Vom Comic zum Film und wieder zurück. Ein neues Interesse an den
Bildergeschichten
In diesen Tagen ist der
39. Asterix-Band Asterix und der Greif erschienen. Asterix ist
eine Institution, auch wenn seine Erfinder René Goscinny (1926-1977) und Albert
Uderzo (1927-2020) schon tot sind, wird die erfolgreiche Reihe fortgeführt.
Warum?
Der Comicstrip als Form entsteht Ende des 19. Jahrhunderts etwa zur selben Zeit
wie der Film. Er besitzt als ein rückschrittliches Medium, das noch mit dem
Zeitungsdruck verbunden und noch nicht mit dem Licht arbeitet, dennoch etliche
Vorteile. Gegenüber dem schnell dahin laufenden Filmbild bestimmt der Leser z.
B. selbst die Geschwindigkeit, mit der er die Bildchen durchblättert. Mit dem
Film teilt der Strip aber den Zusammenschuss der drei Ebenen Schrift, Bild und
eines substituierten Tons. In der Emblematik, deren erste Weltalben im
Mittelalter erscheinen, unterscheidet man das Bild, die Inschrift und die
Unterschrift als Vorläufer und Parallelform beider Medien. Mit dem Aufkommen der
Digitalisierung erkennt das die Medientheorie. Der Comic erfährt als
Schwestermedium des Films eine neue Wertschätzung.
An dem vorliegenden Asterixheft fällt zunächst diese strukturelle Verbindung
zwischen Film und Comic stark ins Auge. Der Comic diente bereits den frühen
Filmen als storyboard. Nicht gerade Charlie Chaplin – der seine Szenen im
Kopf hatte und sie dem Regisseur Mac Sennett vorspielte, bevor sie in der Kamera
eingefangen wurden –, aber andere Filmemacher arbeiten bis heute mit
entsprechenden storyboards, die Einstellungen und Aufnahmen skizzierend
vorwegnehmend. So gibt es ein wunderbares Skizzenbuch von Jodorovskys Version von
Dune, der Wüstenplanet von Frank Herbert. Star Wars und Star
Trek sind ebenfalls aus Comicversionen hervorgegangen. Ähnliches gilt für
die Superheldenfilme von Marvel und DC, nachdem die digitalen Trickeffekte diese
ermöglicht hatten. Deren Geschichten stammen oftmals weiterhin aus den 1950er
und 1960er Jahren und können nur mühsam angepasst werden. Auch die erste Ausgabe
von Asterix erschien vor immerhin 62 Jahren. Die Handlung ist aber immer um die
Zeitenwende bis ins frühe Mittelalter der Völkerwanderungen angesetzt. Das
erlaubt ihre geschützte Aufladung mit aktuellen Motiven, so wie Heiner Müller
das auch mit der griechischen Tragödie in der DDR gemacht hatte.
Das Lachen und die Lust des Wiedererkennens
Asterix ist also bekannt
und der Rezensent hat auch so gut wie jeden Band der ersten Autoren gelesen,
wenn er auch von den neuen nicht alle kennt. Der Erfinder von Asterix, René
Goscinny, war ein französischer Jude, der in Argentinien aufwuchs, in New York
lebte und 1950 nach Brüssel ging, um bei dem Magazin Spirou und der neuen
belgischen Zeichenschule anzufangen. Er zeichnete selbst, arbeitete aber auch
mit anderen Illustratoren zusammen und saß lange Jahre in der Chefredaktion der
Zeitschrift Pilote. Seine bekanntesten Comics sind neben Asterix
die Westernparodie Lucky Luke (zusammen mit Morris), Isnogud, der
Großwesir (mit Jean Tabary) und bereits früher Umpa Pah (mit
Albert Uderzo), eine Serie, die ebenfalls im Wilden Westen spielt. Asterix wurde
1959 für die Nullnummer von Pilote erfunden. Aus den 1960er Jahren ist
auch Goscinnys Zusammenarbeit mit dem Cartoonisten Jean-Jacques Sempé bekannt,
die zu den Kinderbüchern über den Kleinen Nick führte, die mittlerweile
ebenfalls verfilmt sind.
