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Der »zwangsläufige Gang eines anständigen Menschen«

Thomas Karlaufs Biographie zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg sorgt für Diskussionen unter Historikern und Nachkommen. Doch der Widerstand gegen den Nationalsozialismus hatte vielfältigere Formen und zivile Akteure.

Von Dieter Kaltwasser
 

Das missglückte Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler und der damit einhergehende gescheiterte Umsturzversuch vor 75 Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland zum Symbolereignis gegen die nationalsozialistische Tyrannei.

Karlauf hat mit seinem neuen Buch »Stauffenberg – Porträt eines Attentäters« für mediale Aufregung gesorgt, und die Reaktionen zeigen deutlich, warum sich die Deutschen immer noch schwertun mit den Ereignissen des 20. Juli 1944. In den Hintergrund gerät darüber ein wichtiger Appell, den vierhundert Nachfahren deutscher Widerständler veröffentlichten, in welchem vor den Gefahren des Rechtspopulismus und nationalen Alleingängen gewarnt und für ein geeintes, starkes und friedliches Europa geworben wird. Zu den Unterzeichnern zählt auch Sophie von Bechtolsheim, eine Enkelin Stauffenbergs. Zu Unrecht habe der Autor Thomas Karlauf ihrem Großvater »jede Moralität« abgesprochen, sagte sie während einer Veranstaltung in Berlin. In Ihrem Buch »Stauffenberg – Mein Großvater war kein Attentäter« verwahrt sie sich dagegen, die Persönlichkeit ihres Großvaters auf die eines Attentäters, seine Lebensleistung und sein ganzes Leben auf »die Tat am 20. Juli« zu reduzieren. Er gehöre nicht in die »Reihe derer, deren Ziel einzig die Gewalt, einzig die Aufmerksamkeit durch einen Mordanschlag ist«. Die Enkelin betont in ihrem Buch vor allem die unprätentiöse menschliche und katholische Seite ihres Großvaters und plädiert für eine Neubestimmung des Gedenkens an den 20. Juli.

Karlauf, der unter anderem große Biographien über Stefan George und Helmut Schmidt verfasst hat und zehn Jahre für die Literaturzeitschrift »Castrum Peregrini« arbeitete, die vor allem der Pflege des Andenkens an Stefan George verpflichtet war, fragt in seinem neuen Buch nicht nach den moralischen Motiven Stauffenbergs, sondern stellt dessen »militärisch-politische Motivation« in den Vordergrund. Allerdings verwischen sich die Argumentationslinien, wenn es heißt: »Jedenfalls waren es weder ausschließlich militärische noch ausschließlich moralische Gründe, die ihn im Sommer 1942 zum Nachdenken brachten.« Darüber hinaus ist die Frage zu stellen, ob die Weber‘sche Trennlinie zwischen Verantwortung und Gesinnung bei der Analyse des militärischen Widerstands überhaupt Sinn macht.

Beschrieben wird ein charismatischer, elitärer und dominanter Offizier, dem eitle Züge nicht fremd waren. Der Biograph findet in den historischen Quellen bis 1942/43 keine Belege dafür, dass Stauffenberg ein Attentat gegen Hitler erwogen hätte. Wolle man den »Ablösungsprozess« verstehen, der zu dieser Zeit begann und dazu führte, in Hitler den Vollstrecker des Bösen zu sehen, dann müsse man nach den Werten und Idealen fragen, mit denen er aufwuchs. Seine drei »Lebenswelten«, die sein Denken und Handeln von früh auf bestimmten; die Tradition der Familie, das Offizierskorps und die Bindung an Stefan George und seinen Kreis seien für Stauffenberg lange mit den Zielen des Nationalsozialismus vereinbar gewesen. Als er im Sommer 1942 an diesen Zielen zu zweifeln begann, suchte er seinem Gewissenskonflikt durch »Flucht an die Front« zu entkommen. Erst während der Genesungsphase nach einer schweren Verwundung in Nordafrika wurde in ihm der Entschluss reif, sich aktiv am Aufstand gegen das verbrecherische Hitler-Regime zu beteiligen.

Er ist ein Beispiel für das breite Spektrum des Widerstands. Der Offizier kam nicht aus kommunistischen oder bürgerlichen, sondern aus nationalkonservativen adligen Kreisen. Er war Teil eines Netzwerks, das die Pläne zur Tötung des Diktators lange vor seiner Teilnahme geschmiedet hatte.

