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Postume Danksagung

Guy de Maupassant würdigt Gustave Flaubert

Von Wolfram Schütte
 

Wer gerade aus der Lektüre von Elisabeth Edls jüngster Übersetzungsleistung, ihrer deutschen Fassung von Flauberts
»
L'Éducation sentimentale« (Lehrjahre der Männlichkeit), »aufgetaucht« & wieder in der empirischen Gegenwart dieser Tage angekommen ist, könnte leichthin wissen wollen, was Guy de Maupassant über seinen älteren Freund & Förderer zu sagen  & zu erinnern hatte.

Eine aufrichtige, selbstlose Freundschaft zwischen zwei Schriftstellern, die in diesem Fall auch noch 29 Lebensjahre trennt, ist sehr selten. Das ist womöglich nicht einmal primär eine Charakterfrage; eher scheint die spezifische berufliche Situation, in der öffentlichen Wahrnehmung, Akzeptanz & Resonanz mit einander zu konkurieren, ebenso prekär wirksam zu sein, wie die produktionsbedingte Notwendigkeit solipsistischer Egos, die leichthin Konflikte provozieren – vor allem, wenn der jüngere reüssiert & der ältere falliert (wie es nach Flauberts Misserfolg mit seiner »Éducation sentimental« schien).

Möglich, dass die weitläufige Bekanntschaft der Mütter der beiden Autoren bei der Freundschaft zwischen Flaubert & Maupassant eine gewisse Rolle gespielt hat; sicher aber auch, dass der jüngere sich öffentlich für den Älteren in die Bresche warf, als der im Verhau festsaß. Nicht ohne Einfluss dürfte aber auch gewesen sein, dass der junge Dichter unter den Fittichen des Singles Flaubert als dessen gelehriger Schüler zum Prosaautor aufwuchs & Flauberts radikale literarische Ästhetik der Impassibilität samt der kategorischen Vertreibung des auktorialen Erzählers vollauf zustimmte. Der »Bovary«-Schöpfer erblickte in dem Autor der Erzählung »Boule de suif« (1880) einen »Meister« auf künstlerischer »Augenhöhe« – und schrieb & sagte es großherzig & enthusiasmiert nicht nur ihm! Allerdings starb Maupassants literarische Ziehvater im gleichen Jahr; dessen literarischer »Sohn« hielt die Totenwache, regelte die Grablegung & den Nachlass & widmete ihm 4 Jahre später seine schöne Hommage.

Sie ist nun, in einer alten Übersetzung & mit einem Nachwort Elisabeth Edls im Berliner Alexander-Verlag erschienen. Edl informiert en détail über die Beziehung der beiden Autoren & u.a. was Maupassant alles unternahm, um das Andenken Flauberts von postumen falschen Freunden oder Nutznießern zu schützen. Denn für Teile seiner Verwandtschaft, waren der berühmte Tote & seine Briefwechsel sofort eine mögliche finanzielle Quelle.

Maupassants Essay, mit dem er auch der eitlen Nachrede des falschen Flaubert-Freundes Du Camp widersprechen wollte, ist aus verschiedenen Gründen für Flaubert-Interessierte von größtem Wert. Der »Schüler« beschreibt seinen »Meister« als großzügigen Gastgeber seiner (zumeist) literarischen Freunde, z.B. wenn Flaubert die Winter in Paris verbrachte & sonntags von eins bis sieben Uhr zum Empfang einlud – natürlich alles nur Männer, wenn auch die Crème de la Crème der französischen Literatur (u.a. Zola, Daudet, Huysmans ) & seinen russischen Freund Iwan Turgenjew, der immer als erster kam & Edmond de Goncourt als letzter. Eine wunderbare Passage, in der jeder einzelne von ihm kurz charakterisiert wird.

Aber Maupassant beschwört auch den in mönchischer Askese am sprachlichen Ausdruck schuftenden Künstler in seinem oberhalb der Seine einsam gelegenen, lichtdurchfluteten Haus. Für die sonntäglich auf einem Ausflugsboot vorbeifahrenden Bürger aus Rouen gehörte der Anblick des Sonderlings im Schlafrock auf dem Balkon in Croisset zum regelmäßigen Vergnügen, wie für ihn die mit einem bereit liegenden Fernglas beäugten bürgerlichen Ausflügler.

