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Eine Kritik der Populärphilosophie

Daniel-Pascal Zorns lesenswerter Essay
»Shooting Stars«
über
Philosophie zwischen Pop und Akademie

Von Jürgen Nielsen-Sikora
 

Der Philosoph als Kritiker und Mediator

Das philosophische Radio, die phil.cologne, das philosophische Quartett, die Talkshow
»Precht«, das Philosophie-Magazin, die Sendung »Sternstunde Philosophie« – das Spektrum populärer Formate zur Philosophie ist breit.
Wer sich als Philosoph in der Öffentlichkeit äußert, gehorcht allerdings zwangsläufig anderen, nämlich politischen und journalistischen Gesetzmäßigkeiten. So hatte Bertrand Russells Tribunal über die Kriegsverbrechen in Vietnam ebenso wenig etwas mit seiner Philosophie zu tun wie Jürgen Habermas' Kritik im Historiker-Streit mit dessen »Theorie des kommunikativen Handelns«. Wer hätte Russell zugehört, wenn er über die »Philosophie der idealen Sprache« oder Habermas über »Faktizität und Geltung« gesprochen hätte? Damit geht die Frage einher, als »Wer« sich Philosophen zu öffentlichen Themen äußern sollen, und ob von ihnen verlangt werden kann, dass sie bloß die Bedürfnisse einer Gesellschaft befriedigen, die sich Denker auf der Bühne und in Talkshows wünscht.
Daniel-Pascal Zorn hat sich in einem klugen Essay die Philosophie in der Öffentlichkeit, jenseits akademischer Diskurse, näher angeschaut und sie einer Kritik unterzogen, die überaus lesenswert ist.

Kritik der Populärphilosophie

Zorn liefert mit »Shooting Stars« eine knappe, sehr solide Kritik, die die Selbstdarstellung einiger Populärphilosophen radikal infrage stellt. Zu ihnen zählen unter anderen: Wolfram Eilenberger, Richard David Precht, Nina Schmid und Thomas Vašek.

Sein Ziel ist es, den Streit zwischen Populärphilosophie und akademischer Philosophie aufzulösen, der sich daraus ergibt, dass Populärphilosophie der Autorität des Publikums, akademische Philosophie der Autorität der Wissenschaft sich verpflichtet fühlt.

Es gebe allerdings eine Gemeinsamkeit: die Philosophie selbst. Diese sei jedoch keine Ansammlung von Weisheiten, Themen und Methoden, sondern eine Haltung, die es wiederzubeleben gilt. Es bedeutet insbesondere, Abschied zu nehmen von einer populären Philosophie, die sich als reine Unterhaltung, als Spaß ohne große Anstrengung gefällt und ihren Konsumenten lediglich ein Freizeitvergnügen bietet. In einem permanenten Kampf um Aufmerksamkeit geht es ihr nicht zuletzt darum, dass auch der Populärphilosoph selbst noch populärer wird, indem er die lammfromme Nachfrage nach Sinnsuche durch ein interessiertes, nichtphilosophisches Publikum zu stillen versteht.

Philosophie, so macht Zorn deutlich, sei das aber nur bedingt, auch wenn die populären Denker nicht selten die besseren Schriftsteller sind. Denn die Philosophie stellt vor allem die Frage nach dem Grund, nach einem Prinzip, nach dem Letzten und Höchsten, um schließlich die Frage klären zu können, »welche Voraussetzungen wir machen müssen und zu welchen wir Alternativen haben.«

Diese (akademische) Frage vergrößere allerdings den Abstand zur sozialen Umwelt, weil dort bestimmte Voraussetzungen unhinterfragt akzeptiert werden. Die Philosophie stelle die Ordnung der Dinge infrage, weshalb sie vielen als weltfremd erscheint.

Ein didaktisches Problem

Didaktisch stellt sich das Problem dann wie folgt dar: »Wie soll man jemandem das, was er nicht gelernt hat, beibringen, wenn das, was ihm fehlt, die Bedingung dafür ist, dass er lernen kann?«

Es geht letztlich darum zu lehren, wie man philosophiert, ohne den Eindruck zu erwecken, der Lehrer der Philosophie wisse es von vornherein besser. Nur so ließe sich der Kreislauf des Selbstverständlichen durchbrechen.