Goscinny kultiviert ein virtuoses Spiel mit Stereotypen, das den Erwartungswitz
strapaziert. Der Effekt entsteht beim Leser dadurch, dass er erst überrascht
ist, bald aber weiß, was kommt. Das folgt einer Humortheorie des französischen
Lebensphilosophen Henri Bergson. Danach wirkt etwas komisch, dass mechanisch
dort etwas wiederholt, wo eine lebendige Reaktion erwartet wird und umgekehrt.
Asterix arbeitet ähnlich wie auch die Filme von Jacques Tati praktisch in jedem
Feld mit solchen Stereotypen, die, einmal eingeführt, auch in neuen Situationen
variieren und dadurch gleich bleiben. In der kumpelhaften Prügelwelt des Dorfes
am Ende der Welt ist Obelix immer dick und als Kind in den Zaubertrank gefallen,
Majestix streitet mit seiner Frau Gutemiene, der Barde Troubadix darf nicht
singen und der Fischhändler Verleihnix prügelt sich auf ewig wieder mit dem
Schmied Automatix. Der Cäsar ist von karrieregeilen Idioten umgeben, die oft
genug die Gesichter französischer Politiker tragen und die Piraten, die ziemlich
eindeutig rassistisch konnotiert sind, bekommen am Ende jeder Begegnung mit den
Galliern immer ihr Schiff versenkt. André Stoll hat in einer frühen Untersuchung
an den avancierteren französischen Ausgaben deutlich gemacht, welche
Bedeutungshintergründe die Wort- und Bilderwitze des Comics ermöglichen. Stoll
untersucht die Hefte und ihre Welt mit dem Instrumentarium von Roland Barthes
und dessen Idee der Konstruktion eines strukturellen Mythos.
Solche Mythen, auch historische, gibt es in Asterix zuhauf: die von den
tapferen Galliern, die sich in ihrem umzingelten Dorf den Römern
entgegenstellen, der Spieß der römischen Besatzung auf der immer wiederkehrenden
Landkarte steckt ungenannt in dem Ort Alesia, wo der Gallierhäuptling
Vercingetorix im Jahre 52 v. Chr. die Schlacht gegen Caesar verlor und so
weiter.
Asterix arbeitet auf allen Feldern mit solchen immer wiederkehrenden Klischees.
Das erste große Klischee ist das Verhältnis zwischen Römern und Gallien als
Gegensatz zwischen steifer Zivilisation, Stadt und Bürokratie gegen witzige
Bauernschläue, Land und Beweglichkeit. Das Zweite ist das der proto-nationalen
Stammesidentitäten, die als jeweilige Karikaturen der Spanier, Belgier,
Schweizer, Engländer, Deutschen (West- und Ostgoten) usw. dargestellt werden. So
besteht ein Großteil der Abenteuer darin, dass die beiden Helden in fremde
Länder reisen. Viele Witze wie die erwähnten Karikaturen von Politikern und
Prominenten – wie Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy, Georges Brassens, Johnny
Halliday und Sean Connery oder französische Wortwitze wie das Römerlager
Babaorum, dass an einen Longdrink Baba-o-rum erinnert – sind
spezifisch Französisch und funktionieren nicht auf Deutsch und in Deutschland,
dem einstigen geliebten Erzfeind der Franzosen und umgekehrt.
