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Die Rachegeschichte eines Schriftstellers

Peter Handkes Maigeschichte
»Das zweite Schwert«

Von Lothar Struck
 

Und wieder so ein "Abenteuerbuch" von Peter Handke. In den 1980er Jahren begannen sie, die Erzählungen vom Aufbruch in ein neues Leben, das, was man Entwicklungs- oder, genauer: Verwandlungsromane nennen könnte. Protagonisten verließen wie einem inneren Zwang gehorchend ihr angestammtes Dasein, bereit für Neues. Die Intentionen waren nur zu erahnen. Alleine als Ein-Mann- oder Ein-Frau-Expeditionen oder eben auch mit Gefährten. Raus aus dem Refugium, hinein in die Welt. In den 1990er Jahren nehmen diese Abenteuergeschichten bei Handke zu. So bricht ein Apotheker in "In einer dunklen Nacht ging ich aus meinen stillen Haus" (1997) mit zwei Freunden auf in die Steppe. "Der Bildverlust" (2002) "Der große Fall" (2011) und auch Handkes letztes Epos, "Die Obstdiebin" (2017), gehören ebenfalls in diese Kategorie. Und nun bricht im neuen Buch mit dem scheinbar martialischen Titel "Das zweite Schwert" (sanfter Untertitel: "Eine Maigeschichte") der Protagonist (ein Ich-Erzähler, dem Autor nah und doch nicht mit ihm identisch) auf. Der Unterschied diesmal: Es gibt ein (mehr oder weniger) festes Ziel: eine Frau irgendwo in der Grande-Couronne (Ile de France), die sich eines Wortverbrechens an des Protagonisten Mutter schuldig gemacht hat. Und nun – es gibt keine andere Wahl, "es hatte zu geschehen" –muss dies gerächt werden.

Der Aufbruch im "dreiteiligen blauschwarzen Dior-Anzug, dem breitkrempigen Borsalino und der Bussardfeder im Hutband, mit der dunkelgetönten Brille", gerät mäandernd, weit ausholend. Gerade erst zurückgekehrt, reift der Racheentschluss, das Todesurteil. Sein Wirt bestätigt die  ihm Notwendigkeit (vielleicht nur als Scherz?). Die Person hatte die Mutter als Nazi-Anhängerin dargestellt. Und es "ging nicht allein um den Nebensatz: auf der Seite mit dem Artikel war auch eine Photomontage zu sehen mit dem stark vergrößerten Kopfbild meiner damals siebzehnjährigen Mutter, eingefügt in eine heil-oder-sonstwas schreiende Menschenmasse auf dem Heldenplatz oder sonstwo."  

Der Zuseher von Corinna Belz' Dokumentarfilm über Handke  erinnert diesen Fall. In einer Szene telefoniert Handke mit einer Suhrkamp-Mitarbeiterin über eine Inszenierung von Duncan Macmillans Adaption von "Wunschloses Unglück" aus dem Jahr 2014. Die Regie hatte Katie Mitchell. Hier wurde dieses Photo (oder war es eine Photomontage?) der Mutter gezeigt. "So kann man nicht mit einem gelebt-habenden Menschen umgehen", sprach Handke damals ruhig ins Telefon. Diese Inszenierung sei eine "hirnrissige Erfindung". Nein, einen Skandal möchte er nicht daraus machen; er wollte es nur mal loswerden.  

Kein Wort hiervon vom Erzähler im "Zweiten Schwert"; nicht einmal seine Profession wird enthüllt. Dafür stimmen die Ortsbeschreibungen und –erzählungen mit Handkes Chaville und der Umgebung der Niemandsbucht überein. Ein Spiel beginnt, ein Spiel der Assoziationen, Abschweifungen, der wilden (oder eher halbwilden) Bekundungen zur Rache, gebrochen durch ein scheinbares Herumirren der Figur, das dann jedoch trotzdem immer irgendwie (wie im Märchen) zum Ziel oder Zwischenziel führt.

Nicht zu kurz (zum Glück) jene Szenen, die Beschwörungen evozieren und auch, warum nicht, Erscheinungen. Die schönsten Stellen sind die der Abstecher, des Schauens (auf den Unterschied zwischen Schauen und Beobachten wird eindringlich hingewiesen; lest es!) und – selten, aber vorhanden, des Findens. "Epopöen", Erzählsplitter von der Welt, von Wäldern, Tieren, Verirrten, Idioten, Suchenden oder Lesenden. Was ist die Welt? In der "Obstdiebin" findet sich – selten bei Handke – eine Erläuterung dazu: "Welt, das war die Dreiecksgeschichte zwischen einem selber, der Natur und den Anderen." (Man muss dafür freilich mehr als nur Seite 99 lesen.)