Die Populärphilosophie muss von dieser Forderung absehen, denn sie muss die Infragestellung des Selbstverständlichen maßvoll an das jeweilige Publikum anpassen, weil sie sonst keine Chance mehr auf dem Markt hat, der sich durch einen engen Kontakt zum Publikum auszeichnet. Durch ihre Massenkompatibilität verunmöglicht sie insofern jede radikale Haltung. Am Ende stehen simulierte Diskurse sowie eine simulierte kritische Haltung, die bloß interessante Perspektiven präsentiert, aus der man sich etwas aussuchen kann: Willkommen auf dem schon von Nietzsche so bezeichneten »Jahrmarkt der Meinungen«.

Am Ende ist die Populärphilosophie gar keine Hinführung zur Philosophie, denn sie spricht nicht selten abschätzig über die akademische Philosophie und geriert sich als die bessere Philosophie, obwohl sie weniger radikal ist, weil auf die Zustimmung des Publikums angewiesen.

Sokrates reloaded

Zorns Mediationsversuch greift auf Sokrates' Dialogpraxis zurück, die im Kern auf die Selbstwidersprüchlichkeit seiner Dialogpartner aufmerksam macht und somit jene Bedingungen herstellt, unter denen Philosophie erst möglich wird. Der sokratische Dialog wird zur diskursiven Sinn- und Geltungsprüfung von Meinungsäußerungen. Als Kunst philosophischer Forschung, philosophischen Urteilens und Unterredens ist der von Sokrates geführte, argumentative Dialog ein Synonym für Philosophie schlechthin: »Ich zwinge doch niemand«, so sagt er im Phaidros, ,,der die Wahrheit nicht kennt, dazu, dass er nun reden lerne; vielmehr, wenn mein Rat etwas gilt, dann greift zu mir, wer jene Kenntnis sich erworben hat. Das Große, worauf ich jedenfalls Anspruch mache, ist: dass ohne mich, auch wer die wirklichen Verhältnisse kennt, um nichts mehr im Stande sein wird, kunstgemäß zu überreden.« (Platon II, 260D)

Im Zentrum der Philosophie stehen mithin die gründliche Überprüfung der Annahmen und Überzeugungen sowie die Rechtfertigung des eigenen Urteils. Dies setzt voraus, dass man das Problem versteht und auch die philosophische Antwort auf das Problem begreift. Sokrates dekonstruiert fortwährend jegliche Selbstverständlichkeit und lehrt eine bestimmte Art und Weise des Fragens und Antwortens, die damit zu tun hat, »dass man das, was gesagt wird, auf das bezieht, wie es gesagt wird«, wie Zorn richtig schreibt. Dies ist nichts anderes als die Bildung philosophischer Aufmerksamkeit, in der nicht das Publikum der letzte Maßstab ist, sondern das selbst-kritische Hinterfragen der individuellen Annahmen und Vorurteile.

Fazit

Die Popularisierung der Philosophie, fährt Zorn fort, sei seit jeher ein Problem: Cicero, Pascal und Nietzsche haftete einst auch der Ruf des Populären an; nun werden sie nicht zuletzt von der Populärphilosophie lediglich noch im Kontext philosophischer Traditionen herangezogen, nicht jedoch als eigene Vorgänger. Viel zu sehr sind die Denker im öffentlichen Raum damit beschäftigt, die akademische Philosophie zu diffamieren. Dabei geht es ihnen gar nicht mehr um Philosophie, sondern um eine Zufriedenstellung von Publikumsinteressen durch die schmerzfreie Vermittlung philosophischer Themen. Im Grunde instrumentalisiert die Populärphilosophie die Philosophie also bloß.

Andererseits ist die akademische Philosophie inzwischen tatsächlich zu einem Rummelplatz befristeter Stellen geworden und verwechselt das Denken mit natur- und betriebswissenschaftlichen Forschungsbereichen: Selbstverwaltung, Drittmittel und Peer-Review-Verfahren bezeugen die neue Marktorientierung und schrumpfen die Möglichkeiten der Philosophie auf das Niveau von Werbemaßnahmen, die denen der Populärphilosophie gleichkommt.

Zorns Essay, angesiedelt zwischen einem wissenschaftlichen und einem populären Ansatz, bringt dies brillant auf den Punkt. In der Rolle des kritischen Mediators im Anschluss an Sokrates nimmt der Autor eine ganz eigene, zutiefst philosophische Haltung ein, die ein Vorbild für künftiges Philosophieren sein kann.

Artikel online seit 16.06.19
 

Daniel-Pascal Zorn
Shooting Stars
Philosophie zwischen Pop und Akademie
Klostermann Verlag
100 Seiten.
Kt 12,80 €
ISBN 978-3-465-04398-0
Klostermann Essay 2

Leseprobe

 


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