Siggi und Barbarras
Der Gegensatz zwischen
den germanischen Stämmen und Rom bildet in Deutschland das Rückgrat der
ideologischen Phantasmagorie der Germanen. Das hat auch den Herausgeber der
ersten Ausgaben von Asterix und Obelix in Deutschland gereizt. Sie erschien als
Serie in den Fix und Foxi-Heften des in den 1960er Jahren noch offen als
Nazi auftretenden Herausgebers Rolf Kauka. Dort wurde die deutsche Übersetzung
als Die Abenteuer von Siggi und Barbarras präsentiert – nur mühsam
kaschierte Alliterationen von Siegfried und dem Barbaren. Kauka
war ein umtriebiger Anhänger von Hitler und seinem Stellvertreter Rudolf Heß.
Heß saß als vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal Verurteilter von 1947 bis zu
seinem Suizid 1987 in Berlin-Spandau im Alliiertengefängnis. Damit er nicht
vergessen werde, platzierte Kauka regelmäßig – zum Beispiel im Weihnachtsheft
Fix und Foxi von 1966 – im Editorial einen „Gruß an den Gefangenen
von Spandau“. So funktionierte das damals, ohne dass sich seine damals
jugendlichen Leser oder gar irgendeine Zensurbehörde etwas dabei dachte. Aus den
keltischen Galliern waren in dieser Nacht, die über die Aufklärung gefallen war,
Germanen geworden, die nun Gustav Freytags und Alfred Rosenbergs „Kampf um Rom“
im delierischen Modus des phantastischen Mediums weiterkämpfen. Das aber
missfiel zumindest den französischen Autoren der Serie. Goscinny und Uderzo
entzogen ihrem deutschen Kollegen bald die Lizenz. Kauka ließ nicht nach, reiste
nach Frankreich und beschwerte sich – ohne Erfolg, für Albert Uderzo aber blieb
das im Rückblick ein Alptraum. Kauka brachte dann für kurze Zeit eigene Hefte
mit den Germanen als Pichelsteiner und unter dem Namen Fitze Blitz und
Dunnerkiel heraus, die dann wieder zu Siggi und Barbaras wurden, sich
aber kaum verkauften. Das gelang ihm dann besser mit Heften wie Bussi Bär.
Ein anderes Russland – oder ist es die Ukraine?
Germanen, Gallier,
Russen, Sarmaten – auch der neue Asterix-Band steht in der bekannten Reihe der
regionalen Klischees der Stämme, von denen heute auch die Rapper phantasieren.
Das ist eine allgemeine Rückkehr zum Clandenken, die die Poptheoretiker Diedrich
Diedrichsen, Klaus Theweleit oder Georg Seeßlen bereits vor einiger Zeit
registrierten. André Stoll aber hatte bereits auch darauf hingewiesen, dass es
in Asterix nicht nur konservative Klischees gibt. In dem neuen Heft geht es um
eine Reise zu den Sarmaten. Das waren wilde Reiterstämme im Gebiet des
heutigen Südrussland und der Ukraine. Und obwohl das Russlandbild in Frankreich
durch den Napoleonischen Kriegsfeldzug und die Kommunistische Partei national
stark vorbelastet ist, unterscheidet sich Asterix wohltuend beispielsweise von
seinen belgischen Kollegen Hergé und dessen Tim und Struppi. Der Belgier
Hergé (1907-1983) ist 20 Jahre älter als Goscinny und hatte während der
Besatzung im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaboriert und für sie
geschwärmt. Er war überdies erzkatholisch und als imperialistisch gesinnt, was
sich in Heften wie Tim im Kongo (von 1931; 1946 und 1975 überarbeitet)
niederschlägt, die alle rassistischen Klischees erfüllen. Seine Figuren fliegen
zudem mit einer deutlich erkennbaren deutschen V2-Rakete auf den Mond und sehen
sich in Russland eben von lauter kommunistischen KGB-Agenten umgeben. Hergé war
ein strammer kalter Krieger.