Auch jetzt also Erzählungen aus der Welt. Und was für welche. Das Spiel des Rotkehlchens als "Rachetrainer" beim Abschied.  Oder der "Ewige Hügel" von Vélizy. Dann ein Garten, "wo die Gräser als Gräser wuchsen" und nicht als Rasen. Rauchsäulen, die von einem Grill aufsteigen. Eine wilde, majestätische Schlange. Die Ersatzbushaltestellen (überall wird scheinbar gebaut). Eine Hymne auf den "Schein". Die Bar der drei Bahnhöfe. Die Gesellschaft, in der die Weinflasche herumgereicht wird und Zigarettenrauch als Nachgeschmack spürbar ist.

Im Unterwegssein trifft er auf Menschen, was ihn wahlweise stört, verstört oder auch schon einmal herbeisehnt wird. Der Grat zwischen Menschenscheu und Menschenhass muss immer neu gefunden werden. Wie in seinem Theaterstück "Die Stunde da wir nichts voneinander wußten" treten die Figuren zuweilen auf und schnell wieder ab. Der totgeglaubte Idiot etwa (er feiert ihn). Das Briefträger-Ehepaar (große Gastfreundschaft). Der Taxifahrer, der sich als Eric Burdon entpuppt (es wird kräftig gesungen). Der dichtende Karosseriemaler, der Gedichte per SMS schickt (drei dieser Gedichte gibt es dann). Bridgespieler. Menschen im Bus. Manchmal sind die Figuren nur phantasiert, wie Ousmane, sein Freund, dem er eigentlich den Racheauftrag erteilen wollte.

Rückhaltlos ehrlich ist dieser Erzähler. Seine Theorie des Unterschieds zwischen Strafe und Rache verblüfft. Essayistisch fast die Schilderung seiner Gewaltphantasien; er will sogar einst den betrunkenen und seine Mutter verprügelnden Stiefvater erschlagen haben. Räsoniert über die "Fernschreiber": "Ihre Gewalt, indem sie als die alleinrichtige, die es besser wissende, allesdeutende, allesbeurteilende, enthoben den Dingen, den Werken und Tagen, ihre Schriftzeichen schlang, schlaufte, knüpfte und zuzog, war es, die in meinen Augen auf dem Erdkreis das größte Unheil anrichtete und ihren – das gehörte zur Natur solch Fernschreibens – wehrlosen Opfern nie wiedergutzumachendes Unrecht." (Natürlich ein Futterhappen für diese.)

Hier passt die etwas ausführlicher erzählte Begegnung mit einem (ehemaligen) Richter, der über Gerechtigkeit sinniert, seinen (einstigen) Beruf hasst und im Selbstgespräch schimpft: "Wie sind mir die Strafsprüche zuwider. Richter: unmöglicher Beruf. Eine einzige Anmaßung. Luzifer war dagegen in der Tat der Lichtbringer. Nie wieder Richter. Eine eigene Hölle für uns Richter." (Bitte hier im Buch weiterlesen, ihr Möchtegernempörten.) Der resignierte Richter bestärkt den Erzähler an die kodizifierte Gerechtigkeit nicht zu glauben, sie für eine "Einbildung" zu halten.

Zuweilen vergisst man den Grund der Exkursion und ist eine Art Reisebegleiter. Aber schnell kommt der "Rächer" (die Anführungszeichen von ihm selber) wieder zurück auf das Thema, rechtfertigt sein Ansinnen, zieht sogar einmal den "mittelfingerlangen Sarazenerdolch". Gibt es so etwas wie Suspense? Darf man verraten, wie es ausgeht?

Nur soviel: Das Eingangszitat aus dem Evangelium Lukas 22, 36-38, einst begründend die sogenannte Zwei-Schwerter-Theorie, ist der Schlüssel. Und natürlich ist das keine Mordgeschichte. Es ist die Rachegeschichte eines Schriftstellers. Es ist seine spezifische Form von Rache. Und was für eine.

Wie sich am Ende alles schließt, fast wie selbstverständlich findet, rührt den Leser. Den anderen ist eh' nicht zu helfen. Werden sie wenigstens schweigen? Es steht zu befürchten - nein.  

Artikel online seit 14.02.20
 

Peter Handke
Das zweite Schwert
Eine Maigeschichte
Suhrkamp
160 Seiten
20,00 €
978-3-518-42940-2

 

 


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