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Comics und Politik

Zwischen dem Barbaren als Kulturheld, internationalem Regionalismus
und
»political correctness«. Anläßlich des neuen Asterix, Band 39: »Der Greif«

Von Wolfgang Bock
 

Vom Comic zum Film und wieder zurück. Ein neues Interesse an den Bildergeschichten
In diesen Tagen ist der 39. Asterix-Band Asterix und der Greif erschienen. Asterix ist eine Institution, auch wenn seine Erfinder René Goscinny (1926-1977) und Albert Uderzo (1927-2020) schon tot sind, wird die erfolgreiche Reihe fortgeführt. Warum?

Der Comicstrip als Form entsteht Ende des 19. Jahrhunderts etwa zur selben Zeit wie der Film. Er besitzt als ein rückschrittliches Medium, das noch mit dem Zeitungsdruck verbunden und noch nicht mit dem Licht arbeitet, dennoch etliche Vorteile. Gegenüber dem schnell dahin laufenden Filmbild bestimmt der Leser z. B. selbst die Geschwindigkeit, mit der er die Bildchen durchblättert. Mit dem Film teilt der Strip aber den Zusammenschuss der drei Ebenen Schrift, Bild und eines substituierten Tons. In der Emblematik, deren erste Weltalben im Mittelalter erscheinen, unterscheidet man das Bild, die Inschrift und die Unterschrift als Vorläufer und Parallelform beider Medien. Mit dem Aufkommen der Digitalisierung erkennt das die Medientheorie. Der Comic erfährt als Schwestermedium des Films eine neue Wertschätzung.

An dem vorliegenden Asterixheft fällt zunächst diese strukturelle Verbindung zwischen Film und Comic stark ins Auge. Der Comic diente bereits den frühen Filmen als storyboard. Nicht gerade Charlie Chaplin – der seine Szenen im Kopf hatte und sie dem Regisseur Mac Sennett vorspielte, bevor sie in der Kamera eingefangen wurden –, aber andere Filmemacher arbeiten bis heute mit entsprechenden storyboards, die Einstellungen und Aufnahmen skizzierend vorwegnehmend. So gibt es ein wunderbares Skizzenbuch von Jodorovskys Version von Dune, der Wüstenplanet von Frank Herbert. Star Wars und Star Trek sind ebenfalls aus Comicversionen hervorgegangen. Ähnliches gilt für die Superheldenfilme von Marvel und DC, nachdem die digitalen Trickeffekte diese ermöglicht hatten. Deren Geschichten stammen oftmals weiterhin aus den 1950er und 1960er Jahren und können nur mühsam angepasst werden. Auch die erste Ausgabe von Asterix erschien vor immerhin 62 Jahren. Die Handlung ist aber immer um die Zeitenwende bis ins frühe Mittelalter der Völkerwanderungen angesetzt. Das erlaubt ihre geschützte Aufladung mit aktuellen Motiven, so wie Heiner Müller das auch mit der griechischen Tragödie in der DDR gemacht hatte.

Das Lachen und die Lust des Wiedererkennens
Asterix ist also bekannt und der Rezensent hat auch so gut wie jeden Band der ersten Autoren gelesen, wenn er auch von den neuen nicht alle kennt. Der Erfinder von Asterix, René Goscinny, war ein französischer Jude, der in Argentinien aufwuchs, in New York lebte und 1950 nach Brüssel ging, um bei dem Magazin Spirou und der neuen belgischen Zeichenschule anzufangen. Er zeichnete selbst, arbeitete aber auch mit anderen Illustratoren zusammen und saß lange Jahre in der Chefredaktion der Zeitschrift Pilote. Seine bekanntesten Comics sind neben Asterix die Westernparodie Lucky Luke (zusammen mit Morris), Isnogud, der Großwesir (mit Jean Tabary) und bereits früher Umpa Pah (mit Albert Uderzo), eine Serie, die ebenfalls im Wilden Westen spielt. Asterix wurde 1959 für die Nullnummer von Pilote erfunden. Aus den 1960er Jahren ist auch Goscinnys Zusammenarbeit mit dem Cartoonisten Jean-Jacques Sempé bekannt, die zu den Kinderbüchern über den Kleinen Nick führte, die mittlerweile ebenfalls verfilmt sind.

