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Freudige Begrüßung

»Unerwartete Nachrichten« von Julio Cortázar erreichen uns bei Berenberg

Von Wolfram Schütte
 

Lieber B. E.,

bevor ich Ihnen das Buch schenke, über das ich jetzt ein paar Sätze schreiben werde, um seinen geistigen (Nähr-)Wert zu begründen & für seinen einzigartigen Autor zu werben, muss ich als Freund Sie Kopf schüttelnd ein wenig tadeln, dass ausgerechnet Sie, den ich als Kenner & Liebhaber der verborgensten  literarischen Schätze kenne, offenbar bislang Julio Cortázar nicht wahrgenommen haben – obwohl doch Suhrkamp seit den späten Fünfziger Jahren kontinuierlich fast dessen gesamtes Oeuvre aus Romanen, Erzählungen & Essays, zumeist in der trefflichen Übersetzung Rudolf Wittkopfs, auf Deutsch vorgelegt hat.

Nachdem außer seinen Gedichten & Theaterstücken sein  literarisches Werk also in verschiedenen Ausgaben (versteht sich bei Suhrkamp) noch immer greifbar ist, hat nun die legendäre Literaturagentin Michi Strausfeld »Unerwartete Nachrichten« von dem 1984 mit 70 Jahren in Paris gestorbenen Autor im Berenberg-Verlag herausgegeben.

Wer den in Brüssel geborenen, in Buenos Aires aufgewachsenen, in der argentinischen Provinz  als Lehrer fast versauerten, durch ein Stipendium vor dem Peronismus nach Brüssel geflohenen, als UNESCO-Übersetzer in Paris literarisch aufgeblühten, von Francois Mitterand zum Franzosen gemachten Autor bisher schon kannte, schätzte, gar liebte -: der wird nun diese »Unerwarteten Nachrichten« als postume literarische Geschenke freudig willkommen heißen.

Frau Strausfeld, die das Vergnügen hatte, mit dem (physisch) größten (Zwei Meter-) Autor der lateinamerikanischen Boom-Literatur durch Paris oder Barcelona zu flanieren & dabei von ihm auf verborgene Bemerkenswertig- & würdigkeiten hingewiesen zu werden, hat kleinere erzählerische & größere reflektierende Arbeiten Cortázars aus allen Schaffenszeiten auf 262 Seiten zu einem bunten Florilegium versammelt. Die Sammlung könnte zugleich als Querschnitt seines umfangreichen Werks fungieren. Alle diese Erzählungen, Überlegungen, Briefe & Reden waren bislang noch nicht auf Deutsch erschienen. Wenn sie nicht den postumen Schriften entnommen wurden, hatte die Anthologistin sie selbst aufgespürt & Christian Hansen sie übersetzt.

Für die meisten dieser Stücke reicht zu ihrem Verständnis & literarischem Vergnügen Neugier, Witz & Gewitztheit, Phantasie & Humor – kurz, alles, was man als Grundlage z.B. für einen Lektüre-Besuch bei unserem Lichtenberg auch  mit sich führen sollte. (Es versteht sich von selbst, dass der Göttinger Sudelbuch-Schreiber dem Argentinier in Frankreich kein Unbekannter war).

Es gibt aber auch andere der »Unerwarteten Nachrichten«, bei denen Newcomern im Cortázar-Universum einige biographisch-literaturhistorische Vorkenntnisse auf die Sprünge zum Verständnis helfen würden. Z.B. sollte man wissen, dass Cortázar imaginäre Lebewesen mit dem Namen Cronopien erfunden hat – gewissermaßen freundliche Verwandte des Kafkaschen  Odradek -, deren humoristischem Treiben er ganze Erzählreihen widmete. Dann, dass sein erzählerisches Hauptwerk der Roman »Rayuela« ist, den man sich auf unterschiedliche Weise zur Lektüre zurechtmontieren kann & über dessen schwierige Geburt hier eine Folge von Briefen informiert.

