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Orgien des Guten
Von Jürgen Nielsen-Sikora |
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»Das Spektakel stellt sich als eine ungeheure, unbestreitbare und unerreichbare Positivität dar. Es sagt nichts mehr als: Was erscheint, das ist gut; was gut ist, das erscheint. Die durch das Spektakel prinzipiell geforderte Haltung ist diese passive Hinnahme, die es schon durch seine Art, unwiderlegbar zu erscheinen, durch sein Monopol des Scheins faktisch erwirkt hat.« (Guy Debord) Vor zwei Jahren hat der Islamwissenschaftler Thomas Bauer ein viel diskutiertes Buch mit dem Titel »Die Vereindeutigung der Welt« vorgelegt. Darin beklagt er den Verlust von Vielfalt und die Zurückdrängung des Unangepassten. Glattgeschliffene Diskurse und sinnlose Debatten, getragen vom Unwillen, Vielfalt in all ihren Erscheinungsformen zu ertragen, sind die Folge. Die Welt sei zwar, so Bauer, voll von Ambiguität, die gesellschaftlichen Phänomene deutungsoffen, doch die Menschen seien intolerant gegenüber dieser Offenheit und Vagheit. Dinge müssen stattdessen eindeutig, messbar, unterscheidbar und klar sein: Kontrolle und Reglementierung statt Phantasie, Rassismus und Talkshow statt humaner Liberalität. Widersprüchlichkeiten halten wir kaum mehr aus, Zweideutigkeiten sind uns suspekt, Zögerlichkeit wird als Charakterschwäche interpretiert. Rigorismus und Fundamentalismus, Wahrheitsobsession und Reinheitsstreben sind für Bauer die Wesenszüge dieser neuartigen Intoleranz. Am Ende gilt: Was sich nicht exakt in Zahlen ausdrücken lässt, ist verdächtig. Nur der Markt kennt den wahren Wert. In solch einer Welt ist der Ruf nach einem Führer oder einem Zentralkomitee unüberhörbar. Bauers Diagnose liest sich wie die Fortsetzung der Klage des französischen Philosophen und Essayisten Philippe Muray. Der hatte bereits 1991 in einem so pointiert wie polemisch vorgetragenen, nun von Nicola Denis wundervoll ins Deutsche übertragenen, Beitrag moniert, dass das Recht des Einzelnen auf eine eigene Meinung und eigene Vorlieben zusehends bedroht werde: Debatten ohne Substanz, ohne echte Kontroverse, ohne Spontaneität, durch Umfragen, handzahme Lippenbekenntnisse und plumpe Parolen lange im Voraus der Überraschung beraubt. Eine »Glasur aus Reinheit« überziehe unser Zeitalter, von dem schon Guy Debord wusste, dass »vulgarisierte Pseudofeste, Parodien des Dialogs und der Gabe« an der Tagesordnung sind und eine »illusorische Repräsentation des Nicht-Erlebten« zur Alltagsroutine gehört. Hinzu gesellt sich eine Tyrannei der Tugend: Rauchverbote hier, Sprechverbote dort, zudem Denk- und Essverbote, Vorschriften im Namen des moralischen Fortschritts, ein Spendenmarathon jagt den nächsten, ummantelt vom hypersozialen Engagement der Show-Welt: Eine Welt voller Westentaschen-Sartres, die sich chronisch für das vermeintlich Gerechte aufopfern. Geistige Schutzgebiete werden errichtet und feinsäuberlich mit Statusmeldungen versehen. Mehr Gesetze, mehr Sicherheit, und noch mehr Wellness, Sauna und Whirlpool zur Entspannung vom Gleichschritt. Alle in Wärmedecken eingepackt, für immer in Honig. Die Welt als Party, Unterhaltung und willkommene Unterwerfung. Vorauseilender Gehorsam und ewige Dienerschaft als Tugenden, begleitet von Pseudo-Demonstrationen und vom Kitsch der Weltrettung. Alles auf Konsens! Der Mensch der Gegenwart hat es gern bequem und gut durchorganisiert. Absicherung ist das Credo der Stunde.
Mit Debord spricht Muray vom Spektakel der Bedeutungslosigkeit, von einer »Disneyisierung
der Welt«, in der Politik zur Dauerwerbesendung wird, die Sendung wie
Gehirnwäsche funktioniert und neue Konformität garantiert. Es lebe der
Algorithmus! Das bürgerliche Leben wird ablesbar am Bestellverlauf bei Amazon.
Shoppen mit der Smile-Funktion für das Soziale, trinken für den Erhalt des
Regenwalds, Glücksspiel für die Integration Behinderter. Das marktkonforme Reich
des Guten, Eindeutigen und Reinen wächst unaufhörlich. Muray nennt das »cordicolen
Faschismus«: Von der naiven Erziehung des Herzens zur wahren Orgie des Guten.
Wer jetzt noch nicht unruhig geworden ist, sollte das Buch lesen. Oder eben
weiterhin im Vereinsheim seines Geistes die Stühle geraderücken. |
Philippe Muray
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