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Herr Merz, der Leerverkauf
und der Kaufstopp bei
»Gamestop«


Eine Glosse von Peter Kern

Marktwirtschaft kann nicht jeder, und der’s kann, kann nun nicht mehr zeigen, wie es geht. Herr Merz hat dem größten Investmentfonds, Blackrock, einmal die deutschen Geschäfte geführt. Blackrock verwaltet ein Mehrfaches des deutschen Bundeshaushaltes, und dies ist seinen Managern nur gelungen, weil sie nicht alle goldenen Eier in nur einen Korb legen. Ihr Geschäft geht diversifiziert: Fonds mit monatlicher Sparquote für die Kleinen, Private Equity-Fonds für die Großen. Die institutionellen Anleger kaufen keine Peanuts, sondern ganze Firmen. Einen Geschäftszweig nennt Blackrock alternative Anlagen. Alternativ heißt er deshalb, weil die Alternative zu steigenden Kursen fallende sind. Auch damit kann man sein Geld machen; mit Leerverkauf also.

 
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Wie geht Leerverkauf? Ältere Herren kennen noch das Skatspiel und seine Runde Ramsch. Wer am Schluss das Blatt mit den wenigsten Augen hat, hat gewonnen. Wie Ramschen an der Börse funktioniert, demonstriert aktuell der Fall Gamestop. Eine Fondsgesellschaft namens Melvin Capital entleiht bei dem Unternehmen Gamestop gegen Gebühr ein Aktienpaket. Das Paket verkauft sie gleichsam in Päckchen an Kleinaktionäre. Sobald die Verleihfrist endet, kauft die Fondsgesellschaft die Päckchen wieder zurück und gibt das Paket dem Verleiher. Das macht keinen Sinn? Das macht jede Menge Sinn. Denn ist der Kurs zu Beginn der Leihe viel höher als an ihrem Ende, streicht der Fonds die Differenz ein.

Um das Geschäft mit dem Leerverkauf zu verstehen, braucht es nur eine Grundrechenart. Einer kauft vielleicht 100.000 Aktien zum Wert von je 500 Dollar, verkauft die an hunderte von Kleinaktionären zu 450 Dollar, dann kauft er die nämliche Anzahl von Aktien zum Wert von, sagen wir, 20 Dollar und gibt das Paket dem Unternehmen zurück. Das sei Betrug? Mitnichten. Er hat 100.000 Aktien geliehen, er gibt 100.000 Aktien zurück. Und die Leihgebühr ist er, als ehrlicher Kaufmann, auch nicht schuldig geblieben.

Was kann der Kaufmann dafür, wenn sich die Aktien nicht als Kursrakete sondern als Rohrkrepierer erwiesen hat? Er kann vielleicht ein bisschen was dafür, hat eventuell das Gerücht gestreut, das Geschäftsmodell von Gamestop sei vielleicht doch nicht so genial. Gamestop wollte mit seinen Videoshops Amazon das Wasser abgraben. Da trat nicht David gegen Goliath an, sondern der alte Opa von David. Egal, die Möchtegern-Börsianer haben an den Geheimtipp geglaubt. Dass jetzt Gamestop mit seinen Beschäftigten über die Wupper geht, das ist natürlich nicht schön, aber leider nicht zu ändern.

Melvin Capital hat also mit Leerverkäufen auf den fallenden Aktienkurs von Gamestop spekuliert. Plötzlich passiert Unvorhergesehenes. Die Kleinaktionäre mucken auf, twittern miteinander und ein Broker namens Robinhood – nomen est omen - unterstützt sie. Wie geht Occupy Wallstreet, wenn‘s die Richtigen machen? Sie kaufen wie verrückt ihren alten Ladenhüter, die Gamestop-Aktie nach. Die hebt ab, auf über 500 Dollar, und morgen muss Melvin berappen, die Leihfrist läuft ab. Morgen geht es dann Melvin statt Gamestop an den Kragen. Melvin kommt schwer ins Schwitzen.

Eine neuerliche Wendung im Börsenkrimi: Irgendwer gönnt dem ins Trudeln geratenen Fonds eine Geldspritze. Zwei Milliarden waren nötig, damit Malvin Capital nicht Konkurs geht (den Offenbächer macht, wie die gehässigen Frankfurter sagen). Und plötzlich kann an den weltweiten Börsen Gamestop nicht mehr gekauft werden. Ein Börsenkapitalismus, bei dem man nicht Kaufen kann? Ja, sowas gibt’s. Verkaufen wäre gegangen, aber beim Kaufen gäb’s technische Probleme. So vermeldet die Bafin, die deutsche Börsenaufsicht und andere Aufsichtsbehörden auch. Melvin Capital atmet auf, der Kurs rauscht wieder runter auf 20 Dollar.