Noch eigenartiger & komplex (wie die Durchführung im klassischen Sonatensatz) ist die mehrthematische, abschweifungsreiche «Fahnenkorrektur in der Haute Provence«. Dorthin hatte sich der Wagner-Liebhaber mit »Fafner« zurückgezogen, um die Fahnen seines letzten Romans »Album für Manuel« zu korrigieren. Nach dem Drachen des »Ring der Nibelungen« hatte er den VW-Kleinbus genannt, den er sich zu einem bewohnbaren Schneckenhaus hatte umbauen lassen, in dem er arbeiten, schlafen, kochen, sich waschen oder Radio & Musikkassetten hören konnte. Während sintflutartiger Regen niedergeht, sitzt er im »Fafner« & konfrontiert sich als Autor zum ersten Mal dem in Buenos Aires gesetzten & kopierten Roman-Text, um ihn zur Endgültigkeit des Drucks fertig zu machen.

»Album für Manuel« war der erste Roman des radikalen Dritte-Welt-Aktivisten. Dazu war er nach einem Kuba-Besuch, der ihm zum »Damaskus-Erlebnis« wurde, schlagartig geworden. Das hatte tiefgreifende Folgen für sein literarisch-ästhetisches Selbstverständnis. Das politische Sacrificium intellectus – vergleichbar den Lebensumbrüchen z.B. Brentanos, Rimbauds oder Gogols – ließ »Album für Manuel« wie die radikale Liquidierung seines  im Zeichen von Pataphysik, Surrealismus & OULIPO einst quicklebendigen Avantgardismus erscheinen.

Der existenzielle Bruch im Leben & Schreiben des 55jährigen Autors war ihm vollauf bewusst, bzw. sogar erwünscht. Deshalb ist die »Fahnenkorrektur« auch der ebenso tragikomisch-prekäre wie erzählerisch amüsante Versuch, seine Fahnenflucht von der Kunst sowohl vor sich selbst & seinen Lesern, als auch bei seinen neuen Freunden, den »demagogisch«- dogmatischen Genossen der internationalen Linken zu annoncieren & zu rechtfertigen. Der Sprung aus der anti-realistischen Fantastik mitten hinein ins politische Engagement samt ideologischer Instrumentalisierung seiner Literatur hat ihm nicht gut getan – so »revolutionär« er sich dabei auf Seiten aller Unterdrückten der Welt glaubte & fühlte.

Aber das Besondere an diesem – durchaus auch politisch prekären Essay – ist das unerwartete zeitgleiche Zusammentreffen von Cortázars Korrektur der Fahnen des Romans, in dem es darum geht, durch die Entführung eines amerikanischen Diplomaten inhaftierte Tupamaros freizupressen, mit dem palästinensischen Überfall der israelischen Mannschaft im Olympischen Dorf in München 1972, mit dem inhaftierte palästinensische Aktivisten freigepresst werden sollten.

Der Pataphysiker »erlebt ein Spiel der Koinzidenzen, das nur Scheinheilige zufällig finden werden«, weil sich während der Korrektur »auf jeder Seite die Nachrichten« (aus München) »wie monströse Nachtfalter festsetzten«, die Cortázars literarische Phantasie »bestätigten und rechtfertigten«. Als er in jener Nacht mit Fafner in sein provenzalisches Sommerhaus zurückfuhr »wichen sämtliche Bedenken auf literarischer Ebene, die mir aus professionellem Skrupel während der Niederschrift zugesetzt hatten, einem Gefühl des Einverständnisses und der Anerkennung«.

Eine täuschende Harmonie von Kunst- & Politikanstrengung, provoziert von der Metaphysik seiner a-humanistischen Identifikation mit dem (Gegen-)Terror. Später hat er selbst zugegeben, dass »Album für Manuel« sein schlechtestes Buch ist. Aber der verschlungene erzählerische Weg mit seinen vielen Abschweifungen bei der »Fahnenkorrektur in der Haute Provence« wurde zu einer der brillantesten Selbstdarstellungen & Selbsterkundungen des Julio Cortázar & einem der Glanzstücke unter den unerwarteten Nachrichten, die Michi Strausfeld von ihm gesammelt hat.

Viel Vergnügen!

Artikel online seit 11.08.22
 

Julio Cortázar
Unerwartete Nachrichten
Übersetzt von Christian Hansen
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Michi Strausfeld
Berenberg-Verlag, Berlin 2022
264 Seiten
25,00 €
978-3-949203-25-1   

 

 


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