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Entspannt euch!

Eine Bemerkung zum Video »Deutschland« der Band Rammstein

Von Jürgen Nielsen-Sikora

 

Es ist alles so schön berechenbar: Eine umstrittene Band veröffentlicht ein Musik-Video, in dem Anspielungen auf die NS-Zeit zu sehen sind, und Teile der Öffentlichkeit fühlen sich provoziert. Dann folgt die übliche Medienschlacht und nach ein paar Tagen ist wieder Ruhe eingekehrt – bis zur nächsten Provokation.

Dieses Mal hat es die Band Rammstein um Sänger Till Lindemann geschafft, mit ihrem Clip »Deutschland« die Gemüter zu erregen. Über neun Minuten dauert der kleine Film, in dem eine junge, dunkelhäutige Frau sich als »Germania« durch die blutigsten Kapitel deutscher Geschichte schlägt – rund zweitausend Jahre, komprimiert auf wenige Minuten: Szenen vom Sieg der Germanen in der Varusschlacht, Verweise auf Bismarck, die Nazis, die RAF, die Stasi. Die Geschichten fallen ineinander, laufen parallel, synchron, alles ist äußerst bedeutungsschwanger, metaphernreich, voller Allegorien: Eine sehr gelungene Inszenierung ambivalenter Gefühlswelten. Dieses dunkeldeutsche Seelenleben wird zudem eindrucksvoll fotografiert und sprengt die Ästhetik herkömmlicher Musikvideos um ein Vielfaches. Im Grunde war's das. Man kann natürlich hingehen und jede einzelne Szene mit den Mitteln kulturwissenschaftlicher Proseminare interpretieren. Aber man kann es auch sein lassen und sich lediglich an den kunstvoll gestalteten Filmsequenzen erfreuen.

Die Aufregung um die Galgen-Szene, in der eine Jude, ein Schwuler und ein politischer Häftling in den Tod geschickt werden sollen, ist kaum nachvollziehbar. Es handelt sich ja nicht um kriegsverherrlichende Bilder, die Szene wird vielmehr als ein besonders dunkles Kapitel deutscher Geschichte prominent thematisiert. Fragwürdig wäre es, dieses Kapitel einfach zu tabuisieren, darüber hinwegzugehen, als wäre es nie passiert. Doch gegen Dauerempörung ist einfach nichts auszurichten.

Noch ein Wort zum Text. Der Refrain lautet:
»
Deutschland – mein Herz in Flammen
Will dich lieben und verdammen
Deutschland – dein Atem kalt
So jung, und doch so alt
Deutschland – deine Liebe
Ist Fluch und Segen
Deutschland – meine Liebe
Kann ich dir nicht geben
Deutschland!
« 
Und in der zweiten Strophe heißt es: »Deutschland, Deutschland über allen.« Dieser Mischung aus Heimatpoesie und Allusion wird ganz gewiss kein Literaturpreis zuteil. Wozu also die ganze Aufregung?
Seid unberechenbar und entspannt euch!

Artikel online seit 30.03.19
 

 


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