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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Ich schreib mir die Welt, ene mene, wie sie mir gefällt

Antonio Manzinis
»Spitzentitel« durchforstet sprachliche Niederungen

Von Christiane Pöhlmann

 

Camilleris sizilianischer Montalbano hat seit ein paar Jahren ein nordisches Pendant: Rocco Schiavone. Der Kommissar aus der Feder Antonio Manzinis stapft, frisch aus Rom strafversetzt, durchs Aosta-Tal, zieht sich täglich zu Dienstbeginn einen Joint rein und trägt unverdrossen Clarks. Sein Verschleiß an Schuhen ist mindestens genauso groß wie seine Sehnsucht nach Rom. Schiavone ist notorischer Frauenbewunderer und nie um einen politisch inkorrekten Spruch verlegen. Mit einer höchsteigenen Messlatte stellt er ständig fest, wie sehr ihm etwas „auf den Sack geht“. Eine solche Figur schien kaum noch denkbar, dennoch hat sie mittlerweile nicht nur eine italienische, sondern auch eine deutsche Fangemeinde.

Bei einem derart bärbeißigen, sarkastischen Ermittler sind die Erwartungen an ein anderes Werk Manzinis, an den »Spitzentitel«, selbstverständlich hoch. In dieser schmalen Erzählung hat der Protagonist Giorgio Volpe gerade sein neues Opus beendet, Verlag und Lektorat sind begeistert, kommerzielle Erfolge rücken in ebenso greifbare Nähe wie enthusiastische Kritiken. Der kurze Traum vom großen Glück platzt jedoch, als die drei führenden italienischen Verlage zusammengeschlossen werden. Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr, wie es war. Vertraute Verlagsangehörige sind unerreichbar, ein Anrufbeantworter ist nun erste Anlaufstelle. Volpes Manuskript soll von zwei Profis auf Publikumsgeschmack gebürstet werden. Warum das bei einem Bestseller-Autor nötig ist, bleibt ein Geheimnis. Immerhin bringt diese Wendung die schönsten Pointen des Textes mit sich. Da erklärt Sergej, ein Russe und einer der beiden Marketingprofis, Volpe, wie Lektorat zukünftig funktioniert: Bei »Krieg und Frieden« gibt es nur noch »Frieden. Krieg streichen wir ganz raus«, denn man »darf dem Leser keine Angst machen«. Das neue Credo des Verlags lautet: »Frieden, Liebe, Optimismus und Brüderlichkeit«. Deshalb gibt es eine Affäre nur, »wenn hinterher Frieden«, eine Scheidung geht gar nicht, Sex schon, sogar »viel. Mit Tieren ja. Mann und Frau ja. Frau mit Frau ja. Mann mit Mann nein«.

Ginge es in dieser Tonlage weiter, das Buch wäre ein Knüller. Doch Manzini schickt seinen Protagonisten mit einer kafkaesken Wende auf die Suche nach seiner einstigen Lektorin oder anderen Ansprechpartnern und lässt ihn durch eine ausgestorbene Verlagslandschaft streifen. Schließlich dringt er aber zur neuen Superchefin vor, die ihm auseinandersetzt, dass bei Literatur fortan der Produktcode vereinheitlicht werden müsse. Vermutlich wären als digitale Werbefläche poetisch zu bespielende Hausfassaden ganz nach dem Geschmack des neuen Megaverlags ...

Nach der Trivialisierung spendiert Manzini jedoch auch der Kommerzialisierung nur zwei Pointen und zaubert dann die nackte Gewalt aus dem Ärmel, die Volpe in die Knie zwingt. Damit packt er entweder zu viel oder zu wenig in seinen »Spitzentitel«. Der Effekt ist desaströs: Spitz und pfiffig sind nur noch die Pointen, die für den Klappentext herhalten. Der Rest lässt gerade noch den Stoßseufzer zu, dass die Realität mal wieder eingeholt wurde. Oder bestimmt bald eingeholt wird. Selbst bei bester Absicht lässt sich zu dieser Flickschusterei am Ende nur festhalten: Sie geht gewaltig auf den Sack.


Artikel online seit 06.03.18
 

Antonio Manzini
Spitzentitel
Aus dem Italienischen von Antje Peter
Wagenbach, Berlin 2017
80 Seiten, geb.,
15,–  €.

 


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