Vorbildliche neue ethnische Toleranz und Liebe in Zeiten des Dekors
Erfrischend anders
zeigen sich dagegen in dieser Hinsicht die Autoren des neuen Asterix-Heftes. Sie
scheinen nun umgekehrt penibel um politische Korrektheit bemüht. In ihrem
Russland, in dem sowohl Asterix und Obelix als auch die Römer nach dem
sagenhaften Greif suchen, dominieren indigene Figuren: der Druide Miraculix
besucht seinen Freund Terrine, einen mit einer prophetischen Trommel
ausgestatteten Schamanen, der offenkundig aus einem Turkvolk stammt und
standesgemäß in einer Jurte haust. Er spricht eine Art von Idiom mit umgedrehtem
Ǝ
in der Sprechblase. Er könnte auch ein Tschuksche sein oder ein samischer Noaide
– das World Councel of Indegenous People wäre jedenfalls zufrieden mit
dieser Darstellung. Darüber hinaus ist der Krieg bei seinem Reitervolk
Frauensache, während die Männer zu Hause die Kinder erziehen. Man lebt also in
einem Matriarchat von Kriegerinnen, deren Kostümierung und Auftreten mit
Panzerhemden und wallenden Haaren, Mänteln und Pferdeschweifen von den Filmen
der Herr der Ringe- oder der Wonderwoman-Reihe der DC-Comics
beeinflusst scheint.
Sobald Frauen im Spiel sind, wird auch an die früheren Hefte angeknüpft, in
denen Obelix errötet und verliebt ist. Das Setting mit vielen Kriegerinnen lässt
hier eine Menge Raum für eine gewohnt harmlose amouröse Damenwahl. Bei dieser
kann sich die Amazone Casanova zunächst nicht zwischen Asterix und Obelix
entscheiden, sie erwählt dann aber den Dicken statt des Kleinen. Den kann sie
freilich auch aus dem Grund nicht kriegen, weil Asterix, ja kein Underground
Comic ist und schwule Liebe ähnlich wie bei Der Herr der Ringe und anders
als beispielsweise in Norsemen offen noch nicht auftaucht. Die Namen
Casanova für eine Frau und Terrine für einen Mann deuten überdies in
die Richtung eines Transgender-Übergangs. Casanova hat recht mit ihrer Wahl:
Asterix selbst bleibt wie immer die uninteressanteste Figur, zumal im kalten
Lande der Sarmaten der Zaubertrank einfriert und seine Wirkung verliert. Neu ist
auch ein Tierschutzmotiv: Der kleine Hund Idefix zieht nun mit den wilden
russischen Wölfen umher, was Obelix wieder eifersüchtig macht etc. pp.
Von Sowjets, Kolchosen, Arbeitslagern, KGB-Agenten-Substituten, notorischen
Wodka-Alkoholikern oder Kosakendarsteller á la Ivan Rebroff bleiben wir in
diesem Russland erfreulicherweise verschont. Die Samartenkultur steht aber
vielleicht doch eher für die Ukraine, die bald in die NATO und die EU
aufgenommen werden soll. Von kommunistischen Russen oder Ähnlichem jedenfalls
gibt es hier nur schwache Reste. Relikte der Oktoberrevolution wie auch der
Konzeption einer freien Liebe etwa von Alexandra Kollontai haben sich allerdings
im Namen und in der Figur der Kriegerin Kalaschnikowa gehalten. Die
blonde, mandeläugige Schönheit wird als eine Nichte Terrines vorgestellt, die in
die Hände der Römer gefallen ist. Vom Typus ist sie zwischen barbiehaften Frauen
wie Falballa und der namenlosen Frau von Methusalix angesiedelt; reale Vorbilder
sind hier wohl, wie so oft, Sophie Marceau, Claudia Schiffer oder Brigitte
Bardot, wenn sie mit einem Schmollmund und einem „Pfff“ in der Sprechblase die
Luft ablässt. Sie ist aber möglicherweise auch der Figur aus dem russischen
Underground Comic Octobriana von Petr Sadecký nachgebildet. Denn obwohl
Asterix in der Regel keine jugendgefährdenden Bilder zeigt, so gibt es hier doch
auch in der Tradition der dargestellten Frauen zumindest den Hauch von Pin-Up
ähnlichen Bildern. Auch die heute harmlose Figur der Wonder-Woman stammt
schließlich aus dem Kontext der Bizarr-Comics und der burlesquen
Striptease-Tänze von Betty Page und Dita Von Teese,
die auch Robert Wilson sehr schätzt. Cabaret lässt grüßen.
