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Die Grausamkeit der Würstchen

Jörn Birkholz liefert 25 neue Erzählungen und eine Doppel-CD

Von Jan-Paul Koopmann
 

Self-Care ist das Gebot der Stunde und bestimmt hilft sie beim Durchhalten in schlechten Zeiten wie unseren. Wer nun zu diesen Menschen gehört, die sich in dicken Wollsocken aufs Sofa lümmeln, um »ein gutes Buch« zu lesen, der sollte tunlichst die Finger lassen von Jörn Birkholz. Oder wenigstens von seinen Texten. Seine Romane sind emotional unterkühlt und sozial verfinstert, hauen einem das gesamte Elendsportfolio kleinbürgerlichen Existierens so schnörkellos um die Ohren, dass einem körperlich unwohl dabei wird. Bemerkens-, nein: geradezu bewundernswert ist, dass Birkholz dazu weder psychologische Tricks bemüht, noch sich an wahnsinnig extremen Geschehnissen abarbeitet. Die Romane des Bremer Autoren bleiben im besten Sinne an der Oberfläche und schnipsen nur leicht an, was die Welt selbst an Schlechtigkeit zu bieten hat.

Sein neues Buch, »Der Obermieter«, ist aber gar kein Roman, sondern erstmals eine Sammlung von Kurzgeschichten. Leichter verdaulich ist es darum nicht – im Gegenteil würde ich behaupten: Das Buch ist exakt 25-mal schlimmer als sein Vorgänger, weil die Geschichten überraschenderweise gar keinen langen Atem brauchen, sondern das Elend auch auf wenigen Seiten punktgenau festzunageln vermögen. In Birkholz’ schnörkelloser Sprache versiffen diese Menschen sofort und unmittelbar plastisch, betrügen einander, haben so herz- wie lustlosen Sex oder werfen auch mal einen Hund aus dem Autofenster.

Extremer wird es kaum und selbst, wo Pointen dem Ganzen immerhin einen formalen Abschluss zugestehen, stellt sich darum keine Ruhe ein. Man kann und wird einigen der Geschichten misstrauen, nie aber den furchtbaren Menschen darin.

Ganz ähnlich lässt sich das übrigens auch über die Musik von Das Leck festhalten, der Band von Jörn Birkholz, Stephan Groß und Justyna Hellfeuer. Wie schon das Debüt »Frauengold« (Fuego 2017) ist auch das neue Doppelalbum »Ferdydurke« zeitgleich mit einem Buch von Birkholz erschienen. 77 Songs sind auf der Platte: experimentelle Miniaturen größtenteils, die D.I.Y.-Punk-Charme versprühen und sich textlich in ähnlichen Abgründen bewegen wie Birklholz‘ literarische Arbeiten – wenn auch mit einem gehörigen Nonsense-Einschlag.

»Das Haus des Architekten / ist 'ne Falle für Insekten«, heißt es da etwa - stoisch-monoton über den Schrabbel gehallt. Auf den ersten Blick ist das Unsinn, auf den zweiten eine Denkübung – und auf den dritten dann wahrscheinlich doch wieder Unsinn. Äußerst erbaulicher allerdings, mit ansteckender Freude an zitat-übersättigten Riffs und Lyrics. Und wie man sieht auch am vorsätzlich brachial gesetzten Reim.

Was Buch und Platte nun gemeinsam haben, sind neben der gefühlten Kälte jedenfalls die erstaunlich vielschichtigen Spiele an und mit der Form. Der Sound geht bruchlos vom dichten Teppich zum Gefrickel über - und mit einer Ausdrucksstärke wieder zurück, die schon deshalb irritiert, weil ja gar nicht wirklich klar ist, was diese Musik eigentlich von einem will. Vielleicht gar nichts, und das ist in diesem Genre nicht nur bedauerlich selten geworden, sondern fühlt sich auch außerordentlich gut an.

Immerhin das lässt sich über Birkholz‘ Buch allerdings nicht sagen. Manche seiner literarischen Szenen hat er auf der Straße erlebt, andere im Fernsehen gesehen. Es macht keinen Unterschied, nur schlechte Laune. Und wahrscheinlich ist das auch der Grund, aus dem ich »Der Obermieter« trotz Schmerzen gerade zum dritten Mal lese: weil diese Banalität des Gemeinen, das nicht mal richtig böse, sondern schlicht echt ist, so dermaßen fasziniert. Und weil man eine Ahnung davon bekommt, dass eine Welt, die solche Menschen möglich macht, keine ist, in der man es sich auf dem Sofa gemütlich machen möchte.

Artikel online seit 22.02.20
 

Jörn Birkholz
Der Obermieter
Kulturmaschinen Verlag
252 Seiten
16 Euro

Das Leck
Ferdydurke

 

 

 


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