Goscinny kultiviert ein virtuoses Spiel mit Stereotypen, das den Erwartungswitz strapaziert. Der Effekt entsteht beim Leser dadurch, dass er erst überrascht ist, bald aber weiß, was kommt. Das folgt einer Humortheorie des französischen Lebensphilosophen Henri Bergson. Danach wirkt etwas komisch, dass mechanisch dort etwas wiederholt, wo eine lebendige Reaktion erwartet wird und umgekehrt. Asterix arbeitet ähnlich wie auch die Filme von Jacques Tati praktisch in jedem Feld mit solchen Stereotypen, die, einmal eingeführt, auch in neuen Situationen variieren und dadurch gleich bleiben. In der kumpelhaften Prügelwelt des Dorfes am Ende der Welt ist Obelix immer dick und als Kind in den Zaubertrank gefallen, Majestix streitet mit seiner Frau Gutemiene, der Barde Troubadix darf nicht singen und der Fischhändler Verleihnix prügelt sich auf ewig wieder mit dem Schmied Automatix. Der Cäsar ist von karrieregeilen Idioten umgeben, die oft genug die Gesichter französischer Politiker tragen und die Piraten, die ziemlich eindeutig rassistisch konnotiert sind, bekommen am Ende jeder Begegnung mit den Galliern immer ihr Schiff versenkt. André Stoll hat in einer frühen Untersuchung an den avancierteren französischen Ausgaben deutlich gemacht, welche Bedeutungshintergründe die Wort- und Bilderwitze des Comics ermöglichen. Stoll untersucht die Hefte und ihre Welt mit dem Instrumentarium von Roland Barthes und dessen Idee der Konstruktion eines strukturellen Mythos.[1] Solche Mythen, auch historische, gibt es in Asterix zuhauf: die von den tapferen Galliern, die sich in ihrem umzingelten Dorf den Römern entgegenstellen, der Spieß der römischen Besatzung auf der immer wiederkehrenden Landkarte steckt ungenannt in dem Ort Alesia, wo der Gallierhäuptling Vercingetorix im Jahre 52 v. Chr. die Schlacht gegen Caesar verlor und so weiter.

Asterix arbeitet auf allen Feldern mit solchen immer wiederkehrenden Klischees. Das erste große Klischee ist das Verhältnis zwischen Römern und Gallien als Gegensatz zwischen steifer Zivilisation, Stadt und Bürokratie gegen witzige Bauernschläue, Land und Beweglichkeit. Das Zweite ist das der proto-nationalen Stammesidentitäten, die als jeweilige Karikaturen der Spanier, Belgier, Schweizer, Engländer, Deutschen (West- und Ostgoten) usw. dargestellt werden. So besteht ein Großteil der Abenteuer darin, dass die beiden Helden in fremde Länder reisen. Viele Witze wie die erwähnten Karikaturen von Politikern und Prominenten – wie Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy, Georges Brassens, Johnny Halliday und Sean Connery oder französische Wortwitze wie das Römerlager Babaorum, dass an einen Longdrink Baba-o-rum erinnert – sind spezifisch Französisch und funktionieren nicht auf Deutsch und in Deutschland, dem einstigen geliebten Erzfeind der Franzosen und umgekehrt.

Siggi und Barbarras
Der Gegensatz zwischen den germanischen Stämmen und Rom bildet in Deutschland das Rückgrat der ideologischen Phantasmagorie der Germanen. Das hat auch den Herausgeber der ersten Ausgaben von Asterix und Obelix in Deutschland gereizt. Sie erschien als Serie in den Fix und Foxi-Heften des in den 1960er Jahren noch offen als Nazi auftretenden Herausgebers Rolf Kauka. Dort wurde die deutsche Übersetzung als Die Abenteuer von Siggi und Barbarras präsentiert – nur mühsam kaschierte Alliterationen von Siegfried und dem Barbaren. Kauka war ein umtriebiger Anhänger von Hitler und seinem Stellvertreter Rudolf Heß. Heß saß als vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal Verurteilter von 1947 bis zu seinem Suizid 1987 in Berlin-Spandau im Alliiertengefängnis. Damit er nicht vergessen werde, platzierte Kauka regelmäßig – zum Beispiel im Weihnachtsheft Fix und Foxi von 1966im Editorial einen „Gruß an den Gefangenen von Spandau“. So funktionierte das damals, ohne dass sich seine damals jugendlichen Leser oder gar irgendeine Zensurbehörde etwas dabei dachte. Aus den keltischen Galliern waren in dieser Nacht, die über die Aufklärung gefallen war, Germanen geworden, die nun Gustav Freytags und Alfred Rosenbergs „Kampf um Rom“ im delierischen Modus des phantastischen Mediums weiterkämpfen. Das aber missfiel zumindest den französischen Autoren der Serie. Goscinny und Uderzo entzogen ihrem deutschen Kollegen bald die Lizenz. Kauka ließ nicht nach, reiste nach Frankreich und beschwerte sich – ohne Erfolg, für Albert Uderzo aber blieb das im Rückblick ein Alptraum. Kauka brachte dann für kurze Zeit eigene Hefte mit den Germanen als Pichelsteiner und unter dem Namen Fitze Blitz und Dunnerkiel heraus, die dann wieder zu Siggi und Barbaras wurden, sich aber kaum verkauften. Das gelang ihm dann besser mit Heften wie Bussi Bär.

