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Zweimal folgenreich

Zum Tod von Rolf Hochhuth

Von Wolfram Schütte
 

Wer je mit ihm beruflich zu tun hatte – in der Presse etwa -, wird nicht umhingekommen sein, über die »Penetranz dieser Nervensäge« (Anonymus) zu lästern. Wenn man ihm einen kleinen Finger gegeben hatte, nahm er gleich die ganze Hand & wollte sie nicht mehr hergeben. Er konnte deshalb schnell & nachhaltig lästig werden, weil er unerbittlich nur an seine jeweilige Empörung dachte & unerbittlich meinte, man sei verpflichtet, es ihm gleich zu tun. Dabei hatte er in den meisten Fällen moralisch & politisch durchaus Recht.

Rolf Hochhuth war sehr eigen. Obwohl zu der Altersgruppe der Böll, Walser, Enzensberger & Grass gehörend, die es als selbstverständliche Möglichkeit, wo nicht gar staatsbürgerliche »Pflicht« eines bundesdeutschen Schriftstellers ansahen, sich immer wieder öffentlich gesellschaftspolitisch zu äußern, besaß Rolf Hochhuth nicht den Rückhalt eines unbezweifelt modernen literarischen Oeuvres. Hochhuth war erst 1963 mit der West-Berliner Uraufführung seines »christlichen Trauerspiels« in 5 Akten & in Jamben, »Der Stellvertreter«, auf einen Schlag bekannt & bald darauf auch weltberühmt geworden.

Während in der Bundesrepublik die Schiller nachempfundene Klassizität des Dramas, das die Rolle Pius XII. im Holocaust thematisierte, als ästhetisch prekär kritisiert wurde, war es die erste öffentlich ausgesprochene & moralistisch-argumentativ verhandelnde Bühnen-Präsenz der Massenvernichtung der Juden & des wissenden Schweigens der katholischen Kirche, was dem Stück des bis dahin unbekannten Deutschen zur Weltkarriere verhalf. (Es war die Zeit, in der Shakespeare noch »die Bretter der Bühne die Welt bedeuteten«.)

Der entschiedene Moralist Hochhuth - ein idealistischer Protestant im lutherischen Sinne des mythischen »Hier stehe ich & kann nicht anders« - triumphierte damals nachhaltig & folgenreich über die ästhetischen Mängel seines dramatischen Handwerks. Folgenreich auch für den fortan (welt-)berühmten deutschen Autor. Obwohl Hochhuth seiner vermeintlichen »theatralischen Sendung« (Goethe) im Laufe der folgenden Jahrzehnte vielfach frönte, konnte keines seiner späteren Dokumentar-Stücke, obwohl sie gesellschaftspolitisch virulente Themen der deutschen Gegenwart zur Diskussion stellten, jedoch noch einmal reüssieren.

Gleichwohl hatte Hochhuths Satz vom »furchtbaren Juristen«, bezogen auf den CDU-Ministerpräsidenten & Ex-Marinerichter Hans Filbinger, in seiner Erzählung »Eine Liebe in Deutschland«(1978), noch einmal gesellschaftspolitische Folgen in der Bundesrepublik. Der buchstäblich gewissen-lose Widerstands-Tartüffe Filbinger, der gegen Hochhuth klagte, brachte sich langfristig selbst mit Lug & Trug um Kopf & Kragen, sprich: um sein Amt & sein Ansehen. Im Zusammenhang mit der »Filbinger-Affäre« wurde auch erstmals in der deutschen Öffentlichkeit kritisch über die bis dato als »untadelig« bezeichnete Wehrmacht & die aus ihr Desertierten diskutiert. Ähnlich folgenreich wie Rolf  Hochhuth zweimal in seinem Leben war keiner seiner bundesdeutschen literarischen Kollegen.

Vergessen wir neben vielem anderem auch Hochhuths trickreichen Versuch, das »Brecht«-Theater am Schiffbauerdamm in seinen Besitz zu bringen, um in großer Selbstüberschätzung dort seinen eigenen dramatischen Versuchen eine Bühne zu sichern.
De mortuis nil nisi bene.

Nun ist der in Eschwege geborene Rolf Hochhuth nicht in seiner langjährigen Wahlheimat Basel, sondern in Berlin im Alter von 89 Jahren gestorben.  

Artikel online seit 14.05.20

 

 


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