Jetzt tauchen Gerüchte auf. Der CEO von Robinhood sei gar kein edler Räuber, er kungele hinter dem Rücken mit Melvin. Außerdem gehörten Anteile des Brokers einem anderen Fonds, der ebenfalls auf Crash bei Gamestop gesetzt habe. Der Ober-Robin ein Kumpan eines Sheriffs von Nottingham? Robin geht in die Offensive: Er habe keine Kauforders mehr annehmen können, weil die amerikanische Aufsicht Bürgschaften von ihm sehen wolle; das Geld für die Absicherung weiterer Gamestop-Orders ginge ihm aber leider ab. Und noch etwas wolle er bei dieser Gelegenheit einmal loswerden: „Den Leuten ist vielleicht nicht klar, dass Robinhood ein Teilnehmer im Finanzsystem ist.“

Ja, das Finanzsystem weist so seine Tücken auf. Früher spielte man Skat oder Monopoly, und die Ereigniskarte Gehen Sie nicht über Los hat einen richtig geärgert. Die Zeitgemäßen spielen heute Monopoly mit richtigem Geld, und der Ärger ist mitunter mit ordentlich Geldverlust verbunden. Aber der Kitzel ist da und man fühlt sich den Großen zugehörig. Als zeitgemäße Form, das Monatseinkommen anzuheben, auf ein höheres Konsumniveau zu kommen und für das Alter finanziell vorzusorgen, wird der Besitz eines Aktiendepots den Angestellten fürsorglich angeraten.

Die anraten und die Aktienquote anheben wollen, sind immer die Gleichen: Die Broker, die Banker, die Investmentfonds, die Zeitung für Deutschland, der Wirtschaftsflügel der CDU, die BWL/VWL-Professorenschaft.

Der übers Asset Management dozierende junge Professor rät seinen Erstsemestern, so früh wie möglich Aktienanteile zu erwerben. Am besten, man zwacke vom Bafög oder vom Elterngeld immer was ab und spare mit Börsenindizes an (Der Autor dieser Zeilen hat’s gehört; im Hörsaal daneben: die Abschiedsvorlesung von Habermas über Sittlichkeit und verletzte Moral; da kam er leider nicht rein). Die Phantasie seiner Studenten und ihre Durchhaltemoral regt der Hochschullehrer an: Ihnen drohe kein Job als Angestellte; sie würden einmal ihr eigenes Vermögen verwalten; ihr Homeoffice ginge dann sicher als Loft durch; sie müssten es nur richtig anstellen.

Die Propagandisten einer höheren Aktienquote befürworten durch die Bank einen schlanken Staat. Womit wir wieder bei Friedrich Merz wären. Merz hätte gewusst, wie’s geht. Aber man lässt ihn ja nicht ran. Merz weiß: Wären alle Gesellschaftsmitglieder an der Börse engagiert, brauche es keinen aufwendigen Sozialetat. Auf eine unfassbare Billion sei dieser Etat in Deutschland gewachsen. Die Steuerlast, vor allem die der Unternehmen, sei viel zu hoch. Auch der Mittelstand, also eigentlich alle, litten unter den hohen Abgaben. Wären mehr Leute an der Börse investiert, ließe sich die Last ordentlich mindern. Alle hätten mehr Netto vom Brutto, hätte man auf ihn gehört und ihn rangelassen. So war leider Mitte Januar schon Ende Merz.

Daher wird es auch nichts mit der neuen Rentenkasse. Auch bei diesem Thema sprudelten einmal Merzsche Ideen. „Ich bin, anders als früher, heute der Auffassung, dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung zur privaten, kapitalmarktorientierten Vorsorge für das Alter ernsthaft prüfen sollte…“ Das hatte Herr Merz der ZEIT anvertraut, zu Zeiten, da er sich noch Hoffnung auf den Vorsitz und die Kanzlerkandidatur machen konnte. Gerne hätte er selbst geprüft, und selbst positiv beschieden, was wiederum seinem alten Arbeitgeber, den Blackrocks, sehr gefallen hätte. So ist es nichts geworden mit der Karriere des ehemaligen, langhaarigen Rockers aus Brillon (laut Selbstauskunft), der es einmal zum Bundeskanzler in Berlin geschafft hat.

Artikel online seit 04.02.21
 

 

 


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