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Wider die Zurichtung eines Opfers

Ist Julian Assange durch Promi-Anzeigen zu helfen?

Von Wolfram Schütte
 

Man kann gewiß nicht sagen, dass Julian Assange, den »Wikileaks«-Gründer & Betreiber, von der westlichen Öffentlichkeit ganz & gar vergessen worden sei – seit er in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis wie ein Top-Drogenboss, Top-Mafiosi oder Top-Islamist bis zu seiner vorgesehenen Übergabe an die USA in Isolationshaft gehalten wird. Im Gegenteil: gerade berichten alle Medien über sein Schicksal & in einer Anzeige der FAZ, die von zahlreichen Prominenten unterzeichnet ist, wird seine Freilassung gefordert. Am vorläufigen Ende der mehrjährigen Odyssee des australischen Investigativjournalisten, der u.a. durch die Internetpublikation von Geheimdokumenten unzweifelhafte Kriegsverbrechen von US-Militärs welt-öffentlich gemacht hatte, droht ihm in den USA eine 175(!) jährige Haftstrafe.

D.h. die Weltöffentlichkeit kennt den »Fall Assange«.
Kennt sie ihn wirklich – oder nur das Spektakel seiner angeblichen Vergewaltigungen in Schweden & seines achtjährigen »Exils« in der Ecuardorianischen Botschaft in London? Und  reagiert sie nun, z.B. in Deutschland, nicht in allen Medien mit Berichten, Appellen & Petitionen?
»All's well that ends well”?
Der Shakespeare-Titel trifft auf den Fall Assange mitnichten zu.

Gäbe es den Schweizer »UNO-Sonderberichterstatter für Folter«, Nils Melzer, nicht, der sich eines Tages entschlossen hatte, den Hintergründen der »Causa Assange« nachzuforschen, wären diese nie erkannt worden. Und gäbe es die kürzlich gegründete Schweizer Netzzeitung »Die Republik« nicht, die den fünfzigjährigen juristischen Landsmann interviewt hat, wäre Melzer sein Wissen sowohl über den prekären Gesundheitszustand des Inhaftierten, als auch darüber, wie der Australier  ungesetzlich verfolgt & seine Person in der Weltöffentlichkeit diskreditiert wurde, nicht los geworden.

Denn der renommierte Völkerrechtler hatte seine privilegierten Erkenntnisse nach eigenen Aussagen in einem Artikel zusammengefasst, den er im vergangenen Jahr vergeblich renommierten Printmedien in den USA, Großbritannien & Australien zur Veröffentlichung angeboten hatte. Im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland war ihm Ende 2019 beschieden worden, man habe seinen Bericht nach wie vor nicht gelesen & »habe auch keine Zeit dazu«.

Das ist erkennbar eine zynische Schutzbehauptung – wohl nachdem man in Berlin aus Melzers Recherchen erfahren hatte, wie Schweden, Ecuardor & Großbritannien wider alle eigene Gesetze & die allgemeinen Menschenrechte sich peinlicherweise zu willigen Helfershelfern der usamerikanischen Regierung gemacht hatten. Als sei willentliche Ignoranz nun ehrenhafter als die offen einbekannte unterlassene Hilfeleistung für den anderen Whistleblower, bei dem man sich ja geweigert hatte, Edward Snowden aus der »russischen Kälte« in deutsches Exil zu holen – obwohl er es doch war, der die illegale Permanenzüberwachung der Bundesregierung durch US-Dienste öffentlich bekannt gemacht hatte!    

So ehrenwert die von Günter Wallraff verantwortete FAZ-Anzeige »Julian Assange aus der Haft entlassen!« mitsamt ihren vielen prominenten Unterzeichner ist, so prekär erscheint mir diese Form des längst sowohl zur Protest-& Petitionsroutine als auch zur Nachhaltiglosigkeit bei den Adressaten gewordenen Form des zivilisiert geäußerten Widerstands.

Speziell in diesem Fall, bei dem ja offensichtliche Rechtsbrüche mehrerer Staaten vorliegen & das komplette Versagen der mundialen Printpresse bin ich fast versucht, diese Routine der Prominentensammlung samt ihrer durch »Aussitzen«(Kohl) folgenden Erfolglosigkeit: obszön zu nennen. Und zwar deshalb, weil sie einerseits öffentlich simuliert, an herausgehobener, selbstfinanzierter Stelle »etwas getan« (& deshalb moralisch »ein gutes Gewissen«) zu haben - im hinlänglich erwiesenem Wissen, dass sich »die Macht« weder davon beeindrucken noch daran hindern lässt, zu tun, was sie vorhat. So haben die »mutigen« individuellen Petitenten das erhebende Gefühl »alles in ihrer Macht stehende« mit & in ihrem Namen für Assange getan zu haben & der untätige Untertan kann sich beruhigt zurücklehnen ob dieses offenkundigen Beweises unserer Meinungsfreiheit.