Ein anderes Russland – oder ist es die Ukraine?
Germanen, Gallier, Russen, Sarmaten – auch der neue Asterix-Band steht in der bekannten Reihe der regionalen Klischees der Stämme, von denen heute auch die Rapper phantasieren. Das ist eine allgemeine Rückkehr zum Clandenken, die die Poptheoretiker Diedrich Diedrichsen, Klaus Theweleit oder Georg Seeßlen bereits vor einiger Zeit registrierten. André Stoll aber hatte bereits auch darauf hingewiesen, dass es in Asterix nicht nur konservative Klischees gibt. In dem neuen Heft geht es um eine Reise zu den Sarmaten. Das waren wilde Reiterstämme im Gebiet des heutigen Südrussland und der Ukraine. Und obwohl das Russlandbild in Frankreich durch den Napoleonischen Kriegsfeldzug und die Kommunistische Partei national stark vorbelastet ist, unterscheidet sich Asterix wohltuend beispielsweise von seinen belgischen Kollegen Hergé und dessen Tim und Struppi. Der Belgier Hergé (1907-1983) ist 20 Jahre älter als Goscinny und hatte während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaboriert und für sie geschwärmt. Er war überdies erzkatholisch und als imperialistisch gesinnt, was sich in Heften wie Tim im Kongo (von 1931; 1946 und 1975 überarbeitet) niederschlägt, die alle rassistischen Klischees erfüllen. Seine Figuren fliegen zudem mit einer deutlich erkennbaren deutschen V2-Rakete auf den Mond und sehen sich in Russland eben von lauter kommunistischen KGB-Agenten umgeben. Hergé war ein strammer kalter Krieger.

Vorbildliche neue ethnische Toleranz und Liebe in Zeiten des Dekors
Erfrischend anders zeigen sich dagegen in dieser Hinsicht die Autoren des neuen Asterix-Heftes. Sie scheinen nun umgekehrt penibel um politische Korrektheit bemüht. In ihrem Russland, in dem sowohl Asterix und Obelix als auch die Römer nach dem sagenhaften Greif suchen, dominieren indigene Figuren: der Druide Miraculix besucht seinen Freund Terrine, einen mit einer prophetischen Trommel ausgestatteten Schamanen, der offenkundig aus einem Turkvolk stammt und standesgemäß in einer Jurte haust. Er spricht eine Art von Idiom mit umgedrehtem Ǝ in der Sprechblase. Er könnte auch ein Tschuksche sein oder ein samischer Noaide – das World Councel of Indegenous People wäre jedenfalls zufrieden mit dieser Darstellung. Darüber hinaus ist der Krieg bei seinem Reitervolk Frauensache, während die Männer zu Hause die Kinder erziehen. Man lebt also in einem Matriarchat von Kriegerinnen, deren Kostümierung und Auftreten mit Panzerhemden und wallenden Haaren, Mänteln und Pferdeschweifen von den Filmen der Herr der Ringe- oder der Wonderwoman-Reihe der DC-Comics beeinflusst scheint.

Sobald Frauen im Spiel sind, wird auch an die früheren Hefte angeknüpft, in denen Obelix errötet und verliebt ist. Das Setting mit vielen Kriegerinnen lässt hier eine Menge Raum für eine gewohnt harmlose amouröse Damenwahl. Bei dieser kann sich die Amazone Casanova zunächst nicht zwischen Asterix und Obelix entscheiden, sie erwählt dann aber den Dicken statt des Kleinen. Den kann sie freilich auch aus dem Grund nicht kriegen, weil Asterix, ja kein Underground Comic ist und schwule Liebe ähnlich wie bei Der Herr der Ringe und anders als beispielsweise in Norsemen offen noch nicht auftaucht. Die Namen Casanova für eine Frau und Terrine für einen Mann deuten überdies in die Richtung eines Transgender-Übergangs. Casanova hat recht mit ihrer Wahl: Asterix selbst bleibt wie immer die uninteressanteste Figur, zumal im kalten Lande der Sarmaten der Zaubertrank einfriert und seine Wirkung verliert. Neu ist auch ein Tierschutzmotiv: Der kleine Hund Idefix zieht nun mit den wilden russischen Wölfen umher, was Obelix wieder eifersüchtig macht etc. pp.

