Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Mehr als
»ein Dreckskerl«!?
Von Jürgen Nielsen-Sikora |
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Der Geist: Ein Phänomenologe,
Existenzialontologe und Anthropologe, der sich bemüht, eine nicht-akademische
und engagierte Philosophie zu entwickeln. Kritisch beäugt er Welt und
Gesellschaft. Das Herz hingegen: ein wütendes Tier, das immer wieder zu
explodieren droht. Zunächst: Das knappe Dutzend an Briefen, die er mit Max Horkheimer in den 1930er Jahren austauscht, hat eher wenig Aufregendes zu bieten, geht es doch vornehmlich um Terminabsprachen, Themenvorschläge, Organisatorisches und berufliche Pläne. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt der Ton sachlich und distanziert, kreist um mögliche Treffen und Seminarthemen, wenngleich die Briefe etwas umfangreicher werden. Immer wieder taucht auch der Name Friedrich Pollock auf, der insbesondere in den angehängten Dokumenten eine zentrale Rolle spielt. Der gebürtige Freiburger Jude, Ökonom und Soziologe Pollock (1894-1970) war Mitbegründer des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt/Main. Er promovierte über Marxens Geldtheorie und emigrierte schließlich während der NS-Herrschaft in die USA. Dort wäre er auch gerne nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geblieben. Aber Horkheimer und Adorno hatten andere Pläne mit dem Institut. In den 1950er Jahren entstand sodann Pollocks in mehrere Sprachen übersetztes Hauptwerk „Automation“, das sich mit der Anwendung der Computer- und Rückkopplungstechnik in der Wirtschaft auseinandersetzt. Die mit der neuen Technik verbundenen Veränderungen bergen, so Pollock, Gefahren der Massenarbeitslosigkeit und der permanenten Überproduktion. Eine radikale Umwälzung in Wirtschaft und Gesellschaft, eine zweite industrielle Revolution, sei die Folge – Themen, mit denen sich Anders durchaus identifizieren konnte. Rau hingegen ist der Ton im Briefwechsel von Anders mit Adorno. Grund dafür dürften vor allem die Habilitationsabsichten von Anders bei Paul Tillich in Frankfurt a.M. gewesen sein, denen Adorno äußerst reserviert begegnete und den frühen Schriften von Anders eine ungesunde Nähe zu Heidegger vorwarf. Bekanntlich wurde aus Anders´ Versuch nichts. Noch Jahrzehnte später glaubte er, Adorno sähe in ihm nur einen „Schwarzwälder Bazillenträger“. Tatsächlich hält Adorno nicht mit Kritik zurück, wirft Anders Aggressivität vor, insbesondere nachdem Anders Tacheles mit ihm reden möchte und die lange vergrabenen „hot potatoes“ anpackt. Adornos Sprache sei literarischer Sadismus, sein gesamtes Auftreten „terroristisch“. Als Horkheimer Anders´ Brief liest, teilt er Adorno mit, Anders sei „ein Dreckskerl“, der es nicht verdient habe, dass man sich länger mit ihm auseinandersetze. Das ist durchaus unterhaltsam. Weitaus wohlwollender klingen die Briefe, die sich Anders und Marcuse gegenseitig schicken. Man spricht sich mit Vornamen an: „Günther“ und „Herbert“ – und bleibt dennoch beim „Sie“. Beide sind sich darin einig, dass die Welt von Teufeln regiert wird. Und es scheint für kurze Zeit einmal so, als traue Anders auch Marcuse zu, einer dieser Teufel zu sein, denn er hegt großes Misstrauen gegenüber dem Freund, als diesem – zu Unrecht – vorgeworfen wird, ein Spion des CIA zu sein. Verwunderlich ist Anders´ Skepsis auch nahestehenden Personen nicht, litt er doch zeitlebens darunter – so bemerkte einmal sein Freund Hans Jonas (mit dem er sich auch zeitweise überworfen hat) –, dass die Welt nicht so ist, wie er sie selbst gemacht hätte. Auch im Umgang mit Ernst und Karola Bloch zeigt sich Anders eher von seiner gemäßigten Seite. Die Gespräche kreisen ums Klavierspielen und die „Löcher im Nichtseienden“, was immer das heißen mag. Ernst wird es nur, wenn es um den Schriftsteller Friedrich Torberg (1908-1979) geht, der für Anders ein rotes Tuch ist. Bloch muss immer wieder beschwichtigen und sich rechtfertigen. Doch am Ende gehen auch sie zum „Du“ über. Die Briefe an und von Helmuth Plessner aus den Jahren 1925-1930 knüpfen an die Unterhaltsamkeit der frühen Horkheimer-Briefe an: Manuskripthinweise, Diskussionen über Korrekturbögen, Druckfahnen und Terminverschiebungen. Trocken und selten spannend. Nach dem Zweiten Weltkrieg ändert sich dies. Vor allem die Selbstauskunft von Anders ist interessant, die er Plessner übermittelt, nachdem dieser ihm eröffnet hat, dass er Aussicht auf ein Extraordinariat (eine außerordentliche Professur) an der FU Berlin habe. Doch auch diese Hoffnung zerschlägt sich am Ende. In dem sehr lesenswerten,
biografisch wie werkgeschichtlich hochinteressanten Nachwort – neben den
Dokumenten und den vielen erklärenden Anmerkungen zu den Briefen, eine
unschätzbare Hilfe für das Verständnis – skizzieren die Herausgeber Günther
Anders als einen Menschen, der unnachgiebig, unabhängig und kompromisslos, eben
ein „nonkonformistischer Denker“ gewesen sei. Wie schmeichelhaft diese
Zuschreibungen tatsächlich sind, mag jeder selbst beurteilen. |
Günther Anders
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