Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Idealer
Dialog und reales Geschwätz |
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I
Jünger hat insofern hohe Ansprüche an seine Interviewpartner. Zu ihnen gehört
unter anderen Ludwig Alwens, den er 1932 empfängt, und der schon bald ein
überzeugter Nationalsozialist sein sollte. Bereits 1928 hatte er an Jüngers Band
»Die
Unvergessenen«,
einer Sammlung über die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, mitgearbeitet; zu
ihnen gehört auch die zeitlebens umstrittene österreichische Schriftstellerin
Gertrud Fussenegger, ebenfalls eine ehemalige Nationalsozialistin, die gleich zu
Beginn des Gesprächs verkündet, sie verdanke Jüngers Büchern ein gutes Stück
ihrer Weltsicht. Jünger nimmt dies zur Kenntnis, schweigt aber hierzu und
vergibt somit die Möglichkeit, einen echten intellektuellen Austausch zu führen. Wiederkehrende Momente der frühen Berichte über die Begegnungen mit Jünger sind vor allem Landschaftsbeschreibungen, die Darstellung der Physiognomie des Schriftstellers sowie kleine Charakterstudien. Hierbei dient Jüngers Wohnort als eine Art Wallfahrtsort seiner Sympathisanten. Das erste echte Interview in dem Band stammt aus der Mitte der 1960er Jahre von dem nahezu vergessenen Schriftsteller Curt Hohoff (»Woina, Woina«, 1951). Doch mehr als eine zur Schau gestellte, völlig devote Haltung Hohoffs bietet es nicht. Unerträglicher ist nur noch der ebenso unterwürfige Aurel Rău, der Ende der 1960er Jahre sein Vorbild aufsucht. Dissens? Intellektuelle Auseinandersetzung? Fehlanzeige. II »Gespräche im Weltstaat« lautet der Titel der Sammlung von Gesprächen. Bezugspunkt ist die 1960 von Ernst Jünger publizierte Schrift mit dem Titel »Der Weltstaat. Organismus und Organisation«. Darin entwickelt er seine apokalyptische Weltanschauung, die er mit einer anarchistischen Staatskritik verknüpft. Die Weltgeschichte trete im 20. Jahrhundert in ein finales Stadium ein. Das Ergebnis sei ein die gesamte Welt umfassender Staat – eine Idee, die Jünger bereits in seiner Schrift »Der Arbeiter« (1932) und der Friedensschrift (1944/45) angedacht und in nachfolgenden Büchern wie »Eumeswil« (1977) und »Die Schere« (1990) dann immer wieder neu formuliert hat. In einem Interview mit Julien Hervier aus dem Jahre 1985 heißt es hierzu: »Wenn der Weltstaat jemals verwirklicht werden soll oder zumindest jene Vorstufe der Bildung eines vereinten Europa, werden die Nationen, wie sie nach 1789 entstanden sind, nach und nach beseitigt werden, also die Vaterländer. Die Regionen hingegen … werden eine größere Bedeutung bekommen. Der Zentralismus wird auf dieser Ebene abnehmen und auf riesige Einheiten übertragen werden.« Das bleibt einigermaßen nebulös. Fest steht hingegen, dass die Gespräche, die hier zusammengetragen worden sind, nicht wirklich »Gespräche im Weltstaat« sein können, da dieser offensichtlich noch nicht Realität ist. Vorerst leben wir also weiter in einem »titanischen Zeitalter«, wie Jünger in Anlehnung an Schopenhauer glaubt: Auf einem Spielfeld blinder Kräfte und Mächte. Das klingt mythisch aufgeladen bis kitschig – wie auch die Rede vom »Zeitalter des Wassermanns«. Esoterik und New Age standen wohl Pate, und man fragt sich ernsthaft: Ist Jünger noch Vorsokratiker oder schon Teil des musikalischen Universums von Ragni und Rado, deren Auftaktsong aus dem Musical »Hair« bekanntlich mit folgenden Zeilen einsetzt:
When the moon is in the Seventh House
III Auf diese Widersprüche weisen seine Dialogpartner aber kaum hin. Die Gespräche sind überhaupt frei von Kritik. Eine solche Kritik wäre dann angebracht gewesen, wenn Jünger Sätze wie die folgenden von sich gibt:
Ich gebe die Dinge so wieder, wie sie sich zugetragen haben.
Das Ziel meiner verschiedenen Erfahrungen liegt jenseits der Zeitmauer. Es kann
erahnt, aber nicht erreicht werden. Das ist der ganze Unterschied, den Kant
zwischen dem Transzendentalen und der Transzendenz einführt.
