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Bluthund Gottes, Zigeuner des Hl. Geistes, Soldat Christi

Alexander Pschera hat mit der Herausgabe dieses aufwendig
gestalteten Bandes der
Tagebücher, Briefe & Prosa von Léon Bloy
eine nur schwer zu ermessende Kärrnerarbeit geleistet.

Von Jürgen Nielsen-Sikora

 

… in kaltem Wasser auf helles Feuer gesetzt.
(Ernst Jünger, Über den Schmerz)

In Heilige ohne Heiligenschein (1978) hat der Theologe Walter Nigg den Kritiker, Polemiker und Erzähler Léon Bloy als einen »bellenden Bluthund Gottes« portraitiert. Niggs Studie widmet sich jenen Narren, Propheten und Ketzern, die in Kontrast zu der Kirche lebten, der sie sich verpflichtet fühlten.
Bei Bloy war der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis offenkundig: Jeden Morgen besuchte dieser strenggläubige »Hund« die Hl. Messe und verfasste anschließend bissige Texte über Sexualität, über »Fotzen« und »Dirnen«, über Gewalt und Krieg.
Bloy gehörte zum kleinen Kreis des Renouveau catholique, einer gegenaufklärerischen Strömung, die bestrebt war, Frankreich moralisch und politisch unter Rekurs auf religiöse Themen in der Literatur zu erneuern. Schreiben galt der Bewegung als Fortsetzung des Gebets – eine Art Beichtstuhlliteratur also, in der Bloy als »Zigeuner des Heiligen Geistes«, so sein Selbsturteil, eine nicht unumstrittene Rolle spielte.

1846 im südwest-französischen Notre-Dame-de-Sanilhac (Dordogne) geboren, 1917 in Bourg-la-Reine, wenige Kilometer südlich von Paris, gestorben, begann Bloy schon in Jugendjahren mit der Niederschrift von Tagebüchern. Später dann unterwegs als Freischärler, Zeichner, Buchhalter und Journalist, unterbrach er die Aufzeichnungen für lange Zeit und begann erst in den 1890er Jahren wieder, tiefschwarze Tinte über sein erbärmliches Leben zu gießen. Bloys Arbeiten, vor allem die 1893 erschienenen Erzählungen »Sueur de Sang« (Blutschweiß, Berlin 2010) über den deutsch-französischen Krieg, übten großen Einfluss u.a. auf Jorge Luis Borges, Carl Schmitt und Ernst Jünger aus.

Sein Leben war geprägt von großer Armut. Mit seiner Familie zog er mehrmals um, die Wohnverhältnisse waren stets äußerst bescheiden, teilweise unerträglich. Zunächst glühender Sozialist, wurde er von seinem Mentor, dem Moralisten Jules Amédée Barbey d´Aurevilly, zum Katholizismus bekehrt. Persönliche Schicksalsschläge – zwei seiner Kinder (Pierre und André) starben bereits im ersten Lebensjahr – sowie berufliche Misserfolge ließen ihn immer wieder an sich selbst zweifeln.

Seine anhaltenden körperlichen Schmerzen deutete er – der »Soldat Christi« und »Pilger des Absoluten« – als eine Art Gottesbeweis. In seinen Texten entwickelte er sich im Laufe der Zeit regelrecht zu einem katholischen Wüterich, der Leid und Schmerz verherrlichte, das Ich absolut setzte und radikal gegen sich selbst war: »Wenn es einen religiösen Orden gäbe, in dem man sich mit Knüppelschlägen behandelt, würde ich diesen wählen«, heißt es in einem Brief aus dem Jahr 1877.
Den Mitmenschen galt er als sanft und liebenswert, als Tier- und Kinderfreund sowie als recht umgänglicher Zeitgenosse. In seinen Texten aber zeigte er sich angriffslustig, ungeduldig und zornig. Vor allem der Weinhändler, der ihm ungenießbare Fässer liefert, oder der Vermieter, der zulässt, dass es in die Wohnung hineinregnet, werden zur Zielschreibe seiner Tiraden. Bloy schimpfte aber auch auf Journalisten und Kollegen, vor allem auf Emile Zola. Im Grunde wetterte er gegen alles und jeden, unaufhörlich und kompromisslos.