Von Sowjets, Kolchosen, Arbeitslagern, KGB-Agenten-Substituten, notorischen Wodka-Alkoholikern oder Kosakendarsteller á la Ivan Rebroff bleiben wir in diesem Russland erfreulicherweise verschont. Die Samartenkultur steht aber vielleicht doch eher für die Ukraine, die bald in die NATO und die EU aufgenommen werden soll. Von kommunistischen Russen oder Ähnlichem jedenfalls gibt es hier nur schwache Reste. Relikte der Oktoberrevolution wie auch der Konzeption einer freien Liebe etwa von Alexandra Kollontai haben sich allerdings im Namen und in der Figur der Kriegerin Kalaschnikowa gehalten. Die blonde, mandeläugige Schönheit wird als eine Nichte Terrines vorgestellt, die in die Hände der Römer gefallen ist. Vom Typus ist sie zwischen barbiehaften Frauen wie Falballa und der namenlosen Frau von Methusalix angesiedelt; reale Vorbilder sind hier wohl, wie so oft, Sophie Marceau, Claudia Schiffer oder Brigitte Bardot, wenn sie mit einem Schmollmund und einem „Pfff“ in der Sprechblase die Luft ablässt. Sie ist aber möglicherweise auch der Figur aus dem russischen Underground Comic Octobriana von Petr Sadecký nachgebildet. Denn obwohl Asterix in der Regel keine jugendgefährdenden Bilder zeigt, so gibt es hier doch auch in der Tradition der dargestellten Frauen zumindest den Hauch von Pin-Up ähnlichen Bildern. Auch die heute harmlose Figur der Wonder-Woman stammt schließlich aus dem Kontext der Bizarr-Comics und der burlesquen Striptease-Tänze von Betty Page und Dita Von Teese
, die auch Robert Wilson sehr schätzt. Cabaret lässt grüßen.

Kontexte und Zutaten des Asterixoramas
In dem neuen Heft knüpfen die neuen Autoren aber auch an die besten Traditionen der alten Reihe an. Asterix und Obelix sind schließlich eine eingeführte Marke und gehören zur europäischen Seite dessen, was der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan bereits 1951 in seiner Mechanischen Braut zur amerikanischen „Volkskultur des industriellen Menschen“ rechnete. Schließlich gibt es in den USA kein Kultusministerium. Die Figuren bleiben zwar, was sie sind; auch dreht sich die Geschichte wieder um den Zaubertrank, der eben in der sibirischen Kälte nicht funktioniert und auf andere Weise hergestellt werden muss – ein Feld für witzige Zutaten, weil Miraculix so nebenbei die Borschtsuppe erfindet. Am schönsten aber sind neben den Namensspielen die aktuellen kulturellen Bildreferenzen. So erscheint die verlebte Lottervisage des umstrittenen französischen Autors Michel Houellebecq in einer Hauptrolle als Geograph Globolus – immerhin gibt es von Houellebecq ein Buch, das Gebiet und Karte heißt.[2] Neben diesem reiten der Zenturio Bruderkus und der Gladiator Ausdiemaus – der Witzfaktor fällt hier eher mäßig aus und tendiert zur Albernheit. Zugleich ändern sich auch die Seh- und Wiedererkennungsgewohnheiten der LeserInnen und erweckt auch deren mimetische Kräfte: das bekannte Pferdegesicht Cäsars beispielsweise erinnert nun an das Gesicht von Andreas Gassen, den Chef der Kassenärztlichen Vereinigung. Es fehlen für die deutschen Leser nur noch Karl Lauterbach oder Christian Lindner und sein Porsche, um den Effekt eines operettenhaften Gesamtkunstwerks voll zu machen, dass man ein Asterixorama nennen könnte. Vielleicht erscheinen sie im nächsten Heft 40, wenn Asterix und Obelix zum Medicus nach Isfahan reisen. Da wäre dann auch Platz für Jens Spahn oder Armin Laschet, der die (halbe) Platte fegen könnte…