Stauffenberg war ein loyaler Offizier. Er musste sich aus dem Milieu befreien, in dem er aufwuchs und das ihn bestimmte, bevor er feststellen konnte, dass Hitler die falsche Wahl war. Ab dem Sommer 1942 und verstärkt ab dem Frühjahr 1943 erkannte er, dass der Krieg sein Ziel nicht mehr erreichen würde, sondern Deutschland in den Untergang führen würde. Dieser Erkenntnisprozess ist für Karlauf das eigentlich Faszinierende, das, was Stauffenberg über seine Zeit hinaus auch für uns Heutige interessant macht. Von der Judenverfolgung und den Verbrechen der Wehrmacht wusste er als Offizier des Generalstabs spätestens seit Ende 1941. Im August 1942 gab es ein Gespräch mit einem Major Kuhn, in dem er die »Judenbehandlung« als eines der Verbrechen der Hitler’schen Politik benannte.

Im Nachkriegsdeutschland beriefen sich viele deutsche Offiziere auf ihren Eid, der es ihnen unmöglich gemacht habe, gegen das verbrecherische Regime zu kämpfen. In den meisten Fällen dürfte es sich um nachträgliche Legitimierungsversuche gehandelt haben. Für Stauffenberg hingegen beruhte ein Eid auf Gegenseitigkeit; wenn der Herrscher die Macht missbrauche, sei das Loyalitätsverhältnis aufgehoben. Für ihn war die Verantwortung des Offiziers nicht auf das Militär beschränkt, sondern schloss die »Verantwortung für das Ganze« ein. Er betrachtete es als seine Offizierspflicht, Hitler in den Arm zu fallen. Damit verstieß er gegen den Kodex des Offizierskorps, das den Befehlsgehorsam über alles stellte. Mit seinem Entschluss, Hitler zu töten, brach er mit den Normen seiner Klasse. »Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird«, soll er wenige Tage vor dem 20. Juli gesagt haben. »Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird.« Karlauf resümiert: »Verantwortung und Ehre höher zu stellen als soldatischen Gehorsam ist – weit über alle Deutungen des 20. Juli als Aufstand des Gewissens hinaus, das eigentlich Revolutionäre dieses Tages.« Festzuhalten bleibt aber auch, dass für die Brüder Berthold und Claus von Stauffenberg in einer Nachkriegsordnung der allgemeinen Gleichmacherei (der »Gleichheitslüge«) entgegenzutreten sei; die Elitevorstellungen des George-Kreises und adeliges Selbstbewusstsein gingen, so der Biograph, Hand in Hand, »wenn er [Claus] in Diskussionen über die Nachkriegsordnung regelmäßig mahnte, ‚dass die überkommenen Güter nicht einfach über Bord geworfen würden und dass man die geschichtlichen Leistungen des Adels berücksichtigen solle‘«. 

Ziel der Konspiration war es, Hitlers Tyrannei zu beenden, »um Deutschland vor namenlosem Elend zu bewahren«, wie Friez-Dietlof von der Schulenburg in seinem Schlusswort vor dem Volksgerichtshof erklärte. Das Attentat war für Stauffenberg und die Mitverschwörer lediglich die Voraussetzung für alles Weitere. »Nicht die Tötung Hitlers war das Ziel, sondern der dadurch erst möglich werdende Umsturz«, so sein Biograph. Dass nach dem missglückten Attentat der Umsturzversuch scheiterte, daran waren die am Rande der Verschwörung stehenden hochrangigen Generälen beteiligt, die keine Verantwortung zu übernehmen gewillt waren.

Der Biograph sieht in den umstrittenen letzten Worten Stauffenbergs vor der Hinrichtung keine Botschaft an die Nachlebenden, sondern die Beschwörung der George-Welt, der geistig-sittlichen Sphäre, aus der er kam: »Es lebe das geheime Deutschland.«

Karlaufs glänzend geschriebenes Buch setzt sich kritisch von älteren Biographien und Darstellungen ab und konzentriert sich auf die militärischen und politischen Motive Stauffenbergs. Entstanden ist ein Porträt, das zur Diskussion und Kritik einlädt. Es empfiehlt sich eine weiterführende Lektüre, um ein Gesamtbild des Widerstands gegen den Nationalsozialismus zu erhalten.

