzen – und zwar mit Neu-, bzw. sogar Erstübersetzungen. Im Wagenbach-Verlag, der dem in Bologna geborenen Zeitkritiker mit dessen »Freibeuterbriefen« den größten & nachhaltigsten Hallraum in Deutschland verschafft hatte, hat nun Gaetano Biccari »Gespräche und Selbstzeugnisse« unter dem Titel »in persona« zum großen Teil erstmals in Deutsch versammelt. Der Suhrkamp-Verlag, der bislang mit dem italienischen Autor nichts zu tun hatte, legt über 600 (!) Seiten einer zweisprachigen Ausgabe von »Späten Gedichten« des ursprünglichen Lyrikers unter dem Titel »Nach meinem Tod zu veröffentlichen« vor.

Das von Theresia Prammer edierte, übersetzte & mit einem Nachwort versehene Suhrkamp-Buch simuliert für den deutschen Leser eine von PPP bestimmte posthume Edition – was mitnichten der Fall ist. Außer einigen verstreuten Gedichten aus dem Nachlass, waren alle anderen zwischen 1961 & 1971 in drei Sammlungen erschienen. Was die übersetzerische Qualität des dicken Bandes angeht, verlasse ich mich, der leider nur Küchenitalienisch kann, auf die Bemerkungen meines Freundes Peter Kammerer, der bis zu seiner Emeritierung an der Universität Urbino als Soziologe lehrte. Er ist, auch wegen seiner Bilingualität, der wohl beste deutsche Pasolini-Kenner. In seiner Rezension (argument) moniert er zwei fatale Übersetzungsfehler; schlimmer noch aber ist der philologisch inakzeptable Zustand dieses Suhrkampbandes.

Ohnehin sind die Gedichte wg. ihrer vielfältigen & vielfachen Anspielungen, die nur spärlich von der Editorin & Übersetzerin kommentiert werden, über weite Strecken (heute?) kaum noch entschlüsselbar, geschweige denn für einen deutschen Leser verständlich. Erst recht, wenn das autobiografische Unterfutter einem nicht bekannt ist – ganz zu schweigen von   ihrem ästhetischen Mehrwert, sofern man ihn in ihrer übersetzten Gestalt noch zu ahnen vermöchte. Diese Problematik trifft vor allem auf Pasolinis »Trasumanar e organizzar«.(1971) zu. Große Passagen seiner reimlosen feien Rhythmen gleichen auf Deutsch sprachlichen Geröllhalden: ein elegischer Anblick.

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Gaetano Biccaris: »Pier Paolo Pasolini in persona« ist symptomatisch in mehrfacher Hinsicht. Es zeigt den »Öffentlichen Intellektuellen« PPP in action: auf unterschiedlichsten Kommunikationsfeldern bei der Verfertigung seiner Gedanken zu pointierten Aussagen, Thesen & Meinungen. Es offenbart aber auch die einst vielgestaltige Medienlandschaft Italiens &, deren Interesse an einer kulturellen Figur wie PPP – sowie dessen souveränen Umgang mit allen journalistischen Artikulationsformen der italienischen Gesellschaft.

An die 300 Interviews habe PPP während seines öffentlichen Lebens zwischen den Fünfziger & Siebziger Jahren gegeben, schätzt der Herausgeber, der aus diesen Gesprächen, Selbstgesprächen & Talkshow-Teilnahmen (z.B. mit seinen Klassenkameraden & Schullehrern) eine repräsentative Auswahl getroffen hat. Sie wird nicht chronologisch präsentiert, weil ihm nicht an einem genealogischen Porträt des Autors liegt. Biccari hat sie nach zentralen Nervenpunkten in der Biographie & »der Ideologie« seines Helden angeordnet, z.B. »Armes Italien« oder »Arbeit am Kino«.

Oft hat der Herausgeber nur Passagen aus längeren Interviews ausgewählt. Das kaleidoskopische Porträt, das er von dem Lyriker, Erzähler, Dramatiker & Filmemacher damit zusammenfügt, ist nicht nur buntscheckig & thematisch abwechslungsreich (& enthält auch autobiografische Gedichte & ein »Wörterbuch« Pasolinis), sondern ähnelt sogar ein wenig Pasolinis eigener Ästhetik eines »Pasticheurs«, die er in einem dieser Gespräche als seinen Stil bezeichnet. Er sei »unrein« & vermische unterschiedliche Stile. Sowohl in formaler & stilistischer als auch ideologischer Hinsicht komme es »auf die Tiefe der Empfindung an, auf die Leidenschaft, die ich in die Dinge lege, weniger auf die Originalität des Inhalts oder der Form«.