Fabelhafte Geschichten
Neben dem Dekor sind auch die weiteren Elemente der Story erwähnenswert. Es handelt sich um eine Geschichte der Bestien, Chimären und Fabeltiere, die hinlänglich bei Harry Potter vorkommen, über die ernsthaft auch der deutsche Kunsthistoriker Rudolf Wittkower geforscht hat. Hier geht es nun um einen Greif, der für den römischen Circus Maximus gefangen werden soll. Eine ähnliche Expedition misslang der Gruppe anscheinend bei Versuch, einen Zyklopen einzusammeln; jedenfalls möchten sie nicht daran erinnert werden. Die Expediteure waren aber wohl erfolgreich bei der Jagd auf eine Giraffe. So wird hier die Tradition der grotesken Tiere als Ironie der Natur aufgenommen und fortgeführt. Der Greif wird schließlich hinter einer Eiswand lokalisiert, er kann aber nicht mitgenommen werden. Das Ende der Geschichte kommt wie in den Filmen von Monty Python’s Flying Circus abstrakt und ist hier wie dort einem besonderen deus ex machina geschuldet. Rasch wird, wenn die Seitenzahl erreicht ist, das Abschiedsfest herbei gezeichnet, die losen Enden der Geschichte nur mühsam verödet: Cäsar wählt für seine Kämpfe im Zirkus nun die Giraffe und was mit Klaschnikowa passiert, ist gleichgültig. Wir erfahren, dass sie, nachdem sie die Herzen der Wachmänner gebrochen hat, entkommen ist. Anlaßlos herbeizitiert werden auch die Piraten, die ansonsten mit der Geschichte nicht das Geringste zu tun haben.

Liebevoll wird für diese Effekte dagegen die einzelne Personalie im Detail ausgestattet. Die Fußsoldaten der Römer beispielsweise werden als abergläubische Verschwörungstheoretiker dargestellt. Die Späher der Truppe sind dunkelhäutige Skythen, die wie ein gedruckter Tuiprospekt sprechen und auf Hinweispfeile verweisen, während ihre Schilder entsprechend gespickt sind, usw. Die reitenden Amazonen wiederum erinnern auch an Frauenfiguren aus der Netflix-Serie Die Wikinger oder der Parodie Norsemen. Historisch ist das vielleicht nicht so falsch, schließlich waren auch die Wikinger in Nowgorod und die gepanzerten Sarmaten in Frankreich und England. Nach einer Theorie geben sie sogar das historische Vorbild für König Artus und die Ritter der Tafelrunde ab. Wir ahnten schon immer, dass die Welt ursprünglich weiblich war.

Von Panels, Perspektiven und Profit
Formal gibt es viele Panels, die über ein Drittel der Seite gehen und panoramatische Landschaften zeigen. Eine Szene, die eine halbe Seite füllt, ist dem zentralen Bild einer klassischen Donald-Geschichte von Carl Barks nachempfunden, in der ein Staudamm bricht und das von Dagobert im Stausee deponierte Gold, das hier zu Lachsen wird, das Tal überschwemmt. Wir finden auch Schattendarstellungen von Figuren am Feuer wie aus dem antisemitisch angehauchten Band 19 Der Seher, aber auch ausgesprochen viele schöne und bunte Pferde und detailreiche Wimmelbilder – also alles, was Asterix aufgrund von Uderzos Zeichenstil hier so erfolgreich gemacht hat. Schon den alten Japanern, die diese Art der Holzschnitzkunst kultivierten, galt es als geistreich, eine bestimmte klassische Situation nicht einfach zu repetieren, sondern sie jeweils an die konkreten Gegebenheiten anzupassen. Genauso gehen auch der neue Autor Jean Yves Ferry und der Zeichner Didier Conrad vor. Sie wiederholen die alten Witze nicht einfach, sondern variieren sie neben den Zugeständnissen an die Konvention, die allerdings ohne Zweifel die Haupttendenz bildet, auch in durchaus neuer Weise. Freilich mussten die Künstler im traditionellen Japan anders als im Westen sich einen neuen Namen zulegen, wenn sie bereits berühmt waren; sie sollten nur mit ihrer Kunst reüssieren. Bei Asterix finden wir das umgekehrte Prinzip zur heure so beliebten Serie: der eingeführte profitable Name wird aufrechterhalten, koste es, was es wolle. Das gibt dem Unternehmen Asterix heute etwas von einer reanimierten Leiche. Auch deren zerfallenes neues organisches Leben steckt im ästhetischen Detail, beileibe nicht im Ganzen.