Nehmen Sie die alte österreichisch-ungarische Monarchie, dort gab es alle Arten
von Nationalitäten, und dies verhinderte nicht ihr Zusammenleben. Dann behauptet er, im Ersten Weltkrieg sei nicht nur der Soldat, sondern auch Homer abgetreten. Auch hier bleibt völlig schleierhaft, was er eigentlich sagen will. 1981 heißt es dann, es gebe keine Ethik, die den Problemen der Zeit begegne. Man muss die Prämissen all jener Ethiken, die damals im Umlauf waren, ja nicht teilen, aber Hannah Arendt, Hans Jonas, Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas und andere waren 1981 dem intellektuellen Milieu Deutschlands durchaus Begriffe. Ausgeschwiegen wird sich zudem über Aussagen wie »Alles ist relativ«, »Wir befinden uns in einem weltweiten Bürgerkrieg« (1969), oder: »Ich folge stets dem Willen der Erde«. Doch was zeichnet diesen Willen aus? Scheinbar interessiert das seine Interviewer nicht wirklich.
Verräterisch ist aber vor allem Jüngers Satz: »Ecce homo von Nietzsche
war vielleicht das letzte Buch, das mich begeistert hat.« In der Tat lebt Jünger
literarisch und geistig im 19. Jahrhundert, aus dem er nie wirklich
herausgefunden hat. Und er besitzt eine Gabe, die konkreten Themen seiner Zeit
außen vor zu lassen.
IV Jünger will schreiben und sprechen wie ein Klassiker, das ist überall zu spüren, doch nirgends wird er seinem eigenen Anspruch gerecht. Er bleibt ein in seinen Mitteln beschränkter Autor. 1989 erscheint dann ein Gespräch, das beinahe dadaistische Züge aufweist. Seine Antworten auf die Fragen lauten: Ja, gut. So? Meinen Sie? Na ja. Natürlich. Nein. Nicht? Ja, eben. Aha. Und: Wenn Sie das sagen. Ein ideales Gespräch? Irgendein Dissens? Wenigstens eine kleine intellektuelle Herausforderung? Wenn Sie meinen … Einzige Ausnahme: 1981 nimmt er Francis Fukuyamas´ These vom Ende der Geschichte vorweg. Ansonsten präsentiert er sich wahlweise als intellektueller Kleingeist, als Fatalist, als mediokrer Dialogpartner, als Hinterwäldler, orakelnd und suggestiv. Selten bis gar nicht wird wirklich tiefschürfend über Literatur gesprochen, fast immer aber über Krieg, Geschichte, Politik.
Das ist nicht zuletzt der Grund, warum seine Romane heute nur derjenige noch
liest, der sich ihnen aus literaturwissenschaftlichen Gründen widmet. Aber wie
sagt Jünger selbst? »Reue ist ein Verrat an sich selbst.«
V Denn die Wiederholungen sind kaum zu übersehen: Die Rede über den »Sturm«, jenes Buch, von dem er gleich mehrmals behauptet, er habe schlicht vergessen, dass er es geschrieben hat. Dann die Begegnungen mit Mitterand: Leider tappt auch Ulrich Raulff, der ehemalige Direktor des Literaturarchivs Marbach, in die Falle – wohl im Glauben, 1996 einen noch nicht thematisierten Aspekt bei Jünger zu besprechen. Ergebnis: Nichts als Wiederholung. Niekisch und Heidegger, Schmitt und Bloy, LSD und Nietzsche, die Sanduhr, die Marmorklippen, der Arbeiter, der Anarch, Ariost, die Titanen tauchen x-mal auf, was nicht weiter problematisch wäre, wenn Jünger nicht die immer gleichen Sätze dazu von sich gäbe. Sie sind im Grunde sehr ermüdend – diese gewollt-intellektuellen Auseinandersetzungen. Schlimm ist es wirklich in Bezug auf sein Geburtsjahr 1895, dem Jahr der »Dreyfus-Affäre« und der »Entdeckung der Röntgenstrahlen«, wie wir nun wirklich ganz genau wissen.
Auch Jüngers Friedensschrift aus dem Jahre 1943 taucht in regelmäßigen Abständen
auf, ohne dass wirklich ein einziges Mal kritisch darauf eingegangen würde: Die
Schrift erklärt den Zweiten Weltkrieg immerhin zum ersten allgemeinen »Werk der
Menschheit«. Gleich am Anfang heißt es ein wenig kryptisch: »Die hohen Meister,
die ihn [den Krieg] aus dem Chaos stiften, müssen nicht nur die alten Bauten
prüfen und verbessern, sondern auch neue schaffen, die sie überhöhend
vereinigen.« Der Krieg, so Jünger weiter, müsse »für alle Frucht bringen.« Er
lässt den Leser über das, was diese Frucht sein könnte, unaufgeklärt. Was auch
immer sie sein mag, sie könne jedenfalls nur dort gedeihen, wo der Mensch für
andere lebe, stürbe und Opfer brächte. Die Schrift ist eine intellektuelle
Bankrotterklärung. Und auch das Gespräch ist eben nur im Idealfall (wie bei
Sokrates) ein Medium des intellektuellen Austauschs.
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