Solche Gesamtschauen bieten zwei neue Bücher, die den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in den Blick nehmen. Dass es vor allem Offizieren aus der zweiten und dritten Reihe vorbehalten war, die unheilvolle Kette von Befehl und Gehorsam zu durchbrechen, »stellt dem Berufsstand insgesamt ein beschämendes Zeugnis aus«, konstatiert Linda Keyserlingk-Rehbein in ihrer umfangreichen Studie »Nur eine ganz kleine Clique?«. Sie beschreibt das vergebliche Bemühen des Widerstands um hohe Militärs in Schlüsselpositionen und unterzieht die NS-Ermittlungen über das Netzwerk vom 20. Juli einer subtilen Analyse. Die Autorin gelangt zu dem Ergebnis, dass die »unkritische und opportunistische Haltung der militärischen Führung gegenüber Hitler und der NS-Führung« den Widerstand nicht nur in der frühen Phase 1938/39, sondern auch in der späten Phase der Umsturzpläne von 1943/44 vor große strukturelle Schwierigkeiten stellte. Von den Ereignissen überrascht, hatte das NS-Regime in Bezug auf die Gruppe der Verschwörer sofort verfügt, dass offiziell nur von einer »ganz kleinen Clique« die Rede sein dürfe – eine Formulierung, die zum Teil auch heute noch das Bild des Widerstandskreises bestimmt. Das neue Werk der Kuratorin am Militärhistorischen Museum in Dresden und Leiterin der dortigen Dokumentensammlung bietet einen Gesamtblick auf das Netzwerk und analysiert erstmals anhand von zahlreichen Visualisierungen, was die NS-Ermittler tatsächlich über das große und komplexe zivile und militärische Netzwerk vom 20. Juli 1944 sowie über so unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen wie Offiziere, Verwaltungsbeamte, Diplomaten, Juristen, Unternehmer, Theologen, Gutsbesitzer, Gewerkschafter und Sozialdemokraten wussten. Zeit­genössische Briefe und Tagebücher veranschaulichen das geschickte Agieren der Verschwörer vor und nach dem Umsturzversuch und offenbaren gleichzeitig die Fehlerhaftigkeit der NS-Quellen. Realpolitisch ist der Umsturzversuch am 20. Juli 1944 zwar gescheitert, »doch er steht für mehr; er steht für grundlegende Prinzipien von Menschenwürde und Menschenrechten. Er bleibt ein Zeichen für die Wiederherstellung der Majestät des Rechts.«

Die meisten Deutschen haben weggeschaut und keinen Finger gerührt, als das NS-Regime die Freiheit beseitigte, das Recht brach und unzählige Mitbürger verfolgte und ermordete, so Wolfgang Benz in seinem Buch »Im Widerstand«. Einige aber wie Georg Elser, Graf Stauffenberg oder die Mitglieder der Weißen Rose haben ihr Leben eingesetzt, um den Verbrechen ein Ende zu machen. Ob mit Flugblättern, einem Attentatsversuch auf Hitler oder als Fluchthelfer für Juden – die Formen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus waren vielfältig. Eine nicht unbeträchtliche Minderheit hat sich dem Regime dauerhaft verweigert, andere haben aus der Opposition zum bewussten Widerstand mit dem politischen Ziel der Beseitigung der nationalsozialistischen Diktatur gefunden. Die Frage an die Mehrheit, warum sie trotz des offenkundig verbrecherischen Regimes und trotz der sicht- und spürbaren militärischen Katastrophe ihrem Diktator die Treue hielt, bleibt unbeantwortet. »Dass die oppositionelle Minderheit dagegen keine Chance hatte – darin liegen Größe und Scheitern des deutschen Widerstands.« Wolfgang Benz hat eine umfassende, wichtige und überaus lesenswerte Studie geschrieben, die allen zivilen und militärischen Akteuren des Widerstands Gerechtigkeit widerfahren lässt.

Anlässlich des 75. Jahrestages der Ereignisse des 20. Juli 1944 und zur Erinnerung an die Frauen und Männer des deutschen Widerstandes vom 20. Juli findet im Plenarsaal der Frankfurter Paulskirche eine Gedenkveranstaltung statt. Gastredner ist Thomas Karlauf. Am 18. Mai 1848 versammelten sich in der Frankfurter Paulskirche die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten.

Artikel online seit 19.07.19
 

Besprochene Bücher:

Thomas Karlauf
Stauffenberg –
Porträt eines Attentäters
Blessing Verlag
368 Seiten, 24 €,
978-3-89667-411-1  
Leseprobe 

Sophie von Bechtolsheim
Stauffenberg –
Mein Großvater war
kein Attentäter
Herder Verlag
144 Seiten,
16 €
978-3-45107-217-8
Leseprobe

Linda von Keyserlingk-Rehbein
Nur eine
»ganz kleine Clique«?
Die NS-Ermittlungen über
das Netzwerk vom 20. Juli 1944
Lukas Verlag
707 Seiten
34,90 €
978-3-86732-303-1

Wolfgang Benz Im Widerstand
Größe und Scheitern
der Opposition gegen Hitler
Verlag C.H. Beck
556 Seiten
32 €
978-3-406-73345-1
Leseprobe

 

 


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