Allegorie und Kunst
Asterix aber ist und bleibt Pop und Kitsch. nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer also avancierte Comics sucht, greife lieber zur Ausgabe von Le Monde Diplomatique und ihren Illustrationen. Dass bei den Comics insgesamt ein ambivalentes Mischprodukt aus allen Sparten der Kulturindustrie im digitalen Schatten des Gesamtkunstwerks herauskommt, überrascht nicht. Wir wissen, dass die Comics sich als graphic novels auch in das Gebiet der Hochkunst vorwagen. Illustrierte Klassiker gab es schon seit langem als eine Form von readers digest. Zwischenzeitlich lernten Lateinschüler die Sprache mit Asterix und im Englischunterricht gibt es Geschichtsstunden mit Monty Pythons Song über die Rosenkriege. Gerade ist passend zum Postkolonialismus eine neue Ausgabe über Frantz Fanon, den schwarzen Psychiater, Politiker und Schriftsteller erschienen, der Für eine afrikanische Revolution stritt und während des Algerienkrieges die traumatisierten Widerstandskämpfer behandelte. Paolo Uccellos in bunten Farben gestaltete Bildergeschichte des Pogroms an Juden von 1397 ist bekannt. Art Spiegelmans Maus-Comic beschäftigte sich 1989 mit dem Holocaust, ohne diesen zu banalisieren.[3] Dem Medium kann demzufolge fast jeder Inhalt zugetraut werden. Ein Asterix-Heft aber über beispielsweise den Sacco von Rom oder den armenischen Völkermord durch die Türken lässt sich in der Reihe dennoch kaum vorstellen. Dafür ist der Rahmen zu begrenzt. Die Formen der Bildergeschichte entstammen kunsthistorisch der Allegorese, der uneigentlichen Form neben dem ernsthaften Kunstsymbol. Ihre Produkte sind per se keine Kunst, sondern oszillieren zwischen dieser, Illustration, Design und Kitsch. In Brasilien werden aber auch die Karnevalswagen Allegorien genannt. Diese sind dafür bekannt, sich jedes Themas anzunehmen. Als vor einigen Jahren das Motto des Karnevals von Rio 500 Jahre Besiedlung Südamerikas durch die Kolonialisten lautete, verfielen einige Karnevallisten auf die Idee auch einen Themenwagen zum Holocaust mit beweglichen Leichenbergen zu gestalten. Davor stand dann aber doch die jüdische Gemeinde.[4]

Vorwärts immer
Insgesamt folgen die Comics nun anscheinend einem Kurs der Aufklärung. Waren sie noch in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Amerika oft genug auf dem Zensurindex der Comics Code Authority (CCA), so entwickeln sie sich heute zu Horten der Zukunftsgesellschaft. Bei Marvel gibt es viele Frauen als Superheldinnen, auch einen afrikanischen Schwarzen Panther. Die letzte Lucky Luke-Nummer handelte von einem schwarzen Sheriff, der zusammen mit dem Helden gegen den Ku-Klux-Klan vorgeht und die Bauwollplantage an die schwarzen Arbeiter übergibt: die Erde denen, die sie bearbeiten. Und auch die aktuelle Asterix-Nummer lobt zumindest offiziell das Matriarchat und gibt Houellebecq, der mit den französischen Rechten sympathisiert, der Lächerlichkeit preis. Mit der Diversität kommt allerdings auch die Gewalt der einzelnen Gruppen untereinander zurück. Die Kollegen des französischen Satireblattes Charlie Hebdot bezahlen ihr Engagement für die Aufklärung und gegen das Bildnisverbot des Islams mit dem Leben. Wir sehen: Comics sind auch als 39. Asterix-Aufguss nicht nur harmlos. Von Frantz Fanon lässt sich auch lernen, dass sich die Grenzen zwischen Trivial- und Hochkultur so oder so rasch verflüssigen können.

[1] Vgl. André Stoll, Asterix, das Trivialepos Frankreichs. Die Bild- und Sprachartistik eines Bestseller-Comics, Köln DuMont 1975 und Roland Barthes, Mythen des Alltags: Vollständige Ausgabe, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2012.

[2] Michel Houellebecq, Karte und Gebiet, Köln: DuMont 2011.

[3] Frédéric Ciriez, Romain Lamy, Frantz Fanon, Hamburg: Hamburger Edition 2021 und Ole Frahm, Genealogie des Holocaust: Art Spiegelmans Maus – A Survivor's Tale, München: Wilhelm Fink Verlag 2006.

Artikel online seit 31.10.21
 

Asterix Nr. 39
Asterix und der Greif
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