Kontexte und Zutaten des Asterixoramas
In dem neuen Heft
knüpfen die neuen Autoren aber auch an die besten Traditionen der alten Reihe
an. Asterix und Obelix sind schließlich eine eingeführte Marke und gehören zur
europäischen Seite dessen, was der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan
bereits 1951 in seiner Mechanischen Braut zur amerikanischen „Volkskultur
des industriellen Menschen“ rechnete. Schließlich gibt es in den USA kein
Kultusministerium. Die Figuren bleiben zwar, was sie sind; auch dreht sich die
Geschichte wieder um den Zaubertrank, der eben in der sibirischen Kälte nicht
funktioniert und auf andere Weise hergestellt werden muss – ein Feld für witzige
Zutaten, weil Miraculix so nebenbei die Borschtsuppe erfindet. Am schönsten aber
sind neben den Namensspielen die aktuellen kulturellen Bildreferenzen. So
erscheint die verlebte Lottervisage des umstrittenen französischen Autors Michel
Houellebecq in einer Hauptrolle als Geograph Globolus – immerhin gibt es
von Houellebecq ein Buch, das Gebiet und Karte heißt.
Neben diesem reiten der Zenturio Bruderkus und der Gladiator
Ausdiemaus – der Witzfaktor fällt hier eher mäßig aus und tendiert zur
Albernheit. Zugleich ändern sich auch die Seh- und Wiedererkennungsgewohnheiten
der LeserInnen und erweckt auch deren mimetische Kräfte: das bekannte
Pferdegesicht Cäsars beispielsweise erinnert nun an das Gesicht von Andreas
Gassen, den Chef der Kassenärztlichen Vereinigung. Es fehlen für die deutschen
Leser nur noch Karl Lauterbach oder Christian Lindner und sein Porsche, um den
Effekt eines operettenhaften Gesamtkunstwerks voll zu machen, dass man ein
Asterixorama nennen könnte. Vielleicht erscheinen sie im nächsten Heft 40,
wenn Asterix und Obelix zum Medicus nach Isfahan reisen. Da wäre dann auch Platz
für Jens Spahn oder Armin Laschet, der die (halbe) Platte fegen könnte…
Fabelhafte Geschichten
Neben dem Dekor sind
auch die weiteren Elemente der Story erwähnenswert. Es handelt sich um eine
Geschichte der Bestien, Chimären und Fabeltiere, die hinlänglich bei Harry
Potter vorkommen, über die ernsthaft auch der deutsche Kunsthistoriker
Rudolf Wittkower geforscht hat. Hier geht es nun um einen Greif, der für den
römischen Circus Maximus gefangen werden soll. Eine ähnliche Expedition
misslang der Gruppe anscheinend bei Versuch, einen Zyklopen einzusammeln;
jedenfalls möchten sie nicht daran erinnert werden. Die Expediteure waren aber
wohl erfolgreich bei der Jagd auf eine Giraffe. So wird hier die Tradition der
grotesken Tiere als Ironie der Natur aufgenommen und fortgeführt. Der Greif wird
schließlich hinter einer Eiswand lokalisiert, er kann aber nicht mitgenommen
werden. Das Ende der Geschichte kommt wie in den Filmen von Monty Python’s
Flying Circus abstrakt und ist hier wie dort einem besonderen deus ex
machina geschuldet. Rasch wird, wenn die Seitenzahl erreicht ist, das
Abschiedsfest herbei gezeichnet, die losen Enden der Geschichte nur mühsam
verödet: Cäsar wählt für seine Kämpfe im Zirkus nun die Giraffe und was mit
Klaschnikowa passiert, ist gleichgültig. Wir erfahren, dass sie, nachdem sie die
Herzen der Wachmänner gebrochen hat, entkommen ist. Anlaßlos herbeizitiert
werden auch die Piraten, die ansonsten mit der Geschichte nicht das Geringste zu
tun haben.