Wenn man die Beschreibung, die Maupassant von Flauberts berühmter Suche nach dem »mot juste« heute liest & an den strengen, nahezu fundamentalistischen Ernst seiner Hingabe an die Kunst der Prosa denkt, kommt einem manches in den Sinn. Da es Flaubert nicht nur um das einzig richtige Wort, sondern auch um die Wortstellung im Satz & dessen Klangfarbe ging, aber vor allem um den Rhythmus des Satzes, erscheint eine übersetzerische Adäquanz für seine Prosa ebenso unmöglich wie die wortnahe Übersetzung eines Baudelaire-Poems.

Ob das Flaubertsche »mot juste« nicht dem Arno-Schmidtschen »Wortkonzentrat« entsprach? Weil beide damit in der Rezeption der Leser deren Imaginationsfähigkeit anwerfen wollten. Auch Flauberts wahrhaft masochistisches Selbstverständnis durch die radikale Dienstverpflichtung der Kunst, der zu entsprechen die Grundbedingung seiner Existenz war, hat als letzter Autor – bis zum gleichen Erschöpfungsexitus am Schreibtisch – einzig Arno Schmidt (als Wort-Witz-Metz) noch von sich verlangt.

Wenn man die Enzyklopädie der menschlichen Dummheit, die Flaubert im gigantischen Projekt von »Bouvard et Pécuchet«, zusammen mit seiner Sammlung der geläufigen »Gemeinplätze« zu verdichten versuchte, erahnt man hinter diesem groß-satirischen Impuls schon die Umrisse von Karl Kraus & dessen Kampfs gegen »Den Untergang der Welt durch schwarze  Magie« oder gar sein Phrasen-Drama »Die letzten Tage der Menschheit«..

Besonders interessant scheint mir aber Maupassants Hommage deshalb, weil er von mehreren unausgeführten Romanprojekten spricht. Darunter ist auch die Novelle »Eine Nacht Don Juans«. Von ihr zitiert Maupassant so etwas wie eine »outline« Flauberts, um nicht gleich zu sagen: ein Drehbuch.

Es genügt, den Anfang sich anzusehen, um meine »Éducation sentimetal«-These zu belegen, wonach Flauberts literarische Erzähltechnik die Ästhetik des Kinos antizipiert:

»Ist ohne Absätze in einem Zuge zu machen.
Anfang als Handlung bewegt, - man erblickt zwei Reiter, die auf abgehetzten Pferden ankommen. Überblick über die Landschaft, doch noch nicht ausführlich, sondern nur als Lichtwirkung zwischen den Bäumen, - sie lassen die Pferde im Gebüsch grasen, - sie bleiben mit der Kinnkette darin hängen usw. Das alles während des von Zeit zu Zeit durch kleine Einzelheiten der Handlung unterbrochenen Dialogs. Don Juan öffnet sein Wams und wirft seinen Degen, der ein wenig aus der Scheide hervorsieht, auf den Rasen. Er hat soeben den Bruder Donna Elviras getötet…«.

Es gibt zahlreiche Western (oder europäische historische Filme), die genau so beginnen. In dem skizzierten Verlauf des Mystery-Thrillers »Eine Nacht Don Juans« & seiner erotisch-häretisch-sexuellen Dialektik, in die sich Flaubert hineinsteigert, gibt es neben den Einstellungen von Totale, amerikanischer Halbtotalen, Nah- & Großaufnahme sogar auch noch hier Doppelbelichtungen oder Überblendungen.

Artikel online seit 09.06.21
 

Guy de Maupassant
Über Gustave Flaubert
Aus dem Französischen von Ernst Wilhelm Fischer
mit einem Nachwort von Elisabeth Edl
Alexander Verlag, Berlin
133 Seiten
15,00 €
978-3-89581-544-7

 

 


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