Alexander Pschera, der Bloy vor Jahren wiederentdeckt hat, setzt ihm nun auf über 1200 Seiten mit der Übersetzung zahlreicher Briefe, Tagebucheinträge und kleiner Prosa ein Denkmal. Die Anthologie »Diesseits von Gut und Böse« greift hierbei das berühmte Nietzsche-Wort auf. Mit Verkehrung der Ortsbestimmung (Jenseits-Diesseits) werden zugleich die unterschiedlichen Weltanschauungen der beiden Zeitgenossen deutlich: Während Nietzsche Gottes Tod heraufbeschwor und vehement Kritik an Glaube und Religion formulierte, glaubte Bloy, Gott sei lediglich abwesend, weshalb er versuchte, ihn in Worten und Taten zu neuem Leben zu erwecken.
Bloys Schriften präsentiert Pschera in drei Teilen, Welt, Geist und Gott betitelt. Alle Teile leitet er sachkundig und ausführlich ein. Es folgen thematisch angeordnete Kapitel mit den Einträgen, Briefen und Notizen Bloys. In ihnen geht es entweder um die eigene Person, um Identität und Existenz, den Alltag der Familie, die Geschichte oder religiöse Dinge.
Bloy zeigt sich hier durchgehend als ein trauriger Optimist, der »die undurchdringliche und stumme Zeit« mit seinem unbedingten Glauben, mit Absinth und Tabak, Billard und Schach bekämpft.

Die Tagebucheinträge erinnern an einen Heiligenkalender: Das Datum des jeweiligen Eintrags wird durch Bloys ergänzenden Hinweis auf einen entsprechenden Heiligen zu einer Art Gedenktag. Tiefe Frömmigkeit spricht ohnehin aus seinen Texten: Es wimmelt von Engeln und Dämonen, das Neue Testament und der Rosenkranz finden mehrmals Erwähnung; auch von Erlösung und Liebe, von der Seele und dem Nichts ist die Rede; schließlich geht es in den Texten um Verzweiflung und um die Bedeutung der Tränen.

In einem auf den 29. August 1889 datierten Brief an Johanna Molbech, die kein Jahr später seine Frau wird, kommt Bloys gesamte Gedankenwelt zum Ausdruck. Er schreibt: »Wir sind auf seltsame Weise vom Geheimnis umschlossen, und die willentlichen und unwillentlichen Bewegungen unserer armen Seelen, die niemals sterben werden, sind unserem kritischen Verstand nicht weniger verborgen wie die äußeren Phänomene der bewundernswerten Natur. Es ist sicher, dass es Wesen gibt, die im fehlerlosen Gewebe des großen göttlichen Plans sich einander genau entsprechen, und auch wenn zwischen diesen Wesen Erdteile und Ozeane liegen, Sitten und Sprachen, alle Hindernisse, die menschliche Existenz voneinander trennen können, sie werden sich dennoch treffen in genau jenem Moment, den der unfehlbare Gott aus den Tiefen seiner Himmel und seiner Ewigkeit heraus für die Begegnung festgesetzt hat.«

Alexander Pschera hat mit Herausgabe dieses aufwendig gestalteten Bandes eine nur schwer zu ermessende Kärrnerarbeit geleistet: Auswahl und Übersetzung unzähliger Texte Bloys auf gut 1260 Seiten hat er minutiös selbst besorgt und mit biografischen Anmerkungen zu einem besseren Verständnis des Lebens dieses eigenwilligen, einsamen Literaten beigetragen. Aber auch in der grandiosen Gegenüberstellung von Bloy und Nietzsche, die den zweiten Teil einleitet, demonstriert Pschera, dass auch er zu unzeitgemäßen Betrachtungen und solitären Meditationen fähig ist. Über die offenkundigen Differenzen hinaus entdeckt er etwa bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zwischen Nietzsche und Bloy: »Bloy und Nietzsche sind von der Notwendigkeit eines gewalttätigen Eingriffs überzeugt. Denn auf der alten Welt lassen sich keine Denkgebäude mehr errichten, die diese Welt erklären können. Der Verfall ist mit Lösungsansätzen, die der tradierten Ordnung entspringen, nicht aufzuhalten. Weder Nietzsche noch Bloy denken Geschichte daher linear fort als eine Geschichte menschlichen Problemlösens. Keiner von beiden glaubt an den wissenschaftlichen, technischen oder gesellschaftlichen Fortschritt, auch und gerade nicht an die Denkmodelle der positivistisch motivierten Humanität, die im Auftrag jenes Fortschritts handelt.«

Wäre es am Ende sogar denkbar, dass Bloy doch mehr als nur ein »bellender Bluthund Gottes« ist?

Artikel online seit 26.03.20
 




Alexander Pschera (Hg.)
Léon Bloy
Diesseits
von Gut und Böse

Tagebücher, Briefe, Prosa
Matthes&Seitz, Berlin
1259 Seiten, Gebunden
68,00 €
978-3-95757-692-7

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