Der UN-Sonderbotschafter fasst seine Erkenntnisse jedoch so zusammen:
»Man möchte an Julian Assange mit einem Schau­prozess ein Exempel statuieren. Es geht um die Einschüchterung anderer Journalisten. (…) Die Botschaft an uns alle ist: Das ist es, was mit euch passiert, wenn ihr das Modell Wikileaks kopiert, (…) Vier demokratische Staaten schliessen sich zusammen, (…) um mit ihrer geballten Macht aus einem Mann ein Monster zu machen, damit man ihn nachher auf dem Scheiterhaufen verbrennen kann, ohne dass jemand aufschreit. Der Fall ist ein Riesenskandal und die Bankrotterklärung der westlichen Rechtsstaatlichkeit. Wenn Julian Assange verurteilt wird, dann ist das ein Todesurteil für die Pressefreiheit. (…). Denn wenn investigativer Journalismus einmal als Spionage eingestuft wird und überall auf der Welt verfolgt werden kann, folgen Zensur und Tyrannei. (…) Kriegsverbrechen und Folter werden nicht verfolgt. Youtube-Videos zirkulieren, auf denen amerikanische Soldaten damit prahlen, gefangene irakische Frauen mit routinemässiger Vergewaltigung in den Selbstmord getrieben zu haben. Niemand untersucht das. Gleichzeitig wird einer mit 175 Jahren Gefängnis bedroht, der solche Dinge aufdeckt. Er wird ein Jahrzehnt lang überzogen mit Anschuldigungen, die nicht nachgewiesen werden, die ihn kaputtmachen. Und niemand haftet dafür. Niemand übernimmt die Verantwortung. Es ist eine Erosion des Sozialvertrags. Wir übergeben den Staaten die Macht, delegieren diese an die Regierungen – aber dafür müssen sie uns Rede und Antwort stehen, wie sie diese Macht ausüben. (…) Damit die Gewaltenteilung funktioniert, braucht es eine Überwachung der Staatsgewalt durch eine freie Presse als die vierte Macht im Staat. Wikileaks ist eine logische Konsequenz eines Prozesses: Wenn die Wahrheit nicht mehr aufgearbeitet werden kann, weil alles von Geheim­haltung überzogen ist, wenn Untersuchungs­berichte zur Folter­politik der US-Regierung geheim gehalten und selbst die veröffentlichte Zusammenfassung über weite Strecken geschwärzt wird, kommt es zwangsläufig irgendwann zu einem Leck. Wikileaks ist die Folge wuchernder Geheimhaltung und widerspiegelt die mangelnde Transparenz unserer modernen Staatswesen. Sicher, es gibt enge Zonen, wo Vertraulichkeit durchaus wichtig sein kann. Aber wenn wir nicht mehr wissen, was unsere Regierungen tun und nach welchen Kriterien und wenn Straftaten nicht mehr verfolgt werden, dann ist das für die gesellschaftliche Integrität unglaublich gefährlich«.

Wenn man aber das Interview aufmerksam & nachdenklich liest, wird man dem UN-Sonderberichterstatters zustimmen müssen, wenn für ihn die Causa Assange offenbart, dass hier »a murderous system is beeing created before our very eyes« (Ein mörderisches System vor unser aller Augen geschaffen wird).

Petitionen von noch so prominenten Personen, will sagen: selbst der geballter Protest von Individuen, gar nur eines Landes, reichen nicht aus, dieser realer multistaatlichen Bedrohung wirkungsvoll öffentlich entgegen zu treten. Notwendig wäre eine international koordinierte Aktion von Verbänden & Institutionen, um gegen die Internationale der Assange-Verfolger auf- & anzutreten. Also z.B. der Internationale PEN, die Journalistenvereinigungen & die Mediengewerkschaften aller demokratischen Länder, die Internationale der seriösen Printmedien, die juristischen Fakultäten der Universitäten, die NGOs etc.

Denn man muss darauf bestehen, in Julian Assange weder einen Narziss noch einen Nachfolger von Herostrat zu vermuten, der in der Antike das Weltwunder des Ephesos-Tempels nur ansteckte, damit die Menschheit seinen Namen nie vergessen werde (was ihm gelungen ist).

Aber man muss auch verhindern, dass der Australier Assange gewissermaßen zum modernen Prometheus wird, der als Halbgott in der Antike den Menschen das von Zeus verweigerte Feuer brachte, obwohl durch Wikileaks ja auch Licht in die (mörderischen) Geheimnisse der Staaten gefallen ist. Bekanntlicherweise hat Göttervater Zeus dafür Prometheus an einen Felsen geschmiedet, wo ihm regelmäßig ein Adler die immer wieder nachwachsende Leber frass. Die 175 Jahre, die Assange in den USA drohen, dürften allerdings eine nicht wesentlich andere Strafe sein, denn die US-Haft­bedingungen werden vom Uno-Sonderberichterstatter und von Amnesty International als unmenschlich eingestuft.

Artikel online seit 10.02.20
 

 

 


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