Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme


Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Fortsetzung ohne Fortschritt

»Star Wars Episode 8 – The Last Jedi« im Feuer der Medienkritik

Peter V. Brinkemper

 

Der neue Kinofilm: »Star Wars Episode 8« (2017) hinterlässt, bei allen Qualitäten (epische Ausführlichkeit, brillantes HD & 3D, doppelter Boden), ein schales Gefühl: nach dem geschickten Retro-Teaser-Effekt von Teil 7 (2015) und dem Cliffhanger, dem Schnitt mitten durch die erste Begegnung zwischen dem Alt-Jedi Luke und der Jung-Machtbegabten Rey auf einer verlassenen Insel auf dem Planeten Ahch-To hatte das Publikum mehr Star Wars erwartet: Regisseur Rian Johnson liefert eine Fortsetzung ohne Fortschritt, illusionäre Alternativen, nur vorgetäuschte Opulenz, statt dessen Reboot, modulares Remake und inverse Kopie, etwas, das die professionelle Kritik in freiwilliger Kapitulation unter dem Ersteindruck geradezu weggetextet hat. Die vehemente Kritik am Film liefern die Fans selber.

Die Star Wars Community scheint sich in die wahren Kritiker zu verwandeln und heftig gespalten zu sein. Schon George Lucas, Jahrgang 1944, erlebte harte Wechselduschen. Eine Fan-Petition auf Change.org hat soeben fast 70.000 Stimmen gesammelt. Sie fordern, den neusten Film, Nummer 8, als »Travestie« aus dem Kanon (welchem?) zu bannen und Luke Skywalkers Abschieds-Drama nochmals zu verfilmen (schön wär’s). Irgendetwas hat Regisseur Rian Johnson bei aller Cleverness und gelegentlich anklingender Seelen- und Sinn-Tiefe falsch gemacht. Wahre Fans können nicht irren. Sie haben die Macht. Oder? Währenddessen versucht Disney durch die neusten Star Wars Celebrations den widerspenstigen Geist der generationsübergreifenden Fangemeinde durch jüngeren Zielgruppen-Approach zu brechen.

London Symphony Orchestra

Ich beziehe mich hier auf die Bewusstseinslage eines popkulturellen Phänomens, dass jetzt eine 40jährige Tradition, mit mittlerweile 3 Filmtrilogien (2 davon abgeschlossen) und zahlreichen TV-Serien sowie endlosen Buchreihen und Games sowie einer Merchandizingwelt voller Spielzeug und Produktlogos, aufzuweisen hat. Als das London Symphony Orchestra unter der Leitung von Dirigent Frank Strobel als Zugabe zum Filmmusik-Konzert »John Williams / Steven Spielberg« (Philharmonie Köln, 1. 11. 2010) die »Star Wars Ouvertüre« spielte, war der Eindruck phänomenal: Wie konnte ein derartig durch Medien, Kino und Tonträger abgenutztes Stück in quirlig-sinnlich-beschwingter Aufgerauhtheit und bacchantischer Dynamik dargeboten und das übrigens erfrischend gemischte und wunderbar wie auf einer Convention verjüngte Publikum überwältigen? Es war das versierte und spielfreudige Originalorchester, das eine lange klassisch-romantische Konzert- und Filmsoundtrack-Tradition hat, die aus den Stummfilmtagen über Livebegleitung herrührt und zu über 200 Filmmusikaufnahmen geführt hat. Alec Guinness und London Symphony Orchestra, das war Klassik, Romantik, filmmusikalische Epik und Theatralik von der Insel pur. Lucasfilm hat John Williams’ Vertonungen der ersten beiden Star Wars Trilogien komplett durch das London Symphony Orchestra finanziert. Erst mit der neuen Trilogie wurde die Hauptproduktion der Musik, in enger Abstimmung mit der Erarbeitung der endgültigen Handlungssequenzen, auf den Barbara Streisand Scoring Stage, Culver City, Los Angeles County verlagert. Diese Anonymisierung und Verschlankung der Produktion lässt einiges Licht darauf fallen, wie bei einem aufgeblasenen Budget von weit mehr als 200 Mio. Dollar, die Finanzierung von Kreativität immer mehr in den Hintergrund tritt und eine wichtige Dimension der kinematografischen Semantik angegriffen wird. Wie steht es um die anderen Parameter, jenseits von Kamera- und Tricktechnik, um die Regie, das Drehbuch, das filmische Storybook (Szenen- und Handlungsentwürfe), das Schauspiel, die Dramaturgie?