Liebevoll wird für diese Effekte dagegen die einzelne Personalie im Detail
ausgestattet. Die Fußsoldaten der Römer beispielsweise werden als abergläubische
Verschwörungstheoretiker dargestellt. Die Späher der Truppe sind dunkelhäutige
Skythen, die wie ein gedruckter Tuiprospekt sprechen und auf Hinweispfeile
verweisen, während ihre Schilder entsprechend gespickt sind, usw. Die reitenden
Amazonen wiederum erinnern auch an Frauenfiguren aus der Netflix-Serie Die
Wikinger oder der Parodie Norsemen. Historisch ist das vielleicht
nicht so falsch, schließlich waren auch die Wikinger in Nowgorod und die
gepanzerten Sarmaten in Frankreich und England. Nach einer Theorie geben sie
sogar das historische Vorbild für König Artus und die Ritter der Tafelrunde
ab. Wir ahnten schon immer, dass die Welt ursprünglich weiblich war.
Von Panels, Perspektiven und Profit
Formal gibt es viele
Panels, die über ein Drittel der Seite gehen und panoramatische Landschaften
zeigen. Eine Szene, die eine halbe Seite füllt, ist dem zentralen Bild einer
klassischen Donald-Geschichte von Carl Barks nachempfunden, in der ein
Staudamm bricht und das von Dagobert im Stausee deponierte Gold, das hier zu
Lachsen wird, das Tal
überschwemmt. Wir finden auch Schattendarstellungen von Figuren am Feuer wie aus
dem antisemitisch angehauchten Band 19 Der Seher, aber auch ausgesprochen
viele schöne und bunte Pferde und detailreiche Wimmelbilder – also alles, was
Asterix aufgrund von Uderzos Zeichenstil hier so erfolgreich gemacht hat. Schon
den alten Japanern, die diese Art der Holzschnitzkunst kultivierten, galt es als
geistreich, eine bestimmte klassische Situation nicht einfach zu repetieren,
sondern sie jeweils an die konkreten Gegebenheiten anzupassen. Genauso gehen
auch der neue Autor Jean Yves Ferry und der Zeichner Didier Conrad vor. Sie
wiederholen die alten Witze nicht einfach, sondern variieren sie neben den
Zugeständnissen an die Konvention, die allerdings ohne Zweifel die Haupttendenz
bildet, auch in durchaus neuer Weise. Freilich mussten die Künstler im
traditionellen Japan anders als im Westen sich einen neuen Namen zulegen, wenn
sie bereits berühmt waren; sie sollten nur mit ihrer Kunst reüssieren. Bei
Asterix finden wir das umgekehrte Prinzip zur heure so beliebten Serie: der
eingeführte profitable Name wird aufrechterhalten, koste es, was es wolle. Das
gibt dem Unternehmen Asterix heute etwas von einer reanimierten Leiche. Auch
deren zerfallenes neues organisches Leben steckt im ästhetischen Detail,
beileibe nicht im Ganzen.
Allegorie und Kunst
Asterix aber ist und
bleibt Pop und Kitsch. nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer also avancierte
Comics sucht, greife lieber zur Ausgabe von Le Monde Diplomatique und
ihren Illustrationen. Dass bei den Comics insgesamt ein ambivalentes
Mischprodukt aus allen Sparten der Kulturindustrie im digitalen Schatten des
Gesamtkunstwerks herauskommt, überrascht nicht. Wir wissen, dass die Comics sich
als graphic novels auch in das Gebiet der Hochkunst vorwagen.