Was natürlich auch nicht so ganz stimmt - wenn man z.B. nur an »Accattone«, das »Matthäus-Evangelium« oder »Teorema« denkt, die »in Inhalt und Form« höchst originell sind. Pasolinis Interview-Äußerungen sind eben oft momentane Gedanken-Splitter eines leidenschaftlichen Polemikers des Empfindens & des Revoltierens gegen alles, was ihm »konformistisch« dünkte.

Im Zentrum seiner Abneigung, ja seines Hasses steht das (Klein-)Bürgertum: »Ich lebe ohne jede Beziehung zum italienischen Kleinbürgertum. Ich pflege nur Beziehungen zum Volk oder zu Intellektuellen«. So allergisch reagierte der Filmmacher auf die Imago des »Bürgerlichen« – das für ihn den Grundimpuls des Neorealismus durch Sentimentalität ruiniert habe –, dass er nachträglich die Besetzung der »Mamma Roma« mit der großen Anna Magnani für einen kapitalen Fehler erachtete.

Unter »Volk« verstand Pasolini nicht die Gesamtheit aller italienischen Staatsbürger, sondern (historisch) die Bauern & soziologisch das (übrigens von Marx verachtete) »Lumpenproletariat«. Von dem archaischen »bäuerlichen Universum« (John Berger), das der junge Pasolini nach dem Umzug der Familie ins Friaul kennen, verehren & lieben lernte, musste er nach seiner Flucht nach Rom Abschied nehmen; in der Unterwelt der Borgate, in der er nachts verkehrte, traf er auf  eine antikisch-vorbürgerliche Lebensweise, in welcher der  Intellektuelle auf der nächtlichen Suche nach männlichen Liebespartnern sexuelle Erfüllung fand.        
Aber diese sinnliche Erfahrung mit dem eigenen Körper (worüber Pasolini offen schrieb & sprach) wurde zunehmend fadenscheiniger. D.h. »die Figuren aus dem Volk«, über die er als einzige die erzählende Prosa seiner Romane geschrieben hatte, schwanden dahin & verwandelten sich in Kleinbürger, über die er nicht schreiben konnte & wollte.

In den Sechziger Jahren, die gemeinhin als die Boom-Jahre des Nachkriegsitaliens angesehen werden, mit welchen das agrarisch geprägte Land industrialisiert & »europäisiert« wurde, waren für Pasolini (»Ich bin eine Macht aus vergangenen Zeiten. Nur in der Tradition liegt meine Liebe…«) eine »tiefgreifende Krise der italienischen Kultur. Italien ging damals von einer Phase des Paläokapitalismus über zu einer Spielart des Neokapitalismus«. Es war die rasante Industrialisierung, welche die italienische Gesellschaft für Pasolini in allen Bereichen & vor allem die bislang antikapitalistischen Klassen »kleinbürgerlich« werden ließ. Irreparabel war die Verbürgerlichung der italienischen Gesellschaft.

In der studentischen Revolte von 1968 sah er dann auch nicht den Keim einer Revolution, mit deren Utopie er & große Teile seiner Generation unter der Folklore der PCI aufgewachsen war, sondern nur »einen Kampf der jungen, guten Bourgeoisie gegen die alte, böse Bourgeoisie« mit dem Ziel, »Reformen ins Werk zu setzen«. (Allzu fern war davon Adornos Skeptizismus nicht entfernt.) Als noch das Fernsehen hinzukam & seinen Siegeszug (jenseits von rete3) antrat, verdunkelte sich die erlebte Welt für PPP vollends. Die dreimalige Wahl Berlusconis, die tabula rasa der etablierten Parteien haben Pasolinis düstere Auspizien zum nachträglichen Leuchten gebracht.

Artikel online seit 13.05.22
 

Pier Paolo Pasolini
Nach meinem Tod zu veröffentlichen
Späte Gedichte
Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Theresia Prammer
Suhrkamp, Berlin 2021
622 Seiten
42,00 €
978-3-518-43009-5

Leseprobe & Infos

Gaetano Biccari (Hrsg.)
Pier Paolo Pasolini
in persona

Gespräche und Selbstzeugnisse
Aus dem Italienischen von Martin Hallmannsecker u.a., Engl. Broschur
Wagenbach, Berlin 2022
205 Seiten
22, 00€
978-3-8031-3716-6

 

 


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