Disneys Lucasfilms »Star Wars Episode 8 – The Last Jedi«, seit dem 15. Dezember 2017 im Kino, hat in elf Tagen 793 Mio. Dollar weltweit eingespielt und schreitet zu Weihnachten auf die Milliardengrenze zu. Dennoch hinkt Episode 8 dem Vorgängerfilm um etwa zweihundert Mio. Dollar Inlands-Einnahmen hinterher. Der neue Film ist mit 2 Stunden 31 Minuten eine Viertelstunde länger. Rian Johnson (Regie) nimmt sich zwar mehr Zeit in der Exposition und Entwicklung der Haupt- und Nebencharaktere, liefert mit seinem Team spektakulär scharf bebilderte Weltraumschlachten und Planetenpanoramen, aber auch mysteriöse Zusammenhänge und überraschende Plotwendepunkte, die einmal mehr aus der TV-Cliffhanger-Dramaturgie (der Unterbrechung jeweils paralleler Handlungen und Szenen) stammen.       

Der Kampf um den Mythos: Kanon, Drehbuch oder Bluff?

Das Ansinnen der unzufriedenen Fans, gegen den Film Nummer 8 vorzugehen, ist natürlich ein fast aussichtsloses Unterfangen, angesichts der Propaganda-Apparatur von Mickey-Maus. Disney hat umgekehrt weit über »260 Romane« des »Expanded Universe« zu den bisherigen Filmtrilogien und der älteren TV-Serie »The Clone Wars« 2008-14 (chronologisch zwischen Filmepisode 2 und 3 spielend) aus dem Kanon streichen lassen und sich damit die scheinbar völlige Freiheit der Produktion der neusten Trilogie 7, 8, 9 (und der TV-Nachfolge-Serie »Star Wars Rebels« ab 2014; zwischen Kinofilm 3 und 4 angesetzt) unter der drakonisch überwachenden Lucas-Produzentin Kathleen Kennedy gesichert. Als Schatten des in Rente gegangenen Altmeisters fasste sie die Regisseure nicht mit Samthandschuhen an, sondern tauschte verschiedene Direktoren aus, so Colin Trevorrow schon in der Preproduction von Episode 9 (2019), und Phil Lord und Chris Miller bei der ausgelassenen Verfilmung des »Solo«-Prequel (2018, Star Wars Anthology, Star Wars Stories) oder verlangte massive Überarbeitungen und Nachdrehs zu schon realisiertem Material bzw. einschneidenden Veränderungen im Karussell der Drehbuchschreiber. Es übernahmen J.J. Abrams und Ron Howard.

Die neuen, in immer kürzeren Abständen ins Kino kommenden Filme lassen den Markenkern, zumal angesichts der angeblichen Beseitigung der bisherigen Romanbestände, keineswegs unberührt. Woher soll denn das Relief der alten und neuen Figuren kommen, wenn es keine sozial geteilten Vorlagen oder allgemein nachvollziehbare narrative Kontexte für die Einhaltung oder produktive Abweichung von Erzähllinien gibt? Marvel pluriversale Sicht der Dinge ist noch »weit, weit« entfernt. Die Diskussionen im Internet und sicher auch in der Story Group des Studios gerieten ins Bodenlose oder Ultradogmatische. Als Sündenfall betrachtet wird derzeit von manchen die zwischen 1999-2005  entstandene zweite Trilogie der Vorgeschichte Anakin Skywalkers Episoden 1-3, vom älteren Lucas selbst digital realisiert. Trotz des geradezu erdrückenden Reichtums an visuellen Einfällen und zahllosen neuen Wesen und Flugmaschinen, in weiter Wüste oder im urbanen Raum der Megacity auf Coruscant. Dagegen wird die analog gefilmte Trilogie der Episoden 4-6 um Luke und Leia Skywalker zwischen 1977-83 als klassischer Prototyp und audiovisuelles Vorbild für die neuen Sequels oder Nachfolgefilme geschätzt, in der analoge und digitale Elemente wieder behutsam austariert, jedoch keineswegs die Ungezwungenheit und der Charme der alten Filme erreicht werden.

