Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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»Ich möchte
aus meiner Zeit auswandern.« |
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Den kürzesten, vielleicht auch pointiertesten Beitrag der dreibändigen Anthologie zur Exilliteratur, verfasste der österreichische Schriftsteller und Satiriker Alexander Roda Roda im Jahre 1939: „Gibt es ein Konsulat, das Visa in die Zukunft erteilt? Ich möchte aus meiner Zeit auswandern.“ Neben den Aphorismen und Miszellen Roda Rodas versammelt die ursprünglich von dem 2016 verstorbenen, ehemaligen Leiter der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur Hans-Albert Walter zusammengestellte und für eine Veröffentlichung in der Büchergilde Gutenberg geplante Anthologie Erzählungen, Romanfragmente, Märchen, Reportagen, preisgekrönte Texte und Entwürfe der Jahre zwischen 1933 und 1950 aus verschiedenen Quellen, darunter zählen: Der Aufbau, Die Neue Weltbühne, Die Sammlung, Neue Deutsche Blätter, Die Neue Rundschau, Das Wort, Internationale Literatur und Pariser Tageszeitung. Der Übersetzer und Herausgeber Ulrich Faure sowie der Geschäftsführer des Verlags „Das Kulturelle Gedächtnis“, Peter Graf, haben Walters am Ende gescheitertes Vorhaben nun bei der WBG/Theiss realisiert und mit einem Vorwort zur Entstehungsgeschichte und zur Bedeutung der Texte versehen. Die über 1350 Seiten starke Anthologie beinhaltet Texte bekannter und kaum bekannter, mitunter vergessener Autoren. Namen wie Hermynia zur Mühlen, Kurt Juhn und Hans Pfeffer (den die Herausgeber auch nicht einordnen konnten) werden nur Wenigen bekannt sein. Auch Fritz Zorn gehört in diese Kategorie, denn es handelt sich hier selbstverständlich nicht um den gleichnamigen Schweizer Kult-Autor des Romans „Mars“ (eigentlich: Federico Angst), sondern um einen 1916 im Odenwald geborenen Autor, der nach dem Exil 1953 nach Deutschland zurückkehrte und für verschiedene Zeitschriften schrieb. Hingegen sind viele der anderen Autoren hinlänglich bekannt: Willi Bredel, Oskar Maria Graf, Alfred Polgar und Lion Feuchtwanger, Irmgard Keun, Stefan Zweig, Friedrich Torberg und Franz Werfel, um nur einige zu nennen. Im Vorwort heißt, viele der abgedruckten Texte seien seit der Erstveröffentlichung nicht mehr erschienen. Das stimmt nicht ganz. Denn eine ganze Reihe der hier versammelten Texte, u.a. von Joseph Roth, Thomas Mann, Hermann Broch, Alfred Döblin, Anna Seghers, Carl Zuckmayer, Robert Musil und Ernst Weiß sind bereits im Vorfeld von Hans-Albert Walters Plan dieser Anthologie, der sich bis in das Jahr 1990 zurückverfolgen lässt, wiederabgedruckt worden – nicht selten im Zusammenhang mit Werkausgaben insbesondere jener der Allgemeinheit bekannten Schriftstellern.
Die Anthologie
nimmt sich in insgesamt zehn Kapiteln verschiedenen Themen an: Geschichte und
Mythos machen den Anfang, es folgen u.a. Märchen und Legenden, Leben und
Sterben, jüdisches Schicksal, Verbrechen und Exil. Hätte Roda Roda sein Visum
erhalten und wäre in unserer Zeit gelandet, hätte er sich vielleicht über die
Auswahl gewundert: Nicht alle Texte ziehen den Leser gleichermaßen in den Bann.
Es ist gut, einige wieder zu lesen, andere sind vielleicht nicht ganz zu Unrecht
in Vergessenheit geraten.
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Graf, Peter /
Faure, Ulrich (Hrsg.)
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