»Solange niemand etwas von mir wusste, konnte ich alles erzählen, und das war
ein guter Anfang.« So der letzte Satz. Dann ist Schluss.
Der Autor, studierter Mathematiker, promovierter Logiker, Bruder eines
Ski-Weltmeisters, vor allem aber ein begnadeter, wunderbarer Erzähler, zeigt uns
von seinen Anfängen an, der Erzählung »Einer« (1988), bis hin zu seinem neuesten
Roman »Als ich jung war« (2019) Menschen, die nicht einfach auf den Begriff zu
bringen sind. Er weiß, dass wir nicht alles wissen können über uns und die
anderen. Er erzählt, er verschweigt. Er legt Spuren, auch solche, die ins Leere
laufen. Vor allem aber, er fasziniert.
War es ein Unfall, Mord oder gar Selbstmord? Franz, der Ich-Erzähler und
Fotograf des Hochzeitspaars ist jedenfalls einer der letzten, der die Braut
lebend gesehen hat. Am Morgen nach dem Fest wird sie mit gebrochenem Genick am
Fuße des Hügels gefunden. Die Eltern von Franz betrieben ein Hotel und
Restaurant in Tirol, das sich auf das Ausrichten von Hochzeiten spezialisiert
hatte. Der Vater garantierte für alles, »was das leibliche Wohl anbetraf, nur
nicht für das Glück«. Der Kommissar, ein vierschrötiger, etwas unbedarfter Mann,
hält auch Franz für den möglichen Täter. Er hatte schließlich bei einer
zurückliegenden Hochzeit das junge Mädchen Sarah gegen ihren Willen geküsst oder
war vielleicht mehr passiert?
Jedenfalls stellt sich heraus, dass Sarah nicht, wie Franz meinte, fast
siebzehn, sondern erst dreizehn Jahre alt war. Franz entzieht sich allen
Problemen, indem er nach Amerika geht, nach Wyoming. Dort, in den Rocky
Mountains, arbeitet er als Skilehrer. Er begegnet Professor Moravec, einem aus
Tschechien ausgewanderten Raketenforscher. Franz schätzt den Professor sehr,
denn er »hatte nichts von dem penetranten Erlebnishunger und der manchmal
gnadenlosen Spaßbereitschaft der anderen«. Der Professor fühlt sich Franz bald
so verbunden, dass er ihn gerne adoptiert hätte. Für ihn ist Franz der einzige
ihm wirklich nahestehende Mensch. Aber auch der Professor scheint eine
verborgene, dunkle Seite zu haben. Warum begibt er sich so gerne in die Nähe von
jungen Mädchen und warum ist er schon zwanghaft interessiert an den Fällen, in
denen von verschwundenen Mädchen berichtet wird? Als er befürchten muss,
eventuell angeklagt zu werden, bringt er sich auf grausame Weise um. Er
hinterlässt Franz einen dicken Packen von E-Mails, in denen er sich als Menschen
outet, »der sich in allem selbst im Weg steht« und der »eine Sehnsucht nach dem
Nichts und nach der Leere hatte«.
Franz kehrt nach dreizehn Jahren zurück nach Tirol, in das Hotel, das inzwischen
sein Bruder übernommen hat. Er ist siebenunddreißig Jahre alt, mittellos und im
Grunde eine gescheiterte Existenz. Mit dem Fotografieren von Brautpaaren hält er
sich über Wasser. Doch die Vergangenheit bleibt gegenwärtig. Der Kommissar
verdächtigt ihn nach wie vor. Er ist ein unangenehmer Mensch, »dessen
Trauermund, immer schon nur ein Strich, war bei zusammengepressten Lippen
verschwunden, als hätte er selbst ihn aufgegessen«. Was geschah mit der Braut in
jener Nacht, was mit der minderjährigen Sarah?
Norbert Gstrein lässt vieles im Dunkeln. Einiges bleibt vage, rätselhaft.
Manches könnte auch ganz anders gewesen sein. Jeder Mensch hat seine Abgründe.
Jeder Mensch hat etwas zu verbergen. »Wir sind nur einen Schritt davon entfernt,
aus unserem Alltag hinauszukippen.« Rätsel bleiben immer. Was ist die Liebe? Für
Gstrein ein sehr fragwür-diges Gefühl. Er weiß genau: »als ich jung war, glaubte
ich an fast alles, und später an fast gar nichts mehr«. Damit ist er nicht
allein. Und erst Rätsel machen ein Leben spannend.
Artikel
online seit 09.09.19
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Strandgut - Das Kulturmagazin für Frankfurt &
Rhein-Main
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Norbert
Gstrein
Als ich jung
war
Roman
Hanser Verlag
352 Seiten
23,00 €
978-3-446-26371-0
Leseprobe
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