Längst ist der Medienverbund: Buch – Film, in beide Richtungen, vom Buchstaben zum bewegten Bild und zurück, als mediales Spekulationsobjekt ausgedünnt, sowohl als respektierte literarische Grundlage oder als nachgeholte Novelization und Fortspinnung des Kinoeindrucks. Produzent Gary Kurtz kritisierte Lucas’ Übergang von der verbindlichen Story zur Merchandizing befördernden Effekthascherei, und brach mit ihm nach Episode 5.

Nur partiell gelingt die tiefenhermeneutische Ergänzung seriöser Medienumsetzung, oder die unterhaltsam-massenverkäufliche Verfilmung von Literatur auf der Kippe, schon bei Jacksons Neufassung von Tolkiens altertümlichem Kultschmöker »Herr der Ringe«, vor allem bei dem unerträglich künstlich gestreckten HD-»Hobbit« bis hin zu »Harry Potter«, bei dem die Autorin Joanne K. Rowling ab dem 5. Buch um die Wette mit den von ihr mitkontrollierten Verfilmungen schreiben musste,  und den seichteren, selbst Plagiats-verdächtigten Vorlagen wie »Twilight« und »Tribute von Panem«, beide produziert als Trilogie mit opulenter Filmauswertung durch gesplittetes Finale. Taktgeber der aktuellen Megakinoproduktion bleiben die Marvel-Comic-Superhelden-Verfilmungen, in flexiblen Gruppen- und Soloauftritten, auf der Basis einer reichen und humorvollen Comic-Literatur, die dem Disney-Konzern einen Hit nach dem anderen bescheren und Warners angeschlagenes DC-Comic-Universum mit der einen Ausnahme »Wonder Woman« (2017) weiter abhängen. 

Bei seiner ersten, anfangs belächelten Produktion von Teil 4 verzichtete Lucas auf einen Anteil der Gage. Dafür erwarb er die Merchandizing-Rechte, nahm Milliarden ein und reinvestierte sie in Kino. Im Star Wars Universum hat sich der Midas-Touch von Lucas nun nach dem Verkauf seiner Firma Lucasfilm 2012 an Disney gegen die plausible Bildung von Sinnzusammenhängen, Figuren und Charakteren sowie Handlungsbögen gewendet. Ein Abgrund an Schwächen tut sich auf, in der Dramaturgie, der Figurenexposition, Handlungs- und Charakter-Entwicklung, Konfliktmotivation sowie der Glaubwürdigkeit des Schauspiels in der Balance zur avancierten Kamera- und Tricktechnik. Die Fortsetzungen schwanken zwischen starrem Rückverweis und willkürlicher Abweichung, und zerren im Hintergrund mehr oder weniger überzeugende Motivationslinien hervor, über die die Zuschauer und Fans geradezu wütend im Zweijahresrhythmus im Internet auf allen Kanälen spekulieren können. Nicht Aufbruch, sondern Abbruch und Umbruch herrschen vor. Auf diese Weise entsteht der eigentliche neue Mythos nicht mehr auf der Basis liebevoll konservierter Charaktere und frühzeitig fixierter Stories und Drehbücher, sondern als willkürliches Ideen-Patchwork und Kommunikationsfluss zwischen den Entscheidern und Beauftragten der verschiedenen Filmprojekte und der zentralen Star Wars Story Group, unter der Leitung von Kathleen Kennedy und Pablo Hidalgo, die im weiteren Sinne professionelles und amateurhaftes Material der Fans aufgreifen und einarbeiten. Dabei hat sich bereits eine doppelte Achse von Akzeptanz und Zurückweisung ausgebildet: Die interne Wahrung der Figuren und ihres Niveaus durch Kathleen Kennedy, z.B. bei der Ablehnung von zu viel Comedy beim »Han Solo«-Projekt. Die vom Publikum gewünschte Nähe vor allem der Anthology-oder-Einzelfilme wie »Rogue One« zur Chronologie der alten Filme, bei »Rogue One« als unmittelbare Vorgeschichte zur Episode 4.  

