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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Realitätsverlust

Wie aus Demokratien postfaktische Gesellschaften werden

Von Jürgen Nielsen-Sikora

Die dänischen Philosophen Hendricks und Vestergaard wollen mit ihrem Buch ein Erklärungsgerüst liefern, wie aus relativ stabilen Demokratien postfaktische Gesellschaften werden. Ausgangspunkt ist die Analyse massiver, digitaler Desinformation, denn immer seltener werden Dokumente unter journalistischen Standards und ethischen Maßstäben bewertet. Stattdessen geht es vorrangig um das, was Norbert Bolz einst treffend „Aufmerksamkeitserregungswettbewerbe“ genannt hat. Aufmerksamkeit sei der Preis, den wir für Information zahlen: „Der Zuschauer ist nicht der Kunde, sondern das Produkt, das verkauft wird ... Facebook verkauft uns an die Inserenten.“

Wenn Aufmerksamkeit nun primär auf politische Propagandaseiten gerichtet ist, alternative Fakten konsumiert, und falsche Behauptungen reflexionslos geglaubt würden, steige die Gefahr eines Verlusts des Faktischen. Hierzu tragen nach Ansicht der Autoren auch die so genannte Signalgesetzgebungen (z.B. Sicherheitspakete) oder Symbolpolitiken (z.B. Söders Kreuzerlass) bei: Es sind ebenfalls Spekulationen auf dem Aufmerksamkeitsmarkt. Die Folge seien politische Blasenbildungen und kollektiver Realitätsverlust: Die Aufmerksamkeit übersteigt die Substanz der Angelegenheit.

Aus diesem Grunde sind gegenwärtig vor allem Wissenschaft und guter Journalismus gefragt. Sie lieferten den Bürgern, so Hendricks und Vestergaard, Orientierungshilfen in Zeiten neuer Unübersichtlichkeit, indem sie der Sensationssucht und der Lust am Gerücht entgegenwirken und aufzeigen könnten, inwiefern Fake News vor allem als Klickköder dienen, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Andererseits kann ein Misstrauen gegenüber Wissenschaft, Politik und Journalismus „dazu führen, dass die Bürger noch empfänglicher für Fake News werden.“

Appelle an Gefühle, persönliche Vermutungen: Empfänglich sind insbesondere jene Bürger, die auf das Paradies warten, weil ihr Leben ein Leiden ist. Sie fühlen zu machen, es ginge voran, lautet die Devise des Populismus. Populistische Narrative können aber auch „in konspirative kippen: Wenn die anderen Politiker und nicht zuletzt die Journalisten nicht für das Volk arbeiten, für wen dann? Eine fremde Macht, eine heimliche Elite, eine große Verschwörung?“

Hendricks und Vestergaard liefern mit ihrem Buch zwar keine neuen Informationen über die aus Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien zusammengeflickte postfaktische Realität, aber sie fassen die wesentlichen Aspekte auf sehr unterhaltsame und kurzweilige Art und Weise zusammen. Ergänzend sind in diesem Zusammenhang Bernhard Pörksens „Die große Gereiztheit“ sowie Michael Butters „Nichts ist wie es scheint“ zu empfehlen.

Artikel online seit 09.06.18
 

Vincent F. Hendricks,
Postfaktisch
Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien
Blessing Verlag
208 Seiten
16,00 €
978-3-89667-636-8

 


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- Magazin für Literatur und Zeitkritik
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