Illustrierte Klassiker gab es schon seit langem als eine Form von readers
digest. Zwischenzeitlich lernten Lateinschüler die Sprache mit Asterix und
im Englischunterricht gibt es Geschichtsstunden mit Monty Pythons Song über die
Rosenkriege. Gerade ist passend zum Postkolonialismus eine neue Ausgabe über
Frantz Fanon, den schwarzen Psychiater, Politiker und Schriftsteller
erschienen, der Für eine afrikanische Revolution stritt und während des
Algerienkrieges die traumatisierten Widerstandskämpfer behandelte. Paolo
Uccellos in bunten Farben gestaltete Bildergeschichte des Pogroms an Juden von
1397 ist bekannt. Art Spiegelmans Maus-Comic beschäftigte sich 1989 mit
dem Holocaust, ohne diesen zu banalisieren.
Dem Medium kann demzufolge fast jeder Inhalt zugetraut werden. Ein Asterix-Heft
aber über beispielsweise den Sacco von Rom oder den armenischen Völkermord durch
die Türken lässt sich in der Reihe dennoch kaum vorstellen. Dafür ist der Rahmen
zu begrenzt. Die Formen der Bildergeschichte entstammen kunsthistorisch der
Allegorese, der uneigentlichen Form neben dem ernsthaften Kunstsymbol. Ihre
Produkte sind per se keine Kunst, sondern oszillieren zwischen dieser,
Illustration, Design und Kitsch. In Brasilien werden aber auch die
Karnevalswagen Allegorien genannt. Diese sind dafür bekannt, sich jedes Themas
anzunehmen. Als vor einigen Jahren das Motto des Karnevals von Rio 500 Jahre
Besiedlung Südamerikas durch die Kolonialisten lautete, verfielen einige
Karnevallisten auf die Idee auch einen Themenwagen zum Holocaust mit beweglichen
Leichenbergen zu gestalten. Davor stand dann aber doch die jüdische Gemeinde.
Vorwärts immer
Insgesamt folgen die
Comics nun anscheinend einem Kurs der Aufklärung. Waren sie noch in den
fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Amerika oft genug auf
dem Zensurindex der Comics Code Authority (CCA), so entwickeln sie sich
heute zu Horten der Zukunftsgesellschaft. Bei Marvel gibt es viele Frauen als
Superheldinnen, auch einen afrikanischen Schwarzen Panther. Die letzte
Lucky Luke-Nummer handelte von einem schwarzen Sheriff, der zusammen mit dem
Helden gegen den Ku-Klux-Klan vorgeht und die Bauwollplantage an die schwarzen
Arbeiter übergibt: die Erde denen, die sie bearbeiten. Und auch die aktuelle
Asterix-Nummer lobt zumindest offiziell das Matriarchat und gibt Houellebecq,
der mit den französischen Rechten sympathisiert, der Lächerlichkeit preis. Mit
der Diversität kommt allerdings auch die Gewalt der einzelnen Gruppen
untereinander zurück. Die Kollegen des französischen Satireblattes Charlie
Hebdot bezahlen ihr Engagement für die Aufklärung und gegen das
Bildnisverbot des Islams mit dem Leben. Wir sehen: Comics sind auch als 39.
Asterix-Aufguss nicht nur harmlos. Von Frantz Fanon lässt sich auch lernen, dass
sich die Grenzen zwischen Trivial- und Hochkultur so oder so rasch verflüssigen
können.
Artikel online seit 31.10.21
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Asterix Nr. 39
Asterix und der Greif
Jean-Yves Ferri,
Didier Conrad
Egmont Ehapa Media
48 Seiten
6,90 kartoniert
12,00 gebunden
59,00 Luxus Edition
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