Ein erster großer Verdacht kam auf, als J.J. Abrams, der bereits die betulich gewordene Star Trek-Serie in zwei Kinofilmen 2009 und 2013 mit verjüngten Charakteren und rasanter Action auf einer alternativen Zeitlinie einer angeblich plausibleren Vorgeschichte aufgepeppt hatte, nun auch noch als Retter für ein renoviertes Nachfolge-Universum von Star Wars bereitstehen sollte: War hier ein Multitalent nach allen Seiten am Werk. Oder kollabierten hier zwei ehemals unvereinbare Sci-Fi-Welten zwischen Laser-Ritter-Märchen und Beamender-Zukunftsvision, Kino und TV in tödlicher Umarmung? Angesichts einer immer schmaleren Personaldecke von versierten und umsatzstarken Kreativen, die kaum mehr die Gelegenheit zur Vorübung in mittleren Budget-, Genre- und Schauspieler-Filmen haben, sondern als Anfänger und  TV-Arbeiter sich im Produzenten- und Studio-System aufgeblähter Etats als massiv lenkbar hochdienen oder querdealen müssen, mitten in einem globalisierten und digitalisierten Hollywood, das sich immer nervöser zeigt, angesichts der Marktangriffe der Endlos-Serien-Produktionen der renommierten Sender, des HBO-Kanals sowie der Internet-Anbieter Amazon und Netflix? 

Mark Hamills große Inszenierung: Anpassung und Widerstand

Die Hauptaufgabe der jüngsten Star-Wars-Trilogie besteht in nichts anderem, als in der abrupten Verknüpfung neuer Charaktere mit den alten und durch Lucas’ langes Zögern überalterten Figuren und Darstellern, die zugleich abtreten sollen. Denn längst ist geplant, an einer anderen Ecke des Universums mit völlig anderen Charakteren und Situationen loszulegen. Im Gegensatz zu Marvel traut man sich nicht sogleich zur Produktion auf voller Breite zwischen Alt und Völlig-Neu. Der Markenkern wird über den Zeitrahmen der dritten Trilogie noch genauer eingekreist. Diese schwach exponierte, gelegentlich slapstickhafte Anstupser-und-Killer-Dramaturgie hat Methode. Und sie versucht sicherlich auch die Kostenexplosion im Hintergrund wenigstens zum Teil zu zügeln, vor der Lucas, der Entwickler von Film- und Raumschiff-Technologie nicht zurückgeschreckt ist. Harrison Ford hat sich Han Solos Filmtod bereits in Episode 7 mit 22,9 Mio. Dollar plus Anteil an den Einkünften fürstlich entlohnen lassen. So viel war für die anderen nicht vorgesehen. Carrie Fischer tritt unbeschadet ihres tatsächlichen Todes im Dezember 2016 nicht nur in Folge 7 auf. Sondern spacewalkdriftend in 8 und wohl auch noch in dem kommenden Teil 9 als Generalin Leia Organa einer Schritt für Schritt vom Feind dezimierten Widerstands-Flotte. Ihr nützt weder der virile Heldenmut des Piloten Poe Dameron (Oscar Isaac), noch die defensive, am Ende mutige Vizeadmiralin Holdo (Laura Dern).

Mark Hamill hat in der jetzigen Episode den alles beherrschenden epischen Part des einsiedlerischen und enttäuschten Jedi Luke, der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der Rebellion und des Widerstandes spirituell in der kosmischen Natur grundiert und vertieft. Hamill hat die Ehre, die Andeutungen eines Alec Guiness als Obi-Wan in Folge 4 zu einem mystischen doppelten Theaterboden auszubauen. Aber zieht das Publikum mit? Adam Driver kann sein schauspielerisches Talent etwas differenzierter unter Beweis stellen, er baut seine Rolle als Kylo Ren alias Ben Solo ein Stück weit aus: Er ist Leias und Han Solos missratener Sohn Ben und der zur dunklen Seite der Macht übergetretene Schüler Lukes; ein Vatermörder und mit Müh und Not verhinderter Mutterkiller; immer noch im Dienste des Erzschurken und Obersten Anführers Snoke (Andy Serkis) als Haupt der faschistischen Ersten Ordnung, verfolgt er vehement die letzten republikanischen Rebellen durchs All. Es zeichnen sich wiederum massive Spannungen zwischen dem unberechenbaren Kylo Ren, General Hux (Domhnall Gleeson) und Snoke ab. Kylo zeigt sich gereizt durch den ständigen telepathischen Kontakt zu seinem polaren Gegenüber, zur ebenfalls machtbegabten, freilich vom Guten durchdrungenen Rey, dargestellt von Daisy Ridley. Angebahnt und ausgehorcht scheint dieser immer »vertrautere« Kontakt zwischen Kylo und Rey durch Snoke. Er will die Machtbegabte zum Duell in seinem roten Thronsaal herbeilocken.

Rey sucht zunächst auf dem ozeanischen Planeten Ahch-To auf einer steilen Gebirgsinsel – mit Bienenstock-Steinkloster, Baumbibliothek, Grotte, lästigen lundeartigen Porgs und Thala-Sirens-Säugern mit nahrhafter grüner Milch – im gealterten Luke Skywalker, virtuos und herzeröffnend von Mark Hamill (der die Rolle ausdrücklich als völlig anderen Luke bezeichnet) inszeniert, einen Eremiten, Vaterfigur, Weisen und unwilligen Ausbilder, wie ihn Luke in seiner Jugend in Obi-Wan Kenobi auf dem Wüstenplaneten Tatooine und dann in Yoda auf dem nebeligen Sumpfgestirn Dagobah fand, wenn die Ausbildung immer wieder von Ausflüchten und Halbwahrheiten, Angstzuständen und Visionen, Flucht, anstehendem Kampf und Krieg unterbrochen wurde. Rian Johnson beansprucht in den stärksten Momenten seines Filmes, die Suche nach dem oder den letzten Jedis, das vermeintliche Ende und die Wiedergeburt des Kampfes für die Freiheit, das natürliche Gespür für den Gebrauch der Macht, ohne die starren altehrwürdigen Rituale und Regeln, jenseits von Gut und Böse, Mann und Frau, als verblüffend individuellen Zustand der Erleuchtung und Verwandlung darzustellen. Gelingt ihm das wirklich? Die Erleuchtung weicht rasch der Posse und dem Gag. Er reißt den Zuschauer zwar aus den überall präsenten mechanischen Videospiel-Menüs: Jedi-und-Sith-Ordnung, Lichtschwertduell, Bodentruppenkrieg auf dem Salzsee, Raumschiffkampf und Casino-Planeten-Nebenhandlung (mit Finn und Rose – John Boyega;  Kelly Marie Tran) – für kurze Zeit heraus in eine andere verrätselte Dimension.

Dies erinnert von fern an die frühen Spekulationen des Freidenkers Qui-Gon Jinn in Folge 1, an Obi-Wan Kenobis Andeutungen und seinen plötzlichen Tod in Folge 4, an Yodas Wandlung vom ängstlichen Mitglied des Jedi-Rates zum Weisen von Dagobah und an die Jedigeister auf Endor am Ende von Episode 6. – All das ist verbunden mit der Disneyfizierung des Filmes durch die Stalljungen, die die Fathiers, die Renntiere am Casino-Stadion von Canto Bight betreuen und auf die Spielbergianische Befreiung aus Unterdrückung und Kinderarbeit warten. Die Popularisierung des Machtbegriffes, »Yes we can«, geht einher mit seiner Entsubjektivierung als diffuses Eintauchen in das Fluidum der Natur. Die Regularien der Jedi können, so Johnson, getrost den Flammen überlassen werden.

Aber die beseelte Seite des Films erreicht nicht die Intensität der zitierten Vorbilder der spätkolonialen endzeitlichen Durchhaltefilme, die Johnson, Jahrgang 1973, anführt: etwa die Verwundbarkeit und Sprunghaftigkeit der »Three Outlaw Samurais«, der herrenlosen Wanderer und rōnin, wie sie Hideo Gosha (Japan 1964) inszeniert hat. Verarbeitet wurde deren Motiv schon in der Star Wars Auskopplung »Rogue One« (Gareth Edwards, 2016; eine Mrd. Dollar Einnahmen, als erfolgreiche, stilistischen eigenwillig militarisierte Vorgeschichte von Episode 4). – Oder die Polarität zwischen Verstand und Gefühl in Henry Kings Fliegerbomber-Epos »Twelve O’Clock High« (USA 1949 und die daran anschließende, zwischen Doku, Drama und Action taumelnde TV-Serie 1964-67). In Kings Film verkörperte Gregory Peck einen rigoros auf den Erfolg starrenden und menschlich gespaltenen Bomber-General, eine monumentale männliche Figur, die mit dem Star Wars-Konflikt zwischen Poe Dameron, der dezimierten Mannschaft und der zickigen weiblichen Flottenleitung gegen die Übermacht der dümmlichen männlichen Ersten Ordnung nur bedingt vergleichbar ist. – Nimmt man Johnsons bekanntesten Film »The Looper« (eine US-chinesische Produktion 2012) hinzu, fällt auf, dass darin das brutale Geschäft des sofortigen Tötens der bei Ankunft vermummten Zeitreisenden auf derselben Dissoziation von Mechanik und Gefühl, Auftrag und verdrängtem eigenem Leben beruht, wie sie uns in den zusammenmontierten Versatzstücken zwischen Actionsequenzen und verordneten Ruhepolen in »Star Wars Episode 8« um so formaler und klischeehafter aufklappen, weil die Grammatik und Vokabular aus den bisherigen Filmen allzu bekannt und damit automatisch abrufbar sind. Johnson wetteifert verzweifelnd und kuschend mit dem internetkundigen Nerds um die Wette, welche Wendung, welche Kurve jetzt genommen werden soll. Er filmt nicht in aufrechter sondern in geduckter Haltung. Dies bedroht den Instinkt seiner Inszenierung und die Überzeugungskraft der Akteure. Die Flucht durch Folge 8 will mit allen Mitteln der Etikettierung aus den anderen Episoden entgehen und kann ihr doch nicht entrinnen. – Eine andere Referenz außerhalb des Lucas-Universums: Das energetische Pathos mitten in der Natur wie in Mikhail Kalatozovs »Letter Never Sent« (UdSSR 1960) hält sich auf Ahch-To freilich in Grenzen. Die Echos und Resonanzen verklingen immer schneller. Wäre da nicht Mark Hamill, der wie in einem Veto und Memento die Routine ausbremsen würde: die falsche Doppelbödigkeit, die rasende Flucht in die Vernichtung und in das Vergessen. Aufbau einer Simulation der großen Endschlacht, Aushauchen in der Natur unter dem Doppelgestirn von Tatooine. Klavierkonzert für die verstorbene Prinzessin. Licht an im Filmsaal. Sollte Hamill seinen Ungehorsam gegen Kathleen Kennedy und Rian Johnson durchgesetzt haben, wie er in den Presse- und Showkonferenzen spürbar war, können die Fans ihm dankbar sein. Er ist die Singularität, der Anker in Episode 8. Wie John Williams, der sich in seiner Musik jetzt selbst, ohne London Symphony Orchestra zitiert und dessen postromantisch Korngold-haftes »Es war einmal« immer noch am längsten vorhält, wenn alles andere verblasst.

Artikel online